Sterbendes Glühen

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Als das Marktcenter unter dem Licht der fast vollständig untergegangenen Sonne auftauchte, packte mich eine unbeschreiblich unangenehme Beklemmung. Irgendwas versuchte mir den Atem zu rauben und das furchtbare, qualvolle Pochen der Verbindung wurde immer stärker. Mit klopfendem Herzen ballte ich die Hände zu Fäusten, während sich Angstschweiß auf meiner kribbelnden Haut bildete.

Etwas zu grob, riss Courtney das Auto um die Kurve, auf den vorderen Parkplatz, ehe sie es gewaltsam zum Stehen zwang.

Heute beschlich mich das Gefühl, das alte, heruntergekommene Marktcenter würde bedrohlicher und dunkler über uns aufragen, als je zuvor. Die zerstörten Fenster trieften vor abstoßender Finsternis, welche jeden Eindringling auffressen würde, der sich näherte.

Grade, als ich voller Terror ausstieg, knallte bereits die Tür zur Fahrerseite. „Komm, schnell. Er hat mir damals etwas gezeigt. Ich hatte zu viel Angst, um weiterzugehen. Aber heute werden wir wohl nicht drum herumkommen."

Unbeholfen eilte ich hinter ihr her, als sie in die Richtung der zersprungenen Scheiben nickte. Wieso habe ich nie etwas von all dem bemerkt?



Bald ist es vorbei. Ich hatte diese leeren, toten Räume lange nicht mehr besucht. Meine Schritte hallten unnatürlich laut an den grauen, bröckelnden Wänden wider, während ich langsam, bedächtig den trostlosen Korridor entlang schritt. Über knirschenden Schutt, zerfledderte Bücher und zerstörte, morsche Regale hinweg. Die dicke, feuchte Luft stank nach Verwesung. Nach Tod. Während die uralte, flackernde Glühbirne ihr Bestes gab, den Weg zu beleuchten, hielt ich inne und blickte in den vor Finsternis überquellenden Raum zu meiner rechten. Übelkeit, ausgelöst von schmerzhaften Erinnerungen, breitete sich wie ein untragbar schwerer Stein in meinem Magen aus, als ich mich ihm langsam näherte. Wo einst eine metallische Tür war, hing nun eine rotbraune, unbewegliche Metallplatte. Ich wusste genau wozu dieser Raum diente. Zu der Zeit, als dieser Tyrann eines Vaters seine furchtbaren Taten verübte und hier unschuldige Kinder einsperrte.

Während ich mit der Handytaschenlampe hineinleuchtete, stockte kurz mein Atem. Der von Schutt übersäte, graue Boden, senkte sich in der Mitte etwas ab und an der hinteren Ecke stand ein vollständig verrostetes Metallgestell, welches vielleicht mal ein Bett gewesen war. Doch das alles sorgte nicht für diesen nagenden Schmerz in meiner Brust. Wie lange schon, hatte ich es nicht mehr gewagt, diesen Raum zu betreten?

Links und rechts hingen vor vielen Jahren Bilder an der Wand. Kinderbilder, gezeichnet von meinem Bruder, Devin. Nun lagen sie, halb von Trümmern zerfressen und verwest, im Dreck auf dem Boden. Nicht einen einzigen Gedanken hatte ich mehr ihm gewidmet, im Versuch, meine Vergangenheit zu vergessen.

Doch nun kehrte sie zurück. Traf mich mit voller Wucht, mitten im Gesicht und trieb mir heiße Tränen in die Augen. Entschlossen atmete ich tief durch und ballte die Hände zu Fäusten, um mich wiederzufinden. Ava darf nicht spüren, was los ist. Ich hatte ihr schon genug geschadet. Sie verdiente es nicht, hier hineingezogen zu werden.

Mühevoll schluckte ich das Elend hinunter und biss die Zähne zusammen, bevor ich mich einem der Bilder näherte. Bei dem Anblick des zerschlissenen, vergilbten Papiers, wurden meine Finger jedoch zittrig, als ich mich hinunterbeugte. Obwohl kaum mehr etwas zu erkennen war, entdeckte ich einen roten Bundstiftstrich. Ein kindlich gemaltes Männchen, mit einem blauen Wirrwarr aus weiteren Strichen, die kaum vermuten ließen, dass Devin sich mit seinem Teddy gezeichnet hatte. Der Rest wurde von der Verwesung verborgen.

Mein Vater war ein furchtbarer Mann. Er hatte keine Zeit für seine Frau oder sein Kind, während meine Mutter zu eingeschüchtert war, um irgendetwas zu unternehmen. Ich würde niemals all diese unsagbaren schrecklichen Momente zu vergessen. Wie er brüllte, wie er mich schlug, um sich selbst Luft zu machen. Wie er mir beibrachte, dass Leute manipulierbar waren und mir keine Zeit blieb, meine Kindheit zu leben. Doch dann erblickte Devin das Licht der Welt. Ein schüchternes, liebenswürdiges Kind. Und plötzlich schien es so, als wäre der Hass zwischen meinen Eltern vergessen. Als hätten sie ihre Liebe neu entdeckt. Und so entdeckte mein Vater auch die Liebe zu seinem Sohn neu. Nicht zu mir. Ich verblasste im Schatten Devins, ohne ihn dafür hassen zu können. Denn auch mir gegenüber bewies er seine Gutherzigkeit.

Azure ☆ Straying BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt