Und seit langem war wieder alles gut

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Kapitel 31

Nachdem Sententia ihr Gespräch beendet hatte, stellte sie fest, dass sie Stimmen aus der Küchennische hörte. Es schien so, als wäre Richard zu erschöpft gewesen, um schlafen zu können, und jetzt saß er mit Severus am Esstisch.

„Worüber redet ihr denn?“, fragte Sententia und ließ sich auf einen Stuhl neben Severus sinken.

„Oh Mr Snape berichtet mir gerade von den Fortschritten, die ihr in der Lykanthropie-Sache gemacht habt. Wirklich sehr gut Arbeit“, antwortet Richard. Er schien stolz zu sein.

„Mum läd uns ein, sobald wir wieder zuhause sind. Sie war ja so froh, Richard! Ach ja und „uns“ schließt dich ein, Severus“, fügte sie lächelnd hinzu, als sie sah, dass er sich schon wieder nicht dazuzählte. Er lehnte sich demonstrativ noch ein Stückchen weiter zurück.

„Möchte vielleicht jemand einen Tee?“, bot Richard an und drehte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, um, um das Wasser mit einem Zauberspruch zum Kochen zu bringen. Sententia ergriff Severus Hand. Es war eine Art Reflex gewesen, den sie nicht unterdrücken konnte, als sie diese plötzlich Leere in seinen Augen aufblitzen sah.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie sanft.

„Ja, schon gut“, erwiderte er. „Ich bin nur etwas müde.“

In Wirklichkeit dachte er an die Minuten, in denen er unter dem Cruciatus-Fluch gestanden hatte. Er sah sich selbst immer wieder windend auf den kalten Fliesen liegen, seinen Blick auf die Heilerin gerichtet und nicht in der Lage, ihn von ihr abzuwenden. Er war so voller Sorge gewesen. Nicht um sich selbst, nein, er hatte es schon so oft ausgehalten, er würde es auch ein weiteres Mal schaffen. Er fürchtete, dass jeden Augenblick ein weiterer Zauberer aus der Seite gesprungen kam und Sententia das gleiche angetan hätte. Die Heilerin war stark, sehr sogar, aber er wusste nicht, ob sie das ausgehalten hätte. Diese Schmerzen, als wenn sich der ganzer Körper zusammenziehen und auseinanderreißen würde, begleitet von den unerträglichen Krämpfen, die einen irgendwann an den Rand der Verzweiflung, wenn nicht sogar drüber brachten. Severus hätte es sich niemals verziehen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Niemals.
Über die letzten Wochen war sie ihm wichtig geworden, sie war ihm ans Herz gewachsen und ihre Nähe tat ihm gut.

Richard stellte drei Tassen Kräutertee auf den Tisch und setzte sich, seine Mundwinkel zuckten, als er sah, dass Sententia und Severus Händchen hielten wie zwei Jugendliche. Schnell lösten sie sich voneinander und nahmen jeweils einen großen Schluck ihres Tees.

Es war noch nicht sonderlich spät und da es erst Mitte Mai war folglich auch noch nicht dunkel, als Sententia noch einmal das Zelt verließ, um frische Luft zu schnappen, denn die warme Kaminluft führt dazu, dass es im Inneren reichlich stickig wurde. Der Mond war den ganzen Tag über sichtbar gewesen und wurde zum Abend hin immer deutlicher und ein Schwarm Vögel flog über der Heilerin vorbei. In wenigen Tagen würde sie wieder in ihrer geliebten Klinik sein und ihre Freunde in die Arme schließen können. Sicher, sie war nicht lange weggewesen, aber sonst lebten sie quasi nebeneinander und jetzt hatten sie seit Tagen nur Briefkontakt gehabt. Seit so langer Zeit hatte sie schreckliches Fernweh gehabt, aber das alles war in letzter Zeit ein wenig zu viel für sie. Nur mit Mühe hatte sie es geschafft, einen halbwegs kühlen Kopf zu bewahren. Sie war so unglaublich froh, dass Richard wieder da war, dass es ihm mehr oder weniger gut ging, wenn er auch etwas schwächlich wirkte. Und sie war so glücklich gewesen, dass sie ihre Mutter endlich wieder lächeln gesehen hatte. Ernsthaft lächeln. Grace Augen hatten seit langem wieder gefunkelt und Sententia hatte bemerkt, wie die Farbe schlagartig in ihr Gesicht zurückgekehrt war.

Als Sententia noch klein war, hatte ihre Mutter selten gelächelt, nie gelacht. Es lag an ihrem Vater. Mit ihm im Haus gab es nicht viel zu lachen, dafür umso mehr zu Weinen. Sie hatte ihre Mutter oft stundenlang im Schlafzimmer schluchzen gehört, wenn ihr Vater nicht da war natürlich. Grace war damals nur außer Haus gegangen, um arbeiten zu gehen oder einzukaufen, ansonsten hatte ihr Vater jeglichen Kontakt zu anderen verboten. Da es keine Grundschulen für Hexen gab, hatte Sententia keine Chance gehabt, auch zu verschwinden. Bis sie nach Hogwarts kam, hatte sie keine Freunde gehabt und saß den ganzen Tag eingesperrt und alleine in der kalten, staubigen Wohnung.

Sententia zog ihren Mantel ein wenig fester zu und schaute in Richtung Dorf. Die Umrisse waren gerade noch so zu erkennen und wenn sie sich anstrengte, konnte sie sogar die Silhouetten von Kindern in bunten Jacken sehen, die am Rande des Dorfes fangen spielten. Sie spürte, wie sich jemand neben sie stellte und stumm in dieselbe Richtung schaute wie sie. Sie lächelte sanft, als sie seine Hand ergriff und näher an ihn herantrat.

„Severus…“, sagte sie leise.

„Ganz alleine hier draußen? Sonst bist du doch auch so gesellig“, erwiderte er.

„Ich musste nachdenken. Mum ist glücklich. Ich habe sie seit Monaten nicht mehr gesehen. Sie sah recht mager und müde aus.“

„Sie ist wirklich gut mit ihm befreundet, oder?“, fragte er und Sententia nickte. Befreundet…sicher.

„Warum bist du nicht drinnen im Warmen?“, wollte sie schließlich wissen. Severus wäre liebend gerne im Warmen geblieben, aber er wollte Sententia nicht alleine draußen lassen.

All die Kälte schien verschwunden, wenn sie in seiner Nähe war. Er wusste nicht, womit er sie verdient hatte. In seinem Leben hatte er mehr schlechte als gute Dinge getan, er hatte ein Leben ausgelöscht und war verantwortlich für den Tod von einigen anderen. Wie konnte es sein, dass sie nicht von ihm abgestoßen wurde, wie konnte es sein, dass sie trotz allem zu ihm hielt und nicht den größtmöglichen Abstand von ihm suchte und wie konnte es sein, dass sie ihn überhaupt ansehen konnte?

„Was hast du?“, fragte sie besorgt und strich über seinen Arm.

„Wieso sorgst du dich um mich?“

„Oh Severus. Ich habe dich fürchterlich gern. Du gibst mir das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Das hat noch niemand zuvor geschafft, noch nicht einmal Alice“, antwortete Sententia ruhig.

Severus lächelte leicht und zog sie noch ein Stückchen näher an sich. Etwas hatte sich verändert. Die Vergangenheit fühlte sich immer ferner an und die Gegenwart immer realer. Das Taubheitsgefühl, das ihn all die Jahre lang begleitet hatte, war fast vollständig verschwunden und die Gleichgültigkeit, die damit einhergegangen war, ebenfalls. Dieses Mal küsste er sie. Sehnsüchtig und voller Hoffnung. Er drückte sie an sich und sie vergrub ihre Hand in seinen Haaren.

Als ihre Lippen sich nach einer gefühlten Ewigkeit voneinander lösten, hielten sie sich noch immer fest. Der Herzschlag beider hatte sich beschleunigt, aber sie schlugen im gleichen Takt.
Und seit langem war wieder alles gut…

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt