Ein Held und ein Bösewicht

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Nun, mit mehr Freiraum, begann Salazar, seine Magie auszutesten. Er ging früh zu Bett um sich daran zu erinnern, wie man meditierte. Das Wissen war vorhanden, doch es war etwas ganz anderes, seinen jungen Körper dazu zubringen, für so lange Zeit still zu sitzen. Bei seinen ersten Versuchen schlief er ein und wenn er erwachte, kam er sich vor wie ein blutiger Anfänger. Nun, vielleicht musste er sich damit arrangieren, dass er wieder ein blutiger Anfänger war.
Nach ein paar Wochen gelang es ihm leichter, die Konzentration zu halten und er begann der Magie in seiner Umgebung nachzuspüren. Der Ligusterweg war nicht gerade der magischste Ort Britanniens. Aber letztendlich war Magie eine Form von Lebenskraft, die jedes Lebewesen durchdrang, die Luft und den Boden erfüllte. Was Hexen, Zauberer und letztendlich alle magischen Wesen von anderen unterschied, war die Fähigkeit, auf die Magie in ihnen und um sie her einzuwirken und diese zu kanalisieren - Zumindest theoretisch. Harry, der aus Salazars Erinnerung wusste, wie es sich anfühlte, präzise nach der erforderten Menge von Magie zu greifen und diese zu kompliziertesten Mustern zu verweben, kam sich bei seinen ersten Versuchen vor wie ein Grobmotoriker. Sein eigener magischer Kern war furchtbar klein und ungeformt. Mit seiner Magie nach der der Umgebung zu greifen war, als wollte er Wasser mit einer Gabel schöpfen. Er benötigte etliche Stunden, viel Geduld und sein ganzes Kontingent an Kraftausdrücken, bis es ihm endlich gelang, ein kleines Licht in seinem Zimmer zu beschwören. Müde und mit vor Schweiß glänzender Stirn blickte er auf den Funken, der nicht viel heller als die Flamme einer Kerze, über dem Boden schwebte. Bei den Wesen der Anderswelt, er hatte noch viel Arbeit vor sich.
Smaragd schlängelte heran und streckte die Zunge prüfend in Richtung der kleinen, leuchtenden Kugel. Anschließend neigte sie den Kopf schief und beäugte Salazar kritisch. "Eine Kerze anzuzünden, wäre effizienter gewesen."
Salazar ließ sich rücklings auf den Boden seinen Zimmers fallen und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Doch wenn seine magischen Übungen einen zusätzlichen Zweck erfüllten, dann war es der, vergrabene Erinnerungen zu wecken. Und eine von ihnen brachte Harry auf einen Plan, wie er Dudley näher kommen könnte.
Genau beobachtete Harry die Bösewichte und Helden aus Dudleys Lieblingssendungen. Und als sich Dudley das nächste mal in seinem Zimmer langweilte, warf sich Harry eine Decke als Umhang über die Schultern und betrat in bester Erzbösewichtmanier das Zimmer. Fordernd streckte er die Hand in Richtung Dudley aus. "Ich bin Xargul der Dunkle! Niemals wirst du mich besiegen, du sogenannter Held!"
Dudley starrte ihn mit offenem Mund an. Dann lachte er. Und zum ersten Mal seit langer Zeit klang sein Lachen nicht gehässig. "Ich mach' dich fertig, Xargul!", brüllte er.
Nicht so schnell!", rief Harry und hob beschwörend die Hände. "Weißt du denn nicht, dass meine Burg von Lava umgeben ist!? Der ganze Boden ist damit bedeckt! Niemals wirst du mich erreichen!" Und Harry brach erneut in sein bestes Erzbösewichtlachen aus.
Mit vor Begeisterung roten Wagen kletterte Dudley auf das Sofa. "Dann berühre ich den Boden eben nicht!"
Harry gab einen gespielten Laut der Überraschung von sich. "Oh nein! Wie ist es dir gelungen, meinen Plan zu durchschauen!?"
Kreischend vor Begeisterung sprang Dudley vom Sofa zu einem Sessel. "Ich komme, Xargul!"
Lachend warf Harry Kissen auf den Boden und sprang von einem zum anderen um sich vor Dudley in Sicherheit zu bringen.
Als Petunia hereinkam und die beiden Jungen miteinander lachen sah, wurden ihre Gesichtszüge für einen Moment weich.

Von nun an wurde es besser. Harry bekam nicht so viele Geschenke wie Dudley, aber es gab Weihnachten ein paar Päckchen für ihn unter dem Baum. Manchmal las ihm Petunia vor und er half Onkel Vernon, wenn er in der Garage tüftelte.

Eines nachts, als Harry sich noch ein Glas Wasser aus dem Bad holen wollte, hörte er seinen Onkel und seine Tante im Schlafzimmer leise miteinander sprechen. Als er seinen Namen hörte, blieb er stehen und verharrte neben der Tür.
"Du weißt, ich war dagegen, dass wir damals Harry aufnahmen, aber ich muss sagen, ich habe mich geirrt. Der Junge ist vielleicht kein so Prachtskerl wie Dudley, aber er ist auf einem guten Weg. Ich denke, wir haben mit unserer Erziehung bewiesen, dass man das Unnormale aus diesen Leuten rausbekommt, wenn man sie nur ordentlich und streng erzieht."
Petunia seufzte erleichtert. "Ich habe mir auch Sorgen gemacht. Er sieht genauso aus wie dieser James Potter und da habe ich befürchtet, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Ich denke, Harry hatte Glück, dass er so früh zu uns kam. Aus ihm ist wirklich ein lieber Junge geworden."
"Wenn Dudley einmal die Firma übernimmt, kann Harry sein Assistent werden", sagte Vernon zufrieden. "Der Bursche hat ein gutes Auge für Maschinen. Und ich sage, wer sich für Bohrmaschinen interessiert, bei dem sind die Schrauben noch richtig im Kopf."
Petunia seufzte. "Vielleicht können wir wirklich entspannen, Vernon. Vielleicht wird er nie einer von diesen Leuten."
"Nein, meine Liebe", sagte Vernon beruhigend. "Ich denke, wir haben Harry gerettet."

Harry schlich leise davon. Er hatte genug gehört. Der immer stärker werdende Teil in ihm, der kein Kind mehr war, zitterte vor Wut. Vernon und Petunia hatten gewusst, dass eine magische Gesellschaft existierte. Und sie hatten ihm nie auch nur ein Wort davon erzählt. Er hatte ein Recht darauf zu wissen, wer seine Eltern waren! Und sie hatten gewagt, ihm zu erzählen, dass Lily und James Potter bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren! Wutentbrannt schritt er in seinem Zimmer auf und ab. Seine Verwandten glaubten tatsächlich, dass ihre Erziehung ihn gerettet hatte!? Sie hatten ihn gar nicht erzogen! Sie hatten ihn vernachlässigt und links liegen lassen, bis er sich entschlossen hatte, aus diesen engstirnigen Menschen eine Familie zu machen! Langsam beruhigte er sich. Er suchte und fand Smaragd auf seinem Bett. "Wenn ich sie jetzt konfrontiere", sagte er an sein einstiges Stofftier gewandt, "dann war die Arbeit der letzten Jahre umsonst. Sie hassen Magie. Auch wenn ich nicht weiß, warum."
„Vielleicht sind sie einfach dumm?", steuerte Smaragd hilfreich bei.
Trotz seiner Wut musste Harry lächeln. „Das ist natürlich auch eine Erklärung." Nachdenklich blickte er hinaus aus dem Fenster. "Ich muss den Grund für ihren Hass herausfinden. Erst dann kann ich vielleicht etwas daran ändern."
Zufrieden ringelte sich die Schlange um seinen Arm. „Oder du siehst ein, dass ich recht habe."
Harry trank sein Glas Wasser leer und kuschelte sich mit Smaragd unter die Decke. „Oder das, meine Teure. Oder das."

In der nächsten Nacht schlich Harry in den Keller. Vielleicht hatte er Glück und er fand etwas, das Rückschlüsse über seine Eltern oder die magische Gesellschaft zuließ. Stundenlang durchwühlte er Berge an Papier, schaute in alte Schränke und Schubladen. Nachdem er tausende Fotoalben mit Babybildern von Dudley gefunden hatte, erwischte er eines, das wohl aus Petunias Jugend stammen musste. Seine Tante war mit dem länglichen Gesicht und dem blonden Haar gut zu erkennen. Neben ihr stand ein etwas kleineres Mädchen. Sie war sommersprossig, rotlockig und ihre grünen Augen sprühten vor Energie. Harry betrachtete das Foto eingehend. Das rothaarige Mädchen hatte dieselbe Augenfarbe wie er selbst. Hinter den beiden Mädchen stand ein Ehepaar, das mit freundlichen Gesichtern in die Kamera grinste. Harrys Herz begann zu pochen. Waren das seine Großeltern? Und das Mädchen neben Petunia ... seine Mutter? Hastig steckte er das Bild ein. Er würde es sich später in Ruhe noch einmal ansehen.
Als Harry weiter in die Tiefen des Kellers vordrang, fand er in der hintersten Ecke eines Regals einen weiteren Ordner stehen. Er war schwarz und unscheinbar und es fehlte die akkurate Beschriftung, die auf allen anderen Ordnern zu finden war. Neugierig trat Harry näher und schlug ihn auf. Staub tanzte ihm entgegen und er musste niesen. Staub! In einem Haus, in dem Petunia Dursley lebte! Wenn das einmal nicht verdächtig war! Harry durchblätterte die Seiten und bemerkte, dass er seine eigenen Unterlagen in Händen hielt. Er sah eine Geburtsurkunde, eine Bescheinigung des Krankenhauses, einen Impfpass. Und dann sah er einen Brief, der ganz und gar anders war, als die Dokumente, die er bisher durchgesehen hatte. Der Brief war auf dickem, raschelndem Pergament geschrieben. Elegante, leicht schräg gelegte Buchstaben reihten sich in grüner Tinte über das Papier. Doch das auffälligste und aller-wunderbarste war das Wappen, mit dem der Brief unterzeichnet war. Es war viergeteilt, zeigte einen Löwen, eine Schlange, einen Adler und einen Dachs. Salazar konnte es kaum glauben. "Hogwarts existiert", flüsterte er. Ihre Schule hatte all die Zeit überdauert. Ihr Traum war Wirklichkeit geworden. Noch nach tausend Jahren wurden junge Hexen und Zauberer unter ihrem Wappen ausgebildet. Salazars Augen brannten. Mit zitternden Händen las er den Brief, den er in Händen hielt.

Lieber Vernon, liebe Petunia Dursley,.

Ich weiß, dass es lange her ist, dass wir Briefe miteinander tauschten, Petunia. Und mir ist nur allzu bewusst, dass Sie daraufhin die Entscheidung getroffen haben, der magischen Gesellschaft den Rücken zu kehren. Es tut mir leid, dass ich Ihren Wunsch in dieser Angelegenheit heute Abend nicht respektieren kann.

Denn leider, leider muss ich Ihnen mein Beileid ausrichten. Lily und James Potter wurden letzte Nacht von Voldemort, einem mächtigen und dunklen Zauberer, ermordet. Sie starben um Harry Potter, ihren Sohn zu beschützen. Der Kraft ihrer Liebe ist es zu verdanken, dass der Fluch, der Harry töten sollte, von dem Jungen abprallte und stattdessen ihn selbst traf. In dieser Nacht erlangte Harry in der magischen Gemeinschaft traurige Berühmtheit als der einzige, der den Todesfluch überlebte und Voldemort besiegte.

Sie sind die letzten Verwandten, die ihm bleiben. Ich bitte Sie inständig, an Vaters und Mutters statt auf den Jungen achtzugeben und ihm all die Liebe zu schenken, die dieser kleine Junge verdient. Seien Sie versichert, dass die magische Gemeinschaft für den Jungen aufkommen wird und Ihnen eine monatliche Unterstützung von zweitausend Pfund angedeihen lässt. Doch nicht um Geldes willen möchte ich Sie darum bitten, für das Wohlergehen des Jungen zu sorgen, sondern um das Andenken und das Opfer von Lily und James in Ehren zu halten.

Ich muss gestehen, dass es mich beruhigen würde, den Jungen bei Ihnen zu sehen. Anhänger Voldemorts könnten nach dem Jungen, oder auch nach Ihnen als letzten verbliebenen Verwandten suchen, um sich für den Tod ihres Herrn zu rächen. Wenn Sie alle unter einem Dach wohnen, kann ich Sie, dank Ihres gemeinsamen Blutes, mit derselben Kraft schützen, die auch Harry vor dem sicheren Tod rettete. Kein Anhänger Voldemorts wird Sie oder Ihren Wohnort aufspüren können und so wäre Ihrer aller Leben sicher.

Wenn Sie mit dieser Lösung oder den Maßnahmen zu Ihrem persönlichen Schutz nicht einverstanden sind, oder ich Ihnen sonst in irgendeiner Weise behilflich sein kann, dann bitte ich Sie darum, mir eine Eule zu senden. Gerne empfange ich auch Ihren Wunsch nach einem persönlichen Gespräch.

Mit den besten Wünschen
Albus Dumbledore
Schulleiter von Hogwarts
(Merlinorden Erster Klasse, Grossz., Hexenmst., Ganz Hohes Tier, Internationale Vereinig. D. Zauberer)

Das war es also. Nun verstand er es. Das war der Grund, warum seine erste Erinnerung in diesem Leben ein grüner Blitz war. So war er an die Narbe gekommen. So war er zu den Dursleys gekommen.
Er riss die Augen auf. Seine Eltern waren gestorben, um ihn zu schützen. Der Gedanke erfüllte ihn gleichermaßen mit Wärme und Trauer. Er musste ihnen viel bedeutet haben. Plötzlich fühlte er sich schuldig, dass er sich nicht an sie erinnerte.

Und dann war da die rätselhafte Einleitung. Warum hatte Petunia mit Dumbledore Briefe getauscht? Und was hatte zu einem Zerwürfnis zwischen ihnen geführt? Warum hatte Petunia nie etwas erwähnt? Langsam begann er im Keller auf und ab zu laufen. Petunia war eine Nichtmagierin. Soweit er wusste, lebte die magische Gesellschaft der heutigen Zeit im Verborgenen. Warum hatten sie überhaupt Kontakt gehabt? Oder ... war seine Mutter magisch gewesen? Vielleicht sogar schon seine Großeltern? Das würde es erklären. Als einzige Squib in einer magischen Familie konnte er sich erklären, warum sie sich von der magischen Gesellschaft abgewandt hatte. Und die Beziehung zu seiner Mutter war alles andere als gut gewesen ...

Wieder und wieder las er den Brief, der so viele und doch viel zu wenig Informationen beinhaltete. Voldemort, fliegender Tod, das klang nach einem Kunstnamen. Nachdem, was Dumbledore schrieb, hatte es einen Kampf, wenn nicht einen Krieg gegeben. Kein Zauberer allein, gleich wie ambitioniert, konnte ohne Hilfe zu solcher Macht aufsteigen. Also war die magische Gemeinschaft zerspalten. Ob die Konflikte mittlerweile beigelegt worden waren? Er wünschte, der amtierende Schulleiter hätte mehr zu den Hintergründen des Geschehens geschrieben. Aber nun ja, er hatte zwei engstirnige Nichtmagier davon überzeugen wollen, ihn aufzunehmen. Er hatte keine Einführung in aktuelle Politik geben wollen.

Salazar gab ein ärgerliches Zischen von sich. Irgendwo dort draußen gab es eine magische Gemeinschaft. Und er konnte sie nicht erreichen. Er wusste nicht, wie sie funktionierte oder von welchen Denkmustern sie sich leiten ließ. Er war derjenige von ihnen, der Dank des Standes seiner Geburt, unter den Gründern für Politik zuständig gewesen war. Es war seine Aufgabe, so etwas zu wissen. Es ließ ihm keine Ruhe, es nicht zu wissen! Plötzlich blieb er stehen. Ein Strahl Mondlicht verfing sich auf dem Siegel von Hogwarts

Hogwarts

Salazars Herz hüpfte. Verschwunden war die Wut über die Dursleys. Und die tausenden von Fragen, die durch seinen Kopf stoben, kamen für einen Moment zur Ruhe.

"Hört ihr, ihr drei?", flüsterte er in die Dunkelheit des Kellers. "Hogwarts steht noch immer."

Salazar packte die restlichen Fotoalben unter seinen Arm und steckte den Brief dazwischen, damit er nicht zerknickte. Mit seiner Beute zog er zurück in sein Zimmer. Als er den Flur betrat, und einer knarrenden Diele auswich, wurde ihm bewusst, dass ein heller Lichtstreifen unter Dudleys geschlossener Tür hervor drang. Als er näher heran trat, meinte er aus dem Innern leises Weinen zu hören. Unschlüssig blieb er stehen. Dudley weinte? Wenn er darüber nachdachte, hatte er von Dudley seit Jahren kein echtes Weinen mehr gesehen. Gespieltes Heulen und Wutanfälle, ja. Aber Weinen? Nein. Salazar fasste einen Entschluss.
Er schlüpfte in sein Zimmer, um die neu gefundenen Schätze unter seinem Bett zu verstecken. Auf Dauer würden sie dort Tante Petunias Putzwahn kaum widerstehen, doch fürs erste würde es reichen. Dann ging er zurück und klopfte leise an Dudleys Tür.
Sofort wurde es still.
Mit einem Seufzen öffnete Salazar die Tür. Dudley hatte seine Nachttischlampe angeknipst. Im diffusen Licht saß sein Cousin leise hicksend und mit geröteten Augen.
Salazar lächelte leicht. Für ihn war es gar nicht lange her, dass er selbst Kinder getröstet hatte. Doch seitdem waren tausend Jahre vergangen. Es war ein seltsames Gefühl. "Darf ich hereinkommen?", fragte er.
Dudley nickte schniefend. Salazar setzte sich neben ihn auf die Decke. "Ist es wegen der Schule?", fragte er schließlich warm.
Dudley nickte und holte schniefend Luft. "Mummy und Daddy sagen immer, wie toll ich bin. Aber Miss Collins mag mich nicht. Bei ihr geht alles schief."
"Ich glaube schon, dass sie dich mag", sagte Salazar. "Sie mag es nur nicht, wenn du Wutanfälle bekommst, weil du dann dich und die anderen beim Lernen störst."
"Ich lerne sowieso nichts", murmelte Dudley trotzig. "Das ist alles doof und langweilig."
"Gibt es gar nichts, was dich interessiert?", fragte Salazar interessiert.
Dudleys Gesichtszüge verhärteten sich. Entschieden schüttelte er den Kopf.
"Du magst doch Flugzeuge, oder?"
Dudleys Augen verengten sich. "Na und? Wir lernen nichts über Flugzeuge!"
"Glaube das nicht", sagte Salazar "Wenn du ein Flugzeug bauen möchtest, kommst du um Zahlen nicht herum. Oder wie willst du wissen, dass hinterher alles zusammenpasst? Auch wenn du wissen willst, wie schnell es ist, oder wie hoch es fliegen kann, musst du das alles berechnen."
Dudley presste den Finger gegen sein Kinn. "Und wenn ich es nur fliegen möchte?"
"Dann musst du lesen, was dir der Bordcomputer anzeigt. Und du brauchst Koordinaten, um dich zurecht zu finden. Das sind auch Zahlen. Und dann sind da die Anzeigen über die Flughöhe, den Sauerstoff und den Tank. Auch das sind Zahlen."
Dudley schwieg lange. "Also wenn ich in der Schule aufpasse, kann ich irgendwann ein Flugzeug fliegen?"
Salazar nickte lächelnd. "Es ein notwendiger Schritt, um dein Ziel zu erreichen."
Das nächste Eingeständnis trieb Dudley die Röte auf die Wangen. "Aber ich verstehe das alles nicht", flüsterte er. "Und Mummy und Daddy sollen nicht denken, dass ich dumm bin." Wieder traten Tränen in seine Augen. "Und wenn ich sie frage, weil ich etwas nicht verstehe, dann wissen sie ..." Nun rollten Tränen seinen Wangen herunter.
"Onkel Vernon und Tante Petunia werden dich niemals für dumm halten, Dudley", sagte Harry ernst. "Du wirst für sie immer ein kleines Genie sein und nichts wird ihre Meinung darüber ändern können. Du bist ihr Sohn." Er lächelte. "Das heißt aber nicht, dass du nicht an dir selbst arbeiten kannst. Ein Flugzeug fliegt sich eben nicht von alleine."
Dudley nickte. "Gut." Plötzlich spiegelte sich Entschlossenheit auf seinem Gesicht. "Bring es mir bei."
Salazar zog eine Augenbraue hoch. "Was genau?"
"Den Schulkram", sagte Dudley entschlossen. "Wenn nicht ... dann nehme ich dir deine Pausenbrote weg."
"So geht das nicht", sagte Salazar ernst. "Ich helfe dir gern, Dudley. Aber ich lasse mich nicht von dir erpressen. Du musst mich schon darum bitten."
"Pfff!"Dudley zog eine Schnute.
Salazar wartete, während die Uhr auf Dudleys Nachttisch tickte.
"Bitte?", murmelte Dudley in seine Bettdecke.
Salazar beschloss, es dabei bewenden zu lassen.
"Also gut. Ab morgen machen wir die Hausaufgaben zusammen. Und wenn ich dir helfen kann, dann frag mich einfach, ja?" Dudley nickte. Schon wieder färbten sich seine Wangen in ein verlegenes Rot.
"Dann gehe ich jetzt mal rüber", sagte Salazar und machte Anstalten aus dem Bett zu springen.
"Warte", sagte Dudley hastig. "M-meinst du, du kannst bleiben?"
Salazar betrachtete den großen, pausbäckigen Jungen mit den brennenden Wangen. Kinder. Etwas in ihm wurde weich. Das würde sich wohl auch in diesem Leben nicht ändern. "Gut", sagte Salazar. Ehe er es versah, hatte er Dudley durch den blonden Schopf gewuschelt. "Ich bleibe."
Sichtlich beruhigt kuschelte sich Dudley tiefer in seine Decke. "Gute Nacht, Harry."
Salazar knipste die Lampe aus und machte es sich neben seinem Cousin bequem. "Gute Nacht, Dudley."

Als Petunia Dursley am nächsten Morgen die Tür öffnete, offenbarte sich ihr das paradiesisches Bild zweier tief schlafender Jungen. Gegen Ihren Willen weckte das Bild Erinnerungen. Es gab Zeiten, da war auch Lily zu ihr ins Bett geklettert. Sie hatten sich unterhalten, gespielt, einander vorgelesen und waren schließlich genauso nebeneinander eingeschlafen wie es Harry und Dudley getan hatten.

Und dann war Lily nach Hogwarts gekommen.

Sie war schön und klug und liebenswert geworden. Sie war eine Hexe geworden. Der Liebling ihrer Eltern. Und Petunia ...
Die blondhaarige Frau schloss die Augen und schob die Gedanken fort, wie sie es immer tat. Lily war tot. Sie wusste, der Gedanke sollte sie nicht erleichtern, aber er tat es. Sie musste sich nicht mehr mit ihr messen. Sie musste nicht mehr im Schatten ihrer strahlenden Schwester stehen.
Und doch war es, als wäre ein Teil von ihr mit Harry wieder auferstanden. Es waren nicht nur seine hellgrünen Augen, die sie an ihre Schwester erinnerten. Es war sein ganzes Wesen. Harry war fröhlich, er war klug, er war hilfsbereit und an allem und jedem interessiert. Und genau das konnte Petunia nicht leiden. Sie würde nicht zulassen, dass sich die Ereignisse wiederholten. Sie würde nicht zulassen, dass Harry Dudley überstrahlte, wie Lily Petunia überstrahlt hatte. Und niemals, niemals würde er der Liebling ihres Herzens werden.
Und dennoch ... Als sie Harry grob an der Schulter packte um ihn zu wecken, öffnete sich ein paar großer, hellgrüner Augen und blickte sie verschlafen an. Sofort schlich sich ein warmes Lächeln auf das Gesicht des Jungen. "Guten Morgen, Tante Petunia", sagte er liebevoll.
Wärme durchströmte sie und sie konnte nicht anders als zurück zu lächeln. "Guten Morgen, Harry", sagte sie weniger streng als sie es vorgehabt hatte. Im nächsten Moment fühlte sie, wie der Junge ihre Hand heranzog und seine Wange dagegen schmiegte. Er warf ihr ein weiteres, diesmal fast freches Lächeln zu, bevor er aus dem Bett hüpfte. "Ich mache schon mal das Frühstück", verkündete er fröhlich und im nächsten Moment konnte sie hören, wie er leise vor sich hin summend, die Treppe herab hüpfte.
Petunia blickte ihm nach. Sie nahm war, dass noch immer ein Lächeln auf ihrem Gesicht lag. Natürlich, sie würde dafür sorgen, dass sich die Ereignisse der Vergangenheit nicht wiederholten und Dudley all die Liebe und Aufmerksamkeit bekam, die er verdiente ... aber es war nur gerecht, Harry zumindest ein wenig Liebe zu schenken, nicht wahr?

Harry Potter und die Rückkehr des SchlangenlordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt