Die nächsten Tage verlasse ich mein Zimmer nur, um ins Bad zu gehen oder etwas zu essen. Die Prüfungen sind geschrieben, das Semester ist fast vorbei. Ich kann es nicht glauben, dass ich jetzt schon ein halbes Jahr hier bin. Aber diese Tatsache zieht genauso an mir vorbei, wie die Tages- und Nachtzeiten. Es ist mir egal. In mir ist eine innere Leere. Ich schaue auf meinen Blogeintrag mit dem Status „unveröffentlicht", stelle mein Leben infrage und verurteile mich dafür, mich von Mason so sehr abhängig gemacht zu haben, dass ich jetzt wieder keinen Sinn in meinem Leben sehe.
Ich sitze auf meinem Fensterbrett und starre ins Nichts. Nach einer Weile halte ich es in meinem Klamotten nicht mehr aus. Ich habe jegliche Kleider und kurzärmliche T-Shirts, die ich mir in letzter Zeit zugelegt hatte, in die hinterste Ecke meines Zimmers verbannt und meine Pullis herausgeholt. Mich darin zu verstecken, hat mir in meinem früheren Leben immer geholfen. Dort konnte ich Zuflucht finden, Sicherheit. Jetzt ist das irgendwie anders. So vieles hat sich zwischenzeitlich verändert. Ich habe mich verändert.
Da fällt mir ein, dass ich mir vielleicht aus dem Bad einen frisch gewaschenen Pulli holen könnte.
„Klar, sie ist dünn, aber sie wirkt, als wäre es das einfachste der Welt, Mason. Darüber habe ich noch nie nachgedacht."
„Ich weiß. Es war auch nie ihr Körper, in den ich mich verliebt habe. Ihre Art, ihr Lächeln, ihre Umsicht, ihre Leichtigkeit und ihre Ernsthaftigkeit, einfach alles an ihr hat mich vom ersten Moment an wie magisch angezogen."
Das ist Masons Stimme. Diese Stimme würde ich unter hunderten erkennen. Was will er hier? Und müsste es nicht eigentlich andersherum sein? Er ist doch der Beliebte, der Coole und bekannte Fußballprofi und ich bin nur das kleine Mädchen, das Problemkind.
Aber so wirkt er im Moment nicht auf mich, da ist keine Selbstsicherheit in seinem Sein. Sein sonstiges Sonnenschein-Grinsen und sein Grundoptimismus scheint wie weggeblasen.
„Aber was sollen wir denn machen? Sie ist seit Tagen in ihrem Zimmer. Sie blockt jeden Versuch von Cathy oder mir, sie da herauszulocken, ab."
„Du musst mir versprechen, dass ihr darauf achtet, dass sie was isst."
Ich habe genug gehört, lasse meine Tür leise wieder einrasten und rutsche langsam an der Tür entlang auf den Boden. Leise entfährt mir ein Schluchzer. Meine Wäsche kann ich später auch noch holen.
Die Funkstille zwischen Mason und mir macht mich wahnsinnig. Am liebsten würde ich da jetzt raus gehen und ihm kräftig meine Meinung sagen. Ihm an den Kopf werfen, dass er mein Vertrauen missbraucht hat, dass er mit Alison nicht über diese Themen reden soll. Gleichzeitig würde ich ihm aber so gerne sagen, dass ich ihn schrecklich vermisse, dass ich ihn liebe und brauche. Und vor allem, dass ich keine Essstörung habe. Weil er es war, der mich da rausgeholt hat.
So viele „Ich bleibe." So viele „Ich werde dich nie verlassen." Und verdammt noch mal so viele „Ich liebe dich." Alles hinterhältige Lügen.
Und dann tue ich es doch. Energisch reiße ich meine Zimmertüre auf und gehe ins Esszimmer, in dem Mason und Ally noch immer diskutieren. Ich weiß nicht, wie meine Füße mich dorthin getragen haben, ob ich gelaufen bin oder normal gegangen, denn meine gesamten Gedanken schalten sich aus, als ich in Masons Gesicht blicke.
„Ich weiß, dass ich keinen Anspruch auf deine Liebe habe, aber ich dachte, wenigstens auf deine Loyalität hätte ich es.", bringe ich atemlos hervor. Meine Stimme gleicht mehr einem Flüstern, aber ich habe es getan. Ich habe meinen Gefühlen freien Lauf gelassen, so wie es mir Mason vorgeworfen hat, es nicht zu tun.
Seine Reaktion warte ich nicht mehr ab, ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe zurück in mein Zimmer.
Wütend lasse mich auf den Boden fallen und rolle mich ein. Ich weine solange, bis es an der Tür klopft.
Ich will jetzt nicht aufstehen. Ich will sterben.
„Emilia, bitte."
Es ist Alison. Dann muss Mason wohl wieder gegangen sein.
„Ich habe keine Essstörung, du kannst also wieder gehen", schleudere ich ihr entgegen.
„Das hat auch nie jemand behauptet. Ich will auch bloß mit dir reden. Ich gehe auch gleich wieder."
Ich gebe mich geschlagen und drehe meinen Zimmerschlüssel einmal im Schloss, sodass Ally reinkommen kann.
„Sei Mason nicht böse, dass er mit mir über dich gesprochen hat. Er hat es nur gut gemeint und wusste sich nicht anders zu helfen. Sei böse auf mich, weil ich dir gegenüber nicht loyal war und mich nicht auf deine Seite gestellt habe. Aber sei nicht auf ihn wütend."
Ich seufze.
„Ich bin nicht wütend. Ich weiß ja selbst nicht, was das ist. Ich brauche ihn so sehr, dass es wehtut. Aber ich fühle mich, als würde ich ihn ausnutzen. Er macht sich ständig Sorgen um mich. Dabei sind wir ja nicht mal mehr zusammen. Er hat mehr als deutlich gemacht, dass er mit jemanden wie mir nicht länger etwas zu tun haben will."
„Bist du dir da so sicher?"
„Ja und ich kann ihn ja verstehen. Ich bin ein Problemfall."
„Sag so was nicht, Emilia. Du bist halt vielleicht introvertierter als andere, schüchtern und stürzt dich nicht Hals über Kopf in irgendwelche Abenteuer. Dafür bist du für dein Alter so viel reifer als andere. Vor allem aber bist du du selbst. Niemand muss in irgendwelche bescheuerten Ideale passen, wir lassen uns ständig in irgendwelche Systeme pressen und verlieren uns dabei selbst."
Dass sie diejenige ist, die gerade so viel erwachsener ist, lasse ich dabei unkommentiert, sondern umarme sie. Ally ist in letzter Zeit zu einer meiner wichtigsten Bezugspersonen geworden und gerade wüsste ich echt nicht, was ich ohne sie tun würde. Gleichzeitig fühle ich mich schäbig, dass ich ihre Freundschaft so sehr ausnutze. Ich will nicht immer nur die bemitleidenswerte Freundin sein, die ständig Hilfe braucht. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, als mir wieder einmal klar wird, dass ich nicht in diese Welt passe. Dass ich nun mal die Schwache bin. Aber das will ich nicht mehr sein. Das muss ich nicht mehr sein. Mit einem Mal wird mir bewusst, dass Ally recht hat: Ich muss mein Leben wieder in die Hand nehmen und darf jetzt nicht aufhören, an mir zu arbeiten. Morgen werde ich wieder in die Uni gehen.
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Behind my mask
Teen Fiction„Weil ich nichts wert bin." Zischend vor Schmerz will ich ihm meine Hand entziehen, die er noch immer fest umklammert hält. Aber dafür ist es schon zu spät. Mein Ärmel ist ein Stück weit hochgerutscht. Sein Blick ist auf die blauen Flecken, die rote...