Ein gescheitertes Ritual

1.7K 112 20
                                    


Offenbarungen über Salazar Slytherin!
Geheime Räumlichkeiten in Hogwarts entdeckt


Lucius Malfoy saß vollkommen reglos an seinem Frühstückstisch. Eigentlich hatte er noch einen leichten Imbiss zu sich nehmen wollen, bevor er zum Ministerium aufbrach. Aber nachdem er den Tagespropheten gelesen hatte, brachte er keinen Brocken mehr herunter.

Salazar Slytherin hatte nie die Ansicht vertreten, dass reinblütige Zauberer anderen überlegen waren. Im Gegenteil. Er war sogar entscheiden gegen solche Meinungen vorgegangen.

Lucius wollte den Autor dieses Artikels Lügen strafen. Er wollte ihn feuern lassen und dafür sorgen, dass er niemals mehr irgendwo eine Stelle bekam.

Nur leider wusste er, dass die Unterlagen im Arbeitszimmer echt waren.

Severus hatte in diesem Arbeitszimmer immerhin die Schutzzauber und Rituale gefunden, die ihnen allen zur Freiheit verholfen hatten.

Vielleicht konnte er den gesamten Inhalt aufkaufen und tun als ob nie etwas gewesen wäre? Aber nein, die Neugier der Öffentlichkeit war bereits geweckt. Er würde nicht einfach mit Stillschweigen davonkommen. Außerdem war es sehr unwahrscheinlich, dass Dumbledore verkaufen würde. Und dann musste das Ministerium sein Einverständnis geben...

Das Ganze war eine einzige Tragödie...und das Schlimmste war, wenn sich der Gründer seines Hauses gegen solche Ansichten wandte...wie sollte er sich dann selbst weiterhin mit unhinterfragbarer Sicherheit darauf verlassen, dass das, was er ein Leben lang über die Reinheit des Blutes geglaubt hatte, tatsächlich der Wahrheit entsprach?

Mit einem Stöhnen vergrub er die Hände in seinem langen Haar.

So fand ihn auch Narzissa, als sie einige Minuten später im Speisezimmer zu ihm stieß.

„Liebling, was ist los?"

Wortlos schob ihr Lucius den Artikel hinüber.

Als sie geendet hatte, ließ sie sich, eine ungesunde Blässe auf den Wangen, ihrem Mann gegenüber auf einen Stuhl fallen.

„Und jetzt?", fragte sie irgendwann in die bleierne Stille. Ihrer Stimme war anzuhören, wie sehr sie das Gelesene in Mitleidenschaft zog.

Schwer stützte sich Lucius auf dem Tisch auf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung."

XXX

In St. Mungo führte Sirius Black mit dem gleichen Artikel in der Hand einen Freudentanz auf. „Nimm das, du alte Vettel! Von wegen, Reinblüter waren überlegen! Selbst der alte Slytherin wusste es besser! Ha! Sobald ich zurück im Grimauldplatz bin, halte ich dir das unter deine faltige Nase! Dann mal sehen, ob du noch jeden, der reinkommt, als Schlammblut und Blutsverräter beschimpfst! Ich hatte nämlich recht! Von Anfang an!" Triumphierend schwenkte er den Artikel über seinem Kopf.
Als ein Arzt sich diskret im Hintergrund räusperte, fuhr Sirius, von einem Ohr zum anderen grinsend, zu ihm herum. „Ich bin nicht wahnsinnig. Wirklich! Mir geht es einfach wahnsinnig gut."

Wenige Stunden zuvor war seine Stimmung noch eine ganz andere gewesen.

Da hätte sich Sirius verfluchen können. Und zwar mit etwas richtig Üblem. Ein simpler Beinklammer-Fluch hätte bei Weitem nicht ausgereicht bei dem, was er sich hier geleistet hatte. Da war er, eingepfercht in St. Mungo, sorgte sich um Remus, von dem seit Wochen kein Sterbenswörtchen gehört hatte und dann dann sagte man ihm, dass St. Mungo angegriffen worden war.

Während er dort war.

Er hätte einfach nur seinen Zauberstab packen, hinausrennen müssen und die Rastlosigkeit der letzten Zeit hätte ein Ende gehabt.

Und was hatte er getan?

Er hatte geschlafen.

Tief und fest hatte er die ganze Aufregung einfach verschlafen. Nur um am Morgen zu erfahren, dass Dumbledore wieder mal den Tag gerettet hatte.

Es war zum Haare raufen. Und das Schlimmste...er wusste nicht einmal ob Remus dabei gewesen war. Ob es Moony gut ging? Remus war mehr als zuverlässig. Seitdem er hier in St. Mungo gelandet war, hatte ihn seit alter Freund mehrmals die Woche besucht.

Bis er von Dumbledore diesen vermaledeiten Auftrag bekommen hatte.

In der ersten Woche hatte Remus noch eine Eule geschickt. Und dann - nicht ein Wort.

Angespannt ließ sich Sirius auf seiner Bettkante nieder und starrte aus dem Fenster. Sein Blick verlor sich irgendwo in dem Panorama von London.

Wenn er eines wusste, dann dass das Ausbleiben von Remus Nachrichten nichts Gutes zu bedeuten hatte. War er es jetzt, der an seiner Stelle in einer Zelle in Askaban hockte? Und es machte sich noch nicht mal jemand die Mühe, ihm Bescheid zu sagen?

Und Askaban war nicht das Schlimmste Schicksal, dass Sirius seinem Freund ausmalen konnte. In dieser Hinsicht war er sehr phantasievoll. Askaban half einem dabei, Todesphantasien zu entwickeln, danke der Nachfrage.

Vielleicht sollte er einfach nach Hogwarts gehen und sich Dumbledore vorknöpfen? Der wusste doch sonst auch immer alles. Und Sirius war immerhin kein Gefangener. Nicht mehr.

Er lächelte unwillkürlich. Bei der Gelegenheit könnte er auch Harry mit einem Besuch überraschen. Der würde Augen machen. Entschlossen machte er sich auf zur Tür und drückte die Klinke herab.

Im selben Moment geschah dasselbe von der anderen Seite.

Sirius wäre beinahe in Remus hineingerannt.

„Moony!" In seiner Erleichterung zog er den Freund in eine Umarmung. Dann verpasste er ihm einen leichten Schlag. „Ich komme hier um vor Sorge! Hättest du nicht mal einen Brief schicken können! Ich dachte schon, wer weiß was wäre passiert, während ich hier sitze und von nichts eine Ahnung habe."
Beschwichtigend hob Remus die Hände. „Sobald du mich zu Wort kommen lässt, werde ich dir alles erklären."
Sirius holte tief Luft und verschränkte die Arme. „Also?"
„Ich bin geheilt."
„Was?"
Remus lachte so befreit, dass Sirius nicht weiter fragen musste, von was genau er sprach. Es war ein Lachen, so leicht und fröhlich, wie er es von dem Freund, selbst in der Kindheit, nie gehört hatte.
Überschäumend vor Glück schloss er den Freund in die Arme. „Das Moony, wird mein neuer Patronus."
Remus schluckte, während noch immer die Freude in seinen Augen tanzte. „Und meiner erst", flüsterte er.
Sacht zog Sirius den Freund auf einen Stuhl. „Erzähl mir alles."
Am Ende seiner Erzählung hatte Sirius Black einen neuen Helden. Merlin, Godric Gryffindor, Dumbledore, sie alle konnten einpacken.

Denn der Nachtheiler von St. Mungo hatte seinen besten Freund geheilt.

Und Sirius würde ihm das nie vergessen.

Und dann... dann hatte Remus den besagten Artikel hervorgezogen.

XXX

Von Außen mochte der Gemeinschaftsraum der Slytherin so aussehen wie eh und je. Aber das täuschte. Denn in einem Winkel, nahe des Kamins, wurde Kriegsrat gehalten. Harry war nicht da und so konnten die verbliebenen Slytherin die Zeit nutzen, um die Köpfe zusammenzustecken. Vor wenigen Monaten hätte sich ein unbeteiligter Beobachter vielleicht noch gewundert, alle Slytherin der ersten Jahrgansstufe kameradschaftlich die Köpfe zusammenstecken zu sehen. Aber in dieser Zeit konnte sich viel verändern und ein gemeinsames Geheimnis schweißte zusammen.
"Also, was wissen wir über ihn?", fragte Draco, nicht willens, sich das Ruder aus der Hand reißen zu lassen.
Pansy seufzte theatralisch. "Er ist intelligent, gerissen, gutaussehend" Während sie das sagte, wichen ihre Augen keinen Moment von Dracos Gesicht.
Sie wurde nicht enttäuscht. Sowohl Draco, als auch Daphne, warfen ihr einen bösen Blick zu.
Tracey Davis rückte ihre Brille zurecht. "Zumindest können wir feststellen, dass er viel weiß. Deutlich mehr, als er wissen sollte." Sie warf Millicent Bullstrode einen fragenden Blick zu. Die Angesprochene nickte. "Er hat mit uns in der Bibliothek über Zauberer und magische Wesen gesprochen. Darüber, dass es keinen Unterschied macht, als was man geboren wurde."
Tracy nickte bestätigend. "Als wir ihn gefragt haben, woher er das wusste, meinte er nur, dass er es mit eigenen Augen gesehen hätte...nicht, dass das möglich wäre, oder?" Sie warf einen fragenden Blick in die Runde.
Pansy legte einen Finger an ihr Kinn. "Dazu würde passen, dass seine Manieren selbst für einen Reinblüter beinah antiquiert wirken." Kichernd wandte sie sich an Draco. "Ich weiß noch, wie er dich am Anfang des Schuljahrs als junger Herr Malfoy bezeichnet hat."
"Mir hat er gesagt, er wäre zu alt für mich", schnaubte Daphne. Die Entrüstung über die Abfuhr, die sie erhalten hatte, war ihr noch immer anzumerken.
"Ich kann nicht fassen, dass du gefragt hast", murmelte Blaise kleinlaut. "Ich habe mich so sehr angestrengt."
"Und ich habe das sehr zu schätzen gewusst", gestand ihm Daphne zu. "Aber darum geht es nicht. In dem Moment, als er mir das gesagt hat, habe ich es ihm geglaubt." Sie runzelte die Stirn. "Er wirkt manchmal so...reif."
"Er wirkt erwachsen", korrigierte Malfoy. "Eher wie ein Lehrer, als wie ein Schüler."
"Du musst es ja wissen", sagte Blaise schadenfroh. "Du hast diese Seite von ihm am meisten abbekommen."
"Halt den Mund", murmelte der blonde Junge verlegen.
Blaise fuhr unbekümmert fort. "Als ich ihm nachts gefolgt bin, hat er mich durch halb Hogwarts schleichen lassen. Dann hat er mir gesagt, dass er mich längst bemerkt habe und mir erklärt, wie ich es besser machen kann."
"Was hat er da nachts eigentlich gemacht?", wollte Daphne wissen.
Blaise zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Laut seinen Angaben sucht er nach Geheimgängen. Ich habe ihn einmal dabei beobachtet. Er ist langsam mit der Hand an den Wänden entlang gestriffen. Zwischendurch ist er immer wieder stehen geblieben und hat etwas vor sich hingemurmelt."
"Das klingt als hätte er wirklich nach Geheimgängen gesucht", schloss Daphne enttäuscht.
Tracey blickte nachdenklich. "Die Schutzzauber von Hogwarts sollen in den Wänden verankert sein."
"Na und?", fragte Blaise. "Was willst du damit sagen?"
"Gar nichts", sagte Tracey. "Erstmal ist es nur eine Feststellung." Sie warf Theodore einen Blick zu. "Wie dass er jedes Mal die Nacht über verschwunden war, wenn der Nachtheiler in St. Mungo war."
Der Angesprochene nickte. "Das ist doch schon komisch, oder? Und dann ist da seine Begabung in Zaubertränke. Selbst Professor Snape braut nicht wie er."
Blaise blickte nachdenklich. "Er hat nie abgestritten, dass er derjenige war, der das Schutzschild in der großen Halle erzeugt hat, als der Basilisk angegriffen hat."
Verlegen blickte Malfoy zu Boden. "Einmal als ich Neville geärgert habe, hat er mir einen Beinklammerfluch auf den Hals gehetzt. Wortlos."
"Er ist ein Parselmund", fuhr Daphne fort. "Er war nicht überrascht, Halloween einen Basiliken anzutreffen. Er hat die gesamte Schülerschaft geschützt, als hätte er genau gewusst, was kommen würde."
Mit einem Mal aufgeregt hob Theodore eine Hand und begann langsam abzuzählen. "Welchen mächtigen Zauberer kennen wir, der so weit aus der Vergangenheit stammt, dass seine Manieren antiquiert wirken? Der noch erlebt hat, dass der Umgang mit magischen Wesen ein anderer war? Der sogar noch etwas über die alten Schutzzauber wissen könnte?" Er schluckte. "Der ein Meister der dunklen Magie, der Tränkekunst und zudem ein Parselmund ist?"
Die Kinder blickten sich an. Die Erkenntnis weitete ihre Augen und trieb das Blut aus ihren Gesichtern.

Keiner traute sich den Gedanken auszusprechen.

Doch in diesem Moment wussten sie es alle.

Harry Potter war die Wiedergeburt von Salazar Slytherin.

XXX

Es war ein guter Abend für eine Jagd. Das Laub war wieder dicht genug, um die Zentauren vor den Blicken ihrer Beute zu schützen. Die Luft war kühl und still und würde ihre Präsenz erst dann enthüllen, wenn es zu spät war. Firenze beobachtete, wie sich die Jäger der Herde bereit machten, wie Bögen gespannt und Köcher umgelegt wurden. Zufrieden leckte er sich über die Lippen. Er war sich sicher, heute Abend stand ihnen reiche Beute bevor.
Dann trat ein Junge aus dem Unterholz hervor. Die Zentauren verfügten über gute Sinne und doch hatte ihn niemand kommen gehört.
Sofort war er das Ziel jedes Bogens dieser Lichtung. Doch den blonden Junge schien das nicht besonders zu beeindrucken. Ruhig blickte er der Herde entgegen. "Ich grüße euch. Mein Name ist Godric Gryffindor. Ich wurde von dem Zentauren Firenze zur Jagd geladen."
Geflüster brandete durch das Lager und Firenze fühlte die Blicke seiner Herde auf sich ruhen. Doch er selbst ließ den Neuankömmling nicht aus den Augen. Er war es tatsächlich. Firenze hatte ihn schon bei ihrer letzten Begegnung erkannt. Doch nun war es nicht mehr zu leugnen. Die Haltung des Jungen war gerade und selbstbewusst, seine Augen zeugten von Wissen, das weit über seine Jahre hinaus ging. Bogen und Köcher lehnten lässig über seiner Schulter. Als wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, streifte er in diesem Moment den Bogen von der Schulter, um damit einen traditionellen Gruß in Richtung der Jäger auszuführen.
Firenze neigte den Kopf. "Es ist mir eine Ehre, Sir Gryffindor."
Die Zentauren zögerten nur kurz. Dann erhoben sie Bögen und Speere um den Gruß des Ritters zu erwidern.
Und dann konnte die Jagd beginnen.

Als sie später gemeinsam am Feuer saßen und das erjagte Wildschwein verspeisten, wandte sich Firenze an den Jungen, der die Wiedergeburt von Godric Gryffindor war.
"Ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie nur aufgrund der Jagd unsere Gesellschaft gesucht hätten. Sir Gryffindor. Doch ich denke, dass noch mehr dahinter steckt."
Der Ritter nickte. "Du hast Recht, Firenze. Ich möchte euch um die Erlaubnis bitten, im verbotenen Wald ein Ritual abzuhalten."
Firenze zog die Augenbrauen hoch. "Ihr fragt uns um Erlaubnis?"
Ernst erwiderte der Gründer Gryffindors seinen fragenden Blick. "Ihr seid die Wächter dieses Waldes. Es ist nur recht und billig, eure Zustimmung einzuholen. Es gibt noch andere Orte, die wir wählen könnten. Doch die Präsenz von Leben und Magie wird die heilenden Kräfte verstärken, die ich anrufen werde." Seine Augen funkelten entschlossen. "Es geht um die Bekämpfung dessen, der sich Lord Voldemort nennt."
Mit klackenden Hufen erhob sich Firenze und blickte durch die Gesichter der Herde. "Auf einem jeden sah er Entschlossenheit und Zuspruch."
Er neigte den Kopf. "Ihr habt unsere Erlaubnis."
Der Gründer Gryffindors erhob sich feierlich. "Ich danke euch. Eure Unterstützung wird es möglich machen, Voldemort zu bekämpfen. Doch erfrage ich noch mehr von euch. Vor tausend Jahren bestand ein Pakt zwischen den Zentauren und den Bewohnern von Hogwarts. Im Falle eines Angriffes verpflichteten wir uns einst, dem anderen beizustehen. Seid ihr gewillt, diesen Pakt zu erneuern?"
Firenze spürte, wie sich sein Körper versteifte. "Ihr befürchtet einen Angriff des dunklen Lords?"
"In Hogwarts gibt es etwas, dass er unbedingt in seinen Besitz bringen möchte. Ich möchte nicht ausschließen, dass er beschließt, es sich mit Gewalt zu nehmen."
Diesmal zögerten die Zentauren. Nervös scharrten Hufe über den Boden, während Augen aus dutzenden von Gesichtern suchend zu den Sternen blickten.
Schließlich durchbrach die Stimme des Leithengstes die Stille. "Zieht ihr gegen den dunklen Lord, dann kämpfen die Zentauren an eurer Seite."

XXX

Ein leiser Wind wisperte in den Zweigen und trieb das Laub vor sich her. Salazar fröstelte in der weißen Tunika, die er trug. Erst nach dem Ritual würde er einen Wärmezauber auf sich sprechen können. Vorher war das Risiko zu groß, dass der Zauber mit dem Ritual kollidierte. Bei einem Ritual, das sie beide in gemeinsamer Arbeit frisch erdacht hatten, galt es, zusätzliche Risiken zu vermeiden.
Besorgt glitt Godrics Blick über die fröstelnde Gestalt seines Bruders. "Bist du sicher?", fragte er.
Salazar zog eine Augenbraue hoch. "Habe ich eine Wahl?", fragte er rhetorisch.
Die Wahrheit war, dass es eine weitere Möglichkeit gegeben hätte. Wenn sich Salazar von Voldemort töten ließ und bereitwillig für andere sein Leben gab, dann war es sehr wahrscheinlich, dass Voldemorts Todesfluch anstelle von Salazars Leben seinen eigenen Horkrux vernichten würde. Wenn Salazar sämtlichen Widerstand aufgab, wäre das größte Hindernis, auf das der Todesfluch treffen würde, Voldemorts Horkrux. Die Seelenfragmente waren immerhin mit einem beeindruckenden Überlebenswillen ausgestattet. Und die selbstlose Tat an sich würde durchaus dazu in der Lage sein, den Hokrux nicht nur zu zerstören, sondern auch zu läutern. Soweit zur Theorie. Allerdings wusste Salazar nun, was er tun musste, um dieses Problem anzugehen, also konnte das ganze Unterfangen nicht mehr als vollkommen uneigennützig gelten und war damit zum Scheitern verurteilt. Was blieb, war ein abgewandeltes Ritual, das den Horkrux hoffentlich sauber von Salazars Seele trennen und läutern würde.
"Bist du dir sicher?", fragte Godric zum wiederholten Mal. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Und mit Seelen zu experimentieren war etwas, dass man möglichst unterlassen und nie auf die leichte Schulter nehmen sollte.
Salazars Blick traf den Seinen. "Ich vertraue dir."
Godric wünschte, er hätte dieses Vertrauen in sich selbst. Seine Magie war starr, ungeübt und besaß das Fassungsvermögen eines Erstklässlers. Bei allen Wesen der Anderswelt, er war ein Erstklässler! Auch wenn seine Magie für den gewünschten Effekt ausreichen müsste, würde er wenig Kraft und Flexibilität übrig behalten, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können.
Aber es stimmte. Voldemorts Horkrux musste fort aus der Seele seines Bruders. Und sie beide waren die letzten lebenden Zauberer, die über das Wissen verfügten, ein solches Ritual zu zelebrieren. Mit Gewalt traten Bilder aus längst vergangenen Zeiten vor seine Augen. Salazar, kalt und unbeweglich am Boden. Mit Augen, die sich niemals mehr öffnen würden...hastig kämpfte er die Bilder fort. Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Salazars Leben, seine Seele, hing an seiner Konzentration und seinen Fähigkeiten. Er durfte ihn nicht enttäuschen! Wenn er nur nicht so entsetzliche Angst gehabt hätte, seinen Bruder erneut zu verlieren...
Salazar schien seine Angst zu spüren, denn seine Hände legten sich beruhigend auf seine Schultern. "Denke daran. Selbst wenn etwas schief geht, ich hätte gewollt, dass du es tust."
Godric nickte. Die Hände seines Bruders waren kalt. Er musste hier draußen erbärmlich frieren. Der Sommer mochte herannahen, doch die Nächte waren noch immer kalt. Sie mussten es schnell hinter sich bringen. Es gab keinen Grund, was geschehen musste, noch länger aufzuschieben. "Leg dich in den Ritualkreis" ,sagte Godric ruhig. Seine Ängste verbannte er in den hintersten Winkel seines Geistes.

Er hatte ein Ritual durchzuführen.

Salazar tat, wie ihm geheißen und die Runen, die ihn umgaben, flammten auf. Mit präzisen Worten und klarer Stimme begann Godric, sich durch die Worte des Rituals zu sprechen. Nach und nach aktivierte er die einzelnen Runen, beschwor ihre heilenden und schützenden Kräfte. Als die dritte Rune aufleuchtete, verzerrten sich Salazars Gesichtszüge. Das war gar nicht gut. Wenn es ihnen gelang, Voldemorts Seelenfragment sauber zu lösen, sollte Salazar, bis zu einem kurzen Ruck am Ende, gar nichts spüren. Dass er jetzt, am Anfang des Rituals, bereits Schmerzen litt, konnte nur bedeuten, dass sie etwas vergessen hatten. Nur was? Jetzt war es zu spät, um sich darum zu kümmern. Godric konnte das Ritual nicht mehr abbrechen. Ließe er los, würde sich die Kraft der aktivierten Runen wild und ungebündelt auf Salazar stürzen. Er musste weiter machen. Als die vierte Rune aufleuchtete, ballten sich Salazars Hände zu Fäusten. Er zitterte am ganzen Körper und Godric war sich sicher, dass es nicht mehr aus Kälte geschah. Seine Magie war viel zu roh, viel zu ungefestigt. Dennoch gelang es ihm, unter Anstrengung, einen Strang davon zu lösen und in den Geist seines Bruders zu blicken. Das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn erschauern. Salazar hatte seinen Geist von dem Horkrux abgeschirmt. Aber an einer Stelle war seine Verteidigung unvollkommen. Godric besah sich die Stelle genauer und Erinnerungen von Savertin zogen an seinem inneren Auge vorüber. Er hörte ein Kinderlachen, sah einen Vierjährigen mit plumpen Beinen auf seinen Vater zusteuern. Er sah einen Elfjährigen, der glühend vor Stolz vom sprechenden Hut in das Haus seines Vaters geschickt wurde. Er sah einen freundlichen, jungen Mann, hilfsbereit und
intelligent.

Er sah den Stolz und die Liebe eines Vaters.

Die Erkenntnis traf Godric mit der Härte eines Schwerts. Ein Teil von Salazar wollte das Seelenfragment seines Sohnes nicht loslassen, gleichgültig wie vergiftet und verderbt es sein mochte. Womöglich war es nur ein kurzer Moment der Schwäche gewesen, doch der Horkrux hatte sie genutzt, um Salazars Verteidigung zu umgehen. Er war nicht mehr zusammengepfercht und abgeschirmt in einem entlegenen Winkel von Salazars Geist. Er klebte an den Erinnerungen seines Bruders.
Dort wo die Erinnerungen jenen des Horkuxes ähnelten, hatten sie eine Einheit gebildet. Erinnerungen von Hogwarts, von Kämpfen, von Gesprächen wurden durch das Eindringen des Horkrux verändert und vergiftet. Wenn Godric dem nicht Einhalt Gebot, würde Salazar entweder keine Erinnerung mehr besitzen, wenn er erwachte, oder Voldemort hätte seine Persönlichkeit vergiftet.
Entschlossenheit spülte über Godric hinweg. Mit ruhiger Hand griff er in den Geist seines Bruders und sprach zu ihm in der Gedankensprache, die sie bereits so viele Jahre teilten.
"Du musst loslassen, Bruder", sagte er eindringlich. "Er vergiftet deinen Geist."
Salazars Stimme war zwar verwaschen, aber deutlich zu hören. Das hieß, dass sein Geist noch ihm gehörte. Noch.
"Er ist an so vielen Stellen. Ich kann nicht."
"Du musst. Ich werde dich nicht nochmal verlieren."
"Das tust du nicht. Mach mit dem Ritual weiter, Godric. Er darf keine Macht über mich gewinnen!"

"Wenn du deine Erinnerungen verlierst, ist es, als würde ich dich verlieren."
"Ich bin lieber ein gewöhnlicher Elfjähriger als eine Marionette Voldemorts."
"Du wirst niemals gewöhnlich sein"
, sagte Godric sanft.

Er wusste was getan werden musste.

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt