Severus Snape beobachtete den Gründer seines Hauses aufmerksam, als sie sich auf den Rückweg machten. Der Mann in Gestalt eines Jungen hatte Sirius Black gedanklich an die Leine genommen und dorthin geführt, wohin er ihn wollte. Und Black hatte es nicht einmal bemerkt. Lord Slytherin war in der Tat ein Meister seines Faches und es war Severus eine Ehre, ihm bei der Arbeit zuzusehen.
Sein Mentor erwiderte seinen Blick. Im Nebel schienen seine grünen Augen beinah zu glühen. Der Schlangenlord wartete, bis der Wächter, der ihnen vorausging, außer Hörweite war, bevor er leise an Snape das Wort richtete. „Bitte sei so gut und beantworte mir eine Frage, Severus...Warum all der Hass zwischen euch beiden?"
Severus Snape sah die mühsam zurückgehaltene Wut in den Augen seines Mentors und antwortete unverzüglich. "Er hat versucht, mich umzubringen."
Entschlossen packte ihn Lord Slytherin am Ärmel seiner Robe. "Wie das?", forderte er zu wissen. Bei der mörderischen Wut, die der Gründer seines Hauses plötzlich verströmte, bemächtigte Severus Snape ein seltsam warmes Gefühl. "Ich fand etwas heraus. Ein Geheimnis, das Black auf jeden Fall schützen wollte. Ich will nicht behaupten, dass er meinen Tod beabsichtigte. Allerdings hat er ihn willentlich und gedankenlos in Kauf genommen."
Forschend ruhten Lord Slytherins Augen auf seinem Gesicht. "Und dennoch schützt du sein Geheimnis?"
"Es gibt nicht viel, worauf ich stolz sein kann, was meine Person betrifft", antwortete Severus leise. "Aber ich breche nicht mein Wort, wenn ich es vermeiden kann."
Der Schlangenlord schenkte ihm ein trauriges Lächeln. "Du kannst nicht stolz auf dich sein, Severus? Spion Voldemorts, Hauslehrer meines Hauses und jüngster Tränkemeister seit Jahren? Ein Mann, der sich seine Fehler eingesteht und sein Bestes tut, sie ungeschehen zu machen? Der gnadenlos ehrlich zu sich und zu anderen ist?"
Severus Snape starrte den Mann im Körper eines Jungen mit geweiteten Augen an. "Wie...?"
"Wie ich zu dieser Meinung komme? Weil ich Augen im Kopf habe, zu sehen, Severus. Und ich bekenne, ich bin froh, dass du mein Haus in diesen Zeiten führst und niemand sonst."
Der Tränkemeister öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Er wusste nicht, was er entgegnen sollte. Er war Lob nicht gewohnt. Hastig wandte er sich ab, wollte nicht zeigen, dass ihn die Worte berührten. Seiner Stimme und seiner eisernen Selbstbeherrschung misstrauend, nickte er knapp.
Er hätte gerne selbst etwas Ähnliches gesagt. Dass der Gründer seines Hauses alles war, was er sich erhofft hatte und mehr. Dass er stolz darauf war, ein Slytherin zu sein. Doch die Worte wollten seine Lippen nicht verlassen.
Als er das nächste Mal zu Lord Slytherin blickte, lag ein entschlossenes Lächeln auf den Lippen seines Mentors. "Was meinst du? Kannst du noch ein wenig mehr Zeit entbehren? Es gibt da ein kleines Experiment, das ich durchführen möchte."
Verwirrt zog Severus beide Augenbrauen hoch. "Ich bin gespannt", entgegnete er trocken.
Im nächsten Moment ließ ein schneller Stupor ihren Wächter zu Boden gehen.
Snape trat einen Schritt zurück. "Was!?"
Lord Slytherin schüttelte den Kopf. "Glaube mir, es ist besser so." Er warf Severus einen besorgten Blick zu. "Ich möchte Voldemort vor seinen treuesten Todessern spielen, schauen, ob es reicht, um seine Anhänger zu überzeugen. Traust du dir zu, dabei zuzusehen?"
Severus zog eine Augenbraue hoch "Ich habe diesem Mann als Spion gedient. Es ist in der Beschreibung dieser Arbeit inbegriffen, seinen Anblick zu ertragen, Sir."
Der Schlangenlord lächelte.
Als Severus jedoch blinzelte, war es, als hätte das Lächeln nie existiert. Slytherins Gesichtszüge waren vollkommen unbewegt und seine ganze Haltung zeigte etwas Gefährliches, Berechnendes, das zuvor nicht da gewesen war.
Severus fiel nur ein Wort ein, diese Wirkung zu beschreiben.
Voldemort
Dass sich die Züge seines Mentors, nach einem Schluck aus einem Flakon veränderten, war eine Nebensächlichkeit, denn schon zuvor spürte er, wie Voldemorts Präsenz die Luft um sie her erfüllte.
Im nächsten Moment blickte er auf in ein blasses Gesicht mit roten Augen und den Nüstern einer Schlange. Hastig senkte er den Blick.
"Folge mir, Severus." Die Stimme Voldemorts klang wie eh und je, kalt und berechnend, keinen Widerstand duldend.
Ohne es zu wollen, setzten sich Severus Glieder in Bewegung.
Die nächste Gefängniszelle, die sich aus dem Nebel schälte, offenbarte ein allzu vertrautes Gesicht. Bellatrix Züge wirkten eingefallen, ihr schwarzes Haar hing ihr wirr um das Gesicht und in ihre Augen war ein wahnsinniges Leuchten getreten.
"Bella", raunte Voldemort und streckte die Hand nach der Todesserin aus. "All die Jahre hast du mir die Treue gehalten. Inmitten dieser Narren und Feiglinge hast du gezeigt, was wahrer Glaube, wahre Hingabe bedeuten."
Ein Schauder kroch über Severus Rücken. Lord Slytherin traf den Ton zu gut, seine Bewegungen waren zu perfekt. Es war tatsächlich, als befände er sich neben Lord Voldemort. Die Geister der Vergangenheit begannen sich in seinem Kopf zu regen.
"Mein Lord? Seid Ihr es?" Die Stimme der Todesserin war so voller Sehnsucht, voller Verzweiflung, dass es Severus beinahe gerührt hätte. Bellatrix sank auf die Knie und kroch an die Gitterstäbe. "Bitte, Herr, seid gnädig und zeigt, dass ich nicht umsonst hoffe."
"Du hoffst nicht vergeblich, Bella", versicherte der dunkle Lord, die Stimme leise und warm wie Samt. Er trat heran an das Gitter und blickte auf die Todesserin herab. "Dein Lord ist hier und es wird dir erneut erlaubt sein, ihm zu dienen."
Bellatrix gab einen Schrei der Freude von sich. Wie im Wahn streckte sie eine Hand durch das Gitter und griff nach dem Saum seiner Robe. "Oh, Herr, Ihr seid es wirklich! Glaubt mir, mein Lord, es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche!"
"Beantworte mir eine Frage, Bella", raunte der dunkle Lord. "Hast du alle Anweisungen erfüllt, die ich dir gegeben habe?"
Die Hexe zuckte zusammen. "W-wir haben Frank und Alice Longbottom gefoltert, Herr. Aber die Auroren kamen, bevor wir den Jungen töten konnten..." Ihre Augen weiteten sich vor Angst, bevor sie hastig fortfuhr. "Aber Euer Kelch ist gut verwahrt, Herr. Ich habe dafür gesorgt, dass uns unser Verlies selbst in Askaban nicht genommen werden kann."
Voldemorts Augen verengten sich. "Und der Schlüssel?"
"Ist in meinem Schmuckkästchen im Anwesen der Lestrange! Natürlich könnt Ihr jederzeit über mein Haus und alles, was darin ist, verfügen!"
Mit einem kalten Lächeln trat Voldemort an das Gitter. "Deine Treue erfüllt mein Wohlwollen, Bella. Ein ums andere Mal. Der Longbottom-Junge ist unwichtig. Diesen kleinen Fehler kann ich dir verzeihen."
Bellatrix sank vor ihm erbebend auf den Boden. "Ihr ehrt mich, mein Lord."
Durch ihre Haltung sah sie nicht, dass Voldemort den Zauberstab nicht auf das Schloss ihrer Zelle, sondern auf die Todesserin selbst richtete. Er löschte ihre Erinnerungen und ihre Augen wurden leer.
Dann schmolzen die Züge Voldemorts in sich zusammen und Severus blickte mit einiger Erleichterung auf die kindlichen Züge seines Mentors.
Severus brauchte einige Momente, bis er seine Sprache wiederfand. "Das...war unerwartet", bemerkte er schließlich leise, um nicht gehört zu werden.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte die Züge seines Mentors. "Die Erwähnung des Kelches war ein glücklicher Zufall. Wie schön, dass Mrs. Lestrange in Anwesenheit ihres Lords so redselig ist", raunte Lord Slytherin. Er warf dem Tränkemeister einen fragenden Blick zu. "Du weiß nicht zufällig, was es damit auf sich hat?"
Snape musste sich räuspern. "Ich fürchte nein, Sir. Aber Ihre Darstellung war...sehr überzeugend. Wie ist es Ihnen gelungen, seine Gestalt anzunehmen?"
"Mittels seiner Aura. Ich habe sie aus deinem dunklen Mal extrahiert. Schon seit Beginn des Schuljahres arbeite ich an einer Modifikation des Vielsaft-Trankes, der nicht nur mit Haaren und Fingernägeln, sondern auch mit Auren funktioniert.
Severus nickte beeindruckt. "Ich würde die Rezeptur gerne sehen, wenn Sie gestatten."
Lord Slytherin neigte den Kopf. "Nur zu gerne."
Der Gründer seines Hauses wiederholte den Gedächtniszauber bei dem Wächter. Der Mann blinzte einige Male und fuhr fort, sie aus Askaban hinaus zu führen, als ob nichts gewesen wäre.
Den Rest des Weges legten sie in freundschaftlichem Schweigen zurück.
XXX
„Entschuldigung? Könntet ihr etwas beiseite rücken?" Eine bunte Gruppe aus Ravenclaw, Slytherin und Hufflepuff rutschte auf Hermines Bitte etwas mehr zusammen, damit sich Ron zu ihr setzen konnte. Lavender, Parvati, Seamus und Dean passten beim besten Willen nicht mehr und mussten sich an anderen Stellen zwischen den Schülern verteilen. Das Gewächshaus war brechend voll. Wenn das so weiterging, würden sie bald nicht mehr alle hineinpassen.
Ron grüßte gut gelaunt in Richtung der Slytherin. „Hey Blaise! Ist euer Team auch fit!?"
Der dunkelhaarige Junge grinste zurück. „Klar doch. Für euch Miezekatzen reicht es doch immer!"
„Zankt ihr beiden euch ruhig um den Quidditch-Pokal", sagte eine blondhaarige Hufflepuff. „Dann bleibt mehr Raum für die wahren Sieger!"
„Träumt weiter. Wir wischen mit euch den Boden!", riefen Ron und Blaise wie aus einem Mund. Die beiden Jungen zuckten zusammen, dann und grinsten sie einander zu.
Hermine und die Hufflepuff kicherten. „Hannah Abbot", sagte das blondhaarige Mädchen und reichte Hermine die Hand. „Hermine Granger", antwortete die Gryffindor lächelnd. Die Stimmung zwischen den Häusern hatte sich gelockert, seitdem sie sich im Gewächshaus trafen. Noch immer herrschte Konkurrenz, doch die Basis war...freundschaftlicher. Hermine gefiel dieser neue Umgang. Vor kurzem hatte sie sich in der Bibliothek zu einer Gruppe Ravenclaw gesetzt, die sie hier kennen gelernt hatte. Sie war noch nicht einmal schief angesehen worden.
Diesmal würde Hermine es schaffen. Sie war fest entschlossen. Sie war die Notizen vom letzten Mal noch einmal durchgegangen und war sich sicher, es verstanden zu haben. Es kam auf die richtige Atemtechnik an. Und dann musste sie aufhören zu denken und sich nur auf ihre Magie konzentrieren. Das konnte doch nicht so schwer sein!
Wie immer begrüßte Neville nach einer Weile die Versammelten und erklärte den Neuankömmlingen noch einmal die grundlegende Technik. "Und denkt daran", ermahnte er mit einem kleinen Lächeln, "es ist sehr unhöflich, den magischen Kern einer Person ohne Erlaubnis anzusehen. Er enthält zu viele persönliche Informationen über einen Menschen."
Zustimmendes Gemurmel erfüllte das Gewächshaus.
Ron, neben ihr, zuckte auf ihren fragenden Blick mit den Schultern. "Ich kenne deinen magischen Kern sowieso schon. Da ist es nur fair, wenn du dir auch meinen anguckst. Ich finde sowieso nicht, dass er viel verrät. Ich meine, violett und blumig, was sagt das aus?"
Hermine runzelte die Stirn. "Ehrlich, Ron, nur weil wir noch nicht genug wissen, um zu erkennen, was wir sehen, heißt es nicht, dass es kein persönlicher Anblick ist."
"Ja, was auch immer." Ron rollte mit den Augen.
Dann begannen sie zu üben.
Hermine machte alle ganz genau wie es beschrieben worden war. Nur wie bitteschön sollte sie aufhören zu denken?
„Strecke deine Magie aus, wie du es mit einem Arm tun würdest", raunte eine leise Stimme. Sie öffnete die Augen. Harry hatte sich zu ihr hinüber gelehnt. „Sie ist ein weiteres Körperteil von dir, das du noch trainieren musst."
Dieses Bild gefiel ihr. Hermine nickte langsam. Sie beobachtete Neville, wie er umherging und die anderen in ihrer Atemtechnik verbesserte. „Hast du ihm wirklich all das beigebracht?"
Ein kaum merkliches Lächeln umspielte Harrys Lippen. „Er hat eine natürliche Begabung."
Das freute Hermine. Es war schön zu hören, dass Neville etwas gefunden hatte, indem er besser war, als die meisten. Sie hoffte, es würde seinem Selbstbewusstsein gut tun. Dabei fiel ihr ein, dass er sich seit den Ferien gar nicht mehr so dumm anstellte. Ob das mit seinem neuen Zauberstab zusammen hing? Sie merkte, wie ihre Gedanken schon wieder abschweiften und konzentrierte sich mit einem leisen Seufzen. „Ich habe auch eine ganze Weile dafür gebraucht", raunte Harry ihr zu. „Menschen, deren Gedanken nie still stehen, tun sich zu Anfang schwer damit." Hermine lächelte erleichtert. Zu wissen, dass diese Meditation auch Harry zunächst schwergefallen war, war irgendwie beruhigend.
„Schließe die Augen und konzentriere dich auf deine Magie", hörte sie Harry leise sagen. „Sie folgte der Aufforderung. „Versuche, sie auszuweiten, aus dir selbst hinaus, stelle dir vor, wie du die Menschen und Pflanzen in der Umgebung berührst."
Hermine holte Luft, so wie sie es gelernt hatte und fühlte nach ihrer Magie. Für einen Moment meinte sie tatsächlich, etwas zu spüren: Ein leises Kribbeln außerhalb ihres Körpers. Kaum merkte sie, wie sich Harry entfernte und sich einem der Ravenclaw zuwandte. Sie versuchte es erneut. Ja, da war etwas. Die Wirklichkeit, die sie kannte, trat in den Hintergrund und mit einem Mal öffnete sich eine neue Welt. Hermine konnte das Leben in den Pflanzen um sich spüren, ein sanftes warmes Glühen, das sie nicht mit den Augen wahrnahm, das aber dennoch dort war. Auf die Berührung ihrer Magie hin, veränderte sich das Pulsieren, wurde zu Schwingungen, die ihr vielleicht irgendwann einmal etwas sagen würden. Ron, neben ihr, war auch von einer solch pulsierenden Aura umgeben. Sie konzentrierte sich darauf, versuchte, das, was sie verspürte, zu erfassen. Das Pulsieren um Ron war diffus, wirkte unregelmäßig, beinah wie das Flackern eines Feuers und war ganz anders als das sachte Leuchten der Pflanzen um sie her. Sie blickte tiefer, spürte, wie sich das Flackern um sie verdichtete, bis sie einen Kern gewahrte, der das Zentrum bildete. Rons magischer Kern war in ein diffuses Rot getaucht, so als wäre sich seine Aura noch nicht sicher, welche Farbe sie endgültig annehmen wollte. Begeistert ließ sie ihre Magie schweifen. Ihre Reichweite war nicht sehr hoch. Sie kam nicht weiter als vielleicht zwei Schritte. Aber Harry konnte sie gerade noch erreichen. Im Gegensatz zu Ron war seine Magie vollkommen regelmäßig angeordnet. Sie bildete eine glatte Kuppel, die an der Stelle, wo sie eintauchte, leichte Ringe bildete, als würfe sie einen Stein in einen ruhigen Bergsee. Auch als sie tiefer glitt, gewann sie den Eindruck, als triebe sie durch ruhiges, kühles Wasser. Und Harrys magischer Kern...ein Funken von schlechtem Gewissen durchzuckte sie. Neville hatte gerade noch gesagt, dass man erst um Erlaubnis fragen sollte, bevor man so tief in einen anderen Menschen blickte. Sie selbst hatte die Gründe dafür noch vor Ron verteidigt. Aber nun war es zu spät. In ihrem Eifer hatte sie nicht darüber nachgedacht. Ein sattes Smaragdgrün, durchzogen mit silbernen Strängen, bildete das Zentrum von Harrys Magie. Es sah schön aus. So viel ausgereifter als die anderen Auren in ihrer direkten Umgebung. Ihre Konzentration ließ nach und die Eindrücke verschwammen.
Harrys magischer Kern glich exakt der Farbe des Wappens von Slytherin.
Harry, der Sprüche kannte, von denen sie nie etwas gehört hatte. Der sie wortlos gebrauchte, seitdem er nach Hogwarts gekommen war, obwohl solche Fertigkeiten erst in der siebten Klasse gelehrt und von manchen Hexen und Zauberern nie beherrscht wurden.
Harry, der so viel erwachsener wirkte als seine Jahre.
Sie wurde verrückt! Bestimmt gab es eine andere Erklärung! Vielleicht war Harrys Aura einfach besonders häufig? Bestimmt lief jeder zweiter Slytherin damit herum, ja, so musste es sein! Immerhin war auch Nevilles magischer Kern....rot und gold.
Sie hatte es gespürt, als er sie in der ersten Stunde magisch berührt hatte. Heftig holte Hermine Luft. Die Verbindung der beiden, die sie nie hatte greifen können. War es das? Aber nein. Neville war ein ganz normaler Junge. Das konnte doch nur heißen, dass sich die Farben von magischen Kernen wiederholten. Eine Übungsgruppe im Gewächshaus stand ja nicht für die ganze Welt. Vielleicht doppelten sich Auren einfach nicht so häufig. Ob sie so etwas nachlesen konnte? Sicher, die Kunst an sich war in Vergessenheit geraten, aber irgendwelche Überreste konnte sie vielleicht noch in alten Büchern finden.
Sie hastete aus dem Gewächshaus. Jetzt gab es nur einen Ort, der ihr weiterhelfen konnte.
Die Bibliothek.
XXX
Harry und Neville beobachteten Seite an Seite wie die Schüler das Gewächshaus verließen. Die Abendsonne war beinah untergegangen. Nur noch ein Rest von Violett erleuchtete den Himmel und warf blaue Schatten aus Zwielicht über die Schüler, die in Richtung des erleuchteten Schlosses eilten.
„Langsam wird es ganz schön voll", sagte Neville mit einem Hauch von Stolz. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele kommen würden."
Harry neigte belustigt den Kopf. „Schüler, die bereit sind zu lernen. Es geschehen wahrlich noch Zeichen und Wunder."
„Dass sie am Anfang gekommen sind, wundert mich gar nicht", sagte Neville und seine Wangen färbten sich rot. „Ich meine, Harry Potter gibt Unterricht über die vergessene Magie der Gründer? Wer wäre da nicht neugierig geworden? Aber, dass sie geblieben sind, obwohl ich die meiste Zeit unterrichtet habe..."
Harry legte spielerisch den Kopf schief.. „Ich sage dir doch, dass du kein ganz hoffnungsloser Fall bist."
Neville lächelte glücklich. Es war nicht viel, was er tun konnte. Aber in letzter Zeit kam er sich nicht mehr ganz so unnütz vor. Natürlich konnte er Harry weder in St. Mungo unterstützen, noch bei der Untersuchung des dunklen Mals. Aber es war immerhin etwas. Nachdenklich blickte er den Schülern nach. „Es tut ihnen gut, dass sie hier zusammen lernen können. Es ist nur schade, dass sie es ansonsten nicht können. Durch die getrennten Häusertische und die Verpflichtung zur Stille in der Bibliothek ist es schwierig, einen gemeinsamen Ort zu finden, um sich einfach zu treffen und miteinander zu reden."
Harrys Augen blitzen. „Dann eröffnen wir eben einen solchen Raum."
„Was?" Neville blinzelte.
„Es war von Anfang an so angedacht", sagte der Schwarzhaarige und blickte zum Schloss hinüber. „Räume können nicht nur verschoben, sondern auch ergänzt werden. Deswegen sind auch die Treppen beweglich. Damit sie sich den immer neuen Situationen anpassen können. Wir wollten damals, dass Hogwarts auch in künftigen Generationen an die Bedürfnisse von Lehrern und Schülern angepasst werden kann."
„Das heißt, wir können einfach einen neuen Raum einführen?", fragte Neville erstaunt.
Harry nickte. „Wenn wir einige der verlassenen Klassenräume als Grundlage nehmen, brauchen wir noch nicht mal neues Material."
„Ein Gemeinschaftsraum für alle wäre schön! Dort könnten wir unseren Unterricht abhalten! Und ansonsten könnten sich dort Schüler aus allen Häusern treffen."
Harry schmunzelte. „Wenn das so ist..." Er schritt in Richtung des Schlosses und bedeutete Neville, ihm zu folgen. Sie durchquerten die große Halle und erstiegen die Treppen bis in den siebten Stock. Dort verharrte Harry vor einem Wandteppich und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Das Dargestellte war in der Tat befremdlich. Ein Zauberer versuchte offensichtlich vergeblich, einer Truppe von Trollen Ballett beizubringen. „Ich glaube, ich frage mich besser nicht, was das hier soll", hörte Neville den Freund murmeln, bevor er begann, dreimal vor dem Wandteppich auf und ab zu gehen. Nach dem dritten Mal erschien eine Tür, die zuvor nicht dort gewesen war. Verblüfft folgte Neville dem Freund ins Innere.
Der Raum, den sie betraten, war über und über bedeckt mit Runen. Sie leuchteten an dem rauen, gemauerten Stein der Wände und schmückten den Boden zu ihren Füßen. Davon abgesehen gab es keinerlei Lichtquellen. Doch das war auch nicht nötig. Denn was in der Mitte des Raumes leuchtete, war eine dreidimensionale Abbildung von Hogwarts. Dieselbe Abbildung, die Neville aus seinem Traum von der Erbauung Hogwarts kannte. Schwerelos schwebte sie in der Luft und drehte sich langsam um sich selbst. Von den Türmen, bis zu den Kerkern und Geheimgängen war jeder Raum mitsamt seiner Inneneinrichtung in Miniaturform zu sehen. Die Wände waren seltsam nebelhaft, wirkten wie weißes, dickliches Glas und schwanden, wann immer Neville den Wunsch verspürte, hindurch zu blicken.
Harry lächelte. „Willkommen im Allerheiligsten von Hogwarts, dem Raum der Wünsche."
„Wie funktioniert das?", fragte Neville ehrfürchtig.
„Die Magie, die zur Erschaffung und Erhaltung des Schlosses benötigt wird, haben wir hier mittels der Runen gebunden. So konnten wir sicher sein, dass Hogwarts nicht eines Tages in sich zusammen stürzt. Aber das ist nur ein kleiner Teil dessen, was möglich ist. Dieser Raum hat die Fähigkeit, aus Wünschen Realität zu schaffen. In kleiner Form funktioniert das, wenn eine Person draußen, wie ich gerade, dreimal vor der Wand auf und ab geht. Das Innere nimmt exakt die Form dessen an, was die Person gesucht hat. Aber dieser spezieller Raum , in dem wir gerade stehen, bildet das Herzstück des Schlosses. Von hier können dauerhafte Änderungen in das Schloss eingearbeitet und mit den bisherigen Zaubern verbunden werden. Allerdings erscheint das Material nicht aus dem Nichts, das gilt es zu bedenken." Er blickte Neville fragend an. „Wohin sollen wir den neuen Gemeinschaftsraum legen?"
Neville Augen schwirrten über den Plan von Hogwarts. „Es wäre praktisch, wenn er für alle Häuser gleich gut erreichbar wäre. Vielleicht in der Nähe der großen Halle?" Er deutete auf zwei verlassene Klassenzimmer, die sich im Erdgeschoss befanden. „Wenn wir dort die Wände wegnehmen und sie zu einem großen Raum machen, meinst du, das würde funktionieren?"
„Oh, bestimmt." Harry streckte seine Hand nach dem nebelhaften Abbild von Hogwarts aus und Neville konnte spüren, wie sich die Magie des Freundes mit der von Hogwarts verband. Die Magie, die den Raum erfüllte, war so intensiv, dass er sie beinah stofflich auf seiner Haut fühlte. Er konnte nur erahnen, wie viel Mühe es gekostet habe musste, einen solchen Ort zu kreieren Und es verschlug ihm noch immer den Atem, wenn er daran dachte, dass er in einem früheren Leben ein Teil davon gewesen sein sollte. Harry berührte die beiden Klassenzimmer und Neville konnte beobachten, wie die Wände einfach verschwanden. Dann löste Harry den Raum kurzerhand heraus und setzte ihn nahe der großen Halle wieder ein. Neville betrachtete staunend, wie der Slytherin Türen und Fenster den neuen Gegebenheiten anpasste. Dann trat Harry zurück und begutachtete sein Werk.
Der Raum hatte sich nahtlos an die gewünschte Stelle eingesetzt. Neville betrachtete ihn mit offenem Mund.
Lächelnd drehte sich Harry zu dem Gryffindor um „ Im Raum der Wünsche landen auch Dinge, die irgendwann einmal verloren gegangen sind. Ich bin mir sicher, es ist mittlerweile genug, um den Raum entsprechend einzurichten. Wir könnten die Hauselfen fragen, ob sie uns behilflich sind. Normalerweise freuen sie sich über eine solche Gelegenheit."
Neville nickte schwach. Er traute seiner Stimme nicht. „Wie haben die Gründer...ich meine..."
Glücklicherweise spürte Harry, welche Frage ihm auf der Zunge lag. „Wir haben diesen Raum geplant, bevor wir mit der Erbauung begannen. Rowena berechnete die Komponenten, Godric und ich verankerten den Raum und damit das künftige Schloss auf den Ländereien und Helga öffnete die Verbindung zur Anderswelt"
„Zur Anderswelt?", fragte Neville schwach.
Salazar zuckte mit den Schultern. „Von irgendwo musste die Magie und der neue Raum ja kommen. Das, was wir planten, ging immerhin weit übe das magische Fassungsvermögen von vier Menschen hinaus. Außerdem hilft die Verbindung zur Anderswelt den Hauselfen, sich zu manifestieren und hier eine neue Heimat zu finden."
„Ist es sicher, so einen Raum hier offen stehen zu lassen? Ich meine, wenn jemand Hogwarts zerstören will, dann..."
Harry lächelte. „Dasselbe hat Godric damals auch gesagt. Und ich war seiner Meinung. Der Raum der Wünsche öffnet sich für jeden. Doch dieser zentrale Raum prüft die Intention dessen, der ihn betritt. Niemand, der der Schule schaden will, kann das Herzstück von Hogwarts finden."
Neville atmete erleichtert aus.
Harrys Blick verdüsterte sich. „Allerdings scheint dieser Raum lange Zeit nicht mehr benutzt worden zu sein. Ich fürchte fast, das seine Existenz in Vergessenheit geraten ist."
„Das ist schade", sagte Neville und betrachtete ein letztes Mal die nebelhafte Miniatur. „Das hätte wirklich nicht passieren dürfen."
XXX
Als Albus Dumbledore die große Halle verließ, passierte er eine Gruppe von Schülern, die sich um eine Tür geschart hatte, die zuvor nicht da gewesen war. Die breite, hölzerne Tür war zweiflüglig und einladend geöffnet. Der Raum dahinter war großzügig mit Fenstern ausgestattet, die hinaus auf die Ländereien zeigten. Gemütliche Sitzecken und Tische luden zum Verweilen ein. Regale an den Wänden enthielten gleichermaßen Schulbücher, Romane, sowie eine Reihe an Tischspielen. An der Stirnseite hingen die Wappen von Hogwarts nebeneinander über einem Kamin, in dem bereits ein Feuer knisterte. Der ganze Raum machte einen gebrauchten, in Würde gealterten Eindruck. Jeder der Gegenstände hier schien eine Geschichte zu besitzen und alles in allem wirkte er, als wäre er schon immer da gewesen. Nur dass Albus ihn definitiv zum ersten Mal in seinem Leben sah. Schnell sprach er einige Zauber über den Raum, doch es gab weder Flüche, noch wirkte er in irgendeiner Form wie ein Fremdkörper, den jemand eingesetzt hatte.
Dieser Ort gehörte eindeutig zu Hogwarts.
Albus wusste, dass es früher möglich gewesen sein sollte, die Architektur von Hogwarts zu ändern. Aber dieses Wissen war schon lange verloren gegangen.
Oder zumindest hatte er das angenommen.
Schon betraten erste Schüler den Raum und lümmelten sich in die gemütlichen Sessel. Erstaunte Ausrufe und angeregtes Getuschel war zu hören. Albus lächelte. Das sollte Hogwarts sein. Nicht nur ein Ort voller Wunder und Magie. Sondern eine Heimat. Und dieser Raum machte das noch einmal mehr als deutlich.
Aber das änderte nichts daran, dass er gerne gewusst hätte, wie er dort hingekommen war.
Genau wie er gerne gewusst hätte, wie Harry die Hauselfen befreit hatte.
Oder wer den Basilisken aufgehalten hatte.
Es gab eine Präsenz in Hogwarts, die zuvor nicht da gewesen war, einen Neuankömmling, der mehr über Hogwarts zu wissen schien als jeder andere.
Und alle Spuren führten zu Harry Potter.
Die Veränderungen hatten begonnen, als Harry nach Hogwarts gekommen war.
Er hatte die Hauselfen befreit. Er war dort gewesen, als der Basilisk angegriffen hatte. Der Junge war ein Parselmund. Harry selbst hatte die Vermutung geäußert, dass er von einem der Gründer abstammen könnte.
Vielleicht ging dieses Wissen tiefer als gedacht?
Albus gewahrte Ragnuk, der ebenfalls einen Blick in den Raum warf.
Ragnuk, der rätselhafter Weise gleich zur Stelle gewesen war, als Professor Binns nach Jahrhunderten des Dienstes seine Stelle quittiert hatte. Obwohl Cuthbert, wie jeder der hiesigen Geister, an Hogwarts gebunden war und die Schule nicht weiter verlassen konnte, als bis zu den Ausläufern des verbotenen Waldes. Ragnuk allerdings hatte Dumbledore zuvor nie in Hogwarts gesehen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass er Cuthbert zuvor gekannt hatte. Dennoch war er genau am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewesen. Ganz, als wenn ihn jemand einbestellt hätte.
"Guten Abend", sagte Dumbledore höflich. "Haben Sie womöglich eine Erklärung für dieses neue Rätsel?"
Die goldenen Ringe in Ragnuks Bart blitzen, als er sich Dumbledore zuwandte. "Einen guten Abend, Schulleiter", grüßte er mit einem Neigen seines Kopfes. "Sie sehen mich ratlos. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht erklären, wie dieser Raum dorthin gekommen ist."
Dumbledore nahm unwillkürlich wahr, was sein Gegenüber gesagt hatte. Und was der Kobold nicht gesagt hatte. "Aber Sie wissen, wer dafür verantwortlich ist."
Es war keine Frage und Ragnuk antwortete nicht darauf.
Eine Gruppe Slytherin schlüpfte an ihnen vorbei in den neuen Raum.
"Das ist ja irre!", sagte Blaise Zabini und schaute in die Runde. "Weiß jemand von euch, wo Harry ist? Das hier muss er sehen!"
"Keine Ahnung, wo er sich wieder herum treibt", erwiderte Daphne nachdenklich.
Theodore hob die Schultern. "An den letzten Abenden ist er weniger weg als noch vor Kurzem."
Blaise schob die Oberlippe vor. "Warum bekomme ich das nie mit?"
"Weil du nicht aufmerksam genug bist", sagte Daphne gönnerhaft.
Blaise rollte seufzend mit den Augen. "Sucht er immer noch Geheimgänge?"
"Wer weiß?", sagte Daphne mit einem Lächeln. "Außer dir hat ihn noch niemand von uns verfolgt."
Mit Sorge in den Augen fuhr Dumbledore zu den Slytherin herum. "Verzeiht, dass ich mich in euer Gespräch einmische."
Die Kinder zuckten zusammen und blickten ihn aus großen Augen an.
"Wollt ihr sagen, dass sich Harry alleine in Hogwarts herum treibt, nachdem bereits zweimal ein Anschläge auf sein Leben verübt wurden?"
Die Slytherin tauschten erschreckte Blicke. Niemand von ihnen hatte daran gedacht.
Der Schulleiter neige den Kopf vor Ragnuk. "Wir setzen das mit Ihrer Erlaubnis später fort."
"Selbstverständlich, Schulleiter."
Rasch legte Albus den Weg in sein Büro zurück.
Er schritt zu einem leeren Bilderrahmen und rief nach dem Eigentümer. "Phineas? Hätten Sie einen Augenblick?"
Kurze Zeit später füllte sich der Rahmen mit dem Gesicht des missmutig dreinblickenden Zauberers. "Hätten Sie die Güte mir aufzuzeigen, wo sich Harry versteckt hält?"
Wenn überhaupt möglich, blickte der einstige Schulleiter noch eine Spur düsterer drein. "Es gab keine besonderen Vorkommnisse, Sir. Was den Rest betrifft, so fällt dies wohl in die Privatsphäre des Jungen."
Albus blickte den einstigen Vorstand der Blacks durchdringend an.
Phineas Black hob eine Augenbraue. "Was?"
"Es sieht Ihnen nicht ähnlich, Schüler und ihre Privatsphäre so in Schutz zu nehmen, Phineas."
"Wir alle erhalten unsere Lektionen in Höflichkeit", erwiderte der Zauberer spitz.
"Das heißt, Sie haben nicht vor, mir zu sagen, warum Harry abends den Gemeinschaftsraum verlässt und seine Freunde nicht wissen, wo er sich befindet?"
Das Portrait schwieg mit zornig zusammengepressten Lippen. Aber dieser Zorn bezog sich nicht auf Dumbledore.
Der alte Zauberer wandte sich zu den Regalen.
Die wenigsten wussten, dass die silbernen Instrumente, die sein Büro und das vieler Schulleiter vor ihm geschmückt hatten, nichts anderes waren, als die Visualisierung der aktiven Schutzzauber von Hogwarts. Nun, zumindest von jenen, die er selbst über die Schule gesprochen hatte. Die alte Magie des Schlosses verstand heutzutage niemand mehr. Dumbledore nahm einen silbernen Kompass in die Hand und blickte aufmerksam auf die Anzeige. "Wo ist Harry Potter?", flüsterte er. Zuckend setzte sich die Nadel in Bewegung, um sich dann immer schneller im Kreis zu drehen. In Dumbledores Augen trat ein stählerner Ausdruck. Das konnte nur bedeuten, dass Harry nicht in Hogwarts war. Er fuhr zu dem Portrait herum.
Über die Gläser seiner Halbmondbrille hinweg blickte er Phineas Regulus Black in die Augen. "Warum haben Sie gelogen, Phineas?"
DU LIEST GERADE
Harry Potter und die Rückkehr des Schlangenlords
FanficABGESCHLOSSEN In dem Moment, als der Todesfluch die Stirn von Harry Potter traf und eine Narbe in die Stirn des Kleinkindes ritzte, geschah noch etwas anderes. In jenem Moment, als die Grenze zwischen Leben und Tod verwischte und die Zeit keinen Nam...