Kapitel 4

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Dann lasse ich mich von niemanden mehr aufhalten. Vielleicht weil mein Bedarf an Oberflächlichkeiten aufgebraucht ist, jedenfalls habe ich für mehr als einen Blick auf den Kiesweg vor mir heute keine Energie mehr übrig. Ich weiß, dass das nicht unsere Gesellschaft ist. Man muss sinnloses Zeug quatschen, lachen, fröhlich sein, flirten und tun, als wäre man gerne unter all den Leuten. Aber darin bin ich gar nicht gut. Das war ich noch nie. Soziale Kontakte reizen meine Nerven.

In der Wohnung lege ich leise meinen Schlüssel auf die Kommode im Flur, um die Aufmerksamkeit meiner Mitbewohnerinnen nicht zu erregen, und schleppe mich in mein Zimmer.

Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen. Ich bin weder erschöpft vom Stehen noch vom Spiel. Ich bin erschöpft von meinen eigenen Gedanken.

Die Erinnerungen an die Hallenmeisterschaften sind plötzlich wieder so frisch. Der Gedanke daran, wie ich auf dem Boden nach meiner Brille suchte, lässt mich vor Scham noch heute im Boden versinken.

Ich fühlte mich so hilflos, unwohl und verloren. Die ganze Situation war so peinlich und das auch trotz der Tatsache, dass mich vermutlich sowieso niemand wahrgenommen hat. Ich war in dem Moment schwach und alleine. Jeder, der mich in dem Moment gesehen haben mag, wird mein wahres Ich gesehen haben. Mein Ich, das klein und schwach und zu nichts in der Lage ist.

Schluchzend vergrabe ich meinen Kopf in meinem Kissen. Und dann auch noch Mason.

Zum Glück werde ich ihn nie wieder sehen. Ich werde diesen Fußballplatz nicht mehr wieder betreten. Die Idee, überhaupt dort aufzukreuzen, war von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Ich kann meine Vergangenheit nicht löschen und von vorne beginnen. Ich kann es einfach nicht, egal wie sehr ich mich bemühe. Und das macht mich gerade so wütend. Wütend auf die ganze Welt, aber vor allem wütend auf mich selbst. Ich habe so eine große Wut im Bauch darüber, dass ich nicht die Selbstbeherrschung besitze, Stärke zu beweisen, mich neu zu erschaffen, mir ein neues Leben aufzubauen, mein Gewicht in den Griff zu bekommen und alles hinter mir zu lassen.

Nachdem ich mich mit meinem Ritual dazu bringen konnte, mich wieder zu beruhigen, setze ich mich auf mein Bett und beginne, meine Lexika über Schreibstile und Germanistik aufzuschlagen.

Ich liebe Sprachen, Literatur und alles, was dazugehört, und könnte den ganzen Tag damit verbringen, in diesen dicken Büchern zu wälzen. Es ist eine angenehme Ablenkung, mich mit meiner nächsten Prüfung zu beschäftigen, sodass mein Kopf keine Gelegenheit hat, sich über mein verkorkstes Leben Gedanken zu machen.


Am nächsten Morgen höre ich schon beim ersten Aufschlagen meiner Augen das Scheppern von Töpfen und Hantieren mit Geschirr und hätte meine Augen am liebsten gleich wieder geschlossen. Was ist denn da los?

Schlaftrunken setze ich mich auf und taste nach meinem Handy, um herauszufinden, bei welcher Nachtzeit dieser Lärm mich aus dem Schlaf reißt.

Gähnend schalte ich es ein und warte, bis die ganzen Firmenzeichen am Bildschirm vorbeiziehen, bevor ich auf meinem Startbildschirm einen Blick auf die Uhrzeit erhasche. Es ist gerade einmal 8:13 Uhr. Was machen die denn da?

Und wie als hätten sie es gespürt, stehen keine Minute später Cathy und Alison in meinem Zimmer und sehen mir erwartungsvoll an.

„Was ist denn los?", bringe ich gerade so heraus. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass meine brüchige Stimme dieses Mal nicht an meiner Nervosität gegenüber anderen Menschen liegt, sondern an meinem Schlafmangel, den ich diesen beiden reizenden Damen vor mir zu verdanken habe.

„Wir habe heute doch WG-Tag", klärt mich Alison mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht auf.

„WG-Tag?", ich raffe mich aus meinem Bett aus und gehe zu meinem Schrank, um mir ein T-Shirt und eine Jogginghose herauszunehmen.

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt