Salazar gähnte verhalten, während er am Frühstückstisch von Slytherin Platz nahm. Augenblicklich schossen dutzende von Blicken in seine Richtung. Er nickte freundlich und grüßte in verschiedene Richtungen, froh, dass sich das Verhältnis in seinem Haus immer mehr zu seinen Gunsten wandte. Dennoch, Madame Pomfrey hatte recht: Er könnte wirklich ein wenig mehr Schlaf gebrauchen.
Gerade griff er müde nach einem schwarzen Tee, als wie aus dem Nichts zwei Rotschöpfe hinter ihm auftauchten.
Beide grinsten von einem Ohr zum anderen und trugen eine offensichtliche Ähnlichkeit mit Ron zur Schau. Als hätten sie es einstudiert, verbeugten sie sich beide in derselben übertriebenen Weise.
„Harry Potter!", rief einer der beiden.
„Was für eine Ehre, dich hier anzutreffen!"
Schmunzelnd blickte Salazar von einem zum anderen. „Wo sollte ich sonst zu dieser Uhrzeit sein?"
Die Zwillinge blickten sich an. „Da sagt er etwas, Fred,"
„Meinst du, er ist so klug, wie er mächtig ist, George?"
In gespielter Bewunderung blickten ihn beide aus großen Augen an.
„Was kann ich für euch beide tun?", fragte Salazar belustigt
Fred grinste. „Oh, da gibt es einiges ..."
„Aber fürs erste sind wir hier, um dich zu warnen ..."George setzte einen sinistren Blick auf und zeigte in Dumbledores Richtung. „Wir sind auf Anweisung des Schulleiters hier", raunte er bedrohlich.
„Wir handeln sozusagen in höchstem Auftrag", ergänzte Fred gewichtig.
„Wir wurden auf dich angesetzt", sagten sie unisono und nickten in gespieltem Ernst.
Ungläubig blickte Salazar in Dumbledores Richtung. Der Schulleiter schlürfte an seinem Tee und wirkte, als könnte er kein Wässerchen trüben.
„Und was hat euch der Schulleiter gebeten zu tun?", fragte Salazar neugierig.
Fred grinste. „Das, was wir am besten können, nicht wahr, George?"
„Unbedingt, Fred. Und wir werden es dir nicht leicht machen. Es ist das erste Mal, dass wir offiziell gebucht werden. Wir haben einen Anspruch zu erfüllen, weißt du?"
„Und worum geht es?", fragte Salazar
„Weiß er es wirklich nicht, Fred?"
George blickte entsetzt. „In der zweiten Woche hat ein Erstklässler noch nicht von uns gehört? Wir müssen an unserem Ruf arbeiten!"
Beide verbeugten sich erneut. „Gestatten, Fred und George Weasley, Spaßmacher, Unterhaltungskünstler und die Meister genial-absolutastischer Streiche!"
Aus den Augenwinkeln beobachte Salazar, wie, während der lebhaften Vorstellung der Zwillinge, etwas Kleines in seiner Teetasse verschwand.
„Der Schulleiter will, dass ihr mir Streiche spielt? Aber warum?"
„Tja, das wollten wir von dir erfahren", sagte George. Er beugte sich näher zu Salazar heran. „Was hast du ausgefressen, dass sich der große Dumbledore durch unsere erlauchten Personen an dir rächen will?"
Salazars Gedanken rasten. Er verstand, dass Dumbledore ihn beobachten ließ. Aber ein Streich? Das entzog sich seinem Verständnis.
Er versuchte es mit einem hilflosen Schulterzucken. „Ich glaube, ich entspreche nicht ganz seinen Erwartungen", murmelte er.
„Warum?", fragte Fred. „Weil du eine schlängelnde Schlange geworden bist?"
George rieb sich gespielt nachdenklich das Kinn. „Weil du Dumble den Dünnbart nicht an deinem ersten Schultag in einem Duell besiegt hast?"
Salazar warf den Zwillingen das hilflose Lächeln eines Erstklässlers zu. Sie waren Gryffindor. Vielen von Godrics Löwen war ein gewisser Beschützerinstinkt zu eigen.
Fred klopfte ihm auf den Rücken. „Keine Sorge, Harrykins. Wir finden es für dich heraus. Albus der Allmächtige wird sich noch umsehen!"
George zwinkerte ihm zu. „Betrachte dich nicht nur als persönliches Opfer, sondern auch als persönlicher Schützling von Gred und Forge."
Salazar schmunzelte. „Wie beruhigend."
Beide verbeugten sich schwungvoll. „Bis dahin ... einen schönen Tag noch".
Beide wandten sich scheinbar unbeteiligt ab, doch es gelang ihnen nicht lange, die Fassade aufrecht zu erhalten. Auf halbem Weg brachen die Zwillinge in unkontrolliertes Gelächter ab.
Salazar betrachte seine Teetasse, während seine Gedanken rasten. Was hatte Dumbledore davon, wenn die Zwillinge ihm Streiche spielten? Was erhoffte er sich davon? Und sollte er darauf eingehen?
Er spähte zum Schulleiter herüber. Die blauen Augen blickten wie zufällig in seine Richtung.
Salazar schenkte ihm ein kindliches Lächeln, das der alte Mann großväterlich erwiderte. Kurzer Hand ließ er den Inhalt seiner Teetasse unauffällig verschwinden. Was konnte sich Albus Dumbledore dabei gedacht haben?
Das war jedoch nicht die erste Seltsamkeit an diesem Morgen. Als Salazar mit den anderen Erstklässlern zu Zauberkunst aufbrach, verspürte er auf dem gesamten Weg ein seltsames Kribbeln im Nacken. Kurz bevor sie im Klassenraum eintrafen, fiel ihm auf, was nicht stimmte. Er wurde beobachtet.
Ein alter, streng dreinblickender Zauberer mit Spitzbart und grünsilberner Robe verfolgte ihn durch sämtliche Porträts. Mal verbarg er sich hinter einer Gruppe tuschelnder Hexen, dann lungerte er hinter einigen Bäumen im Hintergrund . Aber er war immer dort, beschattete Salazar auf seinem Weg durch das gesamte Schloss.
Vor dem Klassenzimmer entschuldigte sich Salazar in Richtung einer Jungentoilette und blieb in einem verlassenen Korridor stehen.
Es dauerte nicht lange und der Zauberer erschien in dem Bild von drei lachenden Trollen.
„Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?", fragte Salazar höflich.
„Es gibt nichts, was ich mit dir zu bereden hätte", entgegnete der Zauberer herablassend.
„Mit wem habe ich die Ehre?" Salazars Höflichkeit hatte eine Spur von Raureif.
„Was bringt man euch kleinen Plagen heutzutage eigentlich noch bei? Keiner versteht mehr etwas von Erziehung. Alles ist viel zu lasch geworden. In meiner Zeit wäret ihr damit nicht durchgekommen. Mein Name ist Phineas Nigellus Black. Bis 1925 war ich Schulleiter von Hogwarts."
Salazars Augen verengten sich. „Wer hat Sie angehalten, mich zu verfolgen? Albus Dumbledore?"
Der Zauberer richtete sich zu seiner vollen Größe auf und blickte auf Salazar herab. „Was wenn es so wäre, Junge?" Er grinste schadenfroh. „Es ist nicht so, als wenn du etwas dagegen tun könntest, oder?"
„Sie irren sich", sagte Salazar. Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie werden Ihre Verfolgung umgehend einstellen. Sollte sich Professor Dumbledore nach mir erkundigen, so ist nichts von besonderem Interesse vorgefallen. Sie werden meine Geheimnisse bewahren."
Der einstige Schulleiter öffnete den Mund für eine Erwiderung. Als jedoch kein Ton herauskam, weiteten sich seine Augen. „Woher hast du das Recht, mir etwas zu befehlen, du vorlautes Halbblut-Balg?"
„Auf eine so unverschämte Frage werde ich nicht antworten. Sie werden mich in der Öffentlichkeit weder verfolgen, noch auf persönliche Dinge ansprechen. Wenn Sie Antworten von mir wünschen, werden Sie mich höflich danach fragen. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
Wieder wirkte es, als kämpfe das Portrait gegen ein unsichtbares Hindernis. Schließlich nickte der einstige Lord der Blacks mit knirschenden Zähnen. „Ja, Sir."
Salazar lächelte kalt. „Hervorragend."
Er wandte sich um und schritt zu seinem Unterricht. Die Verwünschungen, die ihm Phineas Black hinterherrief, ignorierte er geflissentlich.
Professor Flitwick ließ in dieser Stunde Blaise Schulbuch durch den Raum fliegen und verkündete strahlend, dass sie sich von nun an damit beschäftigen würden, Gegenstände schweben zu lassen. Er erzählte ihnen, wie wichtig Intention und Vorstellungskraft in der Magie waren und ließ sie anschließend eine Zauberstabbewegung üben, die er als Wutschen und Schnipsen bezeichnete. Salazar hätte gerne gewusst, wie die magische Welt darauf gekommen war, eine solche Grundlage für das Schwebenlassen von Gegenständen festzulegen. Zu gerne hätte er sich mit der höheren Magietheorie dahinter befasst, doch er war sich sicher, dass seine Neugier bis aufs erste unerfüllt bleiben würde. Sein Tagesprogramm war bereits zu ausgefüllt, um sich aus reinem Interesse in der Bibliothek vergraben zu können. Also tat er sein bestes, Flitwicks Bewegung nachzuahmen und war erleichtert, dass sein Stab dieses eine Mal keine Funken sprühte.
Die Beschäftigung hielt ihn nicht lange gefangen und allzu schnell schweiften seine Gedanken ab. Angesichts der Feinde, die er in Professor Quirrel und einigen Slytherin gefunden hatte, hielt Salazar es für unabdingbar, seinen Ruf in seinem Haus weiter aufzubessern. Seine Magie war noch nicht ausgereift genug dafür, sich Kämpfe an mehreren Fronten erlauben zu können. Doch die letzte Woche hatte ihm auch eine überraschende Erkenntnis gebracht: Obwohl ihn der Rest der magischen Gesellschaft für einen dunklen Zauberer hielt, hielt das Haus Slytherin selbst noch fest zu seinem Gründer. Zwar aus den falschen Gründen, wie sich Salazar eingestehen musste, aber es würde die Arbeit mit seinem Haus definitiv erleichtern. Und da Snape ohnehin von seiner Fähigkeit Parsel zu sprechen wusste, gab es auch keinen Grund mehr, Smaragd länger im Freien übernachten zu lassen.
Als Flittwick den Unterricht für beendet erklärte, warf Salazar den Erstklässlern um sich einen auffordernden Blick zu.
"Habt ihr Zeit, mich zu begleiten? Ich möchte euch jemanden vorstellen."
Es war sehr erhellend, die Gesichter seiner Mitschüler zu beobachten. Theodores
Augen verengten sich, während Daphnes Augenbrauen gespannt nach oben wanderten. Tracey rückte ihre Brille zurecht, während Millicents Kopf leicht misstrauisch zur Seite wanderte.
Blaises Augen blitzten unvorbehalten und neugierig.
Salazar führte die Kinder hinaus auf die Ländereien von Hogwarts. Es war einer der letzten schönen Septembernachmittage. Erste goldene Blätter blitzten an den Zweigen des verbotenen Waldes und der große See kräuselte sich leicht in einem lauen Wind. Zielstrebig führte Salazar seine Klassenkameraden zu den Busch, unter dem Smaragd ihren Bau errichtet hatte.
"Meine Teure, würdest du dich für einen Moment zu uns gesellen?"
Er beobachtete die Gesichter der Kinder genau, als er die Worte auf Parsel sprach. Auf
ihren Mienen spiegelte sich blanker Unglaube, bis sich Smaragd aus dem Busch
hervorwand und sich über Salazars ausgestreckten Arm auf seine Schulter schlängelte.
"Das ist Smaragd, meine Freunde."
Nacheinander stellte Salazar der Schlange seine Begleitung vor.
Die Schlange sog zischelnd den Geruch der Erstklässler ein. Dann neigte sie den Kopf. "Ihr
dürft erfreut sein, meine Bekanntschaft zu machen."
Die Kinder starrten Salazar aus großen Augen an.
"D-Du bist ein Parselmund!", brach es aus Blaise hervor.
Auf Daphne Lippen hatte sich ein leises Lächeln geschlichen. "Du bist immer für eine neue Überraschung gut, nicht wahr?"
Theodores Augen lagen fasziniert auf Smaragds schillernden Schuppenkleid. "Darf ich sie
streicheln?"
Salazar gab die Frage an Smaragd weiter, die Theodore daraufhin hoheitsvoll den Kopf
entgegenstreckte. "Ein schönes Exemplar", sagte der tierliebe Junge, während er vorsichtig
über Smaragds Rücken strich. "Ich glaube, ich habe noch nie von so einer Schlange
gehört."
Salazar schmunzelte. "Sie ist definitiv einzigartig."
Tracey schien immer noch mit der neuen Erkenntnis zu kämpfen. "Wenn du ein Parselmund
bist, dann bist du der erste seit ..."
"Seit Voldemort", vollendete Salazar ruhig den Satz. "Glaubt ihr, das ist ein Problem?"
"Unsinn", sagte Daphne ungeduldig. "Der Gründer unseres Hauses hat mit Schlangen
gesprochen. Das ist etwas, worauf jeder Slytherin stolz sein kann."
"Sie werden begeistert sein", flüsterte Millicent ehrfürchtig.
"Es sieht so aus", sagte Salazar an die Schlange gewandt, " als ob du früher als gedacht in
den Gemeinschaftsraum umziehen könntest."
Smaragd gab ein triumphierendes Zischen von sich. "Das wurde aber auch Zeit."
Es stellte sich heraus, dass die Slytherin mit ihrer Einschätzung recht behalten sollten.
Sobald Salazar mit Smaragd den Gemeinschaftsraum betrat, wurde es so still, dass man
eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Salazar tat,
als würde er es nicht bemerken. Stattdessen richtete er die Aufmerksamkeit auf die
Schlange um seinen Hals. "Smaragd, willkommen im Gemeinschaftsraum der Slytherin",
sagte er auf Parsel.
Kritisch beäugte die Schlange den Gemeinschaftsraum. „Es ist auf jeden Fall eine Steigerung zu den Dursleys. Ich denke, ich werde mich fürs erste damit zufrieden geben."
Salazar lachte. „Ich hoffe deine Geduld hält noch etwas an, denn die nächsten sieben Jahre werden wir hier verbringen."
Ihm war vollkommen bewusst, wie still es um sie her geworden war. Dann brach der Tumult los.
Die Slytherin bestürmten ihn mit Fragen, auf den Gesichtern von vielen lag offene Bewunderung. Selbst Malfoy wirkte wie erstarrt und wusste offensichtlich nicht, wie er mit dieser neuen Erkenntnis umgehen sollte.
Nur Marcus Flint rauschte, flankiert von seinen beiden Freunden aus dem Gemeinschaftsraum. „Das ändert gar nichts", zischte er. „Potter hat dennoch unsere Träume zerstört. Vergesst das nicht."
Aber seine Worte, so schien es, hatten im Hause Slytherin ihr Gewicht verloren.
Und das war ein Fundament auf dem Salazar aufbauen wollte.
Von nun an hielt er sich jeden Abend im Gemeinschaftsraum auf und half allen, die bei ihren Hausaufgaben Probleme hatten. Neben der praktischen Hilfe ließ er immer wieder Bemerkungen oder Fragen einfließen, die seinen Slytherin zu denken gaben.
"Eines verstehe ich nicht", sagte Salazar an einem Abend und legte seine Schreibfeder beiseite. Smaragd, die neben ihm auf den Tisch gedöst hatte, hob den Kopf und ihre Augen funkelten erwartungsvoll im Licht des Kaminfeuers. „Jetzt geht es los", kommentierte sie schadenfroh.
Salazar hatte Mühe, bei dem Kommentar seiner Schlange ein amüsiertes Schmunzeln zu unterdrücken. "Warum ist ein Reinblüter eigentlich einem Halbblut und einem Muggelgeborenen Zauberer überlegen?", fragte er.
"Unsere Linie ist frei von unreiner Magie", antworte Daphne wie aus der Pistole geschossen. "Und sie kann weit in die Vergangenheit zurückverfolgt werden.
"Was ist denn reine Magie?", fragte Salazar nach.
"Magie die unverfälscht ist und sich nicht mit der von Muggelgeborenen gemischt hat", antwortete Blaise an ihrer Stelle.
Salazar tat, als dachte er nach. "Und woher kommen die ersten Zauberer?"
Seine Mitschüler schwiegen.
"Gab es eine Zeit, in der es nur Zauberer gab? Und keine Muggel?"
"Nein", sagte Daphne fest. "Magie ist ein seltenes Geschenk. Es gibt viel mehr Muggel als Zauberer."
"Ach so", sagte Salazar innerlich lächelnd. "Das heißt, die ersten Zauberer sind aus Muggeln entstanden? So, wie es heute auch noch passiert?" Er runzelte die Stirn. "Was genau machte die Magie von damals dann bewahrungswürdiger als heutige Magie?"
Smaragd räkelte sich zufrieden auf seinem Schoß. „Ha! Was sagt ihr jetzt?", fragte die Schlange selbstzufrieden.
Blaise klappte den Mund auf und wieder zu, ohne irgendetwas zu sagen.
Theodore war sichtlich blass geworden.
Daphne biss sich auf die Lippen und schwieg. Nach einer Weile winkte sie ihm anerkennend zu. "Ein Punkt für dich."
Tracey und Millicent hatten der Unterhaltung stumm zugehört. Aber ihre Wangen waren gerötet und in den Augen lag ein Funken mehr Hoffnung.
Nicht alle nahmen es so gut auf wie seine Klassenkameraden.
Der Gemeinschaftsraum hatte sich in bleiernes Schweigen gehüllt. Vielen Schülern war der Schrecken angesichts dieser Enthüllung deutlich anzumerken. Ab diesem Tag sah Salazar viele nachdenkliche Gesichter. Und er wurde nicht müde, ihren Gedanken abends neues Futter zu liefern. Immer mehr Schüler, auch aus älteren Klassen, versammelten sich abends um ihn, lernten mit ihm und stellten Fragen. Er beantwortete sie nicht alle selbst. Oft genügten die richtigen Denkanstöße damit seine Schlangen die Antworten fanden, die sie suchten. Immer mehr beobachtete er, wie seine Slytherin begannen, selbständig Dinge zu hinterfragen, und um seine Lern-Gruppe herum zur Diskussion stellten. Es ging um Politik, um Voldemort und um festgefahrene Traditionen. Salazar musste feststellen, dass es nicht viel brauchte, um seine Slytherin dazu zu bringen, kritisch zu denken. Sie waren ambitioniert, listig und kreativ. Alles was sie brauchten, war ein wenig Anreiz.
Als sich an einem Abend Pansy Parkinson zu ihnen gesellte, wusste er, dass er auf einem guten Weg war.
Natürlich gab es auch Menschen wie Malfoy oder Flint, die jede Diskussion verweigerten und mit Beleidigungen um sich schossen, sobald ein für sie empfindliches Thema angetippt wurde. Salazar hörte immer wieder, dass ein Halbblut wie er nicht fähig war, solche Zusammenhänge zur Gänze zu durchschauen. Sein Hinweis, dass es keinen sichtbaren oder nachweisbaren Zusammenhang zwischen Intelligenz und Reinheit des Blutes gab, wurde geflissentlich von den Betreffenden ignoriert. Aber nach und nach gab es immer weniger, in deren Gesichtern Zustimmung zu sehen war, wenn Malfoy oder Flint mit ihren Ansichten um sich warfen.
Alles in allem war Salazar stolz auf seine Schlangen.
XXX
Für gewöhnlich verwendete Severus Snape die Stunden nach einem Brauvorgang darauf, seinen Erstklässlern detailgetreu aufzuzeigen, wo genau sie in der vorherigen Stunde versagt hatten. Er würde über falsche Schneidetechniken, die Reihenfolge der Zutaten und die Wirkungsweise des Trankes sprechen, bis die Gesichter der kleinen Narren entweder tränenüberströmt waren, oder vor unterdrückter Wut glänzten. Danach würden sie denselben Trank noch einmal brauen. Und erfahrungsgemäß hatte es dann auch der letzte Idiot verstanden.
An diesem Tag gab es jedoch kaum Fehler, die er vorzuzeigen hatte. Dank eines gewissen Potter-Sprosses war wieder einmal beinah jeder Trank gelungen und Snapes Lehrplan zunichte gemacht. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sicherzugehen, dass alle die Theorie verstanden hatten, um dann zum nächsten Schritt überzugehen und sie nach einem Schlaftrunk einen Muntermacher brauen zu lassen. Diesmal mischte sich der Potter-Junge nicht ein. Snape hatte das verwirrende Gefühl, dass der Junge seine Unterrichtsmethoden verstanden hatte. Wie sonst sollte er sich diese gelassene Ruhe erklären, jedes Mal, wenn er versuchte, den Jungen in Grund und Boden zu starren?
Nur einmal griff Potter ein. Wenn Longbottom die Nieswurz tatsächlich in den Trank geworfen hätte, hätte sich der Aufputschtrank augenblicklich in eine gefährliche Säure verwandelt. Potter sprang vor und hatte Longbottom die Knolle mit einem professionellen Griff aus der Hand geklaubt, noch bevor Schlimmeres passieren konnte.
Woher hatte der Junge gewusst, wie Nieswurz auf eine erhitzte Tollkirschen-Lösung reagieren würde? Woher dieses analytische Interesse an seinen Unterrichtsmethoden? Erneut stand Snape vor einem Rätsel. Aber diesmal musste er es nicht dabei bewenden lassen.
"Legillimens", flüsterte der Tränkemeister und blickte in den Geist des Jungen.
Oder zumindest versuchte er es.
Er prallte gegen eine solide Mauer. Es war selten, dass Snape auf Widerstand stieß. Die wenigsten Zauberer hatten gelernt, wie sie ihren Geist verteidigten. Wenn es geschah und die Verteidigung tatsächlich seine Fähigkeiten überstieg, wurde er hochkant aus dem Geist desjenigen herausgeworfen. In Potters Fall geschah nichts dergleichen. Der Junge schien ihn gerade dazu einzuladen, seine Abwehrmaßnahmen auf Schwachstellen zu überprüfen. So tastete Snape die undurchdringliche Wand vor ihm ab. Doch wie weit er auch suchte, es gab keine Lücken, keine Schwachstellen.
Harry Potter war elf Jahre alt.
Und sein Geist war eine uneinnehmbare Festung.
Noch während Snape darüber nachdachte, was das bedeutete, ertönte eine Stimme in seinem Geist. Eine Stimme, die sich anhörte wie die Potters, aber auch wieder nicht. Sie klang älter, reifer.
"Sind Sie besorgt, Professor?"
Die Stimme klang nicht lauernd, nicht bösartig, höchstens leicht amüsiert.
Snapes Augen verengten sich? Besorgt? Das war kein Ausdruck. "Wer sind Sie?", zischte er zurück, versuchte seinen Gedanken dieselbe Schärfe wie seiner Stimme zu verleihen.
"Wo wäre der Spaß, wenn ich Ihnen das einfach verraten würde?"
Snape zückte seinen Zauberstab. "Finite Incantatem!", sagte er fest. Er spürte wie der Zauber Potter traf und ... nichts geschah.
Hellgrüne Augen funkelten, als der Junge lächelnd Snapes Blick erwiderte. Potter war nicht verzaubert, er hatte seine Gestalt nicht verändert. Und doch stimmte etwas so gewaltig nicht mit ihm, dass es zum Himmel schrie.
Erneut warf sich Snape gegen den Geist des Jungen, wieder war es, als glitten seine Hände über fugenloses Gestein.
"Sie sorgen sich wirklich", sagte die Stimme, die entfernt nach Potter klang. Diesmal waren die Worte sanfter, die Belustigung verschwunden.
"Ich gebe Ihnen einen Hinweis."
Und auf einmal erschien eine Tür im Gestein, bereit ihn einzulassen. Snape zögerte nicht. Eine bessere Möglichkeit würde er nicht bekommen. Er schlüpfte hinein, gewillt sich dem zu stellen, was dieser Fremde im Körper von Harry Potter zu zeigen bereit war.
Fackeln und Laternen warfen goldenen Schein zwischen einfache Strohhütten. Dorthin, wo das Feuer nicht reichte, quoll die Nacht schwarz wie Tinte. Pauken und Flöten füllten die Luft mit alten Weisen. Paare drehten sich auf einem Platz aus festgestampfter Erde. Die Menschen waren dünn und ärmlich gekleidet, doch in dieser Nacht lag auf den Gesichtern ein Lächeln. Ein Mann, ein Fremder, bewegte sich unter den Menschen, sein Reisemantel und die elegante Haltung lenkten die Blicke der Umstehenden auf sich. Er hielt sich abseits, tanzte nicht, der Ausdruck in den hellgrünen Augen war undeutbar. Der Mann war ein Beobachter unter Feinden. Er wollte die Menschen studieren, die seinen Vater auf dem Gewissen hatten, er wollte sie verstehen und ihre Schwächen erkunden.
Wer sein Opfer verstand, war ein besserer Mörder.
"So ernst an einem so schönen Abend?" Die Sprecherin war eine junge Frau. Ein honigblonder Zopf hing über ihrer Schulter, die Züge wirkten fein und zerbrechlich.
Der Fremde stockte, er wurde selten angesprochen. Er hatte etwas an sich, dass die Menschen einschüchterte. Nicht aber sein Gegenüber.
"Mir ist nicht nach feiern zu mute", erwiderte er kurz angebunden. Zu frisch waren die erlittenen Verluste, zu sehr schmerzten noch die Wunden in seiner Brust.
"Seid Ihr sicher? Beltaine ist nur einmal im Jahr."
"Was ist mit Euch?", gab er zurück. "Auch Euch sehe ich nicht auf der Tanzfläche."
Sie lächelte. "Oh, das hat einen einfachen Grund." Sie lupfte ihren Rock ein wenig, sodass er ihre Füße sehen konnte. Nun, genau genommen einen Fuß. Ein Bein fehlte.
"Wie...?" Ihm fehlten die Worte.
"Zauberer suchten Unterschlupf für die Nacht. Vater wollte ihn nicht gewähren. Sie ... sie töteten ihn. Mich hat er in der Kohlekammer versteckt ... deswegen kam ich mit dem Leben davon." Sie sprach die Worte ruhig und ohne Hass. Nur ihre hellen Augen hatten einen traurigen Glanz angenommen.
Er konnte es nicht fassen, musste nachhaken. "Ihr wollt die Täter gewiss tot sehen?'
Sie hob die Schultern. "Was würde es ändern? Es würde mir meinen Vater nicht zurückgeben. Und wenn Gewalt stets mit Gewalt bekämpft wird, sind wir dann nicht in einem Kreislauf gefangen, der nie ein Ende findet?"
Er blickte sie an, bewegt und beschämt durch ihre Worte. Er hatte Rache gewollt, war deshalb gekommen.
"Was würdet Ihr tun, wenn jetzt ein Zauberer neben Euch stände?", fragte er leise.
Fest erwiderte sie seinen Blick. "Ich würde versuchen, ihn zu verstehen. Nur wer versteht, kann vermitteln. Nur wer vermittelt, kann Frieden stiften." Sie senkte den Blick. "Ich sehne mich nach Frieden."
Das tat er auch. Er hatte es nur bisher nicht gewusst. Er streckte die Hand aus. "Darf ich Euch zum Tanz bitten?"
Sie blickte verwirrt. "Ich sagte doch, dass ich nicht ..."
Er ließ sie schweben. Nicht weit genug, dass es auffiel. Nur gerade genug für einen Tanz.
Ihre Augen weiteten sich.
Und dann lächelte sie.
Die Tür schloss sich so lautlos, wie sie sich aufgetan hatte. Snape fühlte sich sanft, aber bestimmt aus dem fremden Geist gezogen. Er blinzelte. Er stand noch immer hinter dem Pult. Er konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war, oder wie lange er dort regungslos verharrt war. Er fühlte sich von neugierigen Schüleraugen beobachtet und beeilte sich, finster zurück zu starren.
Was war das gerade gewesen? Was hatte er gesehen?
Er versuchte all die Hinweise zu fassen, die ihm der fremde Zauberer in der Gestalt von Harry Potter gegeben hatte. Die Häuser waren aus Holz, Lehm und Stroh gewesen und die Kleidung der Muggel ... es mussten Jahrhunderte seit dieser Erinnerung vergangen sein. Zudem hatte das Gespräch eindeutig vor Inkrafttreten des Geheimhaltungsabkommens stattgefunden. Das hieß, die Erinnerung stammte spätestens aus dem 17. Jahrhundert, war sehr wahrscheinlich sogar deutlich älter. Kein Mensch lebte so lange. Also war Potter von einem Geist besessen? Snape verwarf den Gedanken. Über einen so langen Zeitraum war eine Besessenheit nicht denkbar. Außerdem hatte Pomfrey das verneint. Auch eine Verbindung zum Dunklen Lord war auszuschließen. Niemals wäre es denkbar, dass Voldemort solche Erinnerungen gesammelt hatte. Aber was war es dann? Er stockte. War es tatsächlich möglich, dass sich Potter an ein früheres Leben erinnerte? Welche andere Möglichkeit würde es geben, das Gesehene zu erklären? Snape war sich sicher, er hätte erkannt, wenn die Erinnerung verfälscht worden wäre. Also war es das? Es würde Potters Verhalten, sein fortgeschrittenes Wissen und seine Fähigkeiten erklären. Unruhig begann er im Raum auf- und abzugehen.
Aber mehr als all diese Erkenntnisse, machte ihm etwas anderes zu schaffen. Der Fremde aus der Erinnerung war ein von Hass und Rache getriebener Mann gewesen.
Bis eine Frau ihm einen anderen Weg gezeigt hatte.
Der Lebensweg ähnelte auf beunruhigende Weise seinem eigenen. Nur das Lily erst hatte sterben müssen, damit er begriff, wie falsch er gelegen hatte.
Dieser Zauberer war vorher wach gerüttelt worden. Er war Snapes Schicksal entgangen. Aber die Ähnlichkeit blieb. Und Snape kam nicht umhin, sich ihm verbunden zu fühlen.
Er würde weiterhin versuchen, mehr über diesen rätselhaften Fremden, der Harry Potter war, zu erfahren. Doch würde er es nicht mehr tun, um sich einer potentiellen Bedrohung anzunehmen.
Jemand, der solche Erfahrungen gemacht, der solche Dinge erlebt hatte, den dürstete es nicht länger danach, anderen zu schaden.
Es verlangte ihn nach Frieden.
Mit einem Mal wurde sich Snape bewusst, dass er Harry Potter nicht mehr hassen konnte.
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Harry Potter und die Rückkehr des Schlangenlords
FanficABGESCHLOSSEN In dem Moment, als der Todesfluch die Stirn von Harry Potter traf und eine Narbe in die Stirn des Kleinkindes ritzte, geschah noch etwas anderes. In jenem Moment, als die Grenze zwischen Leben und Tod verwischte und die Zeit keinen Nam...