Kapitel 38

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Bitte seid mir nicht böse ;-) 



Ganz aufgebracht gestikuliere ich wild vor Mason herum: „Das ist ja super gelaufen! Was die jetzt von mir denken werden. Deine Kommilitonen - "

Aber von Mason kommt nur ein genervtes Schnauben.

„... sind auch nur Menschen, Emilia! Jetzt krieg dich wieder ein! Jedem geht's mal schlecht. Weißt du, was dein Problem ist: Du bist so auf die Meinung anderer fixiert, dass du gar nicht merkst, wie verklemmt du dich aufführst. Bei dir ist immer alles ernst und muss ja immer alles perfekt sein. Egal, wie sehr du es dir wünscht, du bist nicht unsichtbar und es ist unmöglich, dein ganzes Leben lang jeglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Manchmal solltest du es vielleicht mal mit etwas mehr Leichtigkeit versuchen. Probier's zur Abwechslung doch einfach mal, Gefühle zuzulassen, statt sie immer zu verdrängen."

Perplex schaue ich ihn an. Wo kommt das denn jetzt her?

„Na wenn du mich für ein so gefühlsloses, verklemmtes Arschloch hältst, was willst du dann eigentlich noch hier?", presse ich erstickt mit zusammengepressten Lippen hervor.

Ich spüre förmlich, wie ich innerlich zerbreche. Trotzdem ein Lächeln auf den Lippen, um den Schein zu wahren, als ich mich ohne ein weiteres Wort umdrehe und den Campus verlasse. Doch in mir drin knallt, scheppert und rumst es. Ganz laut und doch kann nur ich es hören. Ich zerbreche wieder, schon wieder. Ich wollte es unter allen Umständen verhindern, weil ich wusste, dass es wieder ich allein sein werde, die all die zerbrochenen Teile neu zusammensetzen würde. Doch ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht verhindern.

„Die Kleine da ist aber nicht ernsthaft deine Freundin?", höre ich noch, als meine Pseudo-Grimasse mein Gesicht endgültig verlassen hat und die ersten Tränen meine Wange erreichen.

Ich laufe den Weg zurück zur WG. In den Unterricht hätte ich unter keinen Umständen zurückgekonnt. Nicht nur wegen meiner fehlenden Konzentration – was ja mehr als offensichtlich Mason geschuldet wäre – sondern auch, weil ich nicht aufhören kann, zu schluchzen und zu weinen.

Ich hasse es, ständig wie ein Kleinkind zu flennen.

„Die Kleine da ist ganz bestimmt nicht seine Freundin", murmle ich, als ich die Treppen zu unserem Appartement hinauflaufe.

„Die Kleine da ist schließlich ein arrogantes Arschloch", keife ich, werfe meinen Schlüssel auf die Anrichte und verkrieche mich in meinem Zimmer.

Ich kann einfach nicht aus meiner Haut. Vor allem nicht vor so vielen Menschen. Diese perfekt gestylten, hübschen Blondinen, selbstbewussten, durchtrainierten Männer schüchtern mich so extrem ein, dass ich erst einmal in Deckung gehe. Zu meinem Umgang mit großen Menschenmengen gehört bestimmt nicht, eine Panikattacke zu bekommen und die Aufmerksamkeit von hübschen Schönheiten und durchtrainierten Sportlern auf mich zu ziehen. Das war so ziemlich das letzte, was ich vorhatte.

Aber so bin ich einfach. Wenn mir etwas unangenehm ist, steigere ich mich so lange in die Situation hinein, bis ich komplett durchdrehe und alles vermassle.

Dieses Gefühl, egal, wie sehr ich mich bemühe und wie viel ich gebe, einfach nie gut genug zu sein, dass meine Mühe und meine Energie nie genug ist, das zermürbt mich. Und jetzt bin ich wieder genau dort angelangt. Dabei dachte ich, ich hätte es geschafft, auszubrechen aus meinen Gedankenmustern und meiner Vergangenheit. Aber ich bin einfach nicht genug. Mason ist zu gut für mich. Ich habe einen so wunderbaren Menschen nicht verdient. Mein Leben entwickelt sich mal wieder zu einem Teufelskreis, aus dem ich nicht entfliehen kann.

Erst als Alison nach Hause kommt und sich an mein Bett setzt, öffne ich meine Augen wieder.

Es gibt Tage, da fühle ich mich so lebendig, voller Tatendrang und Hoffnung, und es gibt Tage, da fühle ich mich wie die Farbe schwarz. Düster, ausgebrannt und leer.

„Ich würde mir manchmal wünschen, ich würde nicht so viel fühlen. Nicht so emotional sein. Dann wäre mein Leben viel einfacher.", murmle ich an ihrer Schulter.

„Dann wärst du aber nicht mehr du", seufzt Alison, während sie mir behutsam eine Strähne aus dem Gesicht streicht.

„Ich denke über alles nach und mache mir viel zu viele Gedanken. Ich kann nicht anders. Ich habe manchmal das Gefühl, mein Kopf platzt. Diese Gesellschaft, die einzelnen Menschen, meine Umgebung ... Ich beobachte sehr viel, weil ich meist alles, was passiert, als Außenstehende betrachte, und ich mache mir über meine Mitmenschen Gedanken."

„Schreib doch einen Blog, Emilia. Es gibt zahlreiche Menschen, die sich für deine intelligenten Gedanken interessieren würden. Ich glaube, du könntest mit einem Blog vielen Leuten Mut machen und es würde dir vielleicht helfen, manche Dinge zu verarbeiten, wenn du sie aufschreibst."

Und so wurde um Mitternacht mein erster Blogeintrag geboren:

Da ist diese Frau. Sie steht inmitten der Menge und wirkt beinahe unscheinbar. Sie wird nicht gesehen. Das Gewusel und Gedränge um sie herum bemerkt sie nicht, sie ist in ihrer eigenen Welt. Aber das scheint sie nicht zu stören. Sie lächelt. Ihre Lippen sind weder geschminkt noch perfekt geschwungen. Sie sind etwas wund und aufgerissen, aber sie wirken so sanft und unschuldig, dass sie einen schon fast magisch anziehen. Ihr Lächeln ist, anders als das all der anderen Anwesenden. echt und natürlich. Es wirkt nicht aufgesetzt und gekünstelt. An dieser Frau wirkt absolut nichts unnatürlich. Sie ist echt, ohne irgendwelchen Masken oder Mauern. Doch deshalb sieht man auch ihren Schmerz. Ihre rehbraunen Iriden strahlen nicht. Ihr Lächeln erreicht ihre Augen nicht. Sie wirkt verletzt. Aber das merkt niemand. Weil sie mit ihrer natürlichen, unscheinbaren Art nicht in diese Welt passt. Sie lächelt ihre Verletzlichkeit weg und träumt sich in eine Welt, die die ihre ist. Jemand neben ihr spricht sie an. Sie zuckt zusammen, erschreckt sich. Es ist nur ein kurzer Moment, aber die Verletzlichkeit ist nun in all ihren Zügen erkennbar. Sie wirkt hilflos und gebrochen. Doch dann antwortet sie dem Mann. Und just in diesem Moment, in dem sie mit ihren naturroten Lippen die Worte zu formen beginnt, zieht sie Mauern um sich auf. Sie passt sich ihrer Umgebung an und hüpft in das Idealbild der Gesellschaft. Jetzt ist da keine Natur mehr, sondern nur noch Kunst. Das Einzige, das sie verrät, sind ihre Augen. Denn in diesen spiegelt sich ihr Innerstes wider und das zeigt ihre Verletzlichkeit, ihren Schmerz, ihre Hilflosigkeit und nicht zuletzt ihre Hoffnungslosigkeit, vor der sie sich nicht verstecken kann. 

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt