Die Rabenhöhle

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Kapitel 37

„Sie könnten sie überall hingebracht haben“, sagte Sententia aufgebracht.

Der Tag war regnerisch und nass, obwohl es fast noch Sommer war und der Wald wirkte farblos und traurig. Er schien das widerzuspiegeln, was die Heilerin fühlte. Fast als lebten sie in einer Symbiose zusammen. Die letzten Tage war es heiß und trocken gewesen, sodass man es selbst im Schatten kaum aushalten konnte. Jetzt roch es nach Petrichor und feuchtem Moos.

„Schwachsinn. Ganz offensichtlich möchten sie uns zum Narren halten. So weit werden sie nicht weggegangen sein“, erwiderte Severus und schob einen Ast zur Seite, der jetzt eine Tröpfchenspur auf seinem schwarzen Umhang hinterließ, den er sich schnell übergeworfen hatte, bevor sie sich auf die Suche nach Fiona begeben hatten. Sie irrten schon seit einer halben Stunde im Wald herum und mit jeder weiteren Minute, die verstrich, sank die Chance, die junge Frau lebend zu finden, erheblich.

„Bist du dir sicher?“, fragte sie wenig überzeugt und als hätte der Himmel sie gehört, blitzte ein einziger Sonnenstrahl hinter einer Wolken vorbei durch das dichte Blätterdach und traf auf sie. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, sorgen- und hoffnungsvoll zugleich.

„Natürlich bin ich mir sicher. Sogar die Sonne ist meiner Meinung“, sagte Severus, der den Sonnenstrahl auch sah, und die Wahrscheinlichkeit abwog, dass ein Strahl der Sonne, die heute noch kein einziges Mal geschienen hatte, durch den bewölkten Himmel brach und einen Weg durch die Baumkronen fand. „Dort“, sagte er plötzlich und deutete auf einen weiteren Fetzen von dem seltsamen Stoff, den Kruoris und seine Lakaien zu tragen pflegen. Sententia wollte gerade zum Sprechen ansetzten, als Severus seinen Zeigefinger auf seine Lippen legte. Es waren Stimmen zu hören. Viele Männerstimmen und eine einzige Frauenstimme, die um Hilfe flehte. Sie mussten sich in einer Höhle befinden, denn die Stimmen hallten schaurig.

„Die Rabenhöhle“, flüsterte die Heilerin. Es war eine Felsbrocken, der so aufgesprengt war, dass es ein tiefes Loch gebildet hatte, welches sich weit in die Erde bohrte. Von manchen Seiten sah es so aus, wie ein Rabe, deshalb nannten die Heiler der Klinik die Höhle nur Rabenhöhlen. Es war keine der gemütlichen Art. Die Wände waren glitschig und feucht und der Boden war von durchweichtem Moos überzogen, auf dem man so leicht ausrutschen und sich was brechen konnte, sodass sich nur selten jemand hineintraute und die meisten einen Bogen darum machten. Zudem gab es riesige, aggressive Fledermäuse dort, die laut fiepten und sich auf schlammige Mäuse stürzten, nur um ihnen die verklumpte Haut blutig zu beißen. Je tiefer sie hineingingen, desto lauter wurden die Stimmen. Und Schreie. Bei jedem Mal zuckte Sententia in Horror zusammen, bevor sie ihren Schritt beschleunigte und Severus irgendwann nur noch schwer mit ihr mithalten konnte.

„Bitte…Nein.“

„Crucio!“

Und wieder ertönten die Schreie.

„Es reicht!“, rief Sententia. Sie rannte mit erhobenem Zauberstab aus der Dunkelheit hervor. „Stupor!“, und einer der Männer, die bei allem zusahen, sackte zusammen. „Defodio“, und ein Felsbrocken wurde aus der Wand gesprengt und bedeckte einen weiteren.

Die übrigen beiden zogen ihre Zauberstäbe und warfen Flüche auf die beiden, aber Severus konnte sie abwehren. Während er sich mit einem Dritten duellierte, der hinter einer Ecke hervorgesprungen war, stürzte Sententia zu Fiona. Sie sah nicht gut aus. Sie wimmerte und verlor immer wieder für einige Sekunden das Bewusstsein. Ihre Kleidung war zerrissen und schmutzig und ihre Hand war mindestens gebrochen.

„Schhh, ist ja gut. Wir sind da, Fiona. Wir helfen dir. Du schaffst da, es wird alles wieder gut“, sagte die Heilerin leise, während sie ihren Puls fühlte. Er war unregelmäßig, was kein Wunder war, schließlich hatte sie der schrecklichste Fluch von allen getroffen. Wie tapfer sie doch war. Wie viel Willenskraft sie besaß. „Fiona, ich weiß, es ist schwer, aber du musst dich beruhigen. Trink das.“ Sententia flöste Fiona einen roten Trank ein und hielt sie fest, als es sie am ganzen Körper schüttelte. „Ich weiß, Ich weiß“, flüsterte die Heilerin leise.

„Stupor“, und Severus hatte den großen Mann ausgeknockt. Doch Kruoris löste diesen sofort ab. Er riss seinen Stab durch die Luft und traf Severus mit einem Zauber in die Brust. Er spürte wie ein Knochen knackend brach, doch viel Zeit hatte er nicht, denn schon kam der nächste Auf ihn zu. Severus lehnte sich mit seiner ganzen inneren Kraft auf seinen Zauberstab und schoss eine Ladung gutgezielte Flüche auf ihn, doch bis auf einen, der Kruoris einen ordentlichen Schlag versetzte, wehrte dieser alle gekonnt ab.

„Ihr dachtet doch nicht wirklich, dass ihr einfach so mit meinen Gefangenen verschwinden könnt? Sie sind mir etwas schuldig und zwar die Aufzeichnungen“, keifte er unter irrem Lachen. Der Schlag hatte scheinbar doch irgendetwas verrückt.

„Sie sind dir gar nichts schuldig, Kruoris. Wach endlich auf. Es gibt keine Aufzeichnungen! Wie leichtgläubig bist du?“, fauchte Sententia und schaute hasserfüllt zu ihm auf.

„Sei ruhig, kleines Weiblein“, gab Kruoris zurück, noch immer mit dem selben irren Lachen, während er geschickt Severus Zauber abwehrte. Er schleuderte Severus Fluch auf ihn zurück, sodass ihm nun sein Zauberstab in hohem Bogen aus der Hand flog und traf Sententia selbst von hinten in den Rücken mit einem Cruciatus.

Sie schrie und wand sich auf dem kalten Boden. Er ließ nicht von ihr ab. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich schmerzhaft, sodass sie dachte, dass er zerreißen würde. Sie fühlte, wie sie langsam den Verstand verlor. Wilde Bilder spielten sich ab, schreckliche Bilder. Und dieser Schmerz. Als würde jeder Knochen ihres Körpers zersplittern und sich in zerrissene Organe einbrennen. Sie konnte keinen Gedanken mehr fassen, schon gar keine Wort bilden und es hörte einfach nicht auf. Die Zeit verstrich und obwohl es sicher nur einige Minuten waren, fühlte es sich für sie an wie Stunden.

„NEIN!“, brüllte Severus ihm entgegen. Er hechtete zu seinem auf dem Boden liegenden Zauberstab zu, packte ihn, riss ihn herum und schrie „Sectumsempra!“

Augenblicklich verharrte Kruoris in seiner Bewegung. Für einen schier endlosen Moment tat sich nichts, doch dann erschienen hunderte Schnitte, kleine und große, auf seinem Körper und er kippte leblos nach hinten um.

Das nächste, was Sententia sah, war ein helles Licht, das ihre Augen zum Tränen brachte...

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt