Ein normaler erster Schultag

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An diesem Morgen wurde Salazar durch den Duft von warmen Keksen geweckt. Müde blickte er auf und entdeckte einen liebevoll angerichteten Teller auf seinem Nachttisch. Innerlich seinen Sohn verfluchend, nahm er einen Keks und biss hinein.
Theodore und Blaise beobachteten ihn aus großen Augen.
"Harry hat Kekse", sagte Blaise sehnsüchtig und brachte Salazar dazu aufzulachen.
"Es sind genug für alle."
Als sie alle auf sein Bett kletterten, den Teller mit Keksen zwischen ihnen, fühlte er sich zum ersten Mal seit langem wieder wirklich jung.
"Ich bin total nervös", gab Nott zwischen zwei Bissen zu. "So viele Menschen bin ich nicht gewohnt. Vater und ich hatten nie viel Besuch." Er blickte zu Boden. "Viele wollten nach dem Krieg nichts mit uns zu tun haben."
Blaise legte den Kopf schief. "Das ist wohl eine Frage, wie viel Geld man in der Tasche hat. Malfoys Vater hatte immerhin keine Probleme und der ist auch ein ehemaliger Todesser. Bei Mutter und mir war es das Gegenteil. Wir waren ständig auf irgendwelchen Feiern." Er grinste schief. "Ich weiß gar nicht, wie ich mit so einem geregelten Stundenplan klar kommen soll."
Als beide Salazar erwartungsvoll anschauten, zuckte der mit den Schultern. "Ich bin bei Muggeln aufgewachsen. Es war in Ordnung, aber es gibt nicht viel zu erzählen."
Nott riss die Augen auf. "Der große Harry Potter? Bei Muggeln?!"
"Ich glaube, Dumbledore wollte nicht, dass mir mein Ruhm zu Kopf steigt. Sie hielten alles so lange wie möglich vor mir geheim."
"Ich kann nicht glauben, dass du in Slytherin bist", sinnierte Blaise. "Alle haben damit gerechnet, dass es Gryffindor werden wird."
"Weil nur ein Gryffindor einen Dunklen Lord besiegen kann?", fragte Salazar lächelnd. "Und mit List und Tücke besiegt man keine Feinde? Oder mit Klugheit? Oder mit Freundschaft und Zusammenhalt?" Für einen Moment gab er sich sehnsüchtigen Gedanken hin. "Am besten ist es, wenn du von jedem Haus jemanden dabei hast. Dann gibt es kaum eine Herausforderung, die du nicht meistern kannst."
Beide Jungen starrten ihn mit offenen Mund an. "Sicher, dass du bei Muggeln aufgewachsen bist?", fragte Theodore langsam.
"Ganz sicher", antwortete Salazar. "Aber in letzter Zeit habe ich viel gelesen, um das auszugleichen." Er rollte sich vom Bett hinunter. "Auch wenn wir schon gefrühstückt haben, sollten wir wohl zumindest anstandshalber zum Frühstück in die Große Halle. Was meint ihr?"
Beide Jungen nickten grinsend.

Das Frühstück verlief in guter Stimmung. Zu Salazars Erleichterung stellte sich Malfoy nicht gerade als Morgenmensch heraus, und so genügte sich der blonde Junge damit, düster auf sein Essen zu starren. Flint hingegen knackte die Fäuste, wann immer Salazar in seine Richtung blickte. „Genieße dein Frühstück, Potter", zischte ihm der scheinbar ältere Junge zu. „Wer weiß, wie lange du noch dazu in der Lage bist."
Salazar hob eine Augenbraue. „Ziemlich genau sieben Jahre, würde ich schätzen. Aber vielen Dank, es ist wirklich gut."
Den Bauch immer noch voller Kekse, goss er sich eine Tasse Tee ein und ignorierte geflissentlich den triumphierenden Blick seines unverschämten Sohnes.
Während sie aßen, trat der Professor in Schwarz an den Tisch der Slytherin und schaute langsam von einem zum anderen. "Seien Sie auch von mir in diesem neuen Schuljahr gegrüßt. Ich bin Professor Snape. Ich bin Ihr Hauslehrer, und ich werde Sie in dem Fach Zaubertränke unterrichten. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Ihr bestes geben, gleichgültig, wie erbärmlich diese Leistung in einigen Fällen sein mag." Seine dunklen Augen blieben an Salazar hängen und der wiedergeborene Zauberer fragte sich erneut, was er diesem Mann getan hatte. "Sie werden feststellen, dass die anderen Häuser nicht gerade unvoreingenommen auf Sie reagieren werden. Salazar Slytherins Andenken wird von den anderen Häusern beschmutzt. Für viele von ihnen gilt er als nicht mehr, als ein dunkler Zauberer und nicht als das Genie, das er in Wahrheit war." Seine Lippen kräuselten sich abfällig. „Und sie neigen dazu, nicht nur unseren verehrten Gründer zu denunzieren, sondern dieses Bild auf jedes Mitglied dieses Hauses zu übertragen. Deswegen möchte ich noch einmal betonen, dass Slytherin Ihre Familie ist. Innerhalb Ihres Hauses werden Sie den Umgang finden, den Sie an anderer Stelle vermissen werden. Nun, zumindest, was jene betrifft, die tatsächlich in dieses Haus gehören." Wieder striff sein Blick über Salazar. Es fehlte nicht viel, und der Hogwartsgründer hätte mit den Augen gerollt. Deutlicher konnte der Hauslehrer seine Abneigung ihm gegenüber nicht zum Ausdruck bringen. Wie ironisch, dass es ausgerechnet dieser Mann war, der sein Andenken als Salazar Slytherin in Ehren hielt.
Mit einem Schnippen seines Zauberstabes verteilte der Professor ihre Stundenpläne und schritt mit wehendem, schwarzen Umhang davon. Salazar blickte ihm nachdenklich nach. Welches Spiel trieb dieser Mann? Erneut nahm er sich vor, den Tränkemeister im Auge zu behalten. Bei nächster Gelegenheit würde er sich bei Sanguil nach ihm erkundigen. Und bis dahin ... vielleicht konnte er es wagen, mehr von seinen Fähigkeiten durchblicken zu lassen, als er angenommen hatte. Da Professor Snape ihn bereits ganz anders erlebt hatte, war es ohnehin unsinnig, ihm einen harmlosen Jungen vorspielen zu wollen. Wenn sein Ruf, zumindest in seinem Haus, nicht so gelitten hatte, wie angenommen, war es gar nicht so furchtbar, entdeckt zu werden. Im Gegenteil. Er würde sein Geheimnis aktiv nutzen können, um seine Slytherin zu erziehen und ihren Verstand zu schärfen. Ihren Lehrer eingeschlossen. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Er würde nur dafür sorgen müssen, dass keine Informationen zu den anderen Häusern durchsickerten. Aber wenn Snape recht hatte und die anderen Häusern den Kontakt zu Slytherin mieden, würde ihm auch diese Tatsache in die Hände spielen. Manche Dinge waren scheinbar einfacher als gedacht.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Salazar, wie Professor McGonagall den Tisch der Gryffindor verließ. Kurzentschlossen schlenderte er hinüber, um ihre Stundenpläne abzugleichen.
Hermine war ein reines Energiebündel. Ihre Wangen leuchteten vor Aufregung und sie war kaum in der Lage, still zu sitzen. Neville hingegen war schweigsam. Dunkle Ränder zogen sich unter seinen Augen.
„Was ist los?", fragte Salazar während er seinen Stundenplan auf den Tisch segeln ließ.
„Schlecht geschlafen", murmelte Neville. Dann hellte sich seine Miene auf. „Wir haben Zaubertränke und Verwandlung gemeinsam." Lächelnd und deutlich beruhigter wirkend, hob er den Blick und schaute Salazar an. Dann stockte er.
Der wiedergeborene Zauberer zog eine Augenbraue hoch. „Neville?"
Hastig wandte sich der junge Gryffindor ab. „Gar nichts", sagte er eindeutig zu schnell. „Überhaupt nichts!"
Wie hätte Neville seinem gerade gefundenen Freund auch sagen sollen, dass er aussah, wie eine junge Ausgabe von Salazar Slytherin? Seine Fantasie spielte in seinen Träumen eindeutig verrückt!

XXX

Unmittelbar nach dem Frühstück musste Salazar seine Meinung revidieren. Es war nichts beim Alten geblieben. Sie hatten die Treppen einst so konzipiert, dass sie sich in die Richtungen drehten, die die Hexen und Zauberer, die sie betraten, am schnellsten zu ihrem Ziel bringen würde. Damals hatten sie die Idee für genial gehalten, denn durch drehbare Treppen benötigten sie weniger Platz für Treppenhäuser und hatten mehr Möglichkeiten, Klassen- und Übungsräume anzulegen. Die Idee wäre nach wie vor hervorragend, wenn die Treppen nicht irgendwann nach seinem Ableben beschlossen hätten, sich vollkommen chaotisch in mal diese und mal jene Richtung zu wenden. Mitunter musste man nun mehrere Minuten warten, bis die eigenwillige Treppe wieder in die Richtung zeigte, in die man eigentlich wollte. Manche Stufen wiederum verschwanden ganz, wenn man darauf treten wollte, oder waren nur an bestimmten Wochentagen sichtbar. War das von ihrer Verteidigungsmaßnahme geblieben, die Treppen im Falle eines Angriffs ganz oder teilweise auflösen zu können? So wie die Dinge jetzt lagen, war es reines und pures Glück, dass es bisher noch zu keinem schweren Unfall im Treppenhaus gekommen war. Nicht auszudenken, was passierte, wenn sich eine Treppe im falschen Moment drehte, oder eine Stufe verschwand, wenn ein Schüler darauf stand.

Die Türen waren nicht viel besser. Zugegeben, er selbst hatte damals die Tür zu seinen Gemächern so verzaubert, dass sie nur Besucher einließ, die zunächst klopften. Das hatte ihm nicht nur bei der Erziehung einiger verwöhnter Sprösslinge geholfen, sondern auch vor dem plötzlichen und unangekündigten Ansturm seiner Mitgründer bewahrt. Vor allem Helga hatte die Angewohnheit besessen, völlig unabhängig von der Uhrzeit oder seiner körperlichen und geistigen Verfassung bei ihm hereinzuplatzen.
Aber das man Türen kitzeln oder höflich bitten musste, war neu. Dass es Scheintüren gab, die nur so taten, als wären sie welche, war sogar unverschämt, wenn man es eilig hatte. Dazu kam, dass die Räume ihre Plätze wechselten und es sein konnte, dass dieselbe Tür manchmal eine Scheintür war und manchmal nicht. Es war angedacht, dass man die Anordnung der Räume ändern konnte, um sie den Bedürfnissen zukünftiger Generationen anzupassen. Nicht aber, dass sie wild den Platz wechselten. Ein Blick auf die magische Ebene des Schlosses ließ ihn wild vor sich hin fluchen. Ihre sorgsam kalkulierten Zauber hatten sich im Laufe der Zeit langsam gelöst. An manchen Stellen waren andere Zauber hinzugefügt worden, ohne sich um das vorhandene Grundgerüst und die Koboldmagie in den Mauern zu kümmern. Die Wechselwirkung zwischen alten erlöschenden, und schlecht angebrachten, neuen Zaubern führte zu reinem Chaos. In einer kindlichen Bewegung, die Salazar seinen jungen Jahren zuschrieb, stampfte er mit dem Fuß auf. Das war alles einfach zu ungerecht!
"Wenn mir die Bemerkung gestattet ist, ein Wutausfall wird dich dich nicht weiterbringen, mein Kleiner."
Salazar zuckte angesichts der nasalen Stimme zusammen. Er blickte auf zu einer Vertrauensschülerin mit blondem, lockigen Haar, die ihr leicht pickliges Kinn halb unter einem Schal verbarg. Das Blau an ihrem Umhang kennzeichnete sie als Ravenclaw.
„Und wer bist du?", fragte er missgelaunt.
Ein dünnes Lächeln erschien auf den blasses Lippen der Jungen Frau. „Mein Name ist Penelope Clearwater", sagte sie gönnerhaft. „Kann ich vielleicht helfen?"
Unter großen Anstrengungen schluckte er seinen Stolz herunter. "Kannst du mir den Weg zu Verwandlung zeigen?"

Die Schmach von einer milde lächelnden Ravenclaw zu seinen Unterrichtsräumen geführt zu werden, wurde nur davon übertroffen, trotz allem zu spät zu sein. Unter den strafenden Blick der Hauslehrerin von Gryffindor ließ er sich neben Blaise Zabini in einem Stuhl fallen.
Dort vergrub er den Kopf in den Händen. "Ich hasse mein Leben."
Zabini klopfte ihm auf die Schulter. "Es ist nicht alles schlecht. Du hättest Malfoy sehen sollen, wie er eine Tür höflich bitten musste, ihn durchzulassen."
Salazar ließ seine Hände sinken. "Hat es geholfen?"
Daphne verdrehte die Augen. "Diese Personifikation eines Edelmanns zog es vor, gegen die Tür zu treten und einen anderen Weg zu wählen."
Amüsiert zog Salazar eine Augenbraue hoch. "Ihr habt ihm nicht geholfen?"
Daphne schlug eine Hand vor ihren Mund. "Ups!", sagte sie sarkastisch. "Wie unaufmerksam von mir."
Auf McGonagalls Räuspern verfielen sie in Schweigen.
Sie begannen mit der Theorie der Verwandlung. Auch wenn Salazar sich bereits eingelesen hatte, war er erneut verblüfft, wie durchkomponiert heutige Magiewirker ihre Verwandlungen durchführten. Eine bestimmte Bewegung, eine feste Formel, eine genaue Intonation, alles war genauestens geregelt. Es gab kein Einstimmen auf die Umgebung, keine Anpassung an die herrschenden Umstände. Salazar kannte solche Festlegung nur in Form von langwierigen Ritualen, die so komplex waren, dass nichts dem Zufall überlassen werden durfte. Die Vorstellung, eine solch simple Verwandlung überhaupt mit einem Fokus und dann noch mit einem Spruch durchzuführen, war ungewohnt. Er verstand die Absicht, einer ersten Klasse den Einstieg zu erleichtern. Mit diesen minutiösen Vorgaben, würden sich Erfolge deutlich schneller einstellen. Doch sie Magie auf diese Weise zu lehren, machte sie blind für die Magie, die sie von allen Seiten umgab. Magie war für ihn Lebenskraft, stets verändernder Wandel, auf den man sich einstellen musste. Hier wurde sie gelehrt wie eine Gleichung, in die es nur noch die richtigen Variablen einzusetzen galt. Das machte es leichter, berechenbarer, funktioneller. Aber es förderte nicht das Verständnis über das, mit dem sie es eigentlich zu tun hatten. Wenn es die Zauberer heutzutage überhaupt noch wussten.

Nach der Einführung in die Theorie der Verwandlung, hielt sie McGonagall an, ein Streichholz in eine Nadel zu verwandeln. Salazars Zauberstab begrüßte ihn mit einer Salve von roten Funken, kaum dass er das schadenfrohe Ding hervor gezogen hatte. Ein Kichern ging durch die Reihen der Schüler, die auf einen Blick McGonagalls sogleich wieder verstummten. Misstrauisch beobachtete er seinen Zauberstab. Stechpalme und ihr verfluchter Drang, eigenständig zu handeln. Und wie es aussah, hatte er ein besonders schadenfrohes Exemplar erwischt. Na herrlich.
Der Stechpalmenstab blies ihm noch einen Funken ins Gesicht und lag dann still, als wäre nichts gewesen. Vorsichtig richtete er ihn auf sein Streichholz. Als nichts weiter geschah, begann er die Bewegung nachzuahmen, die McGonagall ihnen gezeigt hatte und wurde sogleich in seiner Haltung korrigiert.
Malfoy warf ihm einen schadenfrohen Blick zu.
Und es wurde nicht besser.

Professor Flitwick, der kleine und stets gut gelaunte Hauslehrer von Ravenclaw, fiel von seinem Bücherstapel als er Salazars heutigen Namen verlas. Wenigstens erholte er sich anschließend schnell und gab ihnen eine gut verständliche Einführung in die Zauberkunst. Oder zumindest dem, was die heutigen Zauberer darunter verstanden.
Professor Quirrel, sein Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste, war noch schlimmer. Hätte sein Klassenraum nicht so erbarmungslos nach Knoblauch gestunken, hätte man sich vielleicht sogar auf den Stoff konzentrieren können. Dazu kam, dass der Mann stotterte und seine Augen stets nervös in die Winkel des Klassenraums blickten, als wartete dort eine dunkle Gefahr auf ihn. All das zusammen führte bei Salazar zu regelmäßigen Kopfschmerzen. Gab es heutzutage keine Seelenheiler mehr, die sich dem armen Mann annehmen konnten? Er schien kaum in der Lage, seinen Alltag zu meistern, geschweige denn zu unterrichten. Dazu kam das vage Gefühl, dass der Mann schauspielerte. Aber wer versuchte schon freiwillig, einen unfähigen Lehrer darzustellen? Salazar setzte sich aufrechter auf seinen Stuhl. Es sei denn, der Mann wollte unterschätzt werden, wollte unter dem Radar bleiben, bis er sein Ziel erreicht hatte. Was immer das auch sein mochte. Godric hätte ihn für seinen Verfolgungswahn aufgezogen, doch er konnte nun mal nicht aus seiner Haut. Und dieses Übermaß an Unvermögen machte ihn misstrauisch.
Damit war Quirrel nur unwesentlich besser als Professor Binns, dem der stotternde Zauberer immerhin voraus hatte, dass er noch lebte. Binns, der Geist eines alten Mannes, der in monotoner Stimme Daten und Ereignisse vor sich hin deklinierte, befördert selbst motivierte Schüler nach kürzester Zeit in den Schlaf.

In der Mitte der Woche war Salazar kurz davor seinen Hut auf den Boden zu werfen und darauf herumzuspringen. Offensichtlich kannte jeder der Lehrer seinen Stoff. Aber nur die Hälfte war dazu in der Lage, auch tatsächlich zu unterrichten. Dann kam seine erste Stunde in Zaubertränke.

Als Severus Snape das Kerkergewölbe betrat, um seine erste Stunde in Zaubertränke zu eröffnen, wurde Salazars Vermutung zur Gewissheit. Dieser Mann spielte nicht fair. Mehr noch, offenbar bereitete es ihm Freude, Kinder leiden zu sehen. Ganz besonders, so schien es, ihn selbst.
Snape schaffte es, ihn bereits bei der Verlesung der Namensliste zu beleidigen. Und kaum hatte er bei seiner kurzen Einführungsrede die ganze Klasse beleidigt, stürzte er sich wieder auf Salazar. "Potter, was bekomme ich wenn ich einem Wermutsaufguss geriebene Aphrodilwurzel hinzufüge?"
Salazar blickte den Mann ausdruckslos an. Das war nicht Stoff des ersten Schuljahres. Er war neugierig genug gewesen, im Vorfeld sein neues Tränkebuch mit alten Unterrichtsmethoden abzugleichen. Snape wollte ihn also vor der Klasse bloßstellen? Warum?
Er beschloss, mitzuspielen.
"Sie bekommen einen äußerst potenten Schlaftrunk, der auch als Trank der lebenden Toten bekannt ist."
Snapes Gesichtszüge blickten vollkommen ausdruckslos. "Und wo würden Sie suchen, wenn Sie mir einen Bezoar beschaffen müssten?"
Salazar lächelte grimmig. Eindeutig nicht erstes Schuljahr. "Ein Bezoar ist ein Stein aus dem Magen einer Ziege. Er rettet vor den meisten Giften."
Snape presste die Lippen aufeinander. Doch das war die einzige Reaktion, die er zu sehen bekam. "Was ist der Unterschied zwischen Eisenhut und Wolfswurz, Potter?"
Salazar suchte Snapes Blick. "Es gibt keinen, Sir. Es sind zwei Namen für dieselbe Pflanze, auch bekannt als Anconitum." Er bemerkte es, als er antwortete. Snapes Auge waren unnatürlich ausdruckslos. Sie wirkten wie dunkle, leere Tunnel. Er war ein Okklumentiker.
"Sie halten sich wohl für sehr klug, Mr. Potter?", fragte Snape lauernd. "Fünf Punkte von Slytherin. Wegen Aufschneiderei."
Salazar neigte abwesend den Kopf. Warum tat dieser Mann, als wenn er seine Gefühle nicht im Griff hatte? Wo er doch offensichtlich ein Okklumentiker war? Und warum seine offensichtliche Fokussierung auf ihn?
Snape wies sie an, ein Heilmittel gegen Furunkel zu brauen. Wie es schien, hatte der Mann auch weiterhin kein Interesse daran, zu unterrichten. Die Instruktionen standen an der Tafel und die Schüler waren sich selbst überlassen. Es gab kein Wort dazu, wie die Zutaten verarbeitet werden mussten. Oder wie sie miteinander reagierten. Snape legte es bewusst darauf an, dass sie scheiterten. Hilfe wurde nur auserwählten Slytherin zuteil, denen der Lehrer in leiser Stimme Arbeitsanweisungen gab. Wieder fragte sich der wiedergeborene Zauberer was den Tränkemeister antreiben konnte. Wenn er seine Gefühle durch Okklumentik sosehr zurückhielt, dass sich nichts als Ausdruckslosigkeit in seinen Augen spiegelte, konnte es nicht sein, dass er sich im Unterricht emotional gehen ließ. Das hieß, er benachteiligte die Gryffindor und ganz besonders ihn selbst nicht, weil er ihn nicht leiden konnte, sondern aus Berechnung. Aber aus Berechnung wofür?

Nun, auch wenn er die Gründe seines Gegenübers nicht verstand, würde er nicht zulassen, dass Kinder in diesem Unterricht nichts lernten. Salazar war zu sehr Lehrer, um das geschehen zu lassen. Kurzentschlossen wechselte er seinen Platz, sodass er einen guten Überblick über das Klassenzimmer hatte.
"Ron, drücke die Käuferaugen aus. Es wird nur das Augensekret verwendet."
"Theodore, erhitze den Kessel erst, wenn der erste Satz an Zutaten im Kessel ist. Es braucht eine bestimmte Temperatur, damit sich Zutaten mit einer magischen Wirkung aufladen. Wolfsmilch und Käferaugensekret reagieren bei sechzig Grad. Kocht der Trank, kehrt sich die Wirkung um."
"Neville, du bist in der Seite verrutsch. Pastillen gehören in diesen Trank nicht hinein."
Nach anfänglichen Misstrauen, hörten immer mehr Schüler auf Salazars Hinweise. Es half, dass sein eigener Trank exakt so aussah, wie er im Buch beschrieben wurde. Langsam nahmen alle Tränke in seiner Umgebung die gewünschte Farbe und Konsistenz an. Snape, der an allen Schülern, außer an Malfoy etwas auszusetzen hatte, verharrte schließlich vor seinem Tisch und hörte ihm zu. Salazar ließ sich nicht stören.
"Blaise, du hast vergessen, die Schnecken zu pürieren. Dadurch verlieren sie an Wirkungskraft. Gebe vor dem nächsten Schritt Mondpulver hinzu. Es wiederum erhöht die Wirksamkeit zugegebener Zutaten."
"Potter?", fragte Snape nach einer Weile.
"Ja, Sir?", fragte Salazar, während er seinen Trank mit routiniertem Griff umrührte.
"Fünf Punkte von Slytherin. Wegen Reden im Unterricht."
Ausdruckslos neigte Salazar den Kopf, während er den Lehrer vor sich betrachtete. Severus Snape war der Inbegriff einer Schreckensgestalt. Der geräuschlose Gang, die schwarze Robe, das fettige Haar, all das schien Teil einer Inszenierung, die er nicht kannte. Nun, aber er hatte vor, dieses kleine Schaustück kennen zu lernen. Und er würde einige Jahre Zeit haben, dieses Drehbuch zu lernen. Langsam verzogen sich Salazars Lippen zu einem Lächeln. Severus Snape würde mit Händen und Füßen um sein Geheimnis kämpfen müssen.

XXX

Besagter Tränkemeister starrte seiner ersten Klasse äußerlich unbeweglich nach. Noch nie war eine erste Stunde so erfolgreich verlaufen. Kein Trank war explodiert, kein Schüler verletzt, ja es war noch nicht einmal ein Gebräu übergekocht! Und nicht nur das. Die Anzahl der gelungenen Tränke war dagegen enorm hoch. Severus hatte noch nie eine Stunde abgeschlossen, in der die Hälfte der Schülerkreationen auch tatsächlich gegen Furunkel helfen würde.
Und das aufgrund eines Schülers.
Eines Schülers, der in seiner ersten Stunde die gesamte Klasse angeleitet hatte. Woher stammte dieses Wissen über Tränke, ihre Zutaten und deren unterschiedliche Eigenschaften? Wie kam es, das Potter am Anfang der Stunde seine fortgeschrittenen Fragen ohne zu Zögern beantwortet hatte? Einige seiner Erklärungen waren noch nicht einmal Schulstoff gewesen! Und wie seine Augen über die Schüler und deren Tränke gehuscht waren ... die Bewegung hatte so routiniert, ja geübt gewirkt, als besäße Potter den jahrzehntelangen Erfahrungsschatz eines Lehrers.

Woher kam diese seltsame Ruhe des Jungen, ganz gleich, wie unangemessen er ihn behandelt, oder wie viele Punkte er ihm abgezogen hatte? Und wie sollte er sich dieses seltsam wissende Funkeln in den Augen des Jungen erklären? Diese unausgesprochene Herausforderung in seiner Haltung? Nur zu, hatte alles an ihm geschrien. Messe dich mit mir. Finde mein Geheimnis heraus, wenn du kannst. Doch die Herausforderung des Jungen war nicht kämpferisch gewesen, nicht daraus aus zu siegen. Es war ein Verhalten, das darauf zielte zu lehren. Severus griff sich an die Schläfen. Der Junge trieb ihn in den Wahnsinn.
War er eine Gefahr? War er überhaupt der, für den er sich ausgab? Düster starrte er durch das Zwielicht seines Klassenzimmers. Was machte er mit diesem Geheimnis, das den Namen Harry Potter trug?

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt