Ein ungutes Gefühl

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Neville erwachte mit dem Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Da war eine Unruhe in ihm, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte. Er musste etwas tun, das war ihm klar, aber was? Hastig
griff er nach seiner Hogwartsuniform, zog sie über seinen Schlafanzug, während er bereits zur Tür des Schlafsaales wankte. Ein schneller Griff in die Innentasche sagte ihm, dass sich sein Zauberstab noch darin befand.

Neville verließ den Gemeinschaftsraum und kletterte durch das Portraitloch nach Draußen.
Tief holte er Luft. Er konnte nicht glauben, dass er so etwas machte. Er war nicht wie die Weasley-Zwillinge. Er war niemand, der die Abendruhe missachtete und zu nächtlicher Stunde durch die Gänge schlich.

Nun, zumindest nicht ohne triftigen Grund.

Er hastete die Stufen herab und stolperte dabei mehrfach über die eigenen Füße. Kaum nahm er war, dass sich die Treppen in seine Richtung drehten, ihm den kürzesten Weg nach unten
ermöglichten.

Was sollte er sagen, wenn ihn ein Lehrer erwischte? Entschuldigen Sie, Professor, ich hatte da so ein Gefühl? Neville schauderte. Er konnte nur hoffen, dass er niemanden über den Weg
lief. Am wenigstens Argus Filch oder Professor Snape.

Sein Weg hatte ihn in Richtung der Kerker geführt. Doch noch immer ließ das Drängen, das ihn vorantrieb, nicht nach. Wenn überhaupt, dann lief er noch schneller durch Gänge und
Korridore. Seine Füße schlitterten über den blanken Steinboden, während er rannte. Er passierte den Gemeinschaftsraum der Slytherin und drang von dort aus immer tiefer in die
Gewölbe von Hogwarts. Längst brannte seine Seite wie Feuer und sein Atem ging
unregelmäßig.

Endlich stand er in einem Korridor, dessen Kuppel von silbrigen Schlangen geschmückt wurde. Ohne nachzudenken, legte Neville seine Hand auf eine Bodenplatte und ließ etwas von
seiner Magie hineingleiten. Sofort sprang die Platte zur Seite und eröffnete den Weg zu einer Wendeltreppe, die sich unter zahlreichen Windungen in der Finsternis verlor. Grünes Licht
brannte ruhig und stetig in den Verankerungen.
Jemand war hier. Neville zögerte. Traute er sich wirklich zu, es mit dem aufzunehmen, was dort unten lauerte? Er war ein Erstklässler! Vielleicht wäre es doch besser, Hilfe zu holen?
Was sollte er schon ausrichten?
Doch in diesem Moment wurde das drängende Gefühl in seinem Innern von einer Welle aus Schmerz und Hilflosigkeit überschwemmt. Neville riss die Augen auf. „Salazar!“ Seine
rennenden Schritte hallten durch die Stille der Wendeltreppe.

XXX

Als Lord Slytherin auch nach Stunden nicht erwachte, wurde Severus Snape unruhig. Besorgt blickte er in das blasse Gesicht des Jungen, nur um den Blick dann wieder durch den Raum
schweifen zu lassen. Was war geschehen? Was hatte seinen Mentor aufgehalten? Er wünschte, er hätte besser verstanden, worum es ging. Dann vielleicht hätte er dem Gründer
seines Hauses helfen können. So war er zur Tatenlosigkeit verdammt und konnte nur hoffen, dass der Mann in der Gestalt eines Jungen zurückkehren würde.
Als er das Geräusch sich nähernder Schritte hörte, horchte er auf. Mit einem schnellen Handgriff lag sein Zauberstab zwischen seinen Fingern. Den Stab auf die Tür gerichtet,
wartete er darauf, dass sich der Eindringling zeigen würde.

Zu seiner Überraschung stolperte niemand anderes in den Raum als Neville Longbottom. Der Schüler wirkte wie immer. Ein Teddy-Bär Schlafanzug lugte unter seiner Schuluniform
hervor. Er trug keine Schuhe und die Füße steckten in gepunkteten Socken. Nevilles Haar war zerzaust und seine Wangen vom Rennen gerötet. Snape zog beide Augenbraue hoch.
„Möchten Sie mich vielleicht mit der Erklärung erhellen, was genau Sie hier unten zu suchen
haben?“
Bei seinem Anblick hielt der Schüler erschrocken inne. „P-Professor!“
Snapes Lippen kräuselten sich. „Ich beglückwünsche Sie zu der Glanzleistung, dass Sie mich nach dem gestrigen Unterricht wiedererkannt haben, Mister Longbottom.“
Aber Longbottom antwortete nicht. Stattdessen blickte er auf die reglosen Gesichtszüge von Lord Slytherin. Snape musste zugeben, dass er jetzt, schlafend und verletzlich, jünger aussah
denn je. Da war keine Spur von dem geheimnisvollen Zauberer, der sein Haus gegründet hatte. Nur ein schlafender, unschuldiger Junge. Nun ja, soweit Kinder eben unschuldig waren.
Neville trat näher heran. Sorge brannte in seinen braunen Augen und schien ihm sogar die Angst vor dem gefürchteten Professor zu nehmen. „Was fehlt ihm?“, fragte er leise.
„Nichts, dass Sie zu kümmern hätte“, schnarrte Snape. Doch als die Augen des blondhaarigen
Wuschelkopfes nicht von dem Gesicht des Freundes wichen, hatte selbst Severus Snape ein Einsehen. „Er wird bald erwachen. Und nun gehen Sie ins Bett, bevor ich Ihnen Punkte abziehe.“ Zumindest hoffte er, das Lord Slytherin erwachen würde.
Aber Neville hörte ihn nicht. Etwas seltsam Abwesendes war in seine Augen getreten. Und ganz plötzlich, ganz unerwartet, glänzten Tränen auf seinen Wangen. Ausnahmsweise wusste
Snape nicht warum.

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt