Eine lang verdiente Pension

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„Guten Abend, Professor."
Cuthbert Binns war verwirrt. Er war ehrlich verwirrt. Niemand besuchte ihn in seinem Arbeitszimmer. Kein Lehrer und ganz bestimmt kein Schüler. Und dennoch stand dort dieser Junge mit verwuscheltem, schwarzem Haar und blickte zu ihm hoch.
„Guten Abend", antworte Binns nach einigem Zögern. Alles andere wäre schließlich unhöflich gewesen. Dennoch störte dieser Junge seine abendliche Routine. Es war einfach nicht vorgesehen, dass ein Schüler ihn besuchte. Warum etwas einplanen, das nie vorkam? Er räusperte sich. „Nun, was kann ich tun für Sie Mr....?"
„Potter, Sir"
Potter? Das kam ihm entfernt bekannt vor. Irgendetwas war mit diesem Namen. Es lag ihm auf der Zunge, aber er kam nicht darauf. Er musste zugeben, er war zeitlich nicht mehr ganz auf dem neusten Stand. „Und wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Potter?"
Hellgrüne Augen musterten ihn durchdringend. „Ich frage mich, warum sich jemand wie Sie nicht eine Pause gönnt. Sie haben der Schule so lange als Lehrer gedient. Warum sogar über den Tod hinaus?
Die Frage brachte Binns nicht nur aus seinem Tagesplan, sondern auch aus dem Konzept. Er blinzelte mehrmals, obwohl er das seit langem nicht mehr nötig hatte. „Sie möchten wissen, warum ich noch unterrichte?"
„Allerdings." Nun blickte ihn der Junge mit ehrlichem Interesse an. Das war noch etwas, das er nicht gewohnt war.
„Weil ich der einzige bin, der das Fach adäquat unterrichten kann."
Der Junge blickte ihn weiter fragend an. „Was bringt Sie auf den Gedanken?"
Es lag nichts Abfälliges in der Frage des Jungen. Nichts als simple Neugier. Also räusperte er sich erneut . „Ich bin der Einzige, der die Kobolde, die Riesen und die anderen magischen Wesen der Geschichte würdigt. Wen jemand von diesen frisch studierten Neulingen meinen Platz einnehmen würde, würden alle Schüler nur erfahren, wie groß und mächtig wir Zauberer doch sind und das andere Völker nur als Diener taugen. Das muss ich verhindern und deswegen werde ich diesen Platz behalten. Wenn es sein muss, bis in alle Ewigkeit."
Der Junge tat etwas, mit dem Cuthbert nicht gerechnet hatte. Er verneigte sich. „Ich dachte mir etwas in der Art. Ihr Opfer verdient größten Respekt, Professor."
Der Geist starrte ihn an. Das hatte noch nie ein Schüler zu ihm gesagt. Es hatte sich auch noch nie ein Schüler vor ihm verneigt. Es mochte nur ein Erstklässler sein. Aber dieser Erstklässler war der erste seit Jahrhunderten, der ein positives Wort über seinen Unterricht verlor. Hätte er noch weinen können, bestimmt wären seine Augen feucht von Tränen der Rührung geworden.
Nun blickten die grünen Augen mitfühlend. „Was, wenn ich etwas an Ihrem Schicksal ändern könnte, Sir? Würden Sie das wollen?"
Dass die ewige Routine endlich endete? Dass er endlich etwas wie Frieden finden konnte? Längst fühlte er sich nicht mehr Teil der Zeit, in der er existierte. Wenn er jemals eine Verbindung zu seinen Schülern gehabt hatte, so war sie im Nebel der Jahre zerrissen. Es gab nichts, dass Cuthbert hier hielt. Nichts außer seiner Aufgabe.
„Sie können nichts tun", sagte er dennoch sanft, denn die Anteilnahme des Jungen rührte ihn.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen. „Ich habe nach Gringotts geschrieben, Sir. Ein Kobold namens Ragnuk ist bereit, Ihre Stelle einzunehmen, wenn Sie das wünschen. Ich bin mir sicher, Albus Dumbledore würde nichts gegen einen Nachfolger einzuwenden haben, der von Ihnen persönlich vorgeschlagen wird."
Ein Kobold? Binns Gedanken rasten so schnell wie seit Jahren nicht. Ein Kobold würde die Bedeutung der magischen Wesen betonen, weil er selbst eines war. Er würde die Zauberer nicht in fremden Glanz tauchen, der ihnen nicht zustand. Kobolde waren weder sanfte noch besonders höfliche Wesen. Hart und schneidend würde er künftigen Generationen die Wahrheit vermitteln. Und Cuthbert...Cuthbert konnte sich endlich ausruhen.
„Kann ich den Kobold kennen lernen?", hauchte er schließlich.
Lächelnd schritt der Junge zum Kamin und holte eine Prise Flohpulver aus einem bereitstehenden Kästchen. Eigentlich stand es nur dort, weil bei Cuthbert alles seine Ordnung hatte. Seit hundert Jahren hatte es niemand mehr benutzt. „Es liegt an Ihnen, Professor."
Der Geist nickte schwach. Konnte das wirklich sein? Durfte er wirklich hoffen?
Aus den grünen Flammen bildete sich das spitzbärtige Gesicht des Kobolds.
„Kommen Sie durch. Um Himmelswillen kommen Sie durch", murmelte der durchscheinende Professor.
Das Feuer loderte auf und der Kobold trat aus dem Kamin, knapp grüßte Ragnuk in beide Richtungen.
Binns musterte die entschlossene Haltung des Kobolds und das interessierte Funkeln in den kleinen Augen. „Sie wollen ihre Position also aufgeben, Sir?", fragte der Kobold.
Binns neigte den Kopf. „An einen würdigen Nachfolger."
Ragnuk warf dem Jungen einen langen Blick zu. „Mr. Potter versicherte mir, dass Sie sich während der Zeit Ihrer Existenz auf dieser Welt der Verständigung der Zauberer mit den magischen Wesen widmeten."
„Das ist richtig", erwiderte Binns. „Ich kann erst gehen, wenn dieses Erbe würdig weitergeführt wird."
Der Kobold nickte ernst. „Ich werde Sie nicht enttäuschen. Ich versichere Ihnen, die Verständigung der Völker liegt ganz in meinem eigenen Interesse."
Cuthbert sah die Entschlossenheit in den Augen seines Gegenübers. „Gut. Dann ist es beschlossen." Auf einmal fühlte er sich müde. So schrecklich müde. Er hatte seit Jahrhunderten nicht mehr geschlafen. Gewiss würde es niemandem stören, wenn er einfach die Augen schloss...
„Professor." In der Stimme des Jungen lag eine sanfte Nachdrücklichkeit. „Würden Sie Ihrem Nachfolger noch eine Notiz hinterlassen? Etwas, das beweist, dass Sie ihn dem Schulleiter vorschlagen?"
Gewiss. Das konnte er tun. Es würde ihm selbst Frieden schenken. Er dirigierte eine Feder zu einem nahen Pergament und ließ sie eine passende Zeile schreiben. Dann setzte er sein Siegel darunter. Ein letztes Mal. Es war ein Gefühl vollkommener Erleichterung.
„Ich danke Ihnen, Sir", sagte der Junge respektvoll.
„Ich habe zu danken", sagte Cuthbert. Seit Jahrhunderten hatte er nicht mehr geatmet, aber jetzt füllte er seine nicht existierenden Lungen mit etwas, das nichts anderes war als...Licht.

Licht und Frieden.

In dem nun leeren Arbeitszimmer blickten sich ein Kobold und ein scheinbar elfjähriger Junge an. „Er hat diese schwere Bürde lange genug getragen", sagte der Kobold ernst.
„Und endlich ist er davon befreit", erwiderte der Junge. „Dank dir, Ragnuk."
„Dank Ihnen, Lord Slytherin", sagte der Kobold und verneigte sich. „Wenn Sie mich nun entschuldigen? Ich habe mich um eine Stelle zu bewerben."

XXX

Daphne Greengrass wusste, dass sie eines Tages einen Reinblüter heiraten musste, um das Ansehen ihrer Familie zu mehren. Die Familie Greengrass war eine alte magische Familie. Doch Macht, Geld und Ansehen waren nicht mehr das, was sie in früheren Jahren gewesen waren. Daphne hatte früh gelernt, dass es durch geschickte Heiratspolitik möglich war, den Ruf ihrer Familie aufzubessern. Also hatte sie sich seit ihrem ersten Tag in Hogwarts umgesehen. Malfoy wäre natürlich theoretisch die erste Wahl. Seine Familie gehörte zu den ältesten Blutlinien von Britannien und ihr Vermögen, sowie ihre gesellschaftliche Stellung, suchten ihresgleichen. Das änderte leider nichts daran, dass Malfoy wie ein aufgeblasener Ballon durch die Gänge von Hogwarts schwebte und jedem der es wissen wollte, auf die Nase band, wie sehr er jedem von ihnen überlegen war. Daphne schnaubte. Nein, Malfoy war keine Wahl.
Mit Blaise sah es schon anders aus. Die Blutlinie der Zabinis reichte nicht soweit zurück wie die der Malfoys, dafür war ihr Vermögen beträchtlich. Zudem genoss Blaise Mutter einigen Einfluss unter den Schönen und Reichen der magischen Gesellschaft. Außerdem war Blaise höflich, klug und witzig. Mit ihm an ihrer Seite würde ihr gewiss nicht langweilig werden. Außerdem zeigte sein Verhalten ihr gegenüber nur allzu deutlich, dass der hübsche Junge an einer Allianz interessiert war. Ja, er wäre gewiss einen zweiten Blick wert gewesen, wenn nicht Harry Potter gewesen wäre.
Harry stammte nicht nur ebenfalls aus einer reinblütigen Familie mit beträchtlichem Vermögen. Er war nicht nur der Junge, der Voldemort getötet hatte, und damit der unbestrittene Held der magischen Welt. Was sie an ihm gefangen nahm, war vor allem seine Persönlichkeit. Manchmal umgab ihn eine Aura von purer Macht, die sie unweigerlich anzog und faszinierte. Und dann war da dieses wissende Funkeln in seinen Augen, das ihn so viel älter wirken ließ als seine elf Jahre. Harry war vollendet höflich und von distanzierter Freundlichkeit. Sein magisches Wissen war beeindruckend. Oft wusste er Details über den Unterricht, die selbst ihre Lehrer nicht kannten.
Daphne hatte sich entschieden. Sie würde Harry Potter heiraten. Sie wusste, dass sie ein ungewöhnlich hübsches Mädchen war. Außerdem war sie klug, gerissen und kam aus einer angesehenen Familie. Wer würde sich nicht darum reißen, sie zu bekommen? Harry würde sein Glück allzu bald zu schätzen lernen. Und wenn sie früh mit der Sache anfing, konnte sie womöglich verhindern, dass ihr ihre Eltern jemanden aufzwangen, den sie gar nicht wollte.

Nach dem Essen in der großen Halle hatte sie Harry in die Bibliothek gebeten, angeblich, damit er ihr bei ihren Hausaufgaben half. Sie hatte absichtlich einen Tisch gewählt, der so verborgen zwischen den Regalen lag, dass die Anderen sie nicht allzu schnell finden würden. Harry hatte nichts dazu gesagt, doch seine faszinierend grünen Augen hatten in einer Weise gefunkelt, als würde er etwas von ihren Plänen ahnen. Daphne konnte es nur Recht sein.
Nachdem sie sich in der Bibliothek von ihrer besten Seite gezeigt hatte, richtete sie es so ein, dass sie beinah zu spät zu Zauberkunst kamen. Als sie dann notgedrungen die rotierenden Treppen hinaufhetzen mussten, täuschte Daphne vor, das Gleichgewicht zu verlieren.
Harry enttäuschte sie nicht. Sie fühlte sich sacht von seiner Magie umfangen und einige Stufen tiefer wieder sanft zu Boden gesetzt. Sofort war er bei ihr und gab ihr mit seinen Händen zusätzlichen Halt. "Alles in Ordnung?", fragte er.
Er war ihr so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Und noch immer war da dieses undeutbare Funkeln in seinen Augen, das sie gleichermaßen anzog und verwirrte.
"Ja", hauchte sie . Sie hatte die gesamte Aktion bis ins kleinste Detail geplant. Doch mit einem Mal war ihr Kopf wie leer gefegt und die geschickt zurecht gelegten Worte verloren. "Danke."
Mit einem gekonnten Wimpernschlag schaute sie zu ihm auf und in diesem Moment war sie sich sicher, dass er sie küssen würde.
Doch stattdessen trat er einen Schritt zurück und lächelte anerkennend. "Eine beeindruckende Leistung, Daphne. Ich bin mir sicher, in ein paar Jahren wird kein junger Zauberer mehr vor dir sicher sein."
"In ein paar Jahren?" Sie spürte, dass ihre Wangen rot anliefen. Irgendetwas lief hier eindeutig nicht nach Plan.
Harry schüttelte den Kopf und lächelte sie nicht an wie es ein Freund oder Mitschüler getan hätte. Eher wie ein Lehrmeister, der stolz auf seine Schülerin war.
"Glaube mir, Daphne", sagte er sanft, aber bestimmt. "Ich bin zu alt für dich."
"Zu alt?", brach es aus ihr hervor. Was sollte das heißen? Sie waren im selben Alter! Was brachte Harry dazu, so etwas zu sagen? Sie hatte nicht ernsthaft mit einer Abfuhr gerechnet. Aber wenn es denn eine gab, hätte sie mit Floskeln wie: "Ich bin nicht gut genug für dich", oder: "Ich will unsere Freundschaft nicht gefährden", gerechnet. Aber zu alt? Harry war nicht zu alt!
"Ich verstehe nicht!", rief Daphne und wusste nicht, ob sie wütend, gekränkt oder verwirrt sein sollte.
"Wirklich nicht?", fragte er ernst und fing ihren Blick auf.
Für einen Moment wirkte seine Augen so alt, so erfahren, dass es sie innerlich aufwühlte. Das waren nicht die Augen eines Elfjährigen. Diese Augen gehörten zu jemanden, der ein ganzes Leben gelebt hatte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.
Dann schlich sich das Lächeln zurück auf sein Gesicht und seine Züge wirkten wieder jünger. "Ich bin mir sicher, dass Blaise äußerst interessiert wäre." Daphne schnaubte unwillig. "Ich habe das hier nicht eingefädelt, damit ich von dir höre, dass Blaise Interesse hat."

Aber sie wusste, warum er das sagte. Nur ein Zauberer, der wirklich nicht interessiert war, würde einen möglichen anderen Kandidaten erwähnen. Die Erkenntnis war so überraschend wie frustrierend. Sie hatte einen Korb bekommen. Sie, das schönste Mädchen aus Slytherin, war abgewiesen worden. Sie wollte sich mit einem damenhaften Schnauben abwenden, als sich Harry verbeugte und ihr den Arm anbot. "Darf ich die junge Dame dennoch zu Zauberkunst geleiten?"
Daphne betrachtete die formvollendete Haltung und das feine Lächeln auf Harrys Zügen. Sie mochte ihn noch immer. Und auch als Freund und Verbündeter war Harry Potter nicht zu verachten. Auch wenn sie dem Mädchen, das ihn eines Tages für sich eroberte, aus purem Neid die Augen auskratzen würde.
Sie knickste ihrerseits und reichte ihm ihre Hand. "Mit Vergnügen", sagte sie melodisch und ließ sich von ihm die Treppe hinauf führen. Innerlich führte sie einen kleinen und nicht sehr damenhaften Wuttanz auf. Es war einfach nicht fair.

XXX

Das Dämmerlicht eines Winterabends fiel durch das Dach des Gewächshauses und warf Streifen fahlen Lichts über das dichte Grün. Hermine war auf ihre erste Unterrichtsstunde gut vorbereitet. Sie hatte jede Menge Stifte, Federn und Pergament eingepackt und das Buch, das Harry ihr geliehen hatte, zur Sicherheit noch einmal gelesen. Sie hoffte wirklich, dass es reichen würde. Warum sie so nervös war, wusste sie selbst nicht. Immerhin übte sie nur mit Schülern. Aber Harry hatte so etwas an sich. Auf dem Astronomieturm hatte er für einen Moment furchterregender gewirkt als Snape. Und das musste etwas heißen. Hermine mochte Harry. Aber manchmal fragte sie sich dennoch, wie sich Neville in seiner Gegenwart so entspannen konnte.
Sie war nicht die einzige, die gespannt war auf den Unterricht. Vor allem die erste Klasse von Slytherin war fast vollständig vertreten. Aber Hermine sah auch deutlich ältere Schlangen inmitten des dichten Grüns. Dazu kamen eine Handvoll Ravenclaw und drei Hufflepuff.
Ron warf ihr einen grimmigen Blick von der Seite zu. "Sie sind in der Überzahl."
Sie schnaubte. "Mach dich nicht lächerlich, Ron."
In dem Moment hob der rothaarige Junge die Hand. "Oh, schau, da sind Harry und Neville."
Hermine rollte mit den Augen. "Du weißt schon, dass auch Harry ein Slytherin ist?"
Ron zuckte mit den Schultern. "Der zählt nicht."
Als wollte er Rons Worte bestätigen, winkte Harry ihnen zu und lud sie mit einem Lächeln ein, bei ihm und Neville Platz zu nehmen.
Sie setzten sich neben die beiden Jungen und Hermine breitete Pergament und Stifte um sich aus.
"Schön, dass ihr es geschafft habt", begrüßte Neville sie herzlich.
"Das ist doch klar, Mann", versicherte Ron und schien zu vergessen, dass er von Hermine hierher geschleift worden war. "Beim nächsten Mal bringe ich Seamus und Dean mit. Dann sind wir zumindest mehr als die Hufflepuff!"
Neville schien sich ehrlich über Rons Worte zu freuen. "D-danke, Ron. Aber weißt du...ich finde es eigentlich gar nicht so wichtig, in welchem Haus man ist."
"Ursprünglich diente das System ohnehin nur zur Einteilung nach Charakter und Anlage", ergänzte Harry. "Den Mutigen und Tapferen die Kampfkunst beizubringen, ergibt genau so viel Sinn, wie die Ambitionierten und Gerissenen in die Politik einzuführen. Helga sammelte jene unter sich, die sich für eine Ausbildung zum Heiler eigneten und Rowena all die, die nach nach Wissenschaft und Weisheit strebten. Es war so etwas wie die Festlegung des eigenen Hauptfachs und damit verbunden, des hauptsächlichen Lehrers. Ich verstehe nicht ganz, warum die Häusereinteilung überhaupt bis in die heutige Zeit beibehalten wurde, wo Charakter und Fähigkeiten sich scheinbar nicht mehr auf den Lernstoff auswirken und alle Häuser exakt das Gleiche lernen."
Neville blickte nachdenklich. "Wenn alle andere Hauptfächer hatten, kam wahrscheinlich gar nicht so etwas wie Konkurrenz auf, oder?"
"Nein...", entgegnete der Slytherin. "Im Gegenteil. Durch die verschiedenen Schwerpunkte waren die Schüler darauf angewiesen, einander zu helfen."
Hermine warf Harry einen fragenden Blick zu. "Steht das auch in deinem Buch über die Gründer?"
"Natürlich", erwiderte Harry mit einem verspielten Lächeln.
"Hast du es mittlerweile gefunden? Ich muss es nämlich einfach lesen!"
Harry lächelte. "Wenn ich es wieder finde, bist du die Erste, die davon erfährt."
Hermine nickte dankbar.
Noch bevor sie weitere Fragen stellen konnte, warf Neville Harry ein nervöses Lächeln zu. "Ich denke, es ist Zeit, oder?"
Der schwarzhaarige Junge nickte. "Du schaffst das. Ich weiß es."
Neville holte tief und zitternd Luft, bevor ein entschlossener Ausdruck über sein Gesicht huschte. Dann stand er zu Hermines Überraschung auf und begrüßte die versammelten Schüler mit einem Lächeln. "Schön, dass ihr alle gekommen seid. Wir wollen hier üben, wie man Magie zur Zeit der Gründer lernte. Nicht mit Worten und Zauberstab, sondern indem wir versuchen, die Magie um uns zu fühlen und unsere eigenen Kräfte darin einzuweben." Er lächelte verlegen. "Das ist ein ziemlich langwieriger Prozess. Seid bitte nicht frustriert, wenn es euch nicht gleich bei den ersten Anläufen gelingt. Wir fangen mit Meditationstechniken an, die euch helfen sollen, die Magie um euch zu spüren. Das Gewächshaus ist dafür gut geeignet, denn hier könnt ihr nicht nur euch gegenseitig, sondern auch die magischen Pflanzen in eurer Umgebung fühlen. Ich zeige euch jetzt ein paar Atemübungen, die euch dabei helfen sollen, euch zu entspannen. Versucht, eure Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen und erstmal nur zu spüren. Ich gehe herum und werde euch magisch berühren. Je näher die Magie an eurem Körper gewirkt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihr sie spürt. Dann wisst ihr, worauf ihr achten müsst."
Hermine war ehrlich verblüfft. Nie hätte sie Neville zugetraut, auf diese Weise zu unterrichten. Aber sie musste zugeben, dass er der geborene Lehrer war. Seine Ausstrahlung war ruhig und freundlich und er sprach gut verständlich. Dabei betonte er die Sätze so, dass es spannend war, ihm zuzuhören. Obwohl es im Gewächshaus ein wenig stickig war, hingen alle Schüler an seinen Lippen. Am Auffälligsten war der Mangel an Unsicherheit. Neville wirkte mehr im Reinen mit sich, als sie ihn je erlebt hatte.
Der einzige, der nicht vollkommen aufmerksam wirkte, war...Harry. Der Slytherin hatte die Augen geschlossen und schien im schwindenden Licht zu dösen. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Also wirklich. Und das in ihrer ersten Stunde...dabei fiel ihr auf, sie hatte Harry noch nie dösen sehen. Immer wirkte er wachsam und gespannt, jede kleinste Bewegung, jedes Wort schien genau durchkalkuliert. Ihn jetzt entspannt schlafen zu sehen, hatte etwas beinah Unnatürliches. Es ließ ihn fast...jung erscheinen.

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt