Ein gefälschter Brief

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Als Salazar das nächste Mal von der Schule nach Hause ging, hielt er an einem Schreibwarenladen und kaufte schweres Briefpapier und grüne Tinte von seinem Taschengeld. Um Dudley musste er sich nicht sorgen. Auch wenn sein Cousin deutlich freundlicher mit ihm umging und ihn in den Pausen nicht mehr jagte, sprach er doch kein Wort mit Harry und ging lieber mit seinem Freund Piers nach Hause. Auf Harrys Nachfrage hatte ihm Dudley gesagt, er sei zu uncool um Piers vorgestellt zu werden. Harry konnte es nur recht sein. Der dürre, rattenartige Junge wirke nicht wie die Art von Bekanntschaft, die er sich wünschte. Und die kleinen Freiheiten, die er sich auf diese Weise auf dem Heimweg erlauben konnte, kamen ihm sehr zu Gute.

Zurück in seinem Zimmer faltete er Dumbledores Brief auseinander, nahm einen Stift und einen Schreibblock zur Hand und begann, die Schrift des Schulleiters zu imitieren. Einst war Salazar sehr gut darin gewesen, alle möglichen Schriften und Siegel nachzuahmen, doch mit Frustration musste er feststellen, dass ihm in diesem Körper noch immer einiges an motorischer Übung fehlte. Er brauchte zwei ganze Tage und sehr viel Konzentration, bis es ihm gelang, die Schrift halbwegs glaubhaft nachzuahmen. Dann endlich konnte er den Brief schreiben, von dem er sich erhoffte, dass er einiges Licht ins Dunkel bringen würde.

Lieber Vernon, liebe Petunia Dursley,

ich kann gar nicht glauben, dass schon sechs Jahre ins Land gezogen sind, seitdem wir zuletzt voneinander gehört haben. Ich freue mich, dass Sie gut auf den kleinen Harry acht geben und dass sie ganz den Anschein einer kleinen Familie erwecken.

Nun, da Harry etwas älter geworden ist, muss ich Sie leider auf eine bürokratische Pflicht hinweisen, von der ich hoffe, dass sie Ihnen nicht allzu ungelegen kommt. In unserer Gesellschaft ist gesetzlich vorgeschrieben, dass jedes Kind mit mindestens einem magischen Elternteil in seinem sechsten Lebensjahr auf seinen potenziellen Einstieg in die magische Welt vorbereitet wird. Das bedeutet, dass es umfassend und unter Einbeziehung aller verwandtschaftlichen Verhältnisse über unsere Gesellschaft informiert werden muss. Ich möchte Sie ermuntern, diesem Gesetz zu folgen, da bei Unterlassung eine Streichung der monatlichen Unterstützung erfolgt. Wenn sie den jungen Harry ordnungsgemäß in unsere Gesellschaft eingeführt haben, bitte ich Sie, eine schriftliche Bestätigung mit Ihrer Unterschrift an mich zurück zu senden. Diese wird dann als reine Formalie magisch auf Ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Sollte die schriftliche Erklärung nicht bei mir eintreffen, oder aber nicht der Wahrheit entsprechen, werden Sie Vertreter unserer Gesellschaft einer persönlichen Befragung unterziehen. Ich möchte damit nicht andeuten, dass ich glaube, dass Schwierigkeiten entstehen könnten. Ich hatte nur die Absicht, Sie umfassend über diese kleine Formalität zu informieren.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Albus Dumbledore
Schulleiter von Hogwarts
(Merlinorden Erster Klasse, Grossz., Hexenmst., Ganz Hohes Tier, Internationale Vereinig. d. Zauberer)


Salazar las den Brief noch einmal durch, bevor er ihn sorgsam zusammen faltete und auch das Couvert nach der Vorlage des ersten Briefes beschriftete.
Natürlich war alles, was er geschrieben hatte, ausgemachter Unsinn. Er kannte die magische Gesellschaft der heutigen Zeit nicht. Er wusste nicht, wie sie funktionierte oder von wem sie regiert wurde. Er grinste schief. Aber wenn er nicht ganz falsch lag, konnte das weder sein Onkel noch seine Tante beurteilen. Und er hatte sich bemüht, sich so vage auszudrücken, dass sich der Brief mit jeder erdenklichen Gesellschaftsform decken würde.

Wenn Tante Petunia und Onkel Vernon ihm keine Antworten gaben, dann würde er sie sich eben holen. Und er war sich sicher, dass seine Verwandten weder eine Streichung der Unterstützung noch das Auftauchen einer magischen Regierung in Kauf nehmen würden.

Salazar griff nach seiner Magie und und ließ sie das so vertraute Wappen formen. Die Wappen waren in einer Welt, in der die wenigsten des Lesens und Schreibens mächtig gewesen waren, ein wichtiges Erkennungszeichen der Gründer gewesen. Es war nostalgisch, erneut auf einem Pergament seine magische Signatur zu hinterlassen. Zufrieden betrachtete Salazar den täuschend echten Brief in seinen Händen. Bald würde er seine Antworten bekommen.

Als Salazar am nächsten Morgen die Post hereinholte, legte er seine Fälschung zwischen zwei Rechnungen und eine Karte von Tante Magda. Wie jeden Morgen legte er die Briefe neben Onkel Vernon an den Frühstückstisch. Sein Onkel grunzte, nahm einen Schluck Kaffee und griff nach dem ersten Brief. Als er bei dem Brief von "Dumbledore" angelangt war, erstarrte er. Seine kleinen Äuglein traten hervor und er verschluckte sich so heftig an seinem Kaffee, dass er vor Luftmangel blau anlief. Mit zitternden Händen reichte er den Brief an Petunia weiter. Seine Tante wurde entsetzlich bleich. Dann sank sie beinah ohnmächtig in einem Stuhl zusammen.
"Raus!", bellte Onkel Vernon an Dudley und Harry gewandt. Dudley, der sich bei dem Ton seines Onkels nicht angesprochen fühlte, griff selig nach einem weiteren Schokoladenbrownie. "Raus!!!", wiederholte Vernon.
Vor Schreck ließ Dudley seinen Brownie fallen und hastete hinter Harry aus der Küche. Draußen tauschen die beidem einen hastigen Blick. Salazar nickte in Richtung des Schlüssellochs und ließ sich selbst auf dem Boden nieder, um durch den Türspalt zu spähen.
"Wir können ihm nichts erzählen", flüsterte Petunia unter Tränen. "Wenn er es weiß, dann wird er vielleicht doch noch einer von ihnen!"
"Unsinn", brummte Vernon. „Wir haben den Jungen viel zu gut erzogen. Er wird es wegstecken. Wir schreiben diesem Dumbledore und dann vergessen wir die Sache."
"Bei ... ihr ... war es auch so", sagte Petunia weinerlich. "Sie war auch ganz normal bis ..." Sie verstummte.
"Es geht um zweitausend Pfund", gab Vernon zu bedenken. "Und ich möchte keinen von diesen ... Leuten vor meiner Tür haben."
"Nein", sagte Petunia zittrig. "Es ist nur ... ich habe Lily an diese Leute verloren. Und jetzt ist sie tot, Vernon! Ich möchte nicht, dass Harry ..."
"In dem verdammten Brief steht nicht, das wir mit unserer Meinung hinter den Berg halten müssen! Wir sagen dem Jungen einfach klipp und klar, was wir von dieser ... dieser Sippe halten! Dann wird er sich dreimal überlegen, ob er zu diesen hirnverbrannten Idioten überwechselt." Vernons heftiger Atem war durch die Tür zu hören. "Bringen wir es einfach schnell hinter uns", brummte Vernon schließlich. "Dann lassen sie uns vielleicht in Ruhe."
Petunia schniefte. "Dann hole ich Harry?"
Vernon gab einen zustimmenden Laut von sich.
Dudley warf Harry einen Blick aus großen Augen zu. "Weißt du worüber die reden?", zischte er in Harrys Richtung.
Der wiedergeborene Zauberer zuckte mit den Schultern und starrte aus großen Augen zurück. "Ich hab keine Ahnung."
Er zog Dudley hastig fort von der Tür und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Gerade, als sie dort angekommen waren, lugte Tante Petunia in den Raum. Ihr Gesicht war blass wie Wachs, nur ihre Augen leuchteten rötlich. Salazar hatte den Hauch eines schlechten Gewissens. Vielleicht hatten sein Onkel und seine Tante tatsächlich Grund, die magische Gesellschaft dieser Zeit zu fürchten? Aber wenn es so war, auch dann musste er es erfahren. Er war schon viel zu lange von allen Informationen abgeschnitten gewesen.
"Harry, kommst du einmal kurz?", fragte Petunia ungewohnt schrill.
Erwartungsvoll blickte Dudley seine Mutter an. "Worüber habt ihr gesprochen?"
Petunia lächelte zittrig. "Über nichts Wichtiges, mein Spatz. Kommst du, Harry?"
Dudley verschränkte die Arme. "Ich will mit!"
"Ein andermal, Dudley", sagte Petunia. Dann packte sie Harry am Kragen, bugsierte ihn in die Küche und warf hinter einem zeternden Dudley die Tür zu. Irgendwo schepperte eine Vase. Petunia schloss für einen Moment die Augen. "Unser Dudley weiß, was er will", sagte sie schwach.
"Ja", antwortete Vernon müde. "So willensstark wie sein Vater." Er blickte Salazar an. "Setz dich, Junge." Die Gesichtsfarbe seines Onkels wirkte leicht grünlich, als wenn er etwas Schlechtes gegessen hätte.
Erwartungsvoll nahm Salazar auf dem ihm zugewiesenen Stuhl platz. Er machte sich keine Illusionen. Alles, was er von den Dursleys erfahren würde, würde extrem von ihren eigenen Weltanschauungen überschattet sein. Aber es war besser als gar nichts.
"Es gibt da etwas, dass wir dir nicht erzählt haben", brummte Vernon und griff umständlich nach einem Glas Wasser. "Es gibt ... Kulturen in dieser Welt, die es eigentlich nicht geben sollte. Hässliche Auswürfe, die unbescholtene Bürger gefährden und ihnen den Kampf ansagen. Sie sind gefährlich und stehen gegen alles, was unsere Gesellschaft ausmacht. Sie sind ... Sie sind ..." Hilfesuchend blickte er zu seiner Frau.
"E-es gibt Zauberer", hauchte Petunia. Ihre Stimme war so leise, dass sie kaum zu hören war.
Salazar blinzelte. Mit Mühe widerstand er einem amüsierten Grinsen. "Zauberer? Wie Gandalf? Oder Merlin?"
Petunias Lippen kräuselten sich. "Die gibt es nicht. Oder zumindest glaube ich das ...", fügte sie etwas hilflos hinzu. "Aber Zauberer gibt es. Deine Mutter war auch eine von ihnen, genau wie dein nichtsnutziger Vater."
Gespannt lehnte sich Salazar vor. "Meine Eltern waren Zauberer?"
Petunia presste die Lippen zusammen. "Sie starben nicht bei einem Autounfall. Sie wurden ermordet. Von einem ganz besonders gefährlichen Zauberer. Nicht, dass sie nicht alle gefährlich wären ..." Sie holte tief Luft. "Deine Eltern haben zusammen mit anderen Zauberern gegen ihn gekämpft. Ich denke, es war so etwas wie ein Krieg unter Zauberern. Irgendwann hat er sie gefunden und deine Eltern umgebracht." Sie leckte sich über die Lippen. "Er wollte auch dich umbringen, aber irgendwie ist der Fluch an ihm abgeprallt und hat stattdessen ihn selbst getroffen. Dadurch wurde er besiegt."
Salazar schwieg eine Weile. An dieser Stelle würde er keine neuen Informationen bekommen. Alles was die Dursleys wussten, hatten sie scheinbar aus Dumbledores Brief erfahren. Es schien, als hätten Petunia und seine Mutter zu diesem Zeitpunkt schon keinen Kontakt mehr zueinander gehabt. "Was wisst ihr über diese magische Welt?", fragte Salazar schließlich die Frage, die ihn am brennendsten interessierte.
"Sie leben im Verbogenen", sagte Petunia. "Sie haben sich von unserer Gesellschaft abgesondert. Nur die Familien in denen Hexen und Zauberer geboren werden, wissen Bescheid."
"Zum Glück", warf Vernon ein. "Das wäre ja noch schöner wenn diese Tagediebe offen auf der Straße herumlungern würden."
"Gehen Zauberer nicht arbeiten?", ergriff Salazar den angebotenen Informationsstrang.
Petunia schürzte die Lippen. "Ich glaube schon ... es gibt Lehrer ... und Verkäufer ..."
"Aber die sind alle nicht richtig im Kopf!", rief Vernon dazwischen. "Wie soll man auch alle Tassen im Schrank haben, wenn man in bunten Umhängen rumläuft!"
Beinah hätte Salazar gelächelt. Das klang, als wenn er sich nicht an einen neuen Kleidungsstil gewöhnen müsste. "Wenn sie im Geheimen leben, wie findet man sie dann?", hakte Salazar nach.
"Es gibt eine Straße", antwortete Petunia. "Die Winkelgasse. Dort gibt es nur magische Geschäfte. Und da ist eine Schule - Hogwarts. Deine Eltern haben dort gelernt."
Salazar fiel auf, dass Petunia deutlich freigiebiger antwortete, als er angenommen hatte. In ihren hellen Augen meinte er neben Bitterkeit auch so etwas wie Sehnsucht wahrzunehmen. Fast wirkte es, als wünsche sich ein kleiner Teil seiner Tante, ebenfalls zu dieser Gemeinschaft zu gehören. War es das, was Dumbledore in seinem Brief angedeutet hatte?
"Wo befindet sich die Winkelgasse?", fragte Salazar atemlos.
Aber mit dieser Frage schien er zu weit gegangen zu sein. Onkel Vernons Augen verengten sich. "Ich wüsste nicht, wozu du das wissen solltest. Du weiß jetzt, dass es so etwas gibt. Und du weißt auch, dass sich jeder vernunftbegabte Mensch von diesen Leuten fernhalten sollte. Das wird wohl reichen."
"Sehr richtig", bestätigte Petunia. "Das ist kein Umgang für dich, Harry. Diese Leute sind gefährlich."
Salazar blickte ihr in die Augen. "War meine Mutter auch gefährlich?"
Seine Tante musste seinem Blick ausweichen. "Sie war eine furchtbare Person", umging sie Salazars Frage. "Genau wie dein Vater."
"Gibt es auch so etwas wie einen Zauberer-König?", fragte Salazar und hoffte seine Frage nach einer Regierung möglichst kindgerecht gestellt zu haben.
Petunia nahm daran zumindest keinen Anstoß. "Sie haben ein Ministerium. Und einen Minister. Viel mehr weiß ich nicht darüber", antwortete sie spitz.
"Hier in London?", hakte Salazar nach.
"Ich weiß es nicht und ich weiß auch nicht, warum das wichtig sein sollte", erwiderte Petunia schroff.
"Wie zaubern sie?", fragte Salazar, sich bewusst darüber werdend, dass seine Zeit ablief.
"Mit einem Zauberstab", antwortetet seine Tante augenrollend. "Und jetzt hör auf zu fragen, ich habe dir alles gesagt, was ich weiß."
Das bezweifelte Salazar. Doch mehr würde er nicht aus seinen Verwandten herausholen können, ohne ihr Wohlwollen zu riskieren.
Vernon beugte sich zu ihm herab. Sein Schnurrbart zitterte bedrohlich. "Du wirst über nichts, was du hier erfahren hast, mit irgendjemandem reden, hörst du Bursche? Und wenn ich je dahinter komme, dass dich irgendetwas zu diesen Leuten treibt, dann gibt es ein paar hinter die Löffel. Hast du mich verstanden?!"
Salazar nickte. Die Wut, die in ihm zu brodeln begann, hielt er mühsam zurück. "Ja, Onkel Vernon."
Langsam schien sein Onkel zu entspannen. "Gut. Und jetzt verschwinde. Ich will nie wieder etwas dazu hören."
Salazar sprang auf und ging langsam zurück in sein Zimmer. Am Rande nahm er war, dass Dudley dabei war, das Wohnzimmer zu zertrümmern, doch das war gerade nicht wichtig. Er wusste noch immer viel zu wenig, doch er hatte endlich ein paar Antworten erhalten. Es war verständlich, dass die Kämpfe in der Vergangenheit und die Hexenverbrennungen ihren Teil dazu beigetragen hatte, dass die magische Gemeinschaft es vorgezogen hatte, im Untergrund zu verschwinden. Er selbst hatte damals ein ähnliches Vorgehen vor dem Rat der Magier vertreten. Also lebten sie nun an magischen, vor aller Augen verborgenen Plätzen. Nur wie sollte er sie finden? Er würde lange umher wandern müssen, bis er durch Zufall auf einen solchen Ort stieß. Hogwarts war seine einzige Option. Doch Schottland war weit. Und die Menschen würden Fragen stellen, wenn ein sechsjähriger durch die Gegend lief. Er wusste noch nicht einmal, was ihn erwartete, wenn er es tatsächlich bis dorthin schaffen sollte. In seiner Zeit wurden die Schüler mit elf Jahren in Hogwarts aufgenommen. Er wüsste zu gerne, wie seine Mutter eingeschult worden war. Damals hatten die magischen Familien ihre Kinder zu ihnen geschickt. Er selbst, Godric, Rowena und Helga und zahlreiche Helfer waren zu den Ernteferien durch die Dörfer gezogen und hatten nach magischen Kindern unter den Nichtzauberern Ausschau gehalten. Wurde es immer noch so gehandhabt? Würde eines Tages ein Zauberer vor ihrer Tür stehen? In tausend Jahren konnte sich viel verändern.

Und was hatte es mit den Zauberstäben auf sich? Wusste es Petunia nicht besser, oder wurden heutzutage tatsächlich alle Zauber mithilfe von Zauberstäben gesprochen? Was war mit stabloser Magie? Was war mit Runen und Ritualen? War all das in Vergessenheit geraten?
Gedankenverloren ging Salazar in seinem Zimmer auf und ab. Fest stand, dass die heutige magische Gesellschaft mit Eulen korrespondierte. Warum es ausgerechnet Eulen sein mussten, konnte er nicht sagen. Weil die Vögel bei Nacht flogen und aufgrund dessen unauffälliger waren? Unruhig trat er an sein Fenster und schaute hinaus auf die Straße. Petunias Antworten hatten nur weitere Fragen aufgeworfen. Soweit er wusste, könnte Albus Dumbledore der einzige Mensch sein, der davon wusste, dass Salazar bei den Dursleys lebte. Er gab einen zischenden Laut des Unmuts von sich. Es war ein beunruhigendes Gefühl, von einem Menschen abhängig zu sein, den er nicht kannte. Was wenn Albus Dumbledore verstarb? Würde er dennoch seinen Weg in die magische Gemeinschaft finden, bevor er genug Geld beisammen hatte, um eine Reise nach Schottland anzutreten? Irgendetwas sagte ihm, dass im Ligusterweg ansonsten so schnell kein Zauberer nach ihm suchen würde. Salazar wandte seinen Blick nach innen, konzentrierte sich auf seine Magie. Sie war noch immer furchtbar unförmig und unausgebildet. Selbst wenn einer der alten Druidenkreise noch stehen sollte, wäre es Wahnsinn, in diesem Zustand einen davon für eine schnelle Reise nach Hogwarts zu nutzen. Bei seinem Glück würde er schneller in der Anderswelt landen, als er blinzeln konnte.
Er schloss die Augen. Gleich wie er es drehte und wendete, er würde noch eine Weile im Ligusterweg leben müssen.

Dudley raste in sein Zimmer, warf seine Tür polternd gegen die Wand und stampfte mit dem Fuß auf. "Mummy und Daddy wollen mir nichts sagen! Worüber habt ihr gesprochen?!"
Salazar stellte wieder einmal das Erziehungskonzept seiner Verwandten in Frage, aber er hatte sich für heute schon genug Ärger eingehandelt. "Ich habe den beiden versprochen, mit niemanden darüber zu reden. Wenn du sie überzeugst, spreche ich gerne mit dir darüber", sagte er ernst." Dudley gab einen spitzen Schrei von sich und stürzte aus dem Raum. Draußen hörte er, wie erneut etwas klirrend zu Bruch ging. Er lächelte amüsiert. Heute würde für seine Verwandten ein langer Tag werden.

Smaragds grüner Kopf lugte aus der Bettdecke hervor. "Und? hast du Chaos und Verderben unter deinen Verwandten angerichtet?",
Salazar setzte sich zu der Schlangendame und strich ihr über den Kopf. "Ich habe sie gezwungen, mir von der magischen Welt zu erzählen."
Wieder ging unten irgendetwas zu Bruch.
"Das hat sie dazu gebracht, ihre eigene Wohnung zu zerstören?", fragte Smaragd neugierig.
Der wiedergeborener Zauberer schmunzelte. "So in etwa."
Selbstzufrieden machte die Schlange platz, sodass Salazar ins Bett klettern konnte. "Ganz schön gerissen."

Salazar zog das Fotoalbum hervor, das er aus dem Keller geborgen hatte. Smaragd abwesend streichelnd, blätterte er sich durch die Fotos. Es gab nicht viele Bilder, auf denen Lily zu sehen war. Doch jedes Mal strahlte sie mit einem mitreißenden Lächeln in die Kamera. Petunia dagegen wirkte so sauertöpfisch wie heute. Gegen Ende des Albums fand er ein Foto, auf dem eine steife Petunia neben einem grinsenden Vernon stand. Sie waren jung, vielleicht um die siebzehn. Vernons Schnurrbart war weniger dick und sein Körper weniger bullig. Auf der anderen Seite stand ein ein weiteres Pärchen. Harry lächelte, als er einen schwarzhaarigen, jungen Mann mit Brille erblickte. Das Haar hing ihm lässig verstrubbelt um das Gesicht und seine Brille saß leicht schief auf seiner Nase. Sein Lächeln war warm und seine Augen funkelten, als hätte er einen Streich im Sinn. Seine Mutter hatte sich bei ihm eingehakt und strahlte, als wollte sie der Sonne Konkurrenz machen. Sie sahen so jung, so glücklich aus. Salazar betrachtete es lange.

Es hatte keine Bedeutung mehr, dass er die Erinnerungen eines ganzen Lebens besaß. Dass er seine ursprünglichen Eltern lange verloren hatte und gelernt hatte, ohne sie zu leben. Es zählte nicht, dass er mit Godric , Helga und Rowena eine Schule gegründet hatte. Dass er geheiratet und seine Frau im Kindbett seines zweiten Sohnes verloren hatte. Es zählte nicht, dass er alt geworden war und auf dem Schlachtfeld seinen Tod gefunden hatte.

Er wünschte, er hätte seine Eltern in diesem Leben kennen gelernt.

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt