Kapitel 30

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Mason stoppt erst vor dem Glasfenster des Raumes. Die Aussicht ist wirklich fantastisch. Man hat einen gigantisch Blick auf die gesamte Stadt.

„Wow", hauche ich und trete noch einen Schritt näher an die Glaswand. Mason tritt hinter mich und legt einen Arm auf meine Schulter. Ich lehne mich an seine Brust. Ich genieße es, einen zweiten Herzschlag so nah neben mir zu spüren. Ich blende alles um uns herum aus und starre begeistert aus dem Fenster, mir Masons Nähe stets bewusst.

Ein Mann stellt sich neben uns.

„Mensch, Mason! Dich hätte ich ja fast nicht erkannt!"

Mason löst sich von mir, jedoch nicht, ohne seine Hand auf meinem Rücken liegen zu lassen, und unterhält sich mit dem Mann, der ein guter Freund von Beckett ist. Er erzählt, wie klein doch Mason noch war, als er ihn das letzte Mal gesehen hat und deutet seine Größe demonstrativ mit seiner Hand an. Die beiden plaudern über die gemeinsame Vergangenheit, dass sich Fynn, wie ich aus dem Gespräch heraushören konnte, noch genau an Masons und Williams Streiche erinnern kann, als die beiden das erste Mal Rad gefahren sind und dass sie in den Pool gepinkelt haben. Bei letzterem kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen und ich schiele zu Mason auf, der ganz rot geworden ist.

„Und wer bist du?", sein Blick fällt auf mich.

Sofort ist meine gute Laune verpufft. Bis jetzt ist es mir irgendwie gelungen, vor Fynn unsichtbar zu sein. Die Gabe, nicht gesehen zu werden, habe ich mir im Laufe der Highschool angeeignet, um irgendwelchen Sticheleien meiner Klassenkameraden zu entkommen. Meist hat es nicht funktioniert.

Ich hasse es, im Visier von anderen zu stehen.

„Emilia, sie ist meine Begleitung", antwortet Mason für mich, der sich von der peinlichen Geschichte erholt zu haben scheint. Dankbar dafür lächle ich ihn an, was er nur wissend erwidert.

Irgendwann geht dieser Fynn weiter und zu uns gesellen sich noch ein paar andere frühere Bekanntschaften von Mason. Sie kennen ihn alle aus Averys Garten, habe ich so langsam das Gefühl, denn jeder gibt einen anderen Schwank aus deren Kindheit zum Besten. Ich wusste nicht, dass die beiden schon so lange befreundet sind. Ich kenne kaum Freundschaften, die über einen so langen Zeitraum Bestand haben. Das freut mich für Mason. Und für William natürlich auch.

„Komm, wir holen uns etwas zu trinken."

Hand in Hand gehen wir auf die große Bar zu, die sich in der Mitte des Raumes befindet. Doch bevor wir sie erreichen, werden wir von einem weiteren Mann aufgehalten.

„Mason, schön, dass du hier bist."

Die Ähnlichkeit zu William ist nicht zu übersehen. Das muss Beckett sein. Er wirkt eigentlich sogar recht sympathisch, vielleicht habe ich ihm Unrecht getan, ihn so vorschnell zu verurteilen.

„Hey, Mann! Und was hast du jetzt vor? Selbstfindungstrip in die Sahara?"

Beckett lacht.

„Nein, ich will mich erstmal auf meinen Job konzentrieren. Mit etwas Glück werde ich zum Partner gemacht."

Seine Brust schwillt vor Stolz an.

„Cool! Glückwunsch, Beck. Das freut mich!"

„Naja, noch ist nichts in trockenen Tüchern."

Beckett hat sich ebenso wie die Menschen zuvor erst nach einiger Zeit an mich gewandt, so als hätte er meine Anwesenheit erst da bemerkt. Er hat mich interessiert nach meinem Studium gefragt und ich habe erfahren, dass er in einer Bank arbeitet. Er ist vierunddreißig Jahre alt und lebt in der Altstadt.

„Er ist wirklich ganz nett."

Mason lacht.

„Nett ist so ziemlich das letzte Adjektiv, das mir im Zusammenhang mit Beck einfallen würde."

Wir setzen uns nebeneinander auf zwei Barhocker und Mason winkt dem Barkeeper zu.

Mason und ich unterhalten uns gerade übers Fußball, als wir von jemanden unterbrochen habe. Auf den noch eben freien Hocker neben mir hat sich jemand fallen gelassen.

„Emilia, was für eine Überraschung, du auch hier?"

Ich fahre herum und blicke in eine Visage, die ich die letzten Jahre ganz bestimmt nicht vermisst habe. Beim Klang dieser Stimme erschaudere ich. In mir zieht sich alles zusammen. Es war eine beschissene Idee, auf diese Party zu kommen.

„Ash." Meine Stimme klingt emotionslos und ich fühle mich plötzlich so unwohl, wie schon lange nicht mehr.

Ich schaue in blaue Augen, die mich freundlich anschauen. Freundlich?

„Wie geht's dir? Was machst du hier?"

Er hält Smalltalk mit mir. Was wird das? Ich versuche ruhig zu bleiben. Das Gefühl, das sich in mir ausbreitet, kann ich nicht identifizieren. Mir wird kalt.

„Gut."

„Super, was für eine Überraschung, dich hier zu sehen! Ich arbeite ja mit Beck zusammen."

Er spricht weiter über Beck und seinen Arbeitsplatz. Ich höre ihm nicht mehr zu. Dieses Gefühl übermannt mich. Und dann weiß ich plötzlich ganz genau, was das ist.

Es ist Angst. Pure, panische Angst.

Ich stehe auf, drehe mich um und gehe.

Im Aufzug versuche ich, panisch nicht nach unten zu schauen und schließe meine Augen. Aber das macht das Ganze nur noch schlimmer. In mir dreht sich alles. Mir wird schwindelig. Ich stütze mich mit meiner schwitzigen Hand an die Wand.

Mein Atem setzt aus. Ich muss hier raus! Ich werde sterben, wenn ich nicht sofort hier rauskomme. Ich sehe, wie der Aufzug abstürzt, mich in die Tiefe reißt, wie ich ein letztes Mal schreie, bevor ich sterben werde. Ich kneife die Augen wieder zu. Bestimmt geht es ganz schnell vorbei, die Wände werden auf mich zurasen und mich erdrücken. Ich keuche erschrocken auf. Ich will noch nicht sterben. Nicht jetzt, wo mein Leben gerade wieder einen Sinn macht.

Abgehakt atme ich. Ich hyperventiliere, als der Aufzug endlich stillsteht. Mit wackligen Knien stürze ich aus dem Gebäude.

Ich keuche und bekomme keine Luft mehr.

Hustend und nach Luft hechelnd gehe ich ziellos an dem Gebäude vorbei und folge dem Gehweg. Ich presse meine Hand auf meinen Brustkorb, ich bekomme keine Luft mehr.

„Emilia!"

Ich drehe mich um. Mason läuft auf mich zu.

„Was ist passiert?"

Mason versucht, mich einzuholen, aber ich schlürfe ohne eine Reaktion weiter.

„Du zitterst ja! Emilia, bitte rede mit mir!"

Meine Atmung spielt verrückt. Ich keuche unregelmäßig, mein Blick ist verschleiert und ich nehme Mason nur verschwommen wahr.

„Wer ist dieser Ash?"

Ich schüttle den Kopf und gehe weiter.

Zittrig atme ich aus und schließe kurz meine Augen. Warum gelingt es mir nicht, mich zu beruhigen?

Ich habe seit Tagen mein Handgelenk nicht mehr berührt, aber jetzt weiß ich mir nicht anders zu helfen. Verzweifelt bohre ich meine Fingernägel hinein und spüre, wie mein Blut wieder zu fließen beginnt und ich wieder zu mir komme. Meine Atmung wird ruhiger. 

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt