Salazar wusste, dass ein Lehrer aus Hogwarts kommen würde. Professor McGonagall hatte ihm in einem Antwortschreiben Ort und Zeit genannt. Bei den Dursleys hatte das zu einer regelrechten Panikattacke geführt. Petunia hatte verbissen das gesamte Haus auf Vordermann gebracht, als gelte es zu beweisen, dass der Besuch einer Hexe oder eines Zauberers nicht dazu führte, dass sie ihre häuslichen Pflichten vernachlässigte. Dudley lief durch das Haus wie ein aufgeschrecktes Huhn, selbst seine Lieblingssendungen vermochten ihn nicht zum Stillsitzen zu bewegen. Am schlimmsten hatte es Onkel Vernon getroffen. Sein Gesicht wirkte wächsern und die kleinen Äuglein waren blutunterlaufen. Immer wieder blickte er auf seine Uhr, um dann zu murmeln: "Gewiss kommen sie nicht pünktlich,. Dieses Volk kommt ganz bestimmt nicht pünktlich."
Um Punkt 14 Uhr schellte es. Salazar trat mit klopfendem Herzen zur Tür, um zu öffnen. Ja, er wusste, dass er einen Zauberer erwartete. Doch als er den Besucher vor der Haustür von Ligusterweg Nr. 2b stehen sah, brauchte er kein schauspielerisches Talent, um den Mann einfach nur anzustarren.
Der Zauberer hatte silberweißes Haar und einen ebenso weißen, langen Bart, der ihm bis weit über die Brust reichte. Er war groß und hager. Blaue Augen blickten freundlich über die Gläser einer Halbmondbrille auf ihn herab. Der Mann trug eine purpurne Robe, die mit silbernen Sternen besetzt war. Sein Reiseumhang, den er darüber geworfen hatte, leuchtete in einem tiefen Mitternachtsblau. Wäre Salazar der größte Muggel überhaupt gewesen, selbst er hätte erkannt, dass dieser Mann ein Zauberer war.
"Ah", sagte der Mann und beugte sich zu ihm herab. "Du musst Harry sein. Ich bin Albus Dumbledore, der Schulleiter von Hogwarts. Es ist schön, dich endlich kennen zu lernen."
Salazars Mund wurde trocken. Der Schulleiter? Warum bei allen Wesen der Anderswelt kam der Schulleiter persönlich? War er tatsächlich so eine Berühmtheit in der magischen Welt? Er unterdrückte einen Fluch. Nur zu gut erinnerte er sich an den Brief, den er in Dumbledores Namen an die Dursleys geschrieben hatte. Er hoffte inständig, dass sie ihn nicht erwähnen würden.
"Hallo", sagte Salazar schwach. "Kommen ... Sie doch herein."
Dumbledore strahlte ihn an. "Danke, dass ist sehr nett von dir, Harry."
Leise summend folgte er Harry durch die Tür. Die Dursleys drückten sich im Flur herum. Petunia machte ein Gesicht, als wüsste sie nicht, ob sie hysterisch lachen oder weinen sollte. Vernon wackelte nervös mit den Füßen, während er wie ein kleiner Junge zu Boden starrte. Nur Dudley rannte vor und betrachtete Dumbledore aus leuchtenden Augen. "Sie sind ein echter Zauberer? Wirklich?"
Glucksend lächelte Dumbledore dem Jungen zu. "Dudley Dursley, nehme ich an? Ja, ich bin ein Zauberer, sogar ein ziemlicher wichtiger." Er senkte die Stimme. "Ich bin auf einer Schokofroschkarte, weißt du?"
Dudley wusste offensichtlich nicht, doch er riss die Augen auf, als ihm der Schulleiter einen Schokofrosch in die Hand drückte. "Ess' ihn besser schnell", sagte er augenzwinkernd. "Sie haben die Angewohnheit weg zu hüpfen."
Vernons Stimme zitterte. "Geben ... Geben Sie dem Jungen nichts zu essen!"
"Es ist Schokolade", sagte Dumbledore vergnügt. "Möchten Sie auch welche?"
Salazar konnte nicht anders. Er musste lächeln. Dieser Dumbledore hatte offensichtlich großen Spaß damit, auf harmlose Weise mit den Dursleys zu spielen. Wenn es die Häuser noch gab, vielleicht war er dann ein Slytherin? Dumbledore fing seinem Blick auf und lächelte wissend. "Auch einen Schokofrosch, Harry?"
Sich bedankend nahm Salazar die unbekannte Süßigkeit entgegen. Es schien, als hatte sich die magische Gemeinschaft nicht nur weiterentwickelt, was ihre magischen Foki anging. Er kämpfte mit seinem zappelnden Schokofrosch und biss hinein. Die Schokolade war zart und süß. Im Körper des Frosches steckte eine Karte. Der Gründer Hogwarts zog sie heraus und betrachtete sie neugierig. Er sah einen Mann mit rotem Haar und kühnem Blick, dem ein roter Mantel über die Schultern wallte. In seiner Hand hielt er ein golden verziertes Paradeschwert. Der Zauberer grüßte mit der Waffe in seine Richtung und Salazar blinzelte fasziniert. Sie hatten gelernt, lebendige Bilder zu erschaffen! Welche Innovationen würde er heute wohl noch kennen lernen? Dann las er die Bezeichnung unter der Karte und konnte gerade noch einen Laut der Überraschung unterdrücken. Godric Gryffindor? Dieser Ritter hatte nichts mit Godric gemein. Noch nicht mal das Schwert stimmte.
Im selben Moment gab Dudley einen spitzen Schrei von sich, als ihm der Schokofrosch aus der Hand hüpfte. "Keine Sorge, Dudley", sagte Dumbledore gut gelaunt. "Sie schaffen nur drei Sprünge."
Er reichte der sichtlich überforderten Petunia eine Hand. "Was meinen Sie, Petunia? Sollen wir die Sache im Wohnzimmer besprechen?"
"Die Sache?", fragte Vernon mit zitterndem Schnurrbart. "Es geht aber nicht um weitere Geldkürzungen, oder?"
Leicht verwirrt runzelte Dumbledore die Stirn. "Geldkürzungen? Ich verstehe nicht ..."
Salazar verfluchte sein Schicksal.
"Sie waren es doch, der uns mit Geldkürzungen gedroht hat, wenn wir dem Jungen nichts über die magische Welt verraten", brummte Vernon.
Dumbledore strich sich über seinen Bart. Für einen Moment glitt sein Blick zu Harry hinüber. "Ah ja ... ich fürchte, ich schreibe so viele von diesen Briefen, dass sie meiner Erinnerung etwas auf die Sprünge helfen müssen? Haben Sie das Schreiben vielleicht aufbewahrt?"
"Ich habe ihn", knurrte Vernon. "Wir haben den Brief mitsamt unserer unterschriebenen Bestätigung kopieren lassen. Bei Ihren Leuten weiß man ja nie."
Dumbledore nickte, als wäre er gerade nicht von Vernon beleidigt worden. "Sehr richtig. Es ist immer gut auf Nummer sicher zu gehen."
Mit einem Schnauben stapfte Vernon davon und kehrte kurze Zeit später mit dem Brief zurück. Salazar machte sich innerlich bereit, den ahnungslosen Jungen zu spielen. Dumbledore las den Brief aufmerksam. Zum Schluss strich er über das Siegel von Hogwarts. Seine Augen blitzten. "Ah, natürlich", sagte er. "Ich erinnere mich. Das Siegel auf diesem hier ist ganz besonders schön geworden."
Vernon schnaubte. "Also diesmal keine Geldkürzungen?"
"Aber nein", sagte Dumbledore und schien sich großartig zu amüsieren. "Diese Angelegenheit wurde ordnungsgemäß erledigt. Möchten Sie mir nicht etwas zu trinken anbieten?"
Petunia verschwand mit einem würgenden Geräusch in der Küche, während Salazar eilig nach einer Hand voll Gläser griff. Er beobachtete Dumbledore aufmerksam. Dieser Zauberer dachte eindeutig wie ein Slytherin. Die Frage war nur, warum nahm ihn Dumbledore in Schutz?
Im Wohnzimmer ließ sich der Schulleiter in Vernons Lieblingssessel fallen, nahm einen Schluck von seinem Glas und blickte erwartungsvoll in die Runde. "Ich nehme an, Sie haben einige Fragen?"
"Ich möchte nicht, dass Harry auf diese Schule geht", grollte Vernon. "Er soll auf eine Wirtschaftsschule gehen und Dudleys Assistent bei Grunnings werden. Das ist meine Firma. Wir stellen Bohrmaschinen her, wissen Sie?"
Dumbledore nickte verständnisvoll, als wäre Dudleys Assistent bei Grunnings zu werden, tatsächlich ein erstrebenswertes Ziel. "Was ist deine Meinung zu der Angelegenheit, Harry?"
"Wenn ich zaubern kann", sagte Harry rasch. "Dann möchte ich auch lernen, wie ich es richtig mache." Er lächelte ein unschuldiges Lächeln. "Es wäre schön, wenn ich mehr Menschen helfen könnte, wie ich Dudley helfen konnte."
"Das klingt fast, als würde sich dahinter eine Geschichte verbergen?", fragte der Schulleiter mit funkelnden Augen.
"Er hat Dudley aus dem Fluss geholt", sagte Petunia tonlos. Mit zittrigen Händen stellte sie eine Flasche Whiskey auf den Tisch. Sofort schnappte sich Vernon das Getränk und schenkte sich ein.
"Unser Sohn wäre fast ertrunken", brummte Vernon und kippte sein Glas hinunter.
Erneut warf Dumbledore Salazar einen Blick aus den Augenwinkeln zu. "Was für ein Glück, dass ihr Sohn gerettet werden konnte. Unter diesem Gesichtspunkt sind wir uns wohl alle einig, dass Harry seine magische Ausbildung antreten sollte, nicht wahr?"
Bleiernes Schweigen von Seiten der Dursleys war die einzige Antwort. Ohne sich darum zu kümmern, lehnte sich Dumbledore vor und blickte Salazar an. "Welche Fragen liegen dir auf dem Herzen, Harry?"
Salazar holte tief Luft. Dieser Mann forderte ihn. Er war es nicht mehr gewohnt, so unter Beobachtung zu stehen. Aber er liebte Herausforderungen. Und Albus Dumbledore war eine fleischgewordene Herausforderung. Er setzte ein leicht nervöses Lächeln auf. "Wie ist ... Hogwarts ... ich weiß gar nicht, was ich mir vorstellen soll ..."
Dumbledore lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Hogwarts ist ein Schloss mit mehr Türmen und Räumen als man zählen kann. Es liegt am Rande eines verwunschenes Waldes, an einem großen See in Schottland. Es gibt dort vier Häuser. Ravenclaw, Hufflepuff, Slytherin und Gryffindor ..." Gespannt hörte Salazar dem alten Schulleiter zu. Ihm wurde bewusst, dass Dumbledore die Schule innig liebte. Und von seinen Erzählungen wirkte es so, als wenn, trotz aller Veränderungen, der Kern ihrer Schule noch immer unverändert stehen würde. Sein Herz wurde leicht bei dem Gedanken. Dennoch würde Godric sich in seinem Grab umdrehen, wenn er erfuhr, dass sämtliches körperliches Training mit Ausnahme von Quidditch abgeschafft worden war.
Dann wurde Dumbledore ernst und das Funkeln in seinen Augen erlosch. Sein fragender Blick glitt über die Dursleys und blieb schließlich an Salazar hängen. "Es tut mir leid, dass ich es ansprechen muss", sagte er sanft. "Doch was weißt du über die Narbe an deiner Stirn?"
Unwillkürlich fuhr Salazar mit dem Finger darüber. "Ein Zauberer hat meine Eltern ermordet", sagte er mit belegter Stimme. "Er hat auch versucht, mich zu töten und der Fluch prallte auf ihn zurück." Er räusperte sich. "Meine Verwandten haben mir davon erzählt. Und ich habe Ihren Brief gelesen."
Als Petunia und Vernon aufkeuchten zuckte er entschuldigend mit den Schultern. "Ich habe ihn beim Aufräumen im Keller gefunden."
"Deine Mutter opferte sich in dieser Nacht für dich. Und die Kraft ihrer Liebe bewahrte dich vor dem sicheren Tod", sagte Dumbledore leise.
Petunia schnaubte, sagte aber nichts.
"In dieser Nacht", fuhr Dumbledore fort, "wurdest du berühmt. Denn niemand zuvor überlebte den Fluch, den Voldemort damals sprach. Und als er stattdessen Voldemort selbst traf, wurde die magische Welt von einer großen Bedrohung befreit." Der silberhaarige Schulleiter blickte Salazar in die Augen. "Du bist berühmt, Harry. Jedes Kind kennt deinen Namen. Du wirst als der Befreier der magischen Welt gefeiert. Das solltest du wissen, bevor wir aufbrechen."
Die Dursleys schnappten nach Luft. Die Vorstellung, dass Harry berühmt sein könnte, schien über ihrer Vorstellungskraft zu liegen. Salazar jedoch beschäftigte etwas anderes. "Warum ist meine Mutter nicht berühmt? Sie war es doch, die diesen Sieg erst möglich machte. Hätte sie sich nicht geopfert, wäre es niemals so weit gekommen."
Dumbledore lächelte ihm zu. "Das hast du sehr gut beobachtet, Harry. Aber die Menschen wünschen sich einen Helden, der lebt. Du bist ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft."
Salazar nickte langsam, während er versuchte, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
"Nun denn", sagte Dumbledore und erhob sich lächelnd. "Sollen wir dann?"
Salazar folgte ihm hinüber zum Kamin und fragte sich, was der alte Zauberer vorhatte.
Er erfuhr es, als Dumbledore eine Prise eines farblosen Pulvers ins Feuer warf und sich die Flammen daraufhin grünlich verfärbten. "Das, Harry, nennt sich Flohpulver. Es ist eine Reisevariante, die eine Vielzahl von Kaminen in ganz Britannien miteinander verbindet. Sage einfach 'Tropfender Kessel'. Schön laut und deutlich, wir wollen ja, nicht, dass du woanders herauskommst."
Fasziniert betrachtete Salazar die grünlichen Flammen. Er hatte wirklich viel nachzuholen. Er spürte die Blicke der Dursleys im Nacken und wandte sich zu seinen Verwandten um. Vernon wirkte fast erleichtert. Petunia hatte den Blick abgewandt und ihre Augen wirkten erstaunlich wässrig. Dudley kaute auf seiner Unterlippe und blickte von einem zum anderen.
"Professor Dumbledore", fragte Salazar. "Können meine Verwandten uns vielleicht begleiten?"
Dudley sprang sogleich auf, die Begeisterung war ihm anzusehen. Petunia hob langsam den Kopf. Nur Vernon brütete weiter vor sich hin.
Langsam glitt Dumbledores Blick über die Dursleys, um zum Schluss erneut an harry hängenzubleiben. "Wenn sie das möchten ..."
Lächelnd wandte sich Salazar zu seinen Verwandten. "Es wäre schön, wenn ihr mitkommen würdet. Das heißt, wenn ihr möchtet."
Dudley setzte seinen besten Hundeblick auf. "Bitte Mummy! Bitte Daddy!"
Petunia erhob sich. Unsicherheit und Anspannung spiegelte sich in ihrem Gesicht. "Schön", sagte sie schließlich. Vernon gab sich geschlagen, als seine Frau und sein Sohn an Harrys Seite traten. "Irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass wir heil zurückkommen", brummte er.
Mit einem warmen Lächeln blickte Dumbledore von einem zum anderen. "Sehr schön. Wunderbar". Er reichte Petunia den Arm und geleitete sie in die grünlichen Flammen. "Sagen Sie schön deutlich 'Tropfender Kessel', meine Liebe. Und vergessen Sie nicht, aus dem Feuer herauszutreten, sobald Sie angekommen sind. Die anderen folgen unmittelbar auf dem Fuße."
Petunia nickte entschlossen. Nachdem sie die Worte gesprochen hatte, drehte sich ihre Gestalt um sich selbst und verschwand in einem Wirbel aus grünen Flammen. Vernon gab ein würgendes Geräusch von sich. Begeistert folgte Dudley seiner Mutter und war kurze Zeit später verschwunden. "Herr Dursley?", fragte Dumbledore liebenswürdig.
Schweiß glänzte auf Vernons Stirn als er in die Flammen trat. "T-Tropfender K-Kessell", brachte er hervor. Das Feuer brauste auf und er war verschwunden.
Dumbledores Blick glitt über Salazar. "Das Verhältnis von Lily und Petunia war immer angespannt. Es ist schön zu sehen, dass euch das nicht davon abgehalten hat, eine Familie zu werden."
Salazar nickte. "Es ist nicht perfekt. Aber es geht."
Mit funkelnden Augen nickte ihm der alte Schulleiter zu. "Nach dir, Harry."
Die grünlichen Flammen kitzelten leicht, als Salazar hinein trat. "Tropfender Kessel", sagte er deutlich. Im nächsten Moment überkam ihm ein Gefühl von Schwerelosigkeit. In rasender Geschwindigkeit drehte er sich um sich selbst. Und gerade als er dachte, ihm würde übel werden, taumelte er aus einem Kamin in einen heruntergekommenen Schankraum. Diffuses Licht kämpfte sich durch schmutzige Scheiben und fiel über rustikale Bänke und Stühle. Die Dursleys standen zusammengekauert in einer Ecke und schienen sichtlich erleichtert, als er aus den Flammen trat. Kurz darauf schritt Dumbledore aus dem Kamin und grüßte in die Runde. "Hallo, Tom", sagte er in Richtung des ältlichen Wirts. "Es ist lange her."
"Viel zu lang", krächzte der Mann. "Einen Limonen-Tee, wie immer?"
"Heute nicht", sagte der Schulleiter. "Ich begleite einen Schüler und seine Familie in die Winkelgasse."
Dumbledore schien in der magischen Gesellschaft hochgeachtet zu sein. Die bewundernden Blicke der Gäste folgten dem Zauberer durch den Schrankraum.
Dann blieb der Blick einer älteren Hexe an Salazars Stirn hängen. "Bei Merlin! Ist das Harry Potter?"
Stühle ruckelten und im nächsten Moment war Salazar von eine Traube von Menschen umgeben. "Ich danke Ihnen für das, was Sie für uns getan haben", sagte ein kleiner Mann unter Tränen. "Wir erwarten Großes von Ihnen!", kreischte eine Frau mit gewaltigem Hut. Salazar schüttelte Hände, lächelte und nickte, während immer mehr Menschen herandrängten und ihn mit Fragen und Dankesbekundungen überschwemmten. Als einer der Gründer, Adliger und Politiker, hatte Salazar auch in seinem früheren Leben ein nicht unerhebliches Maß an Berühmtheit erlangt, doch dass ihm diese Aufmerksamkeit nun so unverhofft und unverdient zuteil wurde, ließ ihn schwindeln.
Er war dankbar, als Dumbledore freundlich verkündete, dass sie noch einiges zu tun hatten und ihn vor den heranstürmenden Menschenmassen rettete. Die Dursleys beobachteten das Geschehen mit offenem Mund.
Dumbledore führte sie in einen ruhigen Hinterhof und zog seinen Zauberstab. "Schau jetzt genau zu", forderte er freundlich an Harry gewandt. "Beim nächsten Mal betrittst du die Winkelgasse wahrscheinlich ohne mich." Langsam tippte er mit seinem Zauberstab auf bestimmte Steine in der Mauer. Darauf war ein leises Rumoren zu hören. Die Steine verschoben sich ruckelnd und öffneten das Tor in eine andere Welt.
Salazar konnte kaum glauben, was er sah. Die Magie um ihn her war so dicht, das sie auf der Haut prickelte. Hexen und Zauberer in den buntesten Farben drängten sich zwischen verwinkelten Läden.
Das Sonnenlicht schimmerte auf ausgestellten Kesseln, Schaufenster und kunstvoll geschmiedete Messingschilder priesen selbstschreibende Federn und modebewusste Spiegel an. Ein Blumenladen war über und über mit weißen, aus sich selbst heraus leuchtenden Blumen bewachsen. Sträucher mit roten, glockenartigen Blüten, erzeugten harmonische Töne, wenn der Wind durch die Zweige strich. Alles war so voller Leben, voll summender Betriebsamkeit, dass Salazar unwillkürlich lächeln musste. Hierfür hatten er und seine Freunde gekämpft. Für eine Welt, in der Hexen und Zauberer in Frieden leben konnten.
Dudleys Augen waren so groß wie Unterteller. "Wow!", keuchte er und patschte mit beiden Händen gegen eine Scheibe, hinter der sich magische Süßigkeiten stapelten.
"Ah, ja", sagte Dumbledore munter. "Diesem Laden müssen wir später ganz dringend einen Besuch abstatten, da bin ich ganz deiner Meinung, Dudley. Aber zunächst braucht Harry Geld."
Vernons Schnurrbart zitterte. "Ich zahle nicht dafür, dass der Junge auf eine Zauberschule geht!"
Einige Hexen und Zauberer blickten sich zu ihm um und Vernon senkte rasch seine Stimme. "Niemand hat gesagt, dass ich für den Jungen zahlen muss", wiederholte er deutlich leiser.
"Das müssen Sie auch nicht", versicherte Dumbledore lächelnd. Sein Blick begegnete dem Salazars. "Deine Eltern haben dir einiges hinterlassen, Harry. " Er reichte ihm einen kleinen, goldenen Schlüssel und zwinkerte ihm zu. "Was meinst du, willst du es dir einmal anschauen?"
Salazar nickte. Im nächsten Moment hielten sie auf ein marmornes Gebäude zu, das sich schneeweiß und glänzend über den verschachtelten Läden erhob. Sie passierten den Eingang und Salazar spürte, wie ein dutzend Absicherungs- und Schutzzauber über ihn hinweg spülten. Gringotts war ein ähnlich gut geschützter Ort wie Hogwarts. Während die Dursleys sich eingeschüchtert in der mit Gold geschmückten Halle zusammendrängten, legte Dumbledore Harry einen Arm um die Schulter und führte ihn sanft zu einem der Wartepulte, an denen ihnen ein Kobold düster entgegen starrte. "Guten Tag, Ragnuk ", sagte Dumbledore vergnügt. Er warf Harry einen verschmitzten Blick zu. "Harry James Potter möchte sein Verlies einsehen."
Der Blick des Wesens verfinsterte sich noch mehr und es zeigte seine spitzen Zähne. "Schlüssel", murmelte es.
Salazar reichte dem Geschöpf das Gewünschte und sie folgten dem Kobold in die Tiefen von Gringotts. Aufmerksam beobachtete Salazar das Verhältnis zwischen Kobolden und Menschen. In seiner Zeit hatte es oft Unruhen, wenn nicht gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Völkern gegeben. Nun schien ein labiler, von gegenseitigem Misstrauen geprägter Frieden zu herrschen. Gerne hätte Salazar die Geschichte aus Sicht eines Kobolds erfahren.
Zu Zeiten der Gründer war Hogwarts eine Zuflucht für jeden gewesen, der Hilfe bedurfte. Nicht nur die Kinder von Hexen und Zauberern, sondern auch Meermenschen, Hauselfen, Zentauren, Kobolde und sogar Riesenspinnen hatten in Hogwarts ein Refugium gefunden. Er fragte sich unwillkürlich, was aus all diesen Wesen geworden war. War es mittlerweile möglich, dass sie frei und mit gleichen Rechten zwischen Hexen und Zauberern lebten?
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Ragnuk sie bat, in eine Lore einzusteigen. Was folgte, war eine haarsträubende Fahrt, in der Dumbledore mit wahnwitzig wehendem Bart jubelnd die Hände hochriss, sobald die Lore mit gefährlichem Tempo in die Tiefe ratterte. Salazar warf dem alten Schulleiter einen berechnenden Blick zu, während er sich an der Lore festklammerte. Ich spiele den kleinen Jungen und du den verrückten Großvater. Die Frage ist, was ist unter deiner Maske, Albus Dumbledore? In dem Moment traf Dumbledores Blick den seinen und hellblaue Augen trafen auf intensives Grün. Der alte Schulleiter lächelte. Und Salazar lächelte zurück.
Irgendwann hielt die Lore, der Kobold schloss das Verlies auf und Salazar sah zum ersten Mal, was ihm seine Eltern in diesem Leben hinterlassen hatten.
"20000 Galleonen, 35 Sickel und 3 Knuts. Das Verlies wurde seit dem Tod Ihrer Eltern nicht angetastet", knurrte Ragnuk. Der Kobold trug eine Fackel und leuchtete ihnen den Weg. Das Licht des Feuers spiegelte sich auf blitzendem Gold und Silber. Dumbledore folgte nicht. Der Schulleiter kämmte summend mit den Fingern durch seinen vollkommen verhedderten Bart und rief den beiden hinterher, dass er hier selbst noch etwas zu erledigen habe.
Salazar witterte seine Chance. Kaum, dass sie die Sicherheitszauber des Verlieses passiert hatten, richtete sich Salazar auf und zeigte seine Zähne, wie es Ragnuk am Empfang getan hatte.
"Ich grüße dich, Bruder. Mögen sich deine Reichtümer mehren und deine Finger nie an Geschicklichkeit einbüßen", sagte er in fließendem Gobbledegook.
Der Kobold versteifte sich. Seine klugen Augen betrachteten Salazar von oben bis unten. "Niemand mehr macht sich die Mühe, unsere Sprache zu lernen. Wer hat sie dich gelehrt?"
Salazar lächelte. "Euer Volk selbst. Wie steht es um die Kobolde?"
Wache Augen glitten über sein Gesicht. "Unsereins gibt unsere Sprache nicht an Zauberer weiter. Nicht mehr."
"Einstmals gab es eine Zeit, in der Kobolde und Zauberer einen gemeinsamen Traum und ein gemeinsames Ziel verfolgten. Wir alle wollten uns sicher fühlen von der Bedrohung durch die Nichtzauberer."
"Das ist lange her", sagte Ragnuk leise. "Und während Hogwarts noch immer steht, kämpfen die Kobolde um die Anerkennung von Hexen und Zauberern. Es gab Kriege und Revolten, doch es änderte sich nichts. Wir mögen die Finanzen und Geschäfte der magischen Welt leiten, doch stets bleiben wir Wesen zweiter Klasse."
"Wie ergeht es den anderen magischen Wesen?"
Ragnuk warf Salazar einen langen Blick zu. "Sie wissen erstaunlich wenig dafür, dass sie unserer Sprache sprechen, Mr. Potter."
Salazar blickte ihn unverwundet an und der Kobold senkte den Blick. "Es ist überall dasselbe. Hexen und Zauberer herrschen über die magische Welt. Alle magischen Wesen werden durch eine Abteilung im Ministerium verwaltet. Es gibt keine Mitsprache und keine Zauberstäbe für irgendjemanden, der nicht als Mensch geboren wurde."
"Wer hat dieses Gesetz verfügt?", fragte Salazar mit zusammengebissenen Zähnen.
"Das Ministerium der Zauberei", antwortete Ragnuk überrascht. "Wie können Sie das nicht wissen?"
Salazar schritt durch das Verlies und betrachtete die Gegenstände, die dort jenseits der Galeonen gelagert waren. In einem Regal fand er, wonach er suchte. Schlanke Kästchen standen darin aneinander gereiht. Auf den obersten beiden standen die Namen Lily und James Potter. Er zog das Kästchen seiner Mutter hervor und öffnete es. Ein geschmeidiger Stab aus Weidenholz lag auf grünem, samtenen Grund. Sacht strich Salazar mit der Hand darüber. Weide, der Baum der ewigen Jungend. Seine Zweige wurden Liebenden um die Hände geschlungen. Er galt als flexibel und belastbar, seine Triebe hatten heilende Wirkung. Die Baumgeister der Weide galten als besonders mitfühlend. Sie nahmen Krankheiten auf und boten magischen Wesen eine Zuflucht in ihren Zweigen. Es sagte viel über seine Mutter aus, dass sie einen Fokus aus Weidenholz besessen hatte. Salazar lächelte wehmütig. Dann reichte er den Zauberstab an Ragnuk. "Nimm ihn. Es ist ein Geschenk."
Ragnuks Augen weiteten sie. "Wie ...?!"
"Magie ist nichts anderes als die Kraft des Lebens. Sie fließt durch uns alle. In ihren Augen ist jeder gleich."
"Sie geben mir den Stab Ihrer Mutter?" Sichtlich gerührt strich der Kobold mit seinen langen Fingern über das Holz. "Ich kann ihn nicht annehmen ... ich mache mich strafbar ..."
Salazars Augen blickten entschlossen. "Dann bewahre ihn weiterhin in diesem Verlies auf. Das Geschenk ist ohnehin symbolisch, da er kein perfekter Fokus für dich ist. Betrachte ihn als Versprechen. Als ein Versprechen dafür, dass es wieder einen gemeinsamen Traum geben kann."
Ragnuks Augen schimmerten feucht. "Wer ... wer sind Sie?", flüsterte er rau.
Salazar blickte ihm in die Augen. "Einstmals nannte man mich Salazar Slytherin."
Ein Zittern, das nichts mit Angst zu tun hatte, lief durch den Körper des Kobolds. Seine Augen begannen zu leuchten. Langsam sank er in eine Verbeugung.
"Die Zauberer haben Ihren Namen verfälscht und verunglimpft, wie man es mit unserem getan hat", flüsterte der Kobold. "Aber mein Volk erinnert sich daran, wer uns Zuflucht geboten hat."
Salazar verbeugte sich seinerseits. "Und ich erinnere mich, wer uns geholfen hat, Hogwarts mit Flüchen und Bannzaubern zu schützen, sodass es der sichere Ort sein konnte, den wir uns alle wünschten."
Unendlich vorsichtig legte Ragnuk Lilys Stab wieder zurück in das vorgesehene Kästchen. "Vielleicht gibt es wirklich Hoffnung", sagte er leise.
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Harry Potter und die Rückkehr des Schlangenlords
FanfictionABGESCHLOSSEN In dem Moment, als der Todesfluch die Stirn von Harry Potter traf und eine Narbe in die Stirn des Kleinkindes ritzte, geschah noch etwas anderes. In jenem Moment, als die Grenze zwischen Leben und Tod verwischte und die Zeit keinen Nam...