Kapitel 35

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Mason und ich liegen die ganze Nacht ineinander verschränkt da, ohne uns voneinander zu lösen, und ich wusste gar nicht, dass das eine so angenehme Schlafposition sein kann.

Ich werde nie wieder anders einschlafen können.

Am nächsten Morgen muss Mason schon früh weg, weil er Fußballtraining hat.



Nachdem die Tür hinter Mason eingerastet ist, versinke ich in Gedanken. Was ist, wenn es ihm nicht gefallen hat? Woher weiß ich, wie viele er schon vor mir hatte? Was weiß ich, mit wem er mich vergleichen kann? Was, wenn er sich für mich schämt? Was, wenn er es nicht schön fand? Tausende Fragen kreisen in meinem Kopf und ich finde auf keine einzige eine Antwort.

Um mich zu abzulenken, hole ich Lappen und Eimer aus der Abstellkammer und beginne den Boden zu schrubben. Danach sauge ich mein Zimmer, die Küche, das Bad und den Flur. Kurz überlege ich, ob ich auch in Cathys und Alisons Zimmer gehen soll, entscheide mich dann aber dagegen. Schließlich will ich nicht in ihre Privatsphäre eingreifen. Nachdem ich den Stecker aus der Steckdose gezogen und den Staubsauger wieder ordnungsgemäß verstaut habe und mir einen weiteren Lappen besorgt habe, gehe ich zurück in die Küche, in der ich die Anrichte und den Ofen säubere.



„Was ist denn hier los?"

„Keine Ahnung, sie putzt schon, seitdem ich zuhause bin."

Cathy und Alison stehen im Türrahmen und beobachten mich kritisch.

„Hast du dich mit Mason gestritten?"

Ich schüttle den Kopf.

„Was ist denn passiert, Emilia?", die Stimme von Cathy wirkt ernsthaft besorgt. Warum sorge ich ständig für Drama?

„Ich habe mit ihm geschlafen", platzt es aus mir heraus.

„Und warum putzt du dann wie eine wildgewordene Furie die ganze Wohnung?"

Ich stelle den Eimer ab, um mich zu den beiden umzudrehen.

„Ich – ich", ich seufze laut auf. Ich glaube kaum, dass die beiden es verstehen würden, was gerade in mir vorgeht.

„Emilia? Du weißt, dass du mit uns reden kannst, ja?" Cathy lässt sich auf einen der Stühle am Esstisch fallen und schaut mich aufmunternd an.

„Ich habe Angst, dass es ihm nicht gefallen hat", flüstere ich mit dem Blick auf den Fußboden, der mich dankbar für meine Arbeit ohne ein Kernchen Schmutz anglänzt.

Alison stößt sich von der Wand ab und kommt zwei Schritte auf mich zu. In ihren Augen ist keine Gehässigkeit, Verachtung oder irgendein anderes Indiz dafür, dass sie mich nicht ernst nimmt und gleich zu lachen beginnt, wie ich es von meinen früheren Freunden erwartet hätte. In ihren Augen liegt pure Wärme und Mitgefühl. Sie legt ihre Arme um mich und drückt mich fest an sich.

„Hat er das denn gesagt?", ihre Stimme ist ruhig und behutsam. Sie verurteilt mich nicht für meine Gedanken.

Ich lege meinen Kopf an ihre Schulter, während ich vereine.

„Und warum glaubst du das dann?", Cathy ist aufgestanden und steht nun neben uns. Sie schaut mich ebenso freundschaftlich an, wie es Alison tut. Sie legt mir eine Hand auf die Schulter, bevor sie sich unserer Umarmung anschließt. Wir stehen eine Weile so da, Arm in Arm, ohne dass jemand, was sagt. Es tut gut, zu wissen, dass da jemand ist, der für mich da ist und sich für meine Zweifel interessiert.

„Was ist, wenn ich ihm nicht gefalle? Ich meine, seine früheren Freundinnen", murmle ich an Cathys Schulter, „die waren doch bestimmt viel reifer und erfahrener."

„Und wenn schon. Mason meints ernst mit dir. So glücklich kennen selbst wir ihn nicht", bekräftigt Alison und Cathy nickt bestätigend.

„Außerdem bist du bildschön. Da können seine Verflossenen überhaupt nicht mithalten", das war bestimmt eine glatte Lüge, aber ich will Cathy nicht widersprechen. Ich freue mich, dass sie das so sieht, selbst, wenn es vermutlich nur als Ablenkungsmanöver gedacht war.

Als wir uns voneinander lösen, lächeln mich die zwei ermutigend an. Und ich kann zurücklächeln. Meine Zweifel sind zwar immer noch da, aber ich bin weniger aufgewühlt.

„Danke."

Alison winkt ab: „Dafür sind Freundinnen doch da."

Freundinnen. Ja, das hört sich gut an. Ich habe echte Freundinnen, die meine Schwächen nicht ausnutzen, sondern für mich da sind.

„Und beim nächsten Mal kommst du gleich zu uns, ja?"

Ich nicke noch immer mit einem dankbaren Lächeln im Gesicht.

„Obwohl ich sagen muss, dass es mir ausgesprochen gut gefällt, wenn du die Wohnung so", Cathy macht mit ihren Händen eine ausfallende Bewegung, um durch den ganzen Raum zu deuten, „sauber machst und putzt."

Alison schaut sie streng an und gibt ihr einen Klaps auf den Nacken, den sich Cathy sogleich schmerzhaft reibt. Ich kann über ihre Aussage nur schmunzeln. Die beiden scheuen keine Mühen, um mich zum Lächeln zu bringen und dafür bin ich ihnen echt dankbar.

„Ihr seid echt die besten Freunde, die ich je hatte."

Dieses Geständnis ist mir erstaunlich leicht über die Lippen gekommen und ich bin unglaublich stolz darauf, es ausgesprochen zu haben. Alison und Cathy schauen mich überrascht an.

Dann vermischen sich Alisons „Jetzt übertreib mal nicht" mit Cathys „Hattest du denn zu deiner Schulzeit keine Freunde?"

In Cathys Blick liegt Mitleid, vielleicht auch Traurigkeit.

Ob ich andere Freunde hatte?

Oberflächliche Schulbekanntschaften, Zweckgemeinschaften eben.

Aber da war nie jemand, der nach dem Unterricht auf mich gewartet hätte. Es war nicht immer sofort klar, mit wem ich Partneraufgaben erledige oder neben wem ich am Schulanfang wie selbstverständlich sitze.

Das Alles wäre mir ja nicht einmal das Wichtigste.

Ich habe mir einfach jemanden gewünscht, der sich für mich interessiert. Mit dem ich meine Sorgen und Gedanken teilen kann, ohne verurteilt zu werden. Und jemanden, der sich auch mir anvertraut. Jemanden, der mich in- und auswendig kennt und der alles über mich weiß. Jemanden, der auch mir alles anvertraut. Jemanden mit dem ich reden kann. Jemanden, bei dem ich ich selbst sein kann und darf, ohne mich zu schämen. Jemand, bei dem ich nicht aufpassen muss, was ich sage.

Aber so jemanden gibt es in meinem Leben nicht. Zumindest nicht bisher.

In der Schule war ich zwar immer unter Leuten. Aber trotzdem einsam.

Nach der Schule bin ich dann zum Einsiedler mutiert, und jetzt?

Jetzt habe ich Cathy und Alison kennengelernt. Ja, sogar William, Rick, Fiona, Maddie und Keith scheinen irgendwie mit mir befreundet zu sein. Und mit Joleen kann ich so interessante Gespräche über Literatur führen, auch sie mag ich echt gerne.

Und dann ist da noch Mason, der immer auf mich aufpasst und der für mich da ist, was mir irgendwie verdammt guttut. Hoffentlich täuscht mich meine Menschenkenntnis nicht noch einmal, wie sie es damals bei ihm getan hat.

„Nicht wirklich", antworte ich Cathy daher. 

Behind my maskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt