Ein Fehler aus Unwissenheit

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Wenig später stand Salazar mit Dumbledore wieder in der Eingangshalle von Gringotts und blinzelte ob der plötzlichen Helligkeit. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Ragnuk zu seinen Kollegen huschte und leise Worte gewechselt wurden. Er spürte, wie sich immer mehr Augenpaare auf ihn richteten und gab sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen.
Mit großen Schritten kam Onkel Vernon auf ihn zu. "Und, Bursche, wie viel ist es?", fragte er gespannt. Das zumindest half dabei, sowohl Dumbledore als auch ihn selbst abzulenken.
Ehe Salazar antworten konnte, lächelte der Schulleiter seinem Onkel zu. "Wie schön, dass Sie sich so über das Vermögen Ihres NeffenI freuen, Mr. Dursley", sagte er bestimmt. Die Art, wie Dumbledore die Worte betonte, ließ Vernon zögern. Dann zwinkerte der silberhaarige Mann Salazar zu. „Aber ich denke, es wird für das erste reichen, was meinst du, Harry?"
„Das meine ich nicht", sagte Vernon zähneknirschend. „Ich ... ich hätte nur nicht gedacht, dass dieser Potter arbeitet ... dass er tatsächlich ein Vermögen aufgebaut hat ..." In seinen Augen lag widerwillige Anerkennung.
„James Potter entstammte einer reichen und angesehenen Familie", antwortete Dumbledore sanft. „Genau wie Lily Potter war er ein Auror. Das ist in etwa vergleichbar mit Ihren Polizisten."
Vernon blickte Salazar an. Er schien um Worte zu kämpfen, während er eine unbeholfene Hand auf Harrys Schulter legte. „Ich ..." Er räusperte sich.
"Gehen wir?", fragte Dudley ungeduldig. "Ich will Eis! Und Süßigkeiten!" Und schon lief er voraus ins Sonnenlicht. Dankbar für die Ablenkung, ergriff Vernon Petunias Arm und folgte seinem Sohn nach draußen. Dumbledore und Salazar tauschten einen belustigten Blick, dann folgten sie den Dursleys hinaus aus der Zaubererbank.

Dudley kam nicht sofort zu seinen Süßigkeiten. Salazar versank in Flourish und Blotts zwischen Stapeln an Büchern und kaufte neben seinen Schulbüchern auch diverse Werke, die ihn über die Geschichte und Innovationen der magischen Welt aufklären würden. Dumbledore beobachtete ihn bei seiner Jagd nach Schätzen mit funkelnden Augen und legte selbst noch einige Bücher auf Salazars immer höher wachsenden Stapel. Mit großem Bedauern gestand sich Salazar ein, dass er weiterführende Werke über die Kunst der Zaubertränke, sowie hochgradig wissenschaftliche Literatur über die Zauberkunst nicht mitnehmen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Doch auch so waren es genug Bücher, um ihn bis zum Schulanfang beschäftigt zu halten.
Bei Madame Maltkins ließ er sich Schuluniformen anfertigen, er kaufte einen Kessel und fand ein schönes, ausziehbares Teleskop.
Dudley war vollkommen begeistert. Staunend stand er vor singenden Kesseln, Schimpfwörter kreischenden Papiermännchen und selbstbackenden Kuchen. Petunia gab nach und nach ihre Vorsicht auf und schaute mit leuchtenden Augen um sich, die an das Mädchen erinnerten, das sie vor langer Zeit einmal gewesen sein mochte. Selbst Vernon kam kein weiteres böses Wort über die Lippen und er blickte sich um mit widerwilligem Staunen.
Salazars Herz klopfte höher, als sie die Apotheke betraten. Unzählige Rezepte, Pläne und Ideen schwirrten ihm durch den Kopf, als er seinen Blick durch die feilgebotenen Zutaten wandern ließ.
Ein vornehm aussehender Zauberer mit langem, hellblonden Haar stand an der Seite eines blassen Jungen mit spitzem Gesicht, der nur sein Sohn sein konnte.
Die Apothekerin reichte dem Mann ein sorgfältig verpacktes Päckchen. "Einhornblut, freiwillig gegeben. Bitteschön, Lord Malfoy."
Einhornblut? Salazar horchte auf. Es gab kaum eine so kostbare Substanz wie Einhornblut. Sie war nur vergleichbar mit Basiliskenaugen und Phönixtränen. Wenn das Blut freiwillig gegeben wurde, verlor es seine verfluchten Eigenschaften. Einhornblut galt als lebenspendendes, extrem potentes Heilmittel.
Umsichtig ließ der Mann das Päckchen in der Tasche seines Mantels verschwinden. Sein Sohn trat währenddessen gelangweilt von einem Fuß auf den anderen. "Bist du bald fertig, Vater? Ich will einen Besen!", maulte er.
Salazar seufzte innerlich. Scheinbar gab es auch in diesem Zeitalter Kinder von Zauberern, die so verzogen waren wie Dudley. In dem Moment trat Dumbledore vor und streckte die Hand aus. "Ah, Lucius, wie schön, Sie hier anzutreffen."
Die Augen von Lord Malfoy verengten sich. "Albus Dumbledore. Was für ein Zufall. Sagen Sie bloß, der Schulleiter von Hogwarts verlässt seine heiligen Hallen?"
Der Spott in der kalten Stimme war nicht zu überhören.
"Aber natürlich", sagte Dumbledore vergnügt, ohne auf die Beleidigung einzugehen. "Ein bisschen Bewegung tut den Beinen gut, nicht wahr?"
"Gewiss", sagte Malfoy Senior gedehnt. "Komm, Draco, wir gehen."
Der Junge warf einen abschätzigen Blick auf Harry, blickte dann zu Dudley, der beide Hände tief in einer Schale Käferaugen versenkt hatte, zog die Nase kraus und folgte seinem Vater.

Salazar betete, dass der Junge nicht in Slytherin landen würde.

Mit deutlich getrübterer Stimmung kaufte er seine Zaubertrankzutaten. Er nahm war, dass auch Dumbledore abwesend wirkte. Scheinbar war es nicht üblich für Lucius Malfoy, teure und ungewöhnliche Zutaten in der Winkelgasse zu besorgen.

Dann entdeckte Dudley die Eisdiele und es gab kein Halten mehr.

Salazar folgte nicht gleich. Die Auslage in einem Geschäft namens „Qualität für Quidditch" nahm ihn gefangen.
Ein einzelner, etwas dicklicher Junge stand einsam vor dem Schaufenster. Blondes Haar ringelte sich ihm ins Gesicht, während haselnussbraune Augen etwas verloren über die angepriesenen Besen huschten. In seinen Händen hielt er eine Pflanze in einem Blumentopf, die er an sich drückte, als wäre sie unwahrscheinlich wertvoll. Da war etwas in dem Ausdruck des Jungen, das Salazar dazu bewog, ihn anzusprechen. "Irgendetwas sagt mir, dass du keinen Besen kaufen möchtest."
Der Junge blickte für einen Moment zu ihm auf und seine Wangen färbten sich rot. "Äh ... nein. Ich ... ich habe es nicht so mit Besen."
"Dann hast du dir ein seltsames Schaufenster ausgesucht", stellte Salazar belustigt fest, während er seinen Blick über die Auslage wandern ließ. Die Besen hatten sich seit seiner Zeit drastisch verbessert. Die Form hatte sich dem menschlichen Körperbau angepasst und das Holz schimmerte wie frisch poliert. Wenn er die Gelegenheit bekam, würde der wiedergeborene Zauberer durchaus noch einmal einen Flugversuch in Erwägung ziehen.
Verlegen scharrte der fremde Junge mit den Füßen. "Meine Großmutter hatte etwas in Gringotts zu erledigen. Sie meinte, ich soll hier warten." Er seufzte. "Mein Vater war ein Talent auf einem Besen. Ich denke, sie hofft ..." Seine Stimme erstarb und er blickte traurig zu Boden.
"Was ist das für eine Pflanze?", fragte er, um den Jungen von seinen Gedanken abzulenken.
"Oh!", rief der Blondhaarige und seine Miene hellte sich auf. "Das ist ein Schlafbohnenstrauch. Meine Großmutter hat Probleme einzuschlafen. Wenn ich es schaffe, einen Strauch anzuziehen und bei uns in den Garten zu pflanzen, dann kann sie sich abends einen Tee machen."
"Ach so. Entschuldige."" Verlegen lächelnd reichte er Harry die Hand. "Ich bin Neville Longbottom."
Salazar konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. "Harry Potter."
Neville wurde blass. "H-Harry Potter! Oh ... ich wusste nicht ..." Verlegen blickte er zu Boden. "I-ich halte dich bestimmt auf ... ich..."
In dem Moment hob Vernon die Hand und winkte Salazar ungeduldig näher. "Wo bleibst du, Bursche?"
Warm lächelte Salazar dem Jungen zu. "Es war schön, deine Bekanntschaft zu machen, Neville."
Die Ohren des Jungen färbten sich erneut rot.
Mit einem Stich des Bedauerns löste er sich von dem fürsorglichen Jungen und holte seine Verwandten ein, bevor sie einen Tisch von Mr. Fortesces Eissalon besetzten.
Salazar ließ sich eine Kugel Haselnusseis mit Schokoladensplittern schmecken, während sich Dudley aufmachte, gleich drei Becher Eis zu bezwingen. Als er anschließend noch nach einem Pfannkuchen verlangte, fragte Dumbledore höflich, ob er mit Harry schon einmal einen Zauberstab besorgen könne.
Die Dursleys, gefangen in ihrer eigenen, kleinen Welt, nickten vage. Mit einem leisen Lächeln bemerkte Salazar, wie Vernon und Petunia ihre Vorsicht immer mehr ablegten und das Treiben um sie neugierig beobachteten. So kam es, dass Salazar allein mit Dumbledore vor einem verwitterten, düsteren Laden stand, in dessen Schaufenster ein einziger Zauberstab auf einem Kissen ruhte.
"Garrick Ollivander", sagte Dumbledore zufrieden. "Er ist einer der besten Zauberstabmacher Englands." Sie betraten das staubige Halbdunkel des Ladens und irgendwo in der Ferne läutete eine Glocke. Es waren bereits Kunden im Geschäft. Ein Mädchen mit braunen, buschigen Haaren hielt stolz einen Zauberstab in die Höhe und ihre Wangen leuchteten vor Begeisterung. Um sie herum standen ihre Eltern und applaudierten. "Was meinst du, Hermine?", fragte ihr Vater und legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter. "Sollen wir noch nach zuckerfreien Süßigkeiten schauen? Dann hast du etwas, was du mit deinen neuen Schulfreunden teilen kannst."
Das Mädchen bemühte sich um ein Lächeln. "Klingt ... toll, Dad." Dann fanden ihre braunen Augen Salazars und sie warf ihm einen neugierigen Blick zu. Doch schon hatten ihre Eltern sie aus dem Laden gezogen und die Tür fiel hinter ihnen zu. Plötzlich herrschte Stille im Raum. Die Magie, die in der Luft lag, konnte Salazar überdeutlich spüren. Der Name Ollivander war ihm bereits aus seiner Zeit vertraut. Und als der Inhaber aus dem Schatten der Regale trat, wirkten die großen, silberfarbenen Augen des alterslosen Mannes, als schlügen sie eine Brücke durch die Zeiten. "Albus Dumbledore", raunte der Mann. "Ulmenholz und Phönixfeder, 14 1/2 Zoll. Ich erinnere mich gut. Ich bin stolz, dass es dieser Zauberstab war, der Grindelwald besiegte" Der Blick seiner hellen Augen wurde durchdringend. "Aber das ist nicht der Stab, den Sie heutzutage verwenden, nicht wahr?"
Für einen Moment huschte ein undeutbarer Ausdruck über Dumbledores Gesicht. "Garrick", sagte er freundlich. "Wir kommen nicht wegen mir. Darf ich Ihnen Harry Potter vorstellen?"
Salazar machte sich eine Notiz angesichts des abrupten Themenwechsels und erwiderte für einen Augenblick den Blick des Zauberstabmachers. "Guten Tag, Sir", sagte er mit der Schüchternheit eines elfjährigen Jungen. Dann betrachtete er neugierig die Zauberstäbe, die sich noch von den letzten Kunden auf einem Stuhl mit Storchenbeinen stapelten. Er wusste noch immer nicht, wann oder warum die Verwendung von Zauberstäben eine solche Bedeutung erlangt hatte. Doch so, wie Ragnuk davon gesprochen hatte, waren sie mehr als Werkzeuge. Irgendwann im Laufe der Zeit waren Zauberstäbe Statussymbole geworden, die für eine privilegierte Gesellschaftsform standen. Ob sich auch das Handwerk so verbessert hatte, dass Zauberstäbe anderen Foki vorzuziehen waren, galt es herauszufinden.
"Ich glaube kaum. dass Sie in diesem Stapel etwas finden werden, Mister Potter", sagte Ollivander leise. "Es war die Auswahl für eine junge, talentierte Hexe. Ein Stab aus Weinrebenholz und Drachenherzfaser war es schließlich, der sie erwählte. Wahrhaft eine ungewöhnliche Mischung. Doch der Zauberstab sucht sich den Zauberer. So ist es nun einmal."
Neugierig legte Salazar die Hand auf den obersten der Zauberstäbe. Er bestand aus Walnussholz, wie er feststellte. Er ließ seine Magie hineinfließen und erkannte den Kern aus Einhornhaar. Das Holz leitete seine Magie gut, doch der Kern war zu hell und sensibel für die dunkleren Seiten seiner Magie. Vorsichtig baute er ein Schutzvehikel um das empfindliche Haar und der Stab begann in seiner Hand grüne Funken zu sprühen.
Ollivander gab einen überraschten Laut von sich. "Wie es scheint, habe ich mich geirrt ... was für ein Glücksfund ... ich hätte nicht gedacht ..."
Prüfend nahm Salazar den Zauberstab darunter zur Hand. Er war etwas größer und bestand aus Weißdornholz. Auch hier ließ Salazar seine Magie hinein sinken und traf auf einen Kern aus Drachenherzfaser. Das Holz war widersprüchlich und eignete sich sehr gut, um zu heilen und zu verfluchen. Damit traf es seine eigenen Tendenzen. Auch schien die Drachenherzfaser seiner dunkleren Magie standzuhalten. Es brauchte nur einige wenige Anpassungen und der Stab leuchtete in seinen Händen.
Salazar griff nach einem dritten Zauberstab. Er bestand aus Kirschholz und lag angenehm in seiner Hand. Kirschholz stand für tödliche Kraft, Selbstbeherrschung und große Geisteskraft. Es brauchte nur minimale Veränderungen in den Schwingungen seiner Magie um beides aufeinander abzugleichen. Auch hier passte sich die Drachenherzfaser nur zu gerne seinem Willen an. Im nächsten Moment schwebten goldene Funken, die an Kirschblüten erinnerten, durch den Raum. Wie aus weiter Ferne drang Ollivanders Stimme an sein Ohr. "Sie sehen mich erstaunt ... noch nie ... in all den Jahren ..."
Dumbledore blickte Salazar lange an. "Harry, versuche nicht den Fluss deiner Magie zu verändern, um dich den Stäben anzupassen. Die Stäbe müssen sich dir anpassen. Gib ihnen die Gelegenheit."
Fragend blickte Salazar auf. "Wenn ich mich nicht anpasse, funktionieren sie nicht so gut."
"In alten Quellen wird davon berichtet, dass es nicht immer so war", raunte Ollivander. "Von unseren Vorfahren heißt es, dass sie über die Macht verfügten, den Fluss ihrer Magie zu verändern. Auf diese Weise waren nicht nur Zauberstäbe in Gebrauch, sondern alle möglichen Arten von Gegenständen, die den Beteiligten dabei halfen, sich auf die Magie um sich zu besinnen." Seine silbernen Augen lagen aufmerksam auf Salazars Gesicht. "Scheinbar sind diese alten Kräfte nicht gänzlich verloren."
Salazar war entsetzt. Die Magie der heutigen Zauberer war so fest gefahren, dass sie nicht mehr auf ihre Umgebung einwirken konnten? Das hieß, sie waren von ihrem Zauberstab abhängig? Sie konnten nicht zaubern, ohne einen Stab zur Hand zu haben? Weil nur dieser in der Lage war, ihre Magie zu lenken? Der Gedanke erschien ihm wie ein Alptraum. All die neuen Entdeckungen des heutigen Tages erschienen klein und unscheinbar angesichts dieser erschreckenden Rückentwicklung. Und überhaupt, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Laden einen Zauberstab bot, der perfekt mit den Schwingungen seiner Magie harmonierte? In seiner Zeit war es üblich gewesen, dass Zauberer ihren Fokus nach Jahren des Selbststudiums und der Meditation anfertigten, um ein möglichst perfektes Leitmittel für ihre magischen Kräfte zu finden. Salazar hatte Jahre gebraucht, um die Hölzer aus Walnuss, Eiche und Eibe so in einem Zauberstab zu kombinieren, dass er mit dem Ergebnis zufrieden war. Bis zuletzt hatte er damit experimentiert, ob ein Kern aus Basiliskzähnen oder Imunischuppen für ihn geeigneter war. Zu erwarten, so einen perfekten Fokus einfach in einem Laden zu finden und zu kaufen, grenzte an Wahnsinn. Und noch schlimmer: Anscheinend hatte er sich durch sein Verhalten bereits verdächtig gemacht. Was, wenn die beiden nun glaubten, dass etwas mit ihm nicht stimmte? Es war definitiv zu früh um preiszugeben, dass in Harry Potter mehr Erinnerungen steckten, als in einem gewöhnlichen Elfjährigen. Salazar würde diese Trumpfkarte nicht leichtfertig verspielen, indem er sich den falschen Menschen anvertraute. Dafür wusste er viel zu wenig über die heutige magische Welt und hatte viel zu viele Feinde. Sein Plan hatte vorgesehen, zu beobachten und zu lernen. Er hoffte inständig, dass es dafür nicht längst zu spät war.

So ließ er sich nun auf ganz herkömmliche Weise von Ollivander einen Zauberstab nach dem anderen in die Hand geben. Diesmal verschloss er sich dem Instinkt, mit seiner Magie nach dem Stab zu greifen und schwang ihn auf Ollivanders Geheiß einfach ein wenig durch die Luft. Wie zu erwarten, geschah nichts. Der Stapel auf dem Stuhl wuchs und wuchs in ungeahnte Höhen.
"Das wird doch nichts", grummelte Salazar schließlich und hatte Mühe seine Ungeduld als die eines elfjährigen Jungen zu tarnen.
"Wir finden schon etwas", sagte Ollivander. "Irgendwo hier im Laden habe ich immer das Richtige."
Eine halbe Stunde später platze Salazar die Geduld. Er ließ seine Magie durch den gesamten Raum gleiten. Diesmal gab er sich dabei Mühe, sich nicht ihrer Struktur anzupassen. Er hatte bei weitem schon genug Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Überall wo er auf Zauberstäbe traf, ließ er einen Funken seiner Magie hineingleiten und prüfte, wo ihm die Verbindung am leichtesten fiel. Nach einer Weile spürte Salazar einen seltsamen Impuls von einem Zauberstab, der sich auf einem verstaubten Regal weit im Ladesinnern befand.
Kurzentschlossen deutete Salazar fragend in die Richtung. „Welche Zauberstäbe lagern in diesem Bereich, Sir?"
Über das Gesicht des Zauberstabmachers huschte ein nachdenklicher Ausdruck. „Dort lagern besonders seltene Exemplare ... ich frage mich ... nun ... warum eigentlich nicht ...?"
Ollivander verschwand zwischen den Regalen und kehrte nach einer Weile mit einer Schachtel in den Händen zurück. Salazar spürte, wie eine Präsenz nach seiner eigenen Magie tastete. Es war kein unangenehmes Gefühl. Eher wie ein sanfter Wind, der durch sein Haar fuhr. Der Ursprung dieser Magie war eindeutig die Schachtel in Ollivanders Händen. Als der Verkäufer die Schachtel öffnete und Salazar den Zauberstab darin reichte, rieselte ein wahrer Regen aus Funken auf sie herab. Aber noch bemerkenswerter war das Gefühl einer Präsenz, die sich nahtlos mit seiner eigenen Aura verband. Salazar war verwirrt. Der Stab passte nicht besser zu ihm als der aus Kirsch- oder Walnussholz.
"Stechpalme und Phönixfeder", raunte Ollivander. 11 Zoll, federnd. "Seltsam ... und dann doch wieder nicht ..." Er und Dumbledore tauschten einen vielsagenden Blick.
Salazar hatte ein ungutes Gefühl. „Was genau meinen Sie?", fragte er die beiden Zauberer.
Ollivander trat näher und strich mit dem Finger über Salazars Stirn. „Das Gegenstück ... der Bruder dieses Stabes hat ihnen Ihre Narbe zugefügt, Mr. Potter."
Salazar umfasste den Stab aus Stechpalme. Wie um jeden Zweifel zu zerstreuen, ließ der Zauberstab noch einmal einen Wirbel aus Funken durch den Laden schweben. Salazar betrachtete ihn misstrauisch. Stechpalme war gut geeignet um heiße Gemüter zu kühlen. Sein jüngerer Sohn, der das hitzige Temperament seines Großvaters geerbt hatte, hatte einen Fokus aus Stechpalmenholz besessen. Salazar jedoch war kein Heißsporn. Gewiss, er war nicht gefühllos und er würde einen Stab aus Stechpalme gewiss zu schätzen wissen, wenn er die Pubertät ein weiteres Mal durchlaufen musste, aber ansonsten? Wenn er eine Liste von Hölzern erstellen sollte, die für seine Magie besonders geeignet waren, dann wäre Stechpalme nicht unter den ersten zehn gewesen. Und dann dazu die Phönixfeder ...Selbstaufopferung und große Ziele mochten durchaus zu ihm passen, doch er schätzte nicht die selbständige Art, die diesem Kern zu eigen war. Salazar war niemand, der wollte, dass sein Zauberstab auch ohne seinen Willen handelte.
Also war es wirklich die Verbindung zu Voldemort, die den Stab mit Salazars Magie reagieren ließ? Was sollte das bedeuten?
Als wäre dieser Gedanke eine Herausforderung, blies ihm der Zauberstab eine weitere Fuhre roter Funken ins Gesicht. Nein, dieser Zauberstab war alles andere als ein idealer Begleiter für ihn. Salazar hatte mit Foki gearbeitet, die weitaus besser zu ihm passten, als dieser wankelmütige Stab. Aber in einem schien Ollivander recht zu behalten. In dieser Zeit suchte sich der Zauberstab den Zauberer ...wie auch immer das funktionierte. Ein weiteres Phänomen, das er dringend nachschlagen musste.
Der Zauberstabmacher beugte sich vor, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. „Woher haben Sie diese Fähigkeit, Mr. Potter? Wie ist es möglich, dass sie Ihre Magie so beeinflussen können?"
Salazar wusste, er hatte sich durch seine Unwissenheit bereits zu tief in etwas hineingewagt, das in diesem Zeitalter eigentlich nicht möglich sein wollte. Es war zu spät für einen Rückzieher. Während Ollivander ihn aus seinen silbernen Augen anstarrte, spürte er Dumbledores aufmerksamen Blick in seinem Rücken. „Ich habe geübt", sagte er schließlich. „Um mich her sind manchmal seltsame Dinge passiert. Also habe ich versucht, bewusst Einfluss zu nehmen. Es hat geholfen, der Magie um mich her nachzuspüren, um Dinge um mich herum zu verändern." Verlegen strich er sich durch das Haar.
Wieder tauchten die beiden weißhaarigen Männer einen langen Blick.
Was sollte das? So brachte man jedem Kind bei, mit Magie umzugehen! Er war vielleicht ein wenig früh dran, mit seinen elf Jahren, aber es war keineswegs eine so imposante Tat, um deswegen einen Aufstand zu machen! Was war mit den Zauberern dieser Zeit los?
Er zahlte sechs Galeonen und verließ mit Dumbledore den Laden. Der Blick, dem Dumbledore ihm über die Gläser seiner Halbmondbrille zuwarf, gefiel ihm ganz und gar nicht.

XXX

Der Abend dämmerte bereits, als Neville und seine Großmutter, vollgepackt mit Taschen ein ganz bestimmtes Zimmer im St. Mungo's Hospital betraten.
Wie immer an der Tür holte Neville tief Luft, wappnete sich für den Anblick, der ihn erwarten würde und setzte dann ein fröhliches Lächeln auf. Bei seiner Großmutter bewirkten die Besuche das Gegenteil. In Gegenwart seiner Eltern wirkte die sonst so resolute Frau alt und verletzlich. Neville bot ihr den Arm an und Augusta nahm dankend an, sich auf der anderen Seite schwer auf einen alten Schirm stützend. Die letzten Strahlen Sonnenlicht fielen in den Raum, tauchten die sonst weißen Krankenhauswände in ein schattiges Dämmergrau. Seine Eltern saßen am Fenster. Die beiden Stühle, von denen sie hinaus in den Park mit seinen Wasserspielen sehen konnten, schienen ihnen am besten zu gefallen. Die Pfleger behaupteten, dass in den beiden zu wenig ihrer ursprünglichen Persönlichkeit zurückgeblieben war, um an irgendetwas Freude zu empfinden. Aber irgendeinen Grund mussten sie doch haben, um immer wieder diesen Platz zu wählen, nicht wahr?
„Hallo, Mum, hallo Dad", sagte Neville leise.
Es gab keine Reaktion, kein Erkennen in ihren Gesichtern. Aber das war Neville gewohnt. Er trat zu den beiden Menschen hin, von denen er wusste, dass sie seine Eltern waren und berührte sie sacht an der Schulter.
„Ihr fragt euch bestimmt, warum ich so voll bepackt bin, oder?", fragte er lächelnd und ließ seine Taschen und Tüten mit einem Ächzen zu Boden gleiten. „Gran und ich waren in der Winkelgasse, wisst ihr? Wir haben alles mögliche gekauft, was ich für Hogwarts brauche."
Nacheinander holte er seine Schulsachen hervor. Die Schlafbohne stellte er ordentlich auf die Fensterbank. Die Schulrobe, das Teleskop, den Kessel, alles gab er nach und nach in die Hände seiner Eltern und beobachte, wie sie mit den Fingern der Lackierung des Kessels entlangfuhren oder sie durch den Stoff der Schulrobe gleiten ließen. Manchmal glaubte Neville, dass es ihnen gut tat, Dinge zu berühren. Dass sie dann für einen Augenblick den Eindruck hatten, dass dieser Mensch, oder dieser Gegenstand tatsächlich existierte. Als wären sie blind und tasteten sich durch eine Welt, die sie nicht verstanden. Neville spürte, wie sein Lächeln schwand und kämpfte es mit aller Kraft zurück auf sein Gesicht. „Wisst ihr", sagte er leise, „das heißt, dass ich nach heute eine Weile nicht mehr kommen werde. Gran und ich, wir besuchen euch das nächste Mal Weihnachten zusammen."
Seine Eltern reagierten nicht auf seine Worte. Das taten sie nie. Aber manchmal glaubte Neville, dass es sie beruhigte, wenn er mit ihnen sprach. „Ich habe euch etwas mitgebracht", fuhr er fort und griff ein weiteres Mal in seine Tasche. Er holte einen Bildband heraus, den er bei Flourish und Blotts gekauft hatte. Auf dem Einband schlugen schäumende Wellen gegen eine felsige Küste. „Das sind Bilder vom Meer, aber auch von Flüssen und Seen in ganz Britannien", erklärte Neville und schlug das Buch für seine Eltern auf. Die Augen der Erwachsenen weiteten sich vor Staunen. Glücklich beobachtete Neville, wie die Hände seiner Eltern über die Seiten glitten, als wollten sie nach den Wogen fassen. „Es freut mich, dass es euch gefällt", sagte Neville. „Ihr schaut hier im Zimmer immer auf das Wasser hinunter, ich dachte, das muss etwas bedeuten. Und die Bilder sind wirklich schön." Langsam schlug er eine Seite nach der anderen auf, zeigte seinen Eltern karge Bergflüsse und idyllische Seenplatten. Nach und nach ließ das Licht nach, warf ein ganz eigenes Meer aus Blautönen in das Zimmer. „Ich fühle mich am Wasser auch wohl", meinte Neville leise. „Es fließt in einem ewigen Kreislauf. Egal, ob es verdunstet, oder ins Meer fließt, es geht nie verloren ... es ändert nur seinen Zustand."
Nevilles Worte fielen wie Tropfen in die Stille. Dann schluchzte Augusta auf. „Entschuldigung", sagte die alte Dame und schnäuzte manierlich in ein Taschentuch. „Du bist so viel besser darin als ich. Das gehört zu den Dingen, die du mir voraus hast." Sie erhob sich, griff abermals schwer nach ihrem Regenschirm. Neville umarmte seine Eltern vorsichtig zum Abschied
„Ich passe auf mich auf, versprochen. Und Ich denke an euch. Bis Weihnachten dann."
Frank und Alice Longbottom blickten nicht auf, als Augusta und Neville den Raum verließen. Surrend sprang die Deckenbeleuchtung an und vertrieb die nachtblaue Stille.

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt