Bewaffnet mit einem Notizblock überquere ich nach der letzten Vorlesung das Campus-Gelände. Die Bibliothek war mein Lieblingsort. Obwohl es sie wahrscheinlich schon seit vielen Jahrzehnten gab, hatte das alte Gemäuer nichts an Magie oder Kraft verloren. Die schlichten steinernen Mauern im Eingangsbereich scheinen noch genauso stark und kräftig zu stehen wie im letzten Jahrhundert. Dieses Flair, das die Vergangenheit aufleben lässt, gibt mir immer das Gefühl, in eine andere Welt schlüpfen zu können, sobald ich die Bibliothek nur betrete. Für mich ist es ein Ort der Beständigkeit im Wandel der Zeiten.
Nichts stört die Stille in diesem Gebäude. Die wenigen Studenten, die bereits hier waren, sitzen an einem der runden Marmortische, die ebenso einem Renaissance-Roman entsprungen scheinen. All diese Kleinigkeiten machen die Bibliothek zu einem besonderen Ort. Diese Reizüberflutung lässt den Raum keineswegs alt wirken, sondern macht ihre Schönheit aus und gibt ihm einen ganz eigenen Charakter.
In der Bibliothek bin ich in einer Welt, die vielleicht im Mittelalter oder in der Renaissance, meinetwegen auch noch in der Neuzeit spielt, aber gewiss nicht im 21. Jahrhundert. Dieser Raum lässt mich an Kutschen und Pferde, alte Gemäuer, große Rundbögen, lange schleppende Kleider und unbefestigte Straßen denken.
Hier ist es so still, dass ich nur meinen eigenen Atem höre und das leichte Scharren meiner Schuhe auf dem Boden, als ich an den ersten Bücherregalen vorbei gehe, um einen freien Tisch zu ergattern.
Dort lege ich meinen Stift und mein Notizbuch ab, bevor ich leisen Schrittes eines der gigantischen Regale ansteuere. Es riecht nach Holz, Staub und ein ganz kleines bisschen nach Moder. Aber der Duft, der am meisten zu mir herüber weht: der Duft der Bücher, wild, einzigartig und süß. Gleichzeitig frisch und alt. Ich liebe diesen Geruch.
Einen Moment bleibe ich davorstehen und genieße die Stille, die Magie und diesen zauberhaften Duft, bevor ich meine Augen wieder auf die Bücher richte.
Die Regal reichen bis an die Decke und scheinen sich bis zum Himmel zu erstrecken. Die Welt der Bücher hat mich wieder.
Ich fahre vorsichtig über die Buchrücken. Die rauen, glatten Oberflächen, die ich unter meiner Hand zu spüren bekomme, erinnern mich an zu Hause. Dort hatte ich mein ganzes Zimmer voll mit Büchern: Trivialliteratur, Liebesromane, Liebeskomödien, Sachliteratur, Fantasy-Geschichten und tatsächlich auch ein paar Krimis. Im Laufe der Zeit habe ich so viele Bücher angehäuft, dass mein Nachttisch und Teile meines Schreibtisches zusätzlich als Aufbewahrungsort herhalten mussten.
Ich hasse es, wenn die Buchrücken gebogen sind und sich dadurch ein feiner Strich über die Kante des Buches zieht. Andererseits zeugt diese Rille auch davon, wie alt das Buch ist und in wie vielen Händen es sich bereits befand.
Zu Hause habe ich mir nie Bücher aus der Bücherei geliehen. Meine privaten Bücher sind meine ganz persönlichen Schätze. Ich habe sie sorgfältig behandelt, aber auch meine Gedanken darin verewigt. Besonders schöne Stellen habe ich markiert, manchmal meine eigenen Ideen daneben gekritzelt und Zitate mit Post-its vermerkt.
Aber diese Bücher hier sind mit meinen neu erworbenen Auflagen zu Hause in keiner Weise zu vergleichen. Diese dicken Lexika, Fachbücher und andere Literatur passt hierher und ich könnte mir sie in meinem bodenständigen, vertrauten Regal überhaupt nicht vorstellen. Diese Bücher gehören dazu. Erst durch sie wird dieser Ort perfekt.
Ich ziehe vorsichtig zwei Bücher heraus, immer darauf bedacht, die benachbarten Bücher dabei nicht zu beschädigen und mache mich dann auf den Rückweg zu meinem Platz.
Das Arbeiten in dieser Umgebung fällt mir leicht. Hier fühle ich mich wohl und vertraut. Die Konzentration und auch die Lernmotivation ist hier irgendwie vorprogrammiert und ich merke gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht.
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Behind my mask
Teen Fiction„Weil ich nichts wert bin." Zischend vor Schmerz will ich ihm meine Hand entziehen, die er noch immer fest umklammert hält. Aber dafür ist es schon zu spät. Mein Ärmel ist ein Stück weit hochgerutscht. Sein Blick ist auf die blauen Flecken, die rote...