Kapitel 41

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Aussprache. Das ist ein seltsames Wort. Aus Sprache. Aus der Sprache heraus. Sprache und aus. Und vielleicht ist das der Schlüssel zum Erfolg. Weniger sprechen, die Sprache mal ausschalten, und dafür mehr auf sein Herz hören. Wäre das nur immer so einfach.

Mason und ich sitzen auf meinem Bett. Wir müssen miteinander reden. Das müssten wir schon lange. Ich zittere. Ich habe Angst. Angst davor, ihn zu verlieren. Aber auch Angst, ihn zu zerstören, wenn ich ihn nicht gehen lasse.

„Ich habe Angst, dich in meine Dunkelheit zu ziehen. Ich bin doch so kaputt, ich will nicht dich auch noch in mein Loch ziehen."

Mason schüttelt energisch den Kopf. Seine Hand ist nur wenige Millimeter von meiner entfernt und doch kommt es mir meilenweit vor. Ich erinnere mich daran, wie oft er mit seinen Fingerspitzen über meine Handfläche gestreift ist. Diese flüchtigen Berührungen, bei denen ich mich immer gefragt habe, ob Mason sie bewusst einsetzt, um mich um Erlaubnis zu fragen, mich berühren zu dürfen, oder ob der Hautkontakt tatsächlich unabsichtlich geschah. Jetzt würde ich es mir mehr als alles andere wünschen, dass seine Hand meine so sanft berührt. Meine Handfläche fühlt sich kalt und zittrig an. Aus Angst vor dem, was sich in den nächsten Augenblicken abspielen mag. Und aus Sehnsucht nach Mason.

„Du bist nicht kaputt. Überleg doch mal, wo du noch vor einem Jahr warst."

Er greift nach meiner Hand und krempelt meinen Ärmel vorsichtig nach oben. Ich schnappe nach Luft. Endlich. Ich beginne, mich zu entspannen. Dann folge ich Masons Blick. Mein Knöchel ist weder rot noch geschwollen, keine aufgekratzten oder blutigen Stellen. Da ist einfach nur mein Handgelenk mit ein paar ganz feinen weißen Linien. Diese alten Narben erinnern mich an früher, aber Mason hat recht, das bin ich nicht mehr.

„Ich werde so lange um dich kämpfen, bis ich dich wieder mein Mädchen nennen darf. Bitte erlaube mir, um dich zu kämpfen", flüstert er heiser und unsicher.

Mason will um mich kämpfen? Ich habe mein ganzes Leben lang gegen etwas gearbeitet. Gegen ein bestehendes System. Gegen Klischees. Gegen Vorurteile. Gegen mich und meine Mitmenschen. Vielleicht wird es Zeit, nicht mehr zu kämpfen, sondern zu siegen. Und welcher Sieg wäre größer, als meine Gefühle zuzulassen. Meine Gefühle für mich. Für alles, was ich erreicht habe. Für alles, was ich überstanden habe. Der Sieg darüber, dass ich mich weiterentwickelt habe. Ich bin stärker. Ich mache seit zwei Wochen eine Therapie. Ich arbeite an mir und beginne, meine Vergangenheit zu akzeptieren.

Diesen letzten Kampf kann ich nicht alleime gewinnen. In die letzte Schlacht kann ich nur mit Mason an meiner Seite ziehen. Es ist unser Kampf. Der Kampf um das "Ja". Ein Ja zu uns und unseren Gefühlen. Und es wird ein langer Kampff. Aber wie heißt es nicht umsonst: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Zögerlich nicke ich. Mason ist die Erleichterung und Freude ins Gesicht geschrieben. Wenn es sein muss, würde ich auch bis ans Ende der Welt mit ihm gehen.

„Ich werde dich nicht noch einmal verletzen, Emilia Katrina Ryann. Ich kann dir nicht versprechen, dich nie mehr zu enttäuschen, aber das hier", er zeigt mit dem Finger zwischen uns hin und her, „werde ich nicht verbocken. Wir stehen das gemeinsam durch."

Mason schaut mich zögerlich an. So als wüsste er nicht, wie er mit mir umgehen soll. Dabei weiß ich selbst nicht, was das zwischen uns noch ist. Ich habe ihm so sehr vertraut, ich habe mich ihm verletzlich gezeigt und er hat sich von mir abgewandt.

Ich schluchze leise auf, bevor ich meinen Kopf an seine Brust lege. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass er mich festhält. Und das tut er auch. Mason legt seine Arme um mich und drückt mich noch näher an seinen Oberkörper, bevor er sanfte Küsse auf meinen Haaransatz haucht.

„Ich hatte so große Angst, dich nie wieder halten zu dürfen", murmelt er in mein Haar.

„Es tut mir leid, dass es mit mir immer so kompliziert ist, Mason."

„Stopp! Hör auf mit so einem Scheiß. Ich will nicht, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Ich will das echte Leben. Ich will etwas Echtes. Ein echtes Leben mit dir, hörst du?"

Ich nicke. Echtheit hört sich gut an.

Wir liegen eine Weile ohne Worte da. Aber das braucht es auch nicht. Ich habe das Gefühl, wir verstehen uns auch so.

Und vermutlich hat uns diese ganze Sache nur noch enger miteinander verbunden. Uns stärker gemacht.

„Aber das bedeutet nicht, dass ich deshalb aufhören werde, dich auf Dates auszuführen, mit dir im Regen zu tanzen, dich zu küssen, bis unsere Lippen wund sind und im Kerzenschein mit dir über den Sinn des Lebens zu diskutieren."

Lächelnd gebe ich Mason einen Kuss auf die Wange.

„Ich hoffe, du wirst damit nie aufhören."

„Dann sollten wir gleich damit beginnen, es in die Tat umzusetzen."

Zunächst begreife ich überhaupt nicht, was er mir damit sagen will. Doch, bevor ich ihn danach fragen kann, hat mich Mason hochgehoben und ist die Treppen des Wohnhauses hinuntergetragen. Mit mir in seinen Armen.

„Hey, was wird das?"

„Das wirst du gleich sehen."

Mason stößt die schwere Haustür auf und setzt mich wieder vorsichtig ab.

Und dann breche ich wirklich in schallendes Gelächter aus. Ich lache und lache, bis mir die Tränen kommen. Denn was ich sehe, ist das Beste, was mir heute passieren konnte.

Es regnet wie aus Eimern. Es schüttet und prasselt nur so vom Himmel. Doch das Beste daran ist: Mason steht mitten auf der Straße und streckt seine Hand nach mir aus, während er sich rhythmisch zum Klang des auf uns herabprasselnden Wassers bewegt.

Und nur allzu gern reiche ich ihm meine Hand und wir tanzen im Regen, bis wir klatschnass sind. Aber ich kann mir in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen, als hier in Masons Armen zu liegen und zur Musik der Natur und der unserer Herzen zu tanzen.

Denn manchmal muss man Sprache eben Sprache sein lassen und auf sein Herz hören. Sprache und aus. 

"Hey, was macht ihr denn hier?", ruft Cathy lachend.

Ohne mich von Mason zu lösen, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie Cathy ihren Regenschirm zusammenklappt und Samuel, mit dem sie gerade die Straße hochkam, zu sich zieht. 

Und als Minuten später auch noch Ally und Will hier aufkreuzen und mit uns den Regen genießen, ist alles perfekt. Das hier ist Zuhause.

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt