Kapitel 31

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„Emilia, bitte verschließe dich nicht wieder vor mir."

Ich blicke unsicher hinter mich. Auch wenn ich weiß, dass Mason mal wieder recht hat, schmerzen seine Worte. Wer hört schon gerne, dass man unnahbar ist?

„Das ist alles lange her", krächze ich nur.

Mason schüttelt energisch den Kopf und hetzt hinter mir her.

„Jetzt bleib halt mal stehen, Em!", ruft Mason wütend.

Ich stoppe mitten auf dem Gehweg. So aufbrausend und wütend kenne ich ihn gar nicht. Keuchend kommt auch Mason neben mir zum Stehen.

„Ich will dich verstehen, Em. Deine Sorgen und meine Sorgen haben sich schon lange miteinander vermischt, warum verstehst du das denn nicht?", sagt Mason schließlich schon einen Deut ruhiger.

Deine Sorgen und meine Sorgen haben sich schon lange miteinander vermischt? Das würde ja bedeuten, wir wären ein Team. Wir würden uns gegenseitig unterstützen. Aber gibt es so etwas? Vor allem: Gibt es so etwas in meinem Leben? Verarscht er mich nicht?

Und wie als könnte Mason die Zahnräder in meinem Kopf sehen, spricht er weitaus weniger aufbrausend weiter: „Em, nicht jeder ist gegen dich. Es gibt auch Menschen, die wollen dir nichts Böses. Ich will für dich da sein. Ich will, dass es dir gutgeht. Lass mich bitte ein Teil deines Lebens sein. Bitte! Du musst das nicht mit dir selbst ausmachen!"

Ich nicke. Ganz angekommen sind seine Worte bei mir noch nicht, aber ich gebe mir einen Ruck. Was habe ich auch zu verlieren? Mason hat mich schon gesehen, als ich am schwächsten war.

Wie als wäre in eine Zeitmaschine gestiegen, fühle ich mich urplötzlich, als wäre ich wieder fünfzehn.

„Ash und ich waren gemeinsam für ein Gruppenreferat mit drei anderen aus meiner Klasse eingeteilt. Die Referatsvorbereitung lief nicht wirklich so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ash ließ sich nie auf unseren Treffen blicken und krümmte nicht einen Finger. Die anderen machten sich auch nicht die größte Mühe, sodass die Hauptarbeit an mir hängen blieb. Wie immer. Die kleine Streberin regelts schon, war deren Devise. Ich habe das ganze Wochenende gerackert und mir Gedanken über dieses Referat gemacht.

Als Ash es tatsächlich geschafft hat, einmal auf unseren Treffen zu erscheinen, meinte er: „Selbst schuld, wenn du dir das Wochenende versauen lasst. Ich hab meins genossen."

Doch dieses Mal gab ich nicht die brave, kleine Emilia, mit der man alles tun kann."

Mason sagt kein Wort, sondern hört mir aufmerksam zu. Ich schaue auf den geteerten Gehweg und betrachte meine Schuhe, in denen meine Füße langsam zu schmerzen beginnen. Bestimmt habe ich morgen riesige Blasen.

„Ich war stinksauer auf Ash und bin deshalb nach einer Unterrichtsstunde auf ihn zu gerauscht und hab ihn zurechtgewiesen, dass sein Verhalten nicht fair gegenüber unserer Gruppe ist. Er hat nur gelacht über meinen Wutausbruch.

Zwei Tage später fand unser Referat statt und jeder hat seinen eigenen Teil vorgetragen. Ashs Text war herumgestottert und jeder hat gemerkt, dass er den Text zuvor noch nie gesehen hat. Ein anderer aus meiner Gruppe hat seinen Text geschrieben, als ich mich geweigert habe.

Am Tag, als wir die Noten bekommen haben, ist die Situation dann eskaliert. Ich bekam eine eins und er eine fünf. Er dachte, ich hätte unserer Lehrerin erzählt, dass er nichts gemacht hat. Dabei habe ich nie gepetzt oder irgendetwas in der Art. Die Lehrerin ist auch nicht doof, sie hat natürlich gemerkt, wer sich Mühe gegeben hat und wer nicht und danach dann ihre Noten vergeben.

Als Reaktion auf seine Note hat er mich mit Nachrichten bombardiert."

Ich reiche Mason mein Handy, auf dem noch immer unser Chatverlauf oder besser gesagt sein Monolog gespeichert ist.



Ash

14:01: Bist du jetzt zufrieden behindertes Stück Scheiße?

14:01: Du verdienst so Schläge.

14:08: Vorlehnen und Lehrer in Arsch kriechen kannst aber weißt du überhaupt, was nett heißt?

14:10: Und wenn du meinst, mit der Scheiße petzen zu müssen, dann machst du einen großen Fehler

14:10: Also pass auf, was du machst

14:10: Überleg dir genau, was du tust nicht dass du es bereust

16:34: Sonst immer reden und jetzt nichts sagen

16:39: SCHREIB DOCH, DU BITCH

16:44: LMFAO, SCHREIB DOCH!!

16:48: Du verdienst so Schläge!!!

16:48: SCHREIB!

16:48: Miststück

17:58: SCHREIB, BITCH!



Mason gibt mir schweigend mein Handy zurück und schaut mich besorgt an, während ich mit meiner Erzählung abschließe.

„Ich habe nie geantwortet. Ich hatte panische Angst, dass er mir wirklich etwas tun würde. Meine Eltern habe leider davon spitzgekriegt und wollten am liebsten die Polizei einschalten. Ich konnte sie überreden, nur mit meinem Klassleiter zu reden. Der hat dafür gesorgt, dass mein Sitzplatz immer einen Sicherheitsabstand zu Ash hat. Im Nachhinein wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, überhaupt nicht zu reagieren. Für meine Klasse war diese Umsetzaktion nur ein weiterer Grund mich als Lehrerliebling und Angsthase zu brandmarken."

Mason atmet scharf ein.

„Das tut mir schrecklich leid, Em. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Kinder können so grausam sein."

Ich nicke.

„Baust du dir deshalb so oft deine Mauer auf?"

Meine Mauer? Ich wirke vielleicht oft arrogant oder „kratzbürstig", wie Mason das einmal nannte, aber als Mauer habe ich dieses Verhalten nie gesehen. Ich mache das doch nur, um nicht wieder verletzt zu werden. Wenn ich niemanden an mich ranlasse, kann mir nichts passieren. Aber irgendwie hat er recht. Ich nicke also.

„Nicht nur deshalb."

Mason kennt nur einen Bruchteil meiner Schatten und Dämonen, die mir seit Jahren den Schlaf und die Energie rauben, und doch habe ich das Gefühl, er weiß genau, wer ich bin, als er mir in die Augen schaut.

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt