Verschmitzt grinst er.
Was soll das?
Ich habe doch kaum mit Mason gesprochen. Meine Ruhe von vorhin war mit einem Mal wie weggeblasen. Was wird hier gespielt?
William erklärt Cathy und Alison, dass wir uns auf dem letzten Spiel kennengelernt haben und er mich dann gefragt hat, ob ich mit zur Siegesfeier kommen will.
„Ich musste lernen."
Alison und Cathy schauen perplex auf. Ihre Augen werden groß.
„Lernen??!"
„Was ist denn das für ein Grund?"
Gleichgültig zucke ich mit den Schultern.
Entgegen allen meinen Erwartungen kommt Alison zu mir und legt mir freundschaftlich einen Arm um die Schulter. Sofort verspanne ich mich.
„Du gefällst mir, Kleine. Du bist wahrscheinlich die erste, die nicht Masons Charme verfällt und ihn abblitzen lässt. Wie cool ist das denn!"
Das wird mir langsam alles zu viel: Zuerst ist es unvorstellbar, dass ich Mason fürs Lernen versetze und dann bekomme ich einen Orden, weil ich ihn abblitzen hab lassen. Da verstehe einer die Logik von heute.
Alison hat mich „Kleine" genannt. Ich zucke zusammen. Ich will nicht klein sein. Nein, nein, nein. Stopp! Ich bin nicht klein. Ich habe das alles hinter mir gelassen. Ich bin groß.
„Kommt lasst uns essen!"
Cathy, Alison und William steuern auf den Tisch zu.
Shit, wenn man gemeinsam kocht, isst man auch gemeinsam. Ich könnte mich ohrfeigen!
Ich muss hier weg! Ich kann nicht mit ihnen essen. Das geht nicht. Oh mein Gott! Tief einatmen, Emilia. Huh. Ein und wieder aus. Wie soll ich nur Ruhe bewahren? Was mache ich denn jetzt?
„Mein Handy klingelt. Ihr braucht nicht auf mich warten", mit hektischer, fast schon panischer Stimme sage ich das erste, was mir bei meiner Kurzschlussaktion in den Sinn kommt.
Und damit renne ich in mein Zimmer. Zitternd lehne ich mich an meiner Tür an, bevor ich langsam auf den Boden sinke. Ich muss mich beruhigen. Ich habs geschafft. Ich muss nicht mit ihnen essen. Alles ist gut. Was die drei jetzt wohl von mir denken werden?
Mein Handy klingelt? Geht's noch bescheuerter?
Das hätten sie ja dann auch gehört. Oh Gott!
Naja, dann kann ich gleich auch zu Hause anrufen.
Mit noch immer zittrigen Händen gebe ich die Festnetznummer in mein Handy ein und warte auf das Klingeln.
„Hallo Mama", begrüße ich meine Mutter am anderen Ende der Leitung und beginne leise, mit meiner Mutter zu telefonieren. Ich wollte nicht, dass die anderen mein Gespräch mitbekamen. Das Telefonat macht mich ohnehin schon ziemlich nervös.
„Emilia, wie geht's dir? Wir haben so lange nichts von dir gehört."
Ich erstarre. Meine Mutter hat mich gefragt. Sie hat es gesagt. Ich schließe kurz die Augen, aber meine Tränen fließen bereits. Seit fast drei Jahren warte ich auf diese Frage: „Wie geht es dir?" So oft habe ich mich gefragt, warum eine Mutter nicht merkt, wie es ihrer Tochter geht. Und ich habe immer darauf gewartet, dass sie irgendwann in mein Zimmer kommt, mich anschaut und weiß, dass absolut gar nichts stimmt. Dass sie mich in den Arm nimmt und sagt: „Emilia, ich weiß, dass es dir nicht gut geht. Rede bitte mit mir." Aber sie hat es nie getan. Sie hat vielleicht gemerkt, dass es mir manchmal nicht ganz so gut ging, dass ich oft völlig ohne Grund ausgerastet bin, wenn ich einfach meine Zweifel nicht mehr runterschlucken oder verdrängen konnte, und dass ich mich zurückgezogen habe. Aber dass ich nicht mehr kann, dass ich mich selbst zu hassen gelernt habe und dass ich ziemlich unglücklich bin, das hat sie nicht gemerkt. Und sie hat mich auch nie gefragt.
Wie oft musste ich mich zusammenreißen, um meinen Selbsthass nicht offen zu zeigen? Seit gut drei Jahren bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich wusste, das macht alles keinen Sinn mehr. Ich habe nie wirklich gelebt. Ich konnte nie ich sein. Ich hasse den Spagat zwischen der, die ich sein muss, der ich bin und der ich werden will. Ich fühle mich allein. Ich leiste nur noch, ich habe nie gelebt. Ich war nie glücklich und das erdrückt mich. Aber solange ich meine Fassade aufrechterhalten kann, immer die kalte, unberührbare Emilia gebe, niemanden zu nah am mich ranlasse, kann mich niemand verletzen und ich verletze niemanden. Das ist ein gutes Lebenskonzept. Und es funktioniert schon erstaunlich lange.
Und auch jetzt ist ihre Frage nicht ernst gemeint. Sie will nicht wissen, wie es mir wirklich geht, ob ich glücklich bin, ob ich mich alleine fühle oder ob in meinem Inneren gerade mal wieder alles zerbricht. Sie will wissen, ob in meinem Studium alles läuft, ob ich gute Noten habe und ob ich mich eingelebt habe.
„Klar. Alles super. Nächste Woche habe ich meine ersten Klausuren. Wie läuft es bei euch?"
Meine Mutter erzählt mir von meiner Schwester, die seit diesem Jahr in der Oberstufe ist und deshalb viel zu lernen hat. Dann berichtet sie von meinem Papa, der ebenfalls Journalist ist und eine Kleinstadtredaktion für ein Magazin leitet. Es gab anscheinend einen Mitarbeiterwechsel und die neue Volontärin soll sehr engagiert sein. Mama schwärmt von unseren Hühnern und dass wir neue Nachbarn bekommen haben, die ganz vernarrt in sie seien. Meinen Großeltern geht es auch gut.
Plötzlich bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich bin so mit meinem Studium beschäftigt, dass ich die beiden völlig vernachlässigt habe und mich ewig nicht gemeldet habe. Ich nehme mir fest vor, an einen der nächsten Wochenende nach Hause zu kommen, um die beiden zu besuchen oder wenigstens anzurufen.
Etwas geplättet von den ganzen Informationen und Neuigkeiten lege ich fast eine Stunde später auf. Ich liebe meine Familie, ich habe auch ein vertrautes Verhältnis zu meinen Eltern, meiner Schwester und meinen Großeltern. Aber es ist eben nicht das vertraute Verhältnis, bei dem man sich alles erzählt, was einem auf der Seele brennt. Ich weiß nicht, ob ich irgendjemandem von allem, was in mir vorgeht je erzählen kann, aber ich wünsche es mir. Weil es mich zerreißt. Bis nur noch eine emotionslose, leere Hülle von mir übrig ist.
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Behind my mask
Teen Fiction„Weil ich nichts wert bin." Zischend vor Schmerz will ich ihm meine Hand entziehen, die er noch immer fest umklammert hält. Aber dafür ist es schon zu spät. Mein Ärmel ist ein Stück weit hochgerutscht. Sein Blick ist auf die blauen Flecken, die rote...