Severus Snape blickte von seiner Zeitung auf und nahm einen großen Schluck schwarzen Tee. Der Lautpegel in der großen Halle war deutlich höher als sonst, doch keiner der Lehrer machte sich die Mühe, die Schüler zurecht zu weisen. Im Gegenteil. Filius, Minerva und Pomona waren in eine angeregte Diskussion vertieft, der Dumbledore mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck lauschte. Ganz Hogwarts spielte verrückt.
Genau wie die Zeitungen. Ganz gleichgültig, ob man den Tagespropheten, den Quibbler, oder Verwandlung heute las, überall drehten sich die Artikel um ein und dasselbe Thema: Die Legalisierung von dunkler Magie.
Angefangen hatte es damit, dass sein Mentor unter dem Namen des Nachtheilers gezeigt hatte, was mit der dunklen Kunst alles zu vollbringen war, indem er heimlich in St. Mungos Patienten geheilt und mittels dunkler Magie ungeahnte Erfolge erzielt hatte. Der Fall von Sirius Black hatte wiederum gezeigt, dass selbst eine so angesehene und alte Familie wie die Blacks, nicht davor sicher war, ohne Gerichtsverfahren in Askaban zu landen. Diese Erkenntnis hatte die magischen Familien enger zusammen rücken lassen. Und diese einmalige Situation in der magischen Welt hatte der Nachtheiler genutzt, um seinen Plan fortzuführen.
Severus wog das schwere Papier des Briefes in Händen, den er vor wenigen Tagen erhalten hatte. Albus hatte ihn gebeten, ihm das Schreiben zu zeigen, eine Bitte, die er nur zu gerne erfüllte.
Gedankenvoll strich er die Seiten des schweren Pergamentes glatt und überflog erneut die Zeilen, in der ihm mittlerweile vertrauten Handschrift.
Verehrte Herrschaften, meine lieben Freunde,
vielleicht haben Sie meine Bemühungen in St. Mungos verfolgt? Vielleicht erkennen Sie meine Absicht?
Mein Ziel ist die Legalisierung von sogenannter dunkler Magie. Sie, meine Freunde, wissen besser als alle anderen, was es bedeutet, dass ein ganzer Zweig der Magie verboten wurde. Familienrituale können nur in Heimlichkeit, oder gar nicht mehr vollführt werden und so geraten alte Traditionen in Vergessenheit. Auch die magischen Feiertage wie Beltaine oder Samhain, verlieren so ihre Bedeutung und werden von den Feiertagen der Muggel abgelöst. Wenn dunkle Magie nicht legalisiert wird, besteht nicht nur die Gefahr, dass ein ganzer Zweig der Magie ausgelöscht wird, mit ihm wird auch ein großer Teil unserer Kultur verloren gehen. Deswegen fürchten sich viele von uns vor dem Einfluss der Muggelgeborenen, deswegen wollen viele von uns ihre Präsenz aus der magischen Welt verbannen.
Wäre die dunkle Magie legalisiert, könnten wir in Frieden unseren alten Sitten und Gebräuchen nachgehen, was hätten wir noch von ihnen zu befürchten? Unsere Kultur, unsere Magie, würde erhalten werden, weil sie praktiziert wird und die magische Gesellschaft fände zu neuer Blüte.
Viele von uns schlossen sich dem dunklen Lord an, in der Hoffnung, er würde diese Ziele gewaltsam umsetzen. Doch der dunkle Lord ist fort und unsere Ziele unerreicht.
Was, wenn wir gemeinsam eine friedliche Lösung erreichen könnten? Eine Lösung, für die wir weder unsere Familie, noch unsere Erben der Gefahr durch Leid und Tod aussetzen müssten?
Wenn wir uns zusammenschließen, wenn wir im Ministerium gemeinsam unsere Stimme erheben, wird unser Wunsch, in Anbetracht der jüngsten Ereignisse, kaum abzuschlagen sein. Sie fragen sich, wie das sein kann, bei all dem Gegenwind, der unserer Meinung im Ministerium entgegenschlägt? Manchmal ist es eben nicht der gerade Weg, der zum Ziel führt, meine Freunde.
Ich schlage folgenden Schachzug vor: In der nächsten Sitzung des Ministeriums präsentieren wir gemeinsam ein Edikt für die Gleichberechtigung aller magischen Geschöpfe. Warum aller magischen Geschöpfe? Warum nicht einfach für die Legalisierung der dunklen Magie, möchten Sie fragen? Meine Antwort darauf ist diese: Die hellen Familien im Ministerium werden versuchen, sich gegen die Legalisierung der dunklen Kunst zu stellen. Was aber ist, wenn wir ihnen den Wind aus den Segeln nehmen, indem wir sie bei etwas unterstützen, dass schon lang ihr erklärtes Ziel ist? Und wenn tatsächlich alle magischen Geschöpfe gleichberechtigt werden, so gilt das auch für ihre Magie. Auch für jene von ihnen, die aufgrund ihrer Natur ausschließlich dunkle Magie nutzen. Ihr versteht, worauf ich hinaus möchte, meine Freunde? Wo wir auf Hindernisse stoßen werden, wenn wir auf direkten Wege versuchen, die dunkle Magie zu legalisieren, wird es uns ohne Schwierigkeiten gelingen, wenn wir die hellen Familien scheinbar unterstützen und ein Edikt für die Gleichberechtigung magischer Geschöpfe unterzeichnen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass ihre magischen Rechte gleich der unseren sind und die dunkle Magie ist legalisiert, ohne dass es auch nur eine Diskussion zu dem Thema geben wird.
Ich vertraue hoffnungsvoll auf eine fruchtbare Zusammenarbeit
Der Nachtheiler von St. Mungos
Laut Severus Wissens hatte jede bekannte dunkle und neutrale Familie der magischen Gesellschaft ein solches Schreiben erhalten. Und wie nicht anders zu erwarten, hatte es Wirkung gezeigt. Innerhalb weniger Tage hatte Lucius Malfoy eine Sondersitzung einberufen und seinerseits eine Vielzahl von magischen Familien angeschrieben. Mit Erfolg. Der Schwund ihrer Kultur besorgte nicht nur Todesser. Und auch unter ihnen gab es viele, die Voldemorts Ziele zwar unterstützten, dessen gewaltsames Vorgehen ihnen jedoch stets ein Dorn im Auge gewesen war. Kaum eine magische Familie neigte dazu, viele Kinder in die Welt zu setzen. Und die Sorge um ihre Erben beeinflusste viele in ihrer Entscheidung. Auch die Sorge, überrannt und kulturell dominiert zu werden, nutzte der Brief gekonnt für seine Zwecke und bot eine gewaltfreie Lösung an, die auf lange Sicht sogar den Hass auf Muggelgeborene senken und ein gegenseitiges Verständnis erreichen konnte. Das Schreiben fiel vor allem jetzt, nach Sirius Fehlurteil auf fruchtbaren Boden. Viele alten, magischen Familien hatten sich bisher für unnatastbar gehalten. Das einer aus ihrer Mitte unrechtmäßig verurteilt und nach Askaban geschickt wurde, hatte viele von ihnen aufhorchen lassen. Die Bereitwilligkeit sich zusammenzuschließen und gemeinsam ein Ziel zu verfolgen, war niemals so groß gewesen wie jetzt.
Severus nickte anerkennend. Die größte Leistung dieses Schreibens bestand jedoch darin, Voldemort seine Anhänger streitig zu machen. Seine Ziele waren friedvoll umgesetzt. Es gab einfach keinen Grund mehr, sich ihm anzuschließen, selbst, wenn er eines Tages wieder auferstehen sollte. Natürlich würde es immer jene geben, die nicht ruhen würden, bis alle Muggel und Muggelgeborenen entweder beseitigt oder versklavt worden waren. Die nicht aufhörten, zu quälen und zu töten, weil es ihnen Freude bereitete. Oder jene, die ihm aus Furcht gehorchen würden. Doch die politischen Ziele seiner Anhänger waren beseitigt. Und Severus wusste, dass der Gründer seines Hauses auch für die verblieben Anhänger des dunklen Lords noch Pläne aufzuweisen hatte.
Der Nachtheiler, Sirius und schließlich der Aufruf zum Zusammenschluss...Jähe Bewunderung erfasste ihn, als er begriff, wie minuziös Lord Slytherin die Ereignisse durchdacht und nach und nach ins Rollen gebracht hatte. Er hatte angenommen, durch Dumbledores Weigerung, die Schriften seines Arbeitszimmers zu veröffentlichen, sei Lord Slytherin in seinen Plänen zurückgeworfen worden. Immerhin hätte das Verständnis, was dunkle Magie in Wahrheit war, nicht nur den Ruf seines Mentors, wiederhergestellt, sondern den einer gesamten Branche der Magie. Nun stellte sich heraus, dass der Gründer seines Hauses nie auf die Unterstützung des Schulleiters angewiesen gewesen war. Der Mann war nicht aufzuhalten.
Ein Künstler.
Oder eine Naturgewalt.
Sein Blick glitt zum Haustisch der Slytherin. Seine Schlangen diskutieren aufgeregt. Die jüngsten Ereignisse waren für alle Schüler das Hauptthema auf den Fluren, doch seine Slytherin betraf es ganz besonders. Sein Blick glitt zu dem Jungen, den die Welt als Harry Potter kannte. Lord Slytherin wirkte blass und müde, doch das waren die einzigen Zeichen, die davon kündeten, was er in so kurzer Zeit an enormen Leistungen vollbracht hatte. Der Junge, der keiner war, hatte den Kopf leicht schräg geneigt, und lauschte interessiert den Erzählungen seiner Mitschüler, während er sich seinerseits eine große Tasse mit schwarzem Tee einverleibte. Als hätte er Snapes Blick gespürt, blickte er auf und ihre Blicke trafen sich. Kurzentschlossen erhob sich Snape und rauschte unheilverkündend auf den Tisch der Slytherin zu. "Mr. Potter", sagte er eisig. "Wenn Sie mir bitte folgen möchten?"
Seine Schlangen tauschten unsichere Blicke. Harry lächelte ihnen beruhigend zu, bevor er sich erhob. "Natürlich, Professor."
Snape führte den Gründer seines Hauses in einen leeren Korridor und wirkte einen Anti-Abhörzauber über sie. "Meinen Glückwunsch", sagte er schließlich. "Ich nehme an, Sie sind zufrieden, mit dem Verlauf der Ereignisse?"
Grüne Augen blitzten undurchschaubar. "Durchaus, Severus."
"Wie Sie die Gleichberechtigung der magischen Geschöpfe genutzt haben, um jeglichen Widerstand zu beseitigen, der einer Legalisierung der dunklen Magie im Wege stehen könnte, ist in der Tat beachtlich."
Lord Slytherin lächelte. "Wer sagt denn, dass es mir allein um die Legalisierung der dunklen Magie ging, Severus?"
Der Tränkemeister blinzelte. "Etwa nicht?"
Schmunzelnd schüttelte Lord Slytherin den Kopf. "Ich muss zugeben, dass es mir in der Tat ein Anliegen war, meine eigene Kunst frei ausüben zu können. Noch dringlicher war natürlich die Notwendigkeit, Voldemort seine Anhänger abspenstig zu machen. Aber von ebensolcher Wichtigkeit... war von Anfang an die Gleichberechtigung der magischen Geschöpfe. "Lord Slytherin lächelte zufrieden. "Heutzutage nennt man das zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn ich mich nicht irre?"
Severus starrte seinen Mentor fassungslos an.
"Wo wir gerade ein Gespräch unter vier Augen führen..." Der Gründer Hogwarts griff in die Tasche seines Umhangs und holte ein gutes Dutzend magisch verkleinerter Bücher hervor.
Snape vergrößerte eines und wog es prüfend in der Hand. "Schutzzauber?"
"Schutzzauber, von denen Voldemort nichts weiß und die er deshalb nicht brechen kann. Sie sind so alt, dass Sie schon lange der Vergessenheit anheim gefallen sein sollten. Sei doch so gut und verteile sie unter deinen weniger entschlossenen Freunden."
Snape nahm die Bücher entgegen und ließ sie in die eigenen Taschen gleiten. "Das wird ihre Angst vor dem dunklen Lord deutlich reduzieren. Doch er wird Macht über sie haben, solange sie das dunkle Mal tragen."
Lord Slytherins Augen blitzten. "Heute Nacht werde ich, wenn du ein paar Stunden Zeit für mich erübrigen kannst, einige letzte Informationen über das Mal sammeln. Anschließend werde ich dir zeigen, wie du es entfernen kannst und diese Ergebnisse auch schriftlich an diese Bücher anfügen."
Snape hob eine Augenbraue "Das heißt, Ihre Studien sind bald abgeschlossen?"
Slytherin lächelte zufrieden. "Mehr als das. Doch bevor ich das dunkle Mal unter meine Kontrolle binde, möchte ich sicherstellen, dass nur noch jene es tragen, deren Treue zu Voldemort unverbrüchlich ist."
Unschlüssig blickte Snape seinen Mentor an. "Wenn ich Ihre Bitte erfülle, werde ich meine Funktion als Spion des Ordens verlieren. Der dunkle Lord wird mir nicht mehr trauen, wenn ich seine Mitglieder abgeworben habe."
Wärme trat in den Blick von Lord Slytherin. "Sobald ich meinen Plan umgesetzt habe, wirst du kein Doppelagent mehr sein müssen, Severus."
Der Tränkemeister spürte, wie sich seine Schultern entspannten. Er hätte es wieder getan. Für Lily. Und weil es das Richtige war. Doch er war ehrlich erleichtert, wenn er sich dieses Mal nicht als Diener des dunklen Lords ausgeben musste. Es riss Wunden auf, die niemals ganz verheilt waren.
Er neigte den Kopf. "Ich danke Ihnen, Lord Slytherin."
Der Mann in der Gestalt eines Jungen schmunzelte. "Glaube mir, Severus. Die Ausführung dieses Plans liegt ganz in meinem eigenen Interesse."
XXX
Lucius Malfoy starrte auf den Brief in seiner Hand. Es war so leicht. Warum war er selbst nicht darauf gekommen? Es war nicht möglich, magische Geschöpfe auf dieselbe Stufe wie Zauberer zu erheben, wenn ihre Magie als weniger wert galt. Aber wenn man ihnen, auch den dunkleren Vertretern, ihre Magie erlaubte, dann war es nur gerecht, dass auch für die Hexen und Zauberer zu tun, nicht wahr? Sie würden die dunkle Magie legalisieren. Alles was sie dazu tun mussten, war die Rechte magischer Geschöpfe anzuerkennen. Das war gewiss ein Wermutstropfen, aber vertretbar. Wo die Hauselfen sich ohnehin davon gemacht hatten, sah Lucius durch diesen Schritt nicht länger eine Einschränkung in seiner Lebensqualität.
Lucius war es nie so klar gewesen, wie in diesem Moment. Sie brauchten den dunklen Lord nicht. Sie würden es aus eigener Kraft schaffen. Wenn er nur sicher sein könnte, von Voldemorts Rache verschont zu bleiben. Lucius wusste, dass Quirrel daran arbeitete, den dunklen Lord in die Welt der Lebenden zurück zu rufen. Deswegen hatte er Draco angehalten, den Mann zumindest nicht zu kontaminieren. Solange er seine Familie nicht verteidigen konnte, hatte er keine Wahl, als vorsichtig zu sein. Er konnte sich nicht gegen den dunklen Lord stellen. Das Wagnis war zu groß.
Der Kamin loderte in grünen Flammen auf und Severus Gesicht erschien im Feuer.
"Guten Abend, Lucius", grüße er knapp. "Kann ich hindurchtreten?"
"Natürlich, Severus", erwiderte der blondhaarige Zauberer gönnerhaft. Im nächsten Moment trat Severus Snape durch die Flammen. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs ließ Lucius ein weiteres Weinglas heranschweben. "Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs, mein Freund?", fragte er, während er seinem Besuch eingoss.
"Dies hier." Der Zaubertranklehrer holte ein Buch hervor und vergrößerte es mit einem Tippen seines Zauberstabs.
Neugierig beugte sich Lucius darüber. "Das sind Schutzzauber. Sehr alte, wie mir scheint."
"Sie stammen aus dem Arbeitszimmer von Lord Slytherin", sagte der dunkel gewandete Zauberer und nippte an seinem Wein. "Ich habe es vor Kurzem in den Kerkern entdeckt."
Langsam ließ Lucius die Luft entweichen. Was für eine Entdeckung. Mit aller Kraft kämpfte er dagegen an, seine Begeisterung zu deutlich zu zeigen. "Wirklich?", fragte er und hob milde interessiert eine Augenbraue. "Ich gratuliere. Warum habe ich noch nichts von diesem Fund gehört?"
Nun lag Verachtung in Severus Stimme. "Der Schulleiter hat beschlossen, die Entdeckung zunächst nicht in die Hände der Öffentlichkeit zu geben."
"Eine Schande", sagte Lucius und kräuselte die Lippen.
"In der Tat", sagte der Tränkemeister. Nun war seine Stimme bar jeder Emotionen. "Du wirst feststellen, dass die in den Büchern beschriebenen Zauber nicht nur alt, sondern auch extrem komplex sind." Er schürzte die Lippen. "Ich bin mir sicher, selbst der dunkle Lord hätte äußerste Schwierigkeiten, sie zu durchbrechen."
Lucius erstarrte. Schutzzauber, die der dunkle Lord nicht kannte. Das war die Lösung! Damit würde er sich endlich abgrenzen könne, ohne sich selbst oder seine Familie in Gefahr zu bringen. Äußerlich ließ er sich jedoch nichts anmerken. "Interessant", sagte er beiläufig und nahm einen Schluck Wein.
Severus Snape blickte ihn an. Die Züge waren so unleserlich wie immer. "In der Tat. Wenn alle...weniger entschlossenen Freunde Zugang zu solchen Zaubern hätten, ich frage mich, wie viele Anhänger hätte der dunkle Lord noch?"
Lucius Herz begann zu pochen. "Ein beunruhigender Gedanke", sagte er beiläufig.
"Ja, nicht wahr?"
Die beiden Männer blickten sich in die Augen. Sie waren jung gewesen, als sie den Versprechungen eines Mannes verfallen waren, der sich als Monster entpuppt hatte. Das hier war die Möglichkeit auszusteigen. Vielleicht sogar die Chance, dafür zu sorgen, dass er niemals mehr an Macht gewinnen würde.
"Ich denke, ich wüsste in etwa, wer in Frage käme."
Severus nickte. "Deswegen komme ich mit meiner Sorge zu dir." Seine Augen verengten sich. "Nicht doch, dass der dunkle Lord noch Anhänger verliert? Ich bin mir sicher, du kümmerst dich darum?"
Lucius neigte de Kopf. "Aber natürlich, Severus. Überlasse die Angelegenheit ganz mir."
Sie stießen miteinander an.
"Noch eine Sache", bemerkte der Tränkemeister in einer Betonung, als spreche er über das Wetter. "An die Bücher angefügt ist ein Ritual zur Entfernung des dunklen Mals. Ich hoffe das verdeutlicht einmal mehr, die Wichtigkeit, diese Unterlagen... aus der Welt zu schaffen."
Für einen Moment setzte Lucius Herz einen Schlag aus. Dann brauchte er seine gesamte Selbstbeherrschung, um nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen.
Denn Severus Snape hatte ihm nichts Geringeres als die Freiheit gebracht.
XXX
Leises Gemurmel erfüllte die Bibliothek. Schon mehrfach hatte Madame Pince missbilligend in ihre Richtung geschaut. Die drei Gryffindor, die mit Hermine an einem Tisch saßen, hatten es noch nicht mal bemerkt.
Dean und Seamus beugten sich zu Ron hinüber, der eifrig und mit geröteten Wangen von seiner Ratte erzählte, die sich nicht nur als Animagus, sondern als gesuchter Verräter und Mörder entpuppt hatte.
Vor kurzem war das noch ganz anders gewesen. Hermine erinnerte sich gut an sein leichenblasses Gesicht und die nur mühsam zurückgehaltenen Tränen, als er vor einigen Tagen von einem Gespräch mit Professor Dumbledore zurückgekehrt war. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Sie hatte selbst einen kleinen Schock erlitten, als er ihr davon erzählt hatte. Wenn es ihre Ratte gewesen wäre, sie hätte bestimmt nie wieder ein Haustier gewollt. Ron hatte gerade noch Zeit gehabt, seine Sachen zusammen zu packen und Hermine von den Neuigkeiten zu berichten, bevor ihn seine Mutter abgeholt hatte.
Die Zeit des Gerichtsverfahrens hatte Ron bei seiner Familie verbracht und war erst heute Morgen nach Hogwarts zurückgekehrt. Und auch, wenn er immer noch ein wenig blass wirkte, sonnte er sich offensichtlich in der Aufmerksamkeit seiner Mitschüler.
Wer hätte auch gedacht, dass Sirius Black, der in aller Literatur, die sie gelesen hatte, als rechte Hand von Du-Weißt-Schon-Wem dargestellt wurde, in Wahrheit unschuldig war? Sie schüttelte den Kopf. In letzter Zeit geschahen wahrhaft unglaubliche Dinge.
Und dazu gehörte, gewiss nicht zuletzt, auch das Rätsel um Harry Potter.
Müde wischte sich Hermine über die Augen. Um sie her lagen alle Arten von Büchern verstreut, die meisten so alt, dass die Buchstaben verblichen und die Einbände gerissen waren. Wenn jemals Stasis-Zauber auf ihnen gelegen hatten, so waren sie längst verblasst.
Sie hätte nie gedacht, dass es so schwer sein würde, etwas über magische Auren herauszufinden. Überraschenderweise war sie weniger in der Zauberereigeschichte, sondern in alten Regeln zur magischen Etikette fündig geworden. Es schien, als hätte es eine Zeit gegeben, wo das Betrachten eines magischen Kerns als gesellschaftlicher Affront gegolten hatte. Seine Eigenschaften konnten für einen scharfsinnigen Beobachter offenbar viel über eine Person verraten. Die Farbe eines magischen Kerns jedoch galt als familiäres Erkennungszeichen und wurde von alten Familien gerne im Wappen getragen. Auch im Falle der Gründer von Hogwarts war das so gewesen. Sie hatte die Information in einem alten Buch über magische Wappen und Siegel gefunden. Dass Harry die selben Farben trug, konnte also bedeuten, dass er von Salazar Slytherin abstammte. Das wäre zwar spannend, aber nicht weiter verdächtig. Niemand konnte etwas dafür, wer seine Eltern waren. Umso unwahrscheinlicher wäre es, in Harrys ferne Verwandtschaft zu einem tausend Jahre alten Gründer irgendetwas hineinzulegen.
Außerdem beantwortete es nicht ihre Fragen.
Eine Verbindung zu einem mächtigen Vorfahren würde vielleicht Harrys Talent, nicht aber sein Wissen erklären. Es würde nicht erklären, was er mit den Hauselfen getan hatte. Es würde nicht erklären, wie er den Todesfluch von Du-weißt-schon-wem überstanden hatte.
Zu gut erinnerte sie sich daran, wie sie ihn auf dem Astronomieturm gesehen hatte. Wie er wortlos Schutzschilde um sie alle gewirkt hatte. Wie er mit einem einzigen, mächtigen Zauber Crabbe, Goyle, Flint und Malfoy zu Boden gezwungen hatte. Und die Erinnerung an die Wut, die dabei in seinen Augen gelodert hatte, ließ sie noch immer schaudern.
Das Einzige, das auf eine wahnsinnige Art Sinn ergab, war dass Salazar Slytherin wieder unter den Lebenden wandelte.
Und zwar in der Gestalt von niemand anderen als Harry Potter.
Hermines Herz zog sich allein bei dem Gedanken zusammen. Salazar Slytherin war ein dunkler Zauberer gewesen. Er hatte Hogwarts verlassen, weil er keine Muggelgeborenen unterrichten wollte. Aber stimmte das? In dem Buch, das Harry ihr gegeben hatte, stellte sich alles anders da. Frustriert vergrub sie die Hände in ihrem Haar. Harry hatte sich ihr gegenüber stets freundlich verhalten. Seine erwachsene Art und sein Wissen hatten sie genauso fasziniert wie seine zuvorkommende Höflichkeit Aber was wusste sie über ihn, wenn sie ehrlich war? Eigentlich nichts. Er konnte genauso gut der gesamten Welt etwas vorspielen.
Sie sollte zu Professor McGonagall gehen. Oder noch besser, zu Professor Dumbledore. Aber würden die beiden ihr glauben schenken? Sie warf Ron einen Seitenblick zu. Bisher hatte sie auch ihm nichts von ihrem Verdacht erzählt. Und das lag nicht nur an der Verhandlung um Peter Pettigrew. Eigentlich hatte sie nichts vorzuweisen, als haltlose und ziemlich skurrile Anschuldigungen. Wenn sie ehrlich war, glaubte sie sich die Hälfte der Zeit selbst nicht. Aber was, wenn es keine andere Erklärung gab? Was, wenn sie tatsächlich Recht hatte?
Vielleicht heckte Harry in diesem Moment in den Kerkern seine düsteren Pläne aus. Ob Neville mehr darüber wusste? Neville! Abrupt sprang Hermine von ihrem Stuhl. Sie musste ihren Klassenkameraden beschützen! Vielleicht irrte sie sich ja und Harry meinte es gut. Vielleicht war er noch nicht einmal das, was sie befürchtete. Aber allein die Vorstellung, in was er den gutgläubigen Neville hineinziehen könnte...sie zitterte nur bei dem Gedanken. Entschlossen straffte sie die Schultern. Was sie brauchte, waren Beweise. Und bis sie die gefunden hatte, durfte sie nicht von Nevilles Seite weichen.
Wer wusste schon, wozu Harry Potter tatsächlich in der Lage war?
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Harry Potter und die Rückkehr des Schlangenlords
FanficABGESCHLOSSEN In dem Moment, als der Todesfluch die Stirn von Harry Potter traf und eine Narbe in die Stirn des Kleinkindes ritzte, geschah noch etwas anderes. In jenem Moment, als die Grenze zwischen Leben und Tod verwischte und die Zeit keinen Nam...