Leder & Pergament

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Kapitel 12

Am darauffolgenden Tag ging es Severus doch für seine Verhältnisse erstaunlich gut. In der Früh, als er in die Cafeteria kam, konnte er Sententia schon am Tisch –den gleichen wie am Vortag- sitzen sehen. Sie erblickte ihn und zeigte ihm mit einer einladenden Geste, dass er sich zu ihr setzen konnte. Ein Buch über Heilkräuter lag vor ihr und wieder hatte sie mit dem Essen auf Severus gewartet.

Am Buffet nahmen sie sich das gleiche und zurück am Tisch angekommen fragte Sententia: „Und? Welche Bücher haben sie sich gestern Abend herausgesucht?“

Sie schien wirklich interessiert daran, ihm zuzuhören, wie er berichtete.

„Sie haben das Buch schon durch?“

„Ja", sagte Severus knapp.

„Deswegen so viel Kaffee heute?“ Sie blickte auf die beiden leeren riesen Tassen Kaffee und dann auf Severus, der eine dritte in der Hand hielt. „Sie haben überhaupt keinen Zucker verwendet. Sie sind komisch.“ Die Heilerin lachte und steckte den Zauberer fast damit an. In ihrer Gegenwart hatte er Probleme seine Maske zu wahren. Denn egal wie er sich anstrengte, sie schien ohne Probleme hindurch dringen zu können und seine Stimmung und Gedanken ohne Legilimentik aus seinen Augen ablesen zu können. „Nun, soll ich ihnen die Bibliothek zeigen?“, fragte sie, als sie aufgegessen hatten.

Severus zögerte, dann nickte er. Er müsste sich die Zeit ja doch irgendwie um die Ohren schlagen. Sie standen auf und verließen den Raum. Sententia führte den Professor durch verschiedene Gänge und über ein anderes Treppenhaus ins Obergeschoss. Im Gegensatz zu den anderen Türen, die weiß waren, standen sie jetzt vor einer riesigen Flügeltür aus dunklem Holz. Schwungvoll stieß die Frau sie auf. Severus öffnete ungläubig den Mund.

„Eine kleine Bibliothek? Die ist größer als die von Hogwarts“, stieß er mit ein wenig Bewunderung in seiner Stimme hervor, während er seinen Blick über die Buchrücken und hohen Regale streifen ließ. Sententia lachte leise.

Dem Zauberer stieg der vertraute Geruch von Leder und altem Pergament in die Nase. Wenigstens etwas gutes, dachte er. Die Regale, gefüllt mit alten Büchern, ragten bis an die Decke. Und die war ziemlich hoch, denn die Bibliothek reichte über zwei Stockwerke, welche man durch eine Wendeltreppe in der Mitte des Raumes erreichen konnte. Zwischen den Regalen standen Tische auf denen sich Bücher stapelten und der Boden war mit einem Teppich in einem warmen Braun-Ton ausgelegt. Die Heilerin sah Severus dabei zu, wie er die Bücher in den Regalen bestaunte, hie und da eines heraus zog, den Buchrücken oder die Innenseite las und dann entweder sorgfältig zurück in das Regal stellte oder sich unter den Arm klemmte. Sententia suchte ebenfalls in den Regalen nach Büchern über erweitertes Brauen von Heiltränken. Später setzten sie sich an einen Tisch und begannen mit dem Lesen.

Irgendwann fragte die Frau leise: „Was lesen sie eigentlich?“

„Fortgeschrittene Zauberei. Ist aber eher eine Anleitung um Sprüche zu kreieren.“ Ja, tatsächlich war das Buch eine einzige Schritt-für-Schritt Anleitung fürs Zaubersprüche schreiben.

„Haben sie schon mal einen selber geschrieben?“, wollte die Heilerin nun neugierig wissen.

„Ja, ein paar. Und sie?“

„Nein, aber ab und an erfinde ich Rezepte oder Verbesserungen für Zaubertränke. Ich habe mal versucht einen zu schreiben aber ich bin kläglich daran gescheitert.“ Sie lachte leise.

„Es erfordert einiges an Übung und Geduld. Ich hatte viel Freizeit damals“ Sein Gesicht blieb regungslos, doch Sententia konnte in seinen sonst so emotionslosen Augen ein klein wenig Traurigkeit schimmern sehen. Sie lächelte ermutigend und nickte leicht.

Dann vertieften sie sich wieder in ihren Büchern. Den ganzen Vormittag blieben sie in der Bibliothek, führten Gespräche über ihre Bücher und fachsimpelten in Flüsterlautstärke. Zur Mittagszeit begaben sich die beiden wieder nach unten an ihren Tisch. Polly war eine grandiose Köchin. Sie saß mit Alice, einem Mann, den Sententia ihm gestern noch in dem Trubel als Paul vorstellte und einer fremden Frau in einem gelben Umhang an einem Tisch an der Glasfront.

„Das ist Fran", erklärte Sententia, als sie sah, wie Severus die Fremde unmerklich musterte. Sie ist wie Alice hier Krankenschwester. Sie hatte sich die letzte Woche freigenommen, weil ihre Mutter krank war, aber ihr geht es jetzt wieder besser. Fran liest jeden Samstagvormittag für unsere jungen Patienten ihre eigenen Geschichten vor und am Sonntagabend Krimis für die Älteren.“

„Sie schreibt selber Geschichten?“

„Ja, und sie sind großartig. Wissen sie, Fran ist, wie ich, viel rumgereist. Sie hat die fremden Kulturen studiert und sehr viel erlebt. Irgendwann dachte sie sich, dass sie es genau so gut aufschreiben könnte. Fran hat sie zwar noch nicht veröffentlicht, aber würde sie es tun, würde sie sicher ganz groß rauskommen.“

„Wo haben sie sich kennengelernt?“

„Beim Studium. Sie war zwar zur selben Zeit wie ich in Ilvermorny, aber wir hatten nie wirklich Kontakt, weil sie zwei Jahrgangsstufen unter mir und in einem anderen Haus war.“

In dem Moment kam Alice zu ihnen herüber.

„Hallo!“, sagte sie freundlich, „Wollt ihr nicht zu uns herüber kommen? Franny erzählt gerade von ihrem neuen Buch. Sie meint, sie hätte endlich einen Verleger gefunden.“ Sententia blickte Severus erwartungsvoll an. Er zögerte, aber dann gab er nach und folgte der Heilerin.

„Hi!“, rief Fran erfreut, stand auf, umarmte Sententia und streckte dann Severus die Hand entgegen. „Fran Walker“, sagte sie und er erwiderte knapp „Severus Snape“.

„Sententia, stell dir vor, ein Verleger hat mich auf meiner Vorlesung in London letzten Monat gehört. Ich hab aus „Trollhöhen“ vorgelesen. Wissen sie“, an Severus gewandt, „Das ist mein letztes Buch gewesen. Eine Sammlung aus Kurzgeschichten. Alles wahre Begebenheiten. Naja, auf jeden Fall hat er mich gesehen und war begeistert. Er meinte, er hätte schon lange nicht mehr solch mitreißende Geschichten gehört. Er würde sie unbedingt verlegen wollen.“
Frans Augen glänzten, als sie das erzählte.

„Das sind ja wundervolle Nachrichten, Franny", sagte Sententia erfreut.

„Nun, was habt ihr heute Nachmittag vor? Wir wollten hinten am See picknicken. “, Alice wechselte das Thema, „Möchte jemand mit uns kommen?“ Mit 'wir´und 'uns´meinte sie sich und Paul.

„Ich würde gerne mitkommen. Severus?“, die Heilerin drehte sich zu Severus.

Ein weiteres mal zögerte er. Er wollte ablehnen, aber die Leute an diesem Tisch waren so vorurteilslos und er hätte sowieso keine Idee, was er heute Nachmittag machen könnte außer in die Bibliothek zu gehen. Frische Luft würde ihm sicher gut tun.

„Polly, wenn du gehst, geh ich auch“, sagte Fran. Polly verzog den Mund und zucke zustimmend mit den Schultern.

Sie verabredeten sich um vier Uhr. Fran und Polly waren die letzten, aber auch sie gingen irgendwann wild tuschelnd und hektisch gestikulierend nach draußen.

Sententia wollte die Stunden im Garten verbringen und verschiedene Beeren pflücken. Eigentlich sollten sie Anfang Mai noch nicht reif sein, aber hier schien alles, viel schneller zu wachsen.

Severus ging wieder in die Bibliothek. Die Heilerin bat ihn darum, das Buch, dass sie gelesen hatte, auszuleihen und gab ihm ihren Bücherausweis. Sie sagte, er könne sich auch Bücher holen und darauf eintragen lassen, da er keinen eigenen Ausweis hatte. Und bevor er sagen konnte, dass sie sich ihr Buch selber holen kann, hatte sie sich lächelnd umgedreht und war durch die Eingangstür verschwunden.

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt