Iaşu

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Kapitel 26

Eigentlich hätte alles normal sein sollen, doch dieser Morgen fühlte sich seltsam an. Irgendetwas war anders. Severus fühlte sich so unglaublich leicht, fast, als könnte er schweben, fast, als wären über Nacht tausend schwere Ketten von ihm abgefallen. Er war so voller Leben, seit vielen Jahren war er nicht mehr so voller Leben gewesen.
Severus hörte, wie neben ihm der Vorhang raschelte. Er setzte sich gerade auf, als Sententia den Kopf durch die Lücke des Stoffs steckte.

„Morgen“, sagte sie sanft, „Kaffee?“ Severus nickte und wollte gerade aufstehen, doch Sententia meinte nur: „Bleib sitzen und rutsch ein bisschen.“ Dann kam sie mit einem Tablett durch den Vorhang und lies sich neben ihm auf dem Bett nieder. „Wie geht es dir?“, wollte sie wissen.

„Gut. Es geht mir wirklich gut. Gestern Nacht ist etwas seltsames passiert.“

„Ich weiß.“

„Du hast alles mitbekommen, nicht wahr?“, fragte Severus.

„Ja, das habe ich.“

Severus kräuselte die Lippen, dann sagte er: „Es tut mir leid.“

„Oh nein, das muss es nicht, keine Sorge. Sowas kenn ich nur zu gut. Darf ich fragen, was es war?“

„Was war was?“

„Mit was hast du abgeschlossen?“, erwiderte sie ruhig.

„Mit einer alten Freundin von mir. Ich hatte ein Versprechen zu erfüllen. Es war…befreiend“, sagte er zögernd.

Die Heilerin nickte: „Das ist es.“

„Was war es bei dir“, wollte Severus dann wissen.

„Mein Vater. Er hat schlimme Dinge getan.“

„Das tut mir leid.“

„Ja, mir auch.“ Sie lächelte traurig, dann sagte sie: „Wir sollten sofort losfliegen, dann sind wir so gegen Mittag da.“

Eine Viertelstunde später hatten sie das Zelt gemeinsam wieder auseinandergebaut und alles eingepackt und standen nun mit ihren Besen in der Hand und in warme Umhänge gehüllt auf einer freien Fläche vor dem Platz auf dem das Zelt gestanden hatten. Nachdem sie sich mit einem Desillusionierungszauber belegt hatten, starteten sie und ließen nach einiger Zeit Raluka, Blutroth und seine Ländereien hinter sich.

Wälder zogen unter ihnen vorbei, Seen, Felder, Dörfer und bereits nach einer Stunde konnten sie den Umriss des Dorfes Iașu erkennen.

„Das ging unerwartet schnell. Ich dachte wir fliegen länger“, sagte Sententia etwas verwundert, doch weder ihr, noch Severus machte das etwas aus. Severus war sowieso heilfroh, als er endlich wieder vom Besen heruntersteigen konnte. Er hasste das fliegen immer noch. „Wenn wir gleich in das Dorf gehen, müssen wir das Zelt vielleicht gar nicht wiederaufbauen“, meinte Sententia. Sie landeten vor einem Waldstück auf einer kleinen Wiese.

„Ich denke, es wäre am besten, wenn wir die Sachen hier ablägen“, schlug Severus vor. Sie nickte und legte den Rucksack und ihren Besen neben den von Severus unter eine hervorstehende Wurzel. Dann machten sie sich auf den Weg ins Dorf.

Sie mussten gar nicht lange suchen, als sie an einer Ferienwohnung vorbeikamen. Der Besitzer teilte ihnen mit, Richard hätte eine Wohnung bei ihm gemietet, das Geld auf sein Bett gelegt und ohne auch nur irgendetwas seiner Sachen mitzunehmen, scheinbar fluchtartig Iașu verlassen.

„Haben sie seine Sachen noch?“, fragte Severus, bevor die Heilerin zum Sprechen ansetzten konnte um dasselbe zu fragen. Sie nickte nur zustimmend.

„Natürlich. Wir schmeißen doch nichts weg, was uns nicht gehört. Folgen sie mir.“ Er führte sie die Treppe nach oben, die zwei Ferienwohnungen und seine eigene Wohnung miteinander verband und bog dann in einen kleinen Raum am Ende des Ganges zur zweiten Etage.

„Bitte sehr. Sehen sie sich ruhig um. Ich wusste ja nicht, dass er vermisst wird, sonst hätte ich die Polizei gerufen.“

„Oh machen sie sich keine Vorwürfe, Sir. Wir suchen ihn doch auch erst jetzt“, erwiderte Sententia ermutigend und öffnete einen kleinen Koffer. Die Sachen waren ordentlich gefaltet aufeinandergelegt und ganz oben drauf lag ein graues Notizbuch. „Sieh mal.“ Sie reichte es Severus, welcher es aufklappte und ein paar Seiten überflog.

„Er schreibt über seine Reise. Auf der letzten Seite steht, er konnte sich mit Kruoris nicht in Blutroth treffen, sei deshalb hierhergekommen und erwarte ihn am Nachmittag. Danach hat er nichts mehr geschrieben.“

„Oh ich bin mir sicher Kruoris hat ihn entführt. Nur wohin?“, fragte die Heilerin niedergeschlagen.

„Ähm vielleicht könnte meine Wenigkeit hier ja helfen“, ertönte die Stimme des Besitzers hinter ihnen. Erschrocken fuhr Sententia herum. Wie konnte sie nur vergessen, dass er ja noch da war. „Nun, da war etwas Ungewöhnliches an dem Tag, als er verschwunden war. Ich kann mich noch gut daran erinnern, da Kruoris ja doch recht selten in unsere Gegend kommt. Wir haben kurz ein paar Worte gewechselt, er meinte er würde nicht lange bleiben. Er müsse zurück nach 'Lacat´, wie er es nannte, was nur so viel wie Schloss bedeutet. Keine Ahnung was er damit gemeint hat, um ehrlich zu sein. Es gibt keinen mir bekannten Ort der Lacat heißt, zumindest nicht in unserer Gegend. Aber wenn sie mich fragen hat der Typ eh einen an der Klatsche. Handelt mit seltsamem Zeug, marschiert durch die Dörfer als wäre er was Besseres und redet von Hexen, Zauberern und Vampiren. Halten sie sich am besten fern von ihm.“

„Danke für ihre Zeit, Sir. Wir wollten nicht so lange hierbleiben. Können wir das Buch behalten?“, fragte Sententia.

„Sicher. Wenn es ihnen hilft Mr Hope zu finden. Und wenn sie ihn haben, können sie die restlichen Sachen abholen. Vielleicht braucht er sie ja noch.“

„Lacat ist das Schloss, da bin ich mir sicher. Er wird ihn dort festhalten. Ach, wenn wir doch nur wüssten wo es ist“, seufzte Sententia, als sie das Dorf verließen und auf den Wald zuliefen in dem sie den Rucksack und ihre Besen abgelegt hatten.

„Naja, vielleicht weiß ich es ja“, meinte Severus plötzlich. Bei dem Wort Lacat hatte sich eine Schublade in seinem Gehirn geöffnet. Lacat war ein beliebter Versammlungsort für all das verstoßene Pack von Werwölfen bis hin zu Vampiren und er wusste wo es lag.

„Es liegt in Mitten der Karpaten, abseits jeglicher Siedlungen und Dörfer. Ich kann uns hinführen.“ Sententia blickte ihn überrascht an und nickte nur. Es ging sie nichts an weshalb er den Ort kannte und vielleicht wollte sie es ja auch gar nicht so genau wissen. „Wenn wir sofort losfliegen können wir noch vor Einbruch der Dunkelheit da sein. Aber wir müssen uns beeilen.“

„Na dann, worauf warten wir?“, sagte Sententia und ehe Severus sich´s versah, war sie auch schon wieder mit samt ihres Rucksacks in der Höhe und drehte einige Kreise auf ihrem Besen. Er seufzte, dann folgte er ihr…

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt