Ende einer Karriere

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„Was ist da passiert...?", fragte ich halb erstickt. Charon war, so wie Vincent es sagte, vor Erschöpfung zusammengebrochen. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.

Schweigend legte Venny mir eine Hand auf den Rücken. „Warum hat er so enttäuscht ausgesehen? Warum hat er ihr nicht geholfen?"

Tausend Fragen wirbelten in meinem Kopf umher. Doppelt so viele negative Gefühle bildeten einen dunklen Strudel in meinem Bauch. „Er wollte einfach nur ihre Stärke. Und dafür hat er sie gezwungen, Medikamente vom System zu nehmen. Damit sie noch mächtiger wird. Er war besessen davon. Und obwohl wir Charon immer wieder gesagt haben, sie soll sich von ihm lösen, hat sie es nicht getan."

Vennys Stimme klang leise, beinahe schmerzerfüllt. „Das kann nicht sein...", begann ich, ungläubig den Kopf schüttelnd. „Tut mir leid, Ava."

Doch ihre Worte verblassten im Hintergrund. Das kann nicht wahr sein...! Die ganze Zeit, mit ihm...

„Na komm, lass uns zurückkehren. Trisha wartet."

Geschlagen, wortlos, erhob ich mich, zusammen mit Venny.


Nach der Schwärze, blendete das Licht der Realität. Hastig zog mich der Carrier hinter einen Busch, aufgrund eines ahnungslosen Fußgängers, sodass wir uns ungesehen materialisieren konnte, ehe wir uns zeigten.

„Und, wie wars?"

Trishas kalte Stimme, trieb erneut Tränen in meine Augen. Doch ich hielt die Luft an, um sie zu unterdrücken. „Das hätte ich nicht erwartet.", brachte ich schließlich, mit kratzender Stimme heraus. „Ach ja? Und willst du ihn jetzt damit konfrontieren?"

Die Hybridin stellte sich vor mich. Ihr Körper strahlte etwas Hartes, Unergründliches aus. Das wurde mir alles zu viel. Schwer ausatmend, drehte ich den Kopf weg und zuckte erschöpft mit den Schultern. „Werde ich wohl.", „Dann komme ich mit."

Überrascht sah ich sie an. „Ich glaube nicht, dass das so gut wäre.", ich weiß ja selbst nicht mal, wie ich damit umgehen soll.

„Mir egal.", „Trisha, bitte.", begann Venny drängend und packte ihre Partnerin am Arm. Doch diese schüttelte sich entschlossen los und trat einen weiteren Schritt auf mich zu. „Ich werde mitkommen."

Mein Herz machte einen ängstlichen Satz vor Schreck. „Nein, ich brauche Zeit zum Nachdenken."

Auf einmal begann die Hybridin zu knurren. Alarmiert machte ich einen Satz nach hinten, als sie mit einer hellblauen Feuerfaust ausholte. „Hör auf! Wir sind in der Öffentlichkeit!", flehte ihr Carrier überrascht.

Und sie hatte recht. Aufmerksam folgte ich den nächsten Bewegungen von Trisha. Wenn ich mit Energie konterte, könnte ich ebenfalls bestraft werden. Aber sie schien sich vor Wut nicht mehr zurückhalten zu können. „Du kriechst ihm jetzt wieder in den Arsch und bettelst, dass du bei ihm bleiben darfst, oder? Dann passiert mit dir das Gleiche, wie mit Charon!"

Ihr Brüllen sorgte für ängstliche Augen, die sich zu uns herumdrehten. Schluckend begab ich mich in Kampfstellung. „Ich weiß noch nicht, was ich mache. Und jetzt lass uns einfach-"

Ihr Stampfen, schickte Feuersäulen in meine Richtung. Um Haaresbreite, konnte mit einem Satz zur Seite entkommen, als mir das panische, entfernte Gemurmel der Leute bewusst wurde.

Schneller als gedacht, stand Trisha plötzlich vor mir, holte aus und...


Alles wurde grau. Die Zeit schien stillzustehen, Stimmen und Vogelgezwitscher verstummten, als Trishas Flamme erlosch. Von dem Geschehen überwältigt, wich ich ihrer Faust nicht aus. Doch der Treffer war nicht mehr, als der einfache Schlag eines Unbegabten, welcher einen leichten Ruck durch meinen Körper schickte.

„Das reicht.", dröhnte die Engelsstimme über uns hinweg. Vennys Augen wurden groß vor Angst, als Celeste die Realität anhielt.

Mir die Wange reibend, beobachtete ich die Hybridin, wie Furcht sie erstarren ließ. „Trisha Felis. Du bist zum zweiten Mal zu weit gegangen."

Celeste senkte sich auf Augenhöhe herab. Ihre unschuldigen Augen strahlten eine ungeahnte Kälte aus, als sie über das blonde, zitternde Mädchen richtete.

„Hiermit entziehe ich dir deine Kräfte als Begabte. Solltest du das System gegenüber einem Unbegabten erwähnen, verlierst du auch deine Erinnerungen.", „Nein, bitte nicht! Ich kann mich zusammenreißen!"

Doch ihr Flehen prallte von der Digidoll ab, welche sich erhob, um den Fingern der nun energielosen zu entkommen. „Und Venny Storm, du bist ab heute partnerlos, da die Verbindung zu Trisha nicht fortgesetzt werden kann."

Der fassungslose Carrier reagierte nicht. Als wäre sie gefroren vor Unglaube, starrte sie wortlos zu Boden.

Noch nie hatte ich so etwas erleben müssen. Schluckend schlang ich die Arme um mich, als ob sie mich vor dem schützen würden, was ich gesehen hatte. Dann warf die Digidoll mir einen letzten, unlesbaren Blick zu, ehe sie im Nichts verschwand.


Stimmen. Alles war ganz normal, grünes Gras wiegte sich gleichmäßig im sanften Wind. Niemand hatte irgendwas gesehen oder schenkte uns Aufmerksamkeit. Die Zeit lief weiter.

Kopfschüttelnd fiel die ehemalige Hybridin auf die Knie. Ihre Augen leer, frei von jeglichem Leben. „Das tut mir so leid...", war alles, was ich über meine Lippen bringen konnte. Doch als Venny aufsah, quollen ihre Augen über vor Schmerz. „Verschwinde einfach."

Und dann drehte sie mir den Rücken zu, um ihre Arme um eine erfrierende Trisha zu legen.

Die Hände zu Fäusten ballend, presste ich meine Lippen aufeinander. Hier wurde bereits genug angerichtet. Es gab nichts mehr, was ich sagen, oder tun konnte.

Wortlos machte ich kehrt


Ich wusste nicht wohin, also irrte ich ziellos durch die Gegend. Schließlich zog ich innehaltend mein Handy hervor.

Es fühlte sich schwerer an, als sonst. Vincent hatte bereits einmal versucht, mich anzurufen. Still öffnete ich den Chat mit ihm.

Mir fiel nichts Besseres ein, als ein simples: „Was hast du getan...?", worauf ein: „Wo bist du grade? Ich will mit dir reden.", folgte.

Aber ich wollte nicht reden. Mein Kopf war noch damit beschäftigt, zu verarbeiten. Also ignorierte ich ihn und seine Anrufe.


Irgendwann setzte ich mich einfach in den Park und beobachtete die Leute. Wie friedlich die Welt wirkte. Als wäre alles ganz normal. Als wäre es egal, dass grade das Leben eines Hybriden zerstört wurde. Als hätte ich niemals diese grotesken Bilder, eines grausamen Todeskampfes miterlebt. Irgendwie fühlte ich mich zurückversetzt. Zurückversetzt in die Zeit, nach Scarlett, als ich nicht wusste, wohin mit mir.

Aber das Schlimmste war, Scarlett hat recht gehabt. Sie warnte mich vor Vincent. Aber er hat mir nie irgendwas angetan.

Irgendwann, als es zu dämmern begann und erste Wolken den Himmel bedeckten, holte ich mich aus meiner Blase. Hier herumzulungern, würde mich nicht weiterbringen.

Ich musste ihm irgendwann begegnen. Also begann ich, zu gehen. Richtung Marktcenter.

So sehr ich mich auch davor sträubte.

Azure ☆ Straying BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt