Neville hatte gespürt, dass Harry seine Mutter untersuchte. Wieder hatte er nicht gewusst, was sein Freund da eigentlich tat, doch seit dem ersten Tag ihrer Bekanntschaft hatte er Harry bedingungslos vertraut. Harry wusste oft Dinge, die kein anderer wusste, selbst die Lehrer nicht, aber vielleicht gehörte das einfach dazu, wenn man der Junge, der lebt war. Neville konnte spüren, dass Harry kein falsches Spiel mit ihm trieb und dass er ihm vertrauen konnte. Sein Instinkt sagte ihm einfach, dass es richtig war, dass Harry diese Dinge wusste. Dass es gar nichts anders sein konnte. Neville war niemand, der sich leicht mit Erklärungen abfand. Er machte sich viele Gedanken. Als Reinblut, umringt von Traditionalisten hatte er früh gelernt, seine Umwelt kritisch zu hinterfragen. Aber was Harry anging, war das anders. Es gab keinen Zweifel, keine Unsicherheit, denn tief im Innern wusste Neville, dass alles seine Richtigkeit hatte. Das einzige Rätsel war, woher er dieses tiefe Vertrauen nahm. Lag es an der Sehnsucht, in Harry einen ähnlichen Freund zu finden, wie Sir Gryffindor in Lord Slytherin? Er konnte es nicht sagen und machte sich lieber keine Gedanken darüber.
Plötzlich ging ein Zittern durch Harrys Körper. Besorgt sprang Neville an die Seite des Freundes, als dieser die Augen öffnete und ihn ansah. In Harrys Blick stand eine so verzweifelte Hoffnung, dass es Nevilles Inneres zusammenzog. Dann bewegten sich seine Lippen und ein einzelnes Wort drang an sein Ohr. „Godric?"
Neville starrte ihn an. Was hatte Godric Gryffindor mit der Sache zu tun? Und dennoch war da etwas tief in ihm, das auf den Namen zu reagieren schien. Neville schüttelte den Kopf, um das seltsame Gefühl zu vertreiben. „Was meinst du, Harry?"
Noch einen Moment hielt der schwarzhaarige Junge seinem Blick stand, dann erlosch das Licht in seinen Augen. Er wandte sich ab und schloss für einen Moment die Augen. „Entschuldige, Neville. Es ist nichts." Er lächelte schwach. „Ich bin wohl müder als ich dachte."
Harry versteckte seine Trauer gut, doch Neville wusste, dass sie dort war. Kurzerhand trat er vor und schloss seinen Freund in eine Umarmung. „Es ist alles gut", murmelte er und gab damit dem Instinkt in seinem Innern ein weiteres Mal nach. „Ich bin da."
Harry reagierte auf die Worte, indem er ihn an sich drückte. Erst nach vielen Augenblicken löste er sich und blickte Neville ins Gesicht. Diesmal war es für Neville schwer, den Ausdruck in seinem Gesicht zu deuten. Hoffnung, Trauer und Sehnsucht mischten sich so eng miteinander, dass es schwierig war zu sagen, welches Gefühl überwog. „Erinnerst du dich in letzter Zeit an Dinge, die du nicht einordnen kannst?" Harrys Stimme klang brüchig.
Auch wenn Neville den Grund dafür nicht kannte, spürte er die Dringlichkeit in Harrys Worten.
„Nein", antwortete er zögernd.
Harry schloss die Augen.
„Aber ich habe komische Träume."
Harrys Kopf fuhr hoch. „Träume?", fragte er heiser.
Zum ersten Mal war es Neville nicht peinlich, es auszusprechen. Er fühlte sich seltsam ruhig, als er Harry ins Gesicht blickte. „Ich träume von den Gründern. Seit meiner ersten Nacht in Hogwarts passiert es immer wieder."
Hellgrüne Augen blickten in die Seinen. „Wovon hast du geträumt?"
Noch immer wusste Neville nicht, worauf Harry hinaus wollte. Was hatte all das mit seinen Eltern zu tun? Oder mit dem Grund, warum sie hier waren? Trotzdem gab er sich Mühe, die Frage seines Freundes zu beantworten. „Es sind einzelne Szenen...nichts Zusammenhängendes. Ich habe davon geträumt, wie die Gründer in Stonehenge den Antrag stellten, Hogwarts zu gründen. In einem anderen Traum hat Lord Slytherin Sir Gryffindor das Leben gerettet." Verlegen biss er sich auf die Lippe. „Mir war vorher nie bewusst, dass ich eine so lebhafte Fantasie habe."
Ihm fiel auf, dass Harry Tränen in den Augen hatte. „Was ist denn los?", fragte er besorgt.
Hastig wischte sich der Junge, der lebt, über die Augen. „Nichts", sagte er hastig. „Gar nichts."
Neville war einfach nur verwirrt. Waren das Freudentränen? Aber warum? Ihm wurde bewusst, dass er Harry noch nie hatte weinen sehen. Still legte er dem Slytherin eine Hand auf die Schulter. Dabei merkte er, dass seine eigene Sicht seltsam unscharf war. Er blinzelte mehrmals. Standen etwa auch Tränen in seinen Augen? Wie konnte das sein? Er hatte doch gar keinen Grund zu weinen, oder? Seine Gefühle waren ein einzelnes Chaos und er konnte sich keinen Reim daraus machen. Was ging hier vor?
„Harry?", fragte er schließlich leise.
Der Angesprochene holte tief Luft und brauchte offenbar einen Moment, um sich zu sammeln. „Du hattest Recht, Neville. Ich habe den Zauber gefunden, der die Erinnerungen und die Persönlichkeit deiner Mutter schützt."
Für einen Moment stockte Nevilles Atem. „Du kannst ihr helfen?"
Ein warmes Lächeln erhellte die Augen des schwarzhaarigen Jungen. „Ich bin zuversichtlich, dass es klappen wird."
Neville konnte es nicht fassen. Sein Herz pochte, während er seine Mutter betrachtete, die noch immer, ohne ein Zeichen des Erkennens, mit dem Käfer spielte. „Habe ich wirklich...?"
Kaum wagte er es, die Frage zu stellen.
Harry nickte. „Du hast ihre Erinnerungen versiegelt. Es ist alles da."
Nevilles Gedanken überschlugen sich. Noch immer wusste er nicht, was in Harry vorging. Er verstand nichtmals, was er selbst fühlte! Gleichzeitig fragte er sich, wie es ihm um Merlins Willen gelungen sein sollte, als Kleinkind die Erinnerungen seiner Eltern zu bewahren. Aber nur die Möglichkeit, dass seine Mutter erwachen könnte...es wäre die Erfüllung seines größten Traumes.
„Ich werde den Zauber jetzt lösen", sagte der Slytherin. „Hältst du sie fest?"
Neville nickte und legte die Arme vorsichtig um seine Mutter. Sie war erschreckend dünn. „Keine Sorge, Mum", sagte er mit einem Lächeln. „Harry ist da, um dir zu helfen. „Bitte bleib kurz ruhig und entspanne dich, ja?"
Alice Longbottom gab kein Zeichen, dass sie verstanden hatte. Aber sie entspannte sich sichtlich in Nevilles Umarmung. Den Kopf an der Schulter seiner Mutter, nickte er Harry zu.
Wenige Augenblicke später wurde Harrys Blick abwesend und Neville wartete mit klopfendem Herzen.
Salazar konnte sein Glück nicht fassen. Godric, sein Bruder, war bei ihm! Er mochte schlafen, er mochte sich nur an wenige Einzelheiten erinnern, doch er war bei ihm. Deswegen hatte Neville seine Erklärungen über fortgeschrittene Magie so einfach hingenommen. Weil ein Teil von ihm wusste, dass er über diese Magie verfügte. Weil ein Teil von ihm ihm bereits vertraute! Das war auch der Grund, warum Neville seine Lügen als solche erkannt hatte Durch das Band ihrer Seelen war es ihnen stets spielend leicht gefallen, den anderen zu durchschauen.
Es erklärte auch, warum er selbst immer wieder Nevilles Nähe gesucht hatte, warum er sich in der Nähe des Jungen immer besonders wohlgefühlt hatte. Ohne es zu wissen, hatte ein Teil von ihm den Freund bereits erkannt. Wenn er nur besser auf sein Gefühl gehört hätte! Wie viel früher hätte er es erfahren können? Er schüttelte den Gedanken ab. Godric war hier! Sein Bruder war bei ihm. Das war alles, was zählte.
Es brauchte nicht viel um Godrics Kokon zu lösen. Die Magie war unter seiner Berührung wie die Umarmung eines alten Freundes. Sein Bruder hatte es nie darauf angelegt, dass die Erinnerung so lange versiegelt blieb. Er hatte schlicht nicht wissen können, dass die Kenntnis darüber, wie man solches Wissen wieder herstellte, über die Zeit verloren gegangen war. Kaum hatte er Godrics Magie mit seiner Eigenen berührt, schwand die Leere im Geist von Alice Longbottom. Erinnerungen strömten an ihren Platz. Für einen Moment erhaschte Salazar das Bild eines lachenden Baby-Nevilles und das Gefühl von mütterlicher Liebe. Diskret zog er sich aus ihrem Geist zurück. Er sah, dass Mrs. Longbottom in Ohnmacht gefallen war. Neville barg sie in seinen Armen und gemeinsam machten es ihr die beiden Jungen auf dem Stuhl so bequem wie möglich.
Bei Neville Vater war es dasselbe. Godrics Magie löste sich widerstandslos unter Salazars Berührung und auch Nevilles Vater fiel in einen tiefen, heilsamen Schlaf.
Neville wartete atemlos, bis sein Freund aus den Gedanken seines Vaters zurückgekehrt war. Endlich blinzelte Harry und warf ihm ein beruhigendes Lächeln zu „Wenn sie erwachen, sollte es ihnen gut gehen. Aber sie werden an die letzten Jahre kaum Erinnerungen besitzen."
Neville nickte. Mit vor Aufregung geröteten Wangen wanderte sein Blick zwischen den schlafenden Gesichtern seiner Eltern.
„Neville?"
Etwas im Ton des Freundes ließ den blonden Gryffindor aufblicken.
Harry zögerte. Für einen Moment schien er mit sich zu ringen, bis er schließlich einen Entschluss fasste. „Als du ihr Wesen und ihre Erinnerung vor dem Zugriff der Todesser bewahrt hast...war dir nicht bewusst, dass du dafür Methoden verwendet hast, die im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten sind. So war es keinem Heiler von St. Mungo möglich, deine Magie wieder aufzulösen."
Nevilles Augen weiteten sich „Du meinst..."
Harry erwiderte seinen Blick. „ Die Magie im Geist deiner Eltern, ich habe sie erkannt, Neville." Grüne Augen blickten fest in die Seinen. „Die Magie...die deine Eltern beschützte, deine Magie, ist dieselbe, die einst ein anderer Zauberer nutzte. Sein Name war Godric Gryffindor."
Harry musste den Unglauben auf Nevilles Gesicht gesehen haben, denn nachdrücklich fuhr er fort.
„Glaube mir, die rotgoldene Aura seiner Magie hätte ich überall wieder erkannt. Keine andere magische Signatur strahlt so viel Mut und Zuversicht aus..."
„Godric Gryffindor?", brachte Neville hervor. „Wie ist das möglich?"
Harry blickte ihn ruhig an. „Du warst es, der davon geträumt hat. Du hast mir beschrieben, wie du deine Eltern als Kleinkind gerettet hast."
Neville war vollkommen verdattert. „Das...das war bestenfalls ein unkontrollierter Magieausbruch! Ich war keine zwei Jahre alt! Wenn du irgendeine Magie von Gryffindor gespürt hast, dann habe ich bestimmt nichts damit zu tun!"
„Neville...", sagte Harry und biss sich auf die Lippe. So unsicher, so hoffnungsvoll hatte Neville seinen Freund noch nicht erlebt. Aber worauf zielten seine Fragen? Nevilles Verstand dröhnte. Er konnte nicht glauben, was Harry offensichtlich mit seinen Fragen intendierte
„Du...du glaubst nicht ernsthaft, dass ich Godric Gryffindor bin?", fragte Neville vorsichtig
Konfrontiert mit der Frage, hatte Neville gehofft, dass Harry auflachen würde, um ihm dann zu erklären, was er eigentlich wollte. Aber der Slytherin blickte ihn nur wortlos und bittend an. Neville schluckte. „Du...du glaubst das wirklich, oder?"
Ruhig erwiderte Harry seinen Blick.
„Das ist...das ist verrückt!", brach es aus Neville hervor. „Ich bin niemals...Wie hast du überhaupt seine Magie erkannt!? Wie kannst du dir sicher sein?! Der Gründer ist seit über tausend Jahren tot!"
Wieder blickte ihn Harry einfach nur an. „Ich denke, das weißt du", flüsterte er schließlich. „Ich denke, du hattest genug Träume um es zu sehen."
„Was?", rief Neville, die Stimme mühsam gedämpft, um seine Eltern nicht zu wecken. „Ich weiß nicht, was du meinst! Ich kann dir sagen, wovon ich träume, wenn du es unbedingt wissen willst! Ich bin ein halber Squib! Ich bin unsicher und ungeschickt und vergesslich! Es ist klar, dass ich mir wünsche, ein wenig mehr wie Godric Gryffindor zu sein! Also träume ich davon zu sein wie er! Ich wünsche mir einen wahren Freund! Und mein einziger Freund bist du, Harry. Kein Wunder, dass Slytherin aussieht wie du!" Tränen traten in seine Augen. „Bitte hacke nicht auf meinen dummen Träumen herum! Es ist traurig genug, dass ich mir so etwas ausdenke!"
„Ich hacke nicht auf dir herum", sagte Harry sanft. „Wenn ich dir davon erzähle, hat das den Grund, dass-"
Ihr Gespräch wurde abrupt unterbrochen, als sich Mr. Und Mrs. Longbottom in diesem Moment zu regen begannen.Alice war die Erste, die die Augen aufschlug und sich im Patientenzimmer umsah. Als sie schließlich ihren Mann erspähte, gab sie einen Schrei von sich. „Frank! Bei Merlin, was ist mit dir geschehen, Liebling?!" Sie eilte an seine Seite und barg seinen Kopf in ihren Armen. Mehr brauchte es nicht, um Nevilles Vater zu erwecken. Überrascht und ungläubig blickte er zu ihr auf. „Alice?"
Dann scannte er mit der Geübtheit eines Aurors den Raum. „Wir sind in einem Krankenzimmer?"
„Ihr seid in der Abteilung für dauerhaft Fluchgeschädigte", sagte Neville leise.
Frank und Alice tauschten einen Blick. „Wie lange?"
Neville kämpfte mit den Worten. „Zehn Jahre", hauchte er schließlich.
Für einen langen Moment herrschte Stille.
Neville beobachtete, wie sich seine Eltern anblickten, das weiße Haar und die gealterten Gesichtszüge betrachteten.
Es war unmöglich zu leugnen.
Das jedoch machte die Nachricht, wenn überhaupt möglich, noch erschreckender.
„Diese Todesser haben uns zehn Jahre unseres Lebens genommen", sagte Frank mit plötzlicher Erkenntnis.
Alice zuckte zusammen. „Neville?! Wo ist unser Neville?!" Panisch durchsuchte sie den Raum.
Neville trat einen zögernden Schritt auf sie zu. „Ich bin hier, Mum."
Seine Mutter schlug sich die Hand vor den Mund. „Merlin und Salazar!" Mit geweiteten Augen betrachtete sie ihren Sohn.
Sein Vater setzte sich im Bett auf. „Neville? Bist du es wirklich?"
„Ja, Dad", brachte Neville hervor. Seine Kehle brannte. Und in seinen Augen standen Tränen.
Eine Weile betrachteten sie sich schweigend.
Plötzlich packe Neville die Angst. Was sahen seine Eltern wohl, wenn sie ihn betrachteten? War er für sie dieselbe Enttäuschung, wie für seine Großmutter? Wollten sie ihn überhaupt? War er für sie mehr als ein Fremder, wo sie ihn zehn Jahre seines Lebens nicht hatten aufwachsen sehen?
Endlich durchbrach seine Mutter das Schweigen. Auch in ihren Augen standen Tränen. „Du siehst deinem Vater so ähnlich", hauchte sie.
Frank Longbottom nahm ihre Hand. „Und du hast das Beste von deiner Mutter."
Alice streckte ihre freie Hand aus und hielt sie Neville unsicher entgegen. Als balanciere er auf einem Seil über einem Abgrund, ging Neville auf die beiden zu. Die Umarmung seiner Eltern war voller Fassungslosigkeit, und voller Unsicherheit. Die Liebe darin war dennoch spürbar. Als er sich von seinen Eltern löste, als er glücklich und voller Erleichterung von einem zum anderen schaute, wollte er ihnen Harry vorstellen.
Aber sein Freund hatte das Zimmer verlassen.
XXX
Salazar saß in seinem Bett, die Vorhänge zugezogen, und streichelte über Smaragds glatte Schuppen. Sein Blick ging abwesend ins Leere. Er würde sich erst wieder der Anwesenheit seiner Freundin bewusst, als ihn eine Zunge am Ohr kitzelte. "Heute bist du wirklich unheimlich", bemerkte Smaragd und kitzelte mit dem Schwanz seine Nasenspitze.
"Entschuldige, meine Teure", erwiderte er schwach und zwang sich zu einem Lächeln.
"Nichts da", zischte die Schlange entschieden. "Bewahr dir deine Maske für andere auf. Ich will wissen, was mit dir los ist."
"Ich habe heute Godric getroffen", murmelte Salazar.
"Und das ist so schrecklich?"
"Nein, im Gegenteil. Es ist nur...er erinnert sich nicht. Und ich habe ihn überfordert, als ich mich nicht beherrschen konnte und es ihm gesagt habe."
"Ist dieser Godric dein Freund?"
"Ja, mein allerbester."
"Das ist er nicht, das bin nämlich ich. Aber sagen wir Mal, er ist ein guter Freund...dann kommt er zurück, egal was du gesagt hast. Und wenn nicht, dann ist es nicht schade um ihn."
Als Salazar schwieg, legte Smaragd den Kopf schief. "Und?", fragte die Schlange. "Ist er einer, der zurück kommt?"
"Ja, immer wieder."
"Und wo ist dann bitteschön dein Problem?"
"Weil er sich vielleicht nicht daran erinnert, warum er zurückkommen sollte?"
"Quatsch", zischelte Smaragd entschieden. "Sowas ist Instinkt. Sowas vergisst man nicht!"
"Und wenn doch?"
"Dann ist er immer noch dein Freund. Wenn er es wert ist, dann sammle eben neue Erinnerungen mit ihm. Dann braucht ihr die alten nicht mehr."
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Salazars Gesicht. "Du hast natürlich Recht. Und ich sollte mich nicht so gehen lassen."
"Natürlich habe ich Recht", zischelte die Schlange selbstzufrieden. "Also, worauf wartest du? Rede mit ihm. Und ich gucke ihn mir auch Mal an und entscheide dann, ob er dich mir mir teilen darf."
Salazars Mundwinkel zuckten. "Du kennst ihn schon. Es geht um Neville Longbottom."
„Der sanfte Junge, der besser streichelt als du?"
„Genau der."
Smaragd zischte ungeduldig. „Und da machst du so einen Aufstand? Ich sage dir was, Salazar. Jemand, der so gut streichelt, kann kein schlechter Mensch sein."
Als der wiedergeborene Zauberer darauf nichts erwiderte, tippte die Schlange mit der Schwanzspitze gegen sein Knie. „Was sitzt du hier noch rum? Hoch mit dir! Rede mit ihm!"
Sanft schüttelte Salazar den Kopf. „So einfach ist das nicht, meine Teure. Er ist die nächsten Tage beurlaubt. Seine Eltern erholen sich gerade von einer schweren Krankheit. Sie brauchen ihn jetzt." Seine Augen verloren sich in der Ferne. „Und es gibt einfach Dinge, die kann man nicht in Briefen besprechen."
Der Kopf der Schlange sank zurück auf seinen Schoß. „Na toll. Das heißt ich kann mir jetzt die nächsten Tage dein Gejammer anhören. Wo ist eigentlich der blutige Baron, wenn man ihn braucht?"
„Sanguil ist mein Sohn. Ich werde ihn nicht mit meinen Problemen belasten."
Die Schlange warf ihm einen Blick zu. „Du weißt schon, dass dein Sohn mittlerweile tausend Jahre älter ist als du?"
Der Gründer Slytherins starrte auf die grünen Vorhänge seines Bettes. „Das ändert nichts."
„Nein", entgegnete Smaragd gespielt leidend. „Dafür hast du ja mich."
Salazar blickte hinab auf seine Schlange und tippte ihr liebevoll auf die Schnauze. „Weißt du, meine Teure, das kommt davon, wenn man fragt."
XXX
Neville blickte aus dem Fenster des Wohnzimmers hinaus in den Garten von Longbottom Manor. In den letzten Tagen war so viel passiert, dass er gar nicht dazu gekommen war, seine Gedanken zu ordnen.
Seine Eltern waren wieder bei ihm! Sie waren wach und bei Verstand und sie erkannten ihn, wenn er mit ihm sprach! Es war wie ein Wunder! Ein einziges glänzendes Wunder, von dem er hoffte, es würde nicht schmelzen wie der Raureif, der heute Morgen Blumen an die Fenster gezaubert hatte.
Gewiss, sie hatten viel aufzuarbeiten. Seine Eltern mussten sich an vieles gewöhnen. Sie mussten wieder lernen ein eigenes Leben zu führen. Sie mussten verarbeiten, dass sie zehn Jahre verloren hatten. Zehn Jahre, in denen ihr Sohn ohne sie herangewachsen war. Aber Neville hatte die Liebe in ihren Augen gesehen. Sie konnten es schaffen.
Und seine Großmutter? Augusta Longbottom war außer sich vor Freude. Zum ersten Mal seit er sich erinnern konnte, hatte Neville Tränen in ihren Augen schimmern sehen.
Noch immer standen die Heiler vor einem Rätsel. Niemand konnte sich erklären, was geschehen war. Fassungslos hatten sie seine Eltern durch eine Untersuchung nach der anderen gejagt. Heute waren sie endlich zufrieden gewesen und hatten Alice und Frank nach hause zurückkehren lassen Seine Gran würde eine Weile noch ein Auge auf die beiden haben, doch schon jetzt bewiesen Frank und Alice Longbottom, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sich vollständig erholen würden. Neville konnte sich nicht erinnern, dass in dem Anwesen jemals so viel Leben geherrscht hatte, wie an diesem Nachmittag.
Er spürte eine Berührung an seiner Schulter und blickte in die braunen Augen seiner Mutter. Noch immer machte sein Herz jedes Mal einen kleinen Sprung, wenn er das Erkennen und die Wärme darin sah.
„Du bist so still, Neville. Ist alles in Ordnung?"
War etwa nicht in Ordnung? Neville war niemals so glücklich gewesen wie jetzt und doch...fühlte er sich unruhig. Ihm gefiel nicht, wie er mit Harry auseinander gegangen war. Und die Dinge, die der Slytherin gesagt hatte... ihm schwirrte der Kopf davon.
Er warf seiner Mutter ein beruhigendes Lächeln zu. „Schon gut, Mum. Ich habe nur gerade an einen Freund gedacht, mit dem ich mich aussprechen muss."
Neugierig legte seine Mutter den Kopf schief. „Um wen geht es, wenn ich fragen darf?"
„Um Harry Potter."
Seine Mutter reagierte anders, als er angenommen hatte. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Harry? Wie schön. Lily und ich waren eng befreundet. Wir hatten immer gehofft, dass ihr beiden euch gut versteht." Sie runzelte die Stirn. „Ihr hattet eine Meinungsverschiedenheit?"
„Er hat mir etwas erzählt, dass ich nicht glauben kann", murmelte Neville.
Besorgt blickte sie ihn an. „Ging es um etwas Wichtiges?"
„Eigentlich nicht." Im selben Moment, wo er es aussprach, wusste Neville, dass es stimmte. Die Sache war bedeutsam. Neville hatte die Dringlichkeit in Harrys Augen gesehen. Sie mussten darüber sprechen. Aber ganz gleich, wie abstrus das klang, was der Slytherin erzählte.
Harry war sein Freund. Daran würde sich nichts ändern.
Er lächelte seiner Mutter zu. „Was meinst du, fühlst du dich gut genug, dass ich dir das Gewächshaus zeigen kann?"
Alice hakte sich bei ihm unter und sie spazierten zusammen durch den herbstlichen Garten. Sorgenvoll blickte Neville in den stahlgrauen Himmel.
Er hoffte wirklich, dass sie die Sache beilegen konnten.
XXX
Severus Snape lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte in das Zwielicht seines Zimmers. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Bücher, die vom Licht einer flackernden Kerze erhellt wurden. Er hatte alles gelesen, was er in der Bibliothek von Hogwarts über Wiedergeburten und frühere Leben hatte finden können. Mehr noch, er hatte Bücher aus ganz Großbritannien geordert, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Doch das Rätsel blieb.
Das Phänomen der Wiedergeburt war in der magischen Welt nicht unbekannt. Immer wieder nahmen Hexen oder Zauberer für sich in Anspruch, die Wiedergeburt einer berühmten Persönlichkeit zu sein. Die meisten von ihnen bezogen ihr neues Heim in St. Mungos. Die wenigen, die es nicht taten...erinnerten sich nicht wirklich. Sie besaßen bruchstückhafte Erinnerungsschnipsel, nicht genug um ein Leben zu rekonstruieren, gerade genug für eine Ahnung, was gewesen sein könnte. Solche Magieanwender träumten oft von dem, was gewesen war und vergaßen die Hälfte, wenn sie erwachten. Nur in Zeiten von Gefahr und Not mochte es sein, dass sich längst vergessene Fähigkeiten für einen Moment manifestierten.
Nichts davon passte auf Harry Potter. Der Junge erinnerte sich mit einer Klarheit, die ihm unbegreiflich war. Wie konnte das sein? Wie konnte sich der Junge erinnern?
Harry Potter war ein Enigma.
Der Todesfluch hätte den Jungen töten sollen. Doch er lebte.
Er hätte sich nicht erinnern dürfen. Doch er tat es.
Severus Snape massierte sich de Schläfen. Ob das eine Ereignis das andere bedingte?
Oder war Harry Potter einfach ein Junge, der Unmögliches in sich vereinte?
Und bedeutender als alle anderen Fragen: Wer war Harry damals gewesen? Aus wessen Augen hatte Snape in dieser Erinnerung geblickt?
Und warum, bei Salazar, wollte der Junge, dass er es herausfand?
DU LIEST GERADE
Harry Potter und die Rückkehr des Schlangenlords
FanfictionABGESCHLOSSEN In dem Moment, als der Todesfluch die Stirn von Harry Potter traf und eine Narbe in die Stirn des Kleinkindes ritzte, geschah noch etwas anderes. In jenem Moment, als die Grenze zwischen Leben und Tod verwischte und die Zeit keinen Nam...