Kapitel 7

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Meine To-Do-Liste liegt mahnend auf meinem Schreibtisch. Ich konnte nicht mal hinter die Hälfte davon einen Haken setzen. Frustriert schlüpfe ich in meine Hausschuhe und gehe in die Küche, um mir ein Glas Wasser aus dem Wasserhahn zu lassen. Zu meiner Überraschung sitzen dort bereits Ally und Cathy. Ich lucke zwischen ihrer beiden Köpfe hindurch auf den großen Zettel, den sie vor sich ausgebreitet haben und über den sie brüten.

Es ist ein Einkaufszettel: Bier, Knabberzeug, Schnaps, Tequila, Plastikbecher, Lautsprecherbox von William leihen, Samuel wegen Beleuchtung fragen

Immer mehr Fragezeichen bilden sich in meinem Kopf, umso weiter nach unten meine Augen gleiten. Hä? Und so spreche ich aus, was für Ally und Cathy offensichtlich scheint:

„Was wird das?"

Die planen fürs Wochenende eine Mega-Party in unserer WG, erfahre ich von meiner euphorischen Mitbewohnerin.

„Das wird super!"

„In einer Woche beginnen die ersten Klausuren und bevor wir keine Zeit mehr haben, müssen wir noch feiern", war ihre Erklärung.

Mich beschleicht das Gefühl, der halbe Campus ist zu dieser Party eingeladen, wenn ich mir die Plastikbecher und die Mengen an Alkohol ansehe, die Ally und Cathy die ganze Woche über anschleppen.

Sie meinten, ich brauche mich um nichts zu kümmern und sie organisieren und räumen auch alles wieder auf, als ich meinen Unmut über diese Party ausdrückte.

Ich schmiede Pläne, wie ich den Partyabend verbringe. Ich könnte in der Bibliothek lernen, aber diese schließt schon um 16:00 Uhr. Außerdem hat Joleen wegen mir letzte Woche ohnehin schon Überstunden gemacht, was mir noch immer ein schlechtes Gewissen einbringt. Ich bin ihr echt was schuldig. Vielleicht sollte ich ihr mal irgendeine Kleinigkeit mitbringen als Dankeschön? Sie ist schließlich immer sehr freundlich zu mir, was heutzutage und mir gegenüber erst recht keine Selbstverständlichkeit darstellt, und irgendwie muss ich mein schlechtes Gewissen wieder besänftigen.

Na gut, dann verbringe ich meinen Freitagabend eben mit Lernen in meinem Zimmer.

Und ehe ich mich versehe, ist die Woche rum, meine letzten Vorlesungen vorbei und auch das Tutorium habe ich ohne größere Vorkommnisse überstanden. Es ist Freitag.

Unschlüssig stehe ich in der Küche und betrachte Cathy dabei, wie sie Chips in Schüsseln und Salzstangen in große Gläser einfüllt.

„Kann ich irgendwie helfen?"

Cathy drückt mir einen Zettel in die Hand.

„Wir haben zu wenig Wodka und Aperol. Oh Gott! Und ich finde den Orangensaft nicht, den ich am Dienstag gekauft habe. Kannst du das schnell im Supermarkt besorgen?"

Cathys unleserliche Schrift lässt mich nach ihrer überdrehten Aussage erahnen, was dort eigentlich stehen sollte.

„Fahr am besten mit Ally. Sie wollte von Samuel noch ein paar Stühle und Kissen abholen."

Und so finde ich mich zwanzig Minuten später mit einem vollbepackten Einkaufswagen in den Gängen der Getränkeabteilung wieder.

„Nein, Mom! Ich habe dir das schon tausend Mal erklärt."

Ally diskutiert weiter mit ihrer Mutter, während ich den Wodka aus dem Regal nehme.

Danach scanne ich die Reihen nach Tonic Water ab. Schnell werde ich fündig, doch dann fällt mir auf, dass Cathy keine Anzahl dazugeschrieben hat.

„Wie viele?", forme ich lautlos mit den Lippen und halte eine Flasche in die Höhe.

Alison deutet mir an, fünf Flaschen mitzunehmen und so landen auch diese in dem Wagen, der mit jedem Haken auf Cathys Liste voller wird.

„Ich bin gerade einkaufen. Ich habe jetzt keine Zeit."

Ally steckt genervt ihr Handy zurück in die Hosentasche.

„Sorry. Meine Mom will unbedingt, dass Will und ich über Weihnachten mit in den Familienurlaub in die Schweiz kommen. Damit nervt sie mich jetzt schon seit Tagen, aber das wird einfach nur schrecklich. Sie und Dad werden wie immer streiten und ich kann mich mit meinen nervigen Neffen herumschlagen, weil meine Schwester und ihr Mann irgendeinen Ausflug zu zweit machen wollen. Wie immer", klagt sie mir ihr Leid. Aber wer bin ich schon, dass ich ihr zu diesem „Problem" irgendeinen Rat geben könnte?


Zurück in der Wohnung stellen wir unseren Einkauf in den Kühlschrank bzw. in einen der Kühlboxen, die Cathy an unsere zwei Steckdosen in der Küche angeschlossen hat.

Als die ersten Partygäste eintreffen, verabschiede ich mich auf mein Zimmer und will meine heutigen Vorlesungen nachbereiten. Doch sich zu konzentrieren, während nebenan laute Musik durch die Wand durchkommt und alle zwei Minuten irgendjemand schreit, lacht oder johlt, ist gar nicht so einfach.

Mein Plan ist es, mich unbemerkt an den Partyleuten vorbei aus der Wohnung zu schleichen. Ich könnte mich in das Café setzen, das nur wenige Minuten von unserer Wohnung entfernt ist, um dort zu lernen. Allerdings wird dieses bestimmt bald schließen, es ist schließlich schon zwanzig Uhr vorbei. Oder ich könnte etwas spazieren, bis es zu dämmern beginnt, und dann wieder zurückgehen. Meine Überlegungen sind nicht wirklich ausgegoren, aber bei diesem Lärm ist es auch kein Wunder, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Sobald ich aus der Wohnung rausgekommen bin, fällt mir mit Sicherheit eine sinnvolle Beschäftigung bzw. ein Ort mit guter Lernatmosphäre ein.

Vorsichtig öffne ich meine Tür, obwohl das vermutlich eh niemand gehört hätte, bei dieser Musik. Der Rhythmus von Everytime We Touch ertönt gleich um zig Dezibel lauter, sobald ich meine Zimmertüre geöffnet habe. Kurz versuche ich mich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die im Flur herrscht. Nur aus der Küche fällt ein Lichtstrahl in den Durchgang, der allerdings eher von einer Discokugel kommt, da sich auf dem Boden bunte Kreise spiegeln, die sich drehen und beständig auftauchen und dann wieder verschwinden.

Den Flur haben sich anscheinend auch Paare als Aufenthaltsort zum Fummeln, Knutschen und sonstige Intimitäten, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollten, auserkoren. Noch immer meine Hand am Türgriff stolpert ein Pärchen an mir vorbei in mein Zimmer. Eng umschlungen knutschen sie sich ab, während sie an seiner Hose herumfummelt und er seine Hand unter ihr Oberteil gleiten lässt.

Äh, hallo? Das ist mein Zimmer!

Ich räuspere mich, aber die beiden scheinen mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Ich glaube, ich explodiere gleich!

Völlig unbeirrt purzeln die beiden auf mein Bett zu, während ein T-Shirt fliegt im hohen Bogen auf mich zu fliegt.

OH MEIN GOTT! Bevor ich noch mehr Intimitäten als VIP-Gast in der vordersten Reihe auf dem Servierteller präsentiert bekomme, verlasse ich schnell mein Zimmer. Ich schüttle mich angewidert, bevor ich versuche, das Geschehene zu verarbeiten.

Ich hasse Partys.

Ich hasse Partys.

Ich hasse Partys.

Ich atme tief aus. Hätte ich mir einfach Ohropax besorgt und wäre in meinem Zimmer geblieben! 

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt