Besucher

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Kapitel 20

Am Morgen des 13. Mais herrschte pures Chaos in der Eingangshalle der Klinik. Der Kamin zur Linken der Türen brachte seit 9 Uhr die Familien der Patienten in die Klinik, welche nun ratlos im Flur herum standen und ungeduldig warteten, bis man sie zu den Patienten brachte.

„Okay!“, rief Polly so laut, dass die Schar zusammenzuckte und zu ihr herum fuhr. „Hallo“, fuhr sie in einem weitaus leiseren und freundlicheren Ton fort. „Ich bin Polly Miller. Duzt mich, siezt mich, macht mit meinem Namen was ihr wollt. Ich bin eure erste Ansprechpartnerin was das Zwischenmenschliche hier betrifft. Sie finden mich immer hier vorne. Bei allem Medizinischen suchen sie einen Heiler auf. Ich werde sie jetzt zu ihren Leuten führen. Kommen sie.“

Polly winkte die Besucher hinter sich her und lotste sie in die Patientenzimmer. Die Gruppe wurde immer kleiner und ruhiger und als Sententia im Lykanthropie -Stockwerk dazu stieß, waren es nur noch zwei Eltern, ein Mann, eine Frau und ein kleiner Junge.

„Mr und Mrs Brown, hier ist ihre Tochter. Sie ist physisch wohlauf. Wir haben unten eine Apotheke, ist ausgeschildert. Dort können sie später einen Schein abholen mit dem sie im St Mungos alle paar Monate Wolfsbanntränke bekommen können. Sagen sie einfach wer sie sind, dann wird man ihnen alles erklären“, sagte Sententia. Mr und Mrs Brown nickten betroffen und verschwanden stumm im Zimmer ihrer Tochter.

„Sie sind“, die Heilerin griff nach dem Klemmbrett, welches Polly ihr bereits hinstreckte, „Phillipp Vogler. Christines Mann?“

„Jap. Wie geht es ihr?“, wollte  er wissen.

„Ganz gut, denke ich. Sie zwei können auch einen Schein abholen. Dann kann ich ihre Frau entlassen.“

„Danke.“

Wenige Schritte später bog auch Phillipp in das Zimmer und so waren sie nur noch zu viert.

„Sie sind Kathryn Clance, richtig?“, lächelte die Heilerin. Kathryn lächelte zurück und nickte freundlich. „Hmm“, Sententia beugte sich zu dem Jungen hinunter, der die Hand seiner Mutter hielt. ,,Dann bist du sicher Ethan.“

Ethan mit seinen 4 Jahren streckte der Frau seine Hand entgegen und grinste sie breit an. Sententia erwiderte seinen Hände Druck leicht.

,,Ihrem Mann geht es gut. Er hatte eine leichte Blutvergiftung, welche allerdings gestern bereits abgeheilt ist. Holen sie sich unten den Schein ab, dann können sie ihn mitnehmen.“

Kathryn dankte ihr und bevor sie im Zimmer verschwanden, drehte Ethan sich um und meinte: ,,Wir kommen sie mal besuchen, Tante Heilerin, ja?“

„Gerne doch!“, antwortete Sententia lachend und verschwand. Tante Heilerin - Der Junge war sicher das niedlichste menschliche Wesen, das sie jemals getroffen hatte.

Sententia begab sich in ihr Büro. Es war im Erdgeschoss direkt hinter der unsichtbaren Kammer hinter die Rezeption. Wenn man den Raum betrat, blickte man direkt auf einen halbrunden Tisch vor einem riesigen Fenster und an der rechten Wandseite befand sich ein riesiges Regal mit Ordnern und Dokumenten. An der rechten Seite hatte man Bücher auf Bretter gestellt. Kein einziges war über Zaubertränke, außer wenn sie zur Heilung dienten, allerdings fand man umso mehr über Muggelmedizin, Chirurgie, Anatomie, Psychologie, Erste-Hilfe und Notfallmedizin. Neben der Tür standen ein großes Skelett und daneben eine Kaffeemaschine, die vor sich hin brodelte. Die Frau legte das Klemmbrett auf dem Schreibtisch ab und zog eine Tasse aus einem Fach in dem Regal. Viele Patienten, darunter auch alle Lykanthropie-Patienten, waren entlassen worden. Sententia setzte sich mit ihrer frischen Tasse Kaffee an ihren Tisch und besah sich der Unterlagen und Blätter der letzten beiden Tage. Zudem fand sie einen separaten Stapel mit den Sachen, die sie Severus Snape am Dienstagabend gebracht hatte. Die Frau war ein wenig erstaunt darüber, dass er tatsächlich schon alles ausgefüllt hatte und auch die anderen Unterlagen aus Spinner´s End geholt hatte, denn sogar sie hätte dafür einige Tage gebraucht und das wollte was heißen, denn sie war wirklich schnell, wenn es um sowas ging.

Sie war sichtlich erleichtert darüber, dass sie endlich einen neuen Tränkemeister für die Klinik gefunden hatten. Einen brillanten noch dazu. Severus wirkte zwar oft verschlossen, ernst und zynisch ihr und vor allem den anderen gegenüber, aber aus den Gesprächen beim Essen oder Abend im Labor hatte sie ein paar Sachen über ihn erfahren, die sie sehr mitnahmen. Er wuchs in Spinner´s End auf, keine schöne Gegend, und sein Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker. Sententia wusste, wie es sich anfühlte. Die Person, die einem eigentlich gerade im jungen Alter alles über die große, weite Welt da draußen erklären sollte, ist den ganzen Tag aus Sauftouren und, wenn er dann spät am Abend stockbesoffen nach Hause kommt, brüllt er rum, schlägt wild um sich, trifft nicht zuletzt auch mal die Mutter oder einen selbst und dann fängt am nächsten Tag der ganze Albtraum von vorne an.

Severus´ Mutter hatte ihren Sohn komplett verwahrlosen lassen, sich nie liebevoll um ihn gekümmert, ihn in Schutz genommen oder sich gegen ihren Mann gewehrt. Nur eines hatte sie getan. Sie hatte Severus das Zaubern beigebracht und zwar so gut, dass er bis zum Ende der mittleren Klassenstufen mehr wusste und konnte als all die anderen. Doch dann gab es dort diese Jungen. Eine Bande aus Gryffindors, die sich die Rumtreiber nannten und keine noch so kleine Gelegenheit ausließen, sich mit Severus zu duellieren, ihn bloßzustellen oder ihn gemeinen Namen zu nennen. Aber hatte ihm je ein Lehrer geholfen, war eingeschritten, als es wieder vier gegen einen ging? Nein. Doch die Heilerin meinte, zwischen seinen Worten herausgehört zu haben, dass er scheinbar doch eine gute Freundin hatte. Von einem Streit hatte er geredet und seine Worte waren von jäher Traurigkeit durchzogen, bevor er das Thema schnell abgewürgt und dann einen ganzen Tag nicht mehr mit ihr geredet hatte.

Auch das verstand sie; sie redete selbst nicht oft und schon gar nicht gerne über die Schatten ihrer Vergangenheit. Höchstens ab und an mit Alice, aber Alice hatte eine schöne Kindheit. Eine perfekte Familie, Mutter und Vater die sie liebten und eine wundervolle Schwester. Wenn sie mit Severus redete, fühlte sie sich verstanden. Es ist gut zu wissen, dass man nicht alleine ist, dass es anderen ähnlich, wenn nicht sogar genauso geht und dass es irgendwann auch wieder bergauf gehen wird.

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt