Wiedersehen

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Kapitel 27

Runter. Hier. Jetzt!“, rief Severus gegen den eiskalten Gegenwind an, der der Heilerin und ihm gewaltig um die Ohren blies. Er setzte zum Sturzflug an und lenkte die Spitze seines Besens geradewegs durch die Baumkronen.

Sententia huschte ein Lächeln übers Gesicht. So schlecht flog er ja eigentlich gar nicht und Sturzflüge führte er auch ganz passabel aus.

Als sie kurz nach ihm auf dem mit Blättern bedeckten Waldboden ankam, schaute sie sich um. Die Bäume standen so nah aneinander sodass kaum ein Lichtstrahl durch das dichte Blätterdach dringen konnte und überall im Unterholz knackte es schaudererregend. Es erinnerte sie an den Verbotenen Wald, der wie eine Mauer an den Schutzmauern der Lavenderklinik grenzte. Ihr wurde etwas schwer ums Herz, als sie daran dachte. Sie wusste, dass auf Alice immer verlass war und die Klinik sicher noch stehen würde, wenn sie wieder zurückkämen aber fünf Jahre lang war sie immer in unmittelbarer Nähe gewesen, bereit bei einem Notfall sofort zu apparieren.

„Es ist nicht mehr weit, allerdings sollten wir darauf achten, dass uns niemand entdeckt. Sie sind nicht sehr gastfreundlich Fremden gegenüber“, sagte Severus und bedachte die Heilerin mit einem kritischen Blick, dass sie mal wieder gefährlich lange ins Nichts starrte.

„Ja, sicher. Verstehe. Wo müssen wir lang?“, fragte sie dann.

„Der Pfad. Er führt an eine große Tanne heran. Von dort aus führt ein Geheimgang in das Schloss hinein. Wir müssen uns leise verhalten. Manchmal laufen hier Wächter Patrouille.“ Jetzt konnte sie sich eine Frage nun wirklich nicht mehr verkneifen.

„Woher weißt du das?“, wollte sie daher neugierig wissen und folgte Severus über den Trampelpfad durch das Dickicht, nachdem sie ihre Sachen unter einer Wurzel abgelegt hatten.

„Ich hatte Geschäftliches hier zu tun“, antwortete er knapp und starrte stur geradeaus.

Ohne weiteres Wort zu wechseln, liefen sie noch zwanzig Minuten in eine Richtung und dann, nach einer Weggabelung weitere fünf nach rechts. Irgendwann standen sie vor der Tanne, die Severus gemeint hatte. Sie war unverkennbar, hatte sie doch den breitesten Stamm von allen. Die untersten Äste waren kahl weshalb ein Knoten etwas über Augenhöhe besonders auffiel. Ohne zu zögern zückte Severus seinen Zauberstab und stach in die Mitte der Wölbung. Es knarzte laut und die blätterlosen Äste wankten bedrohlich, als mit einem gewaltigen Beben ein Teil der Rinde nach innen sprang und dann zur Seite fuhr.

„Ich werde vorgehen. Folg mir“, meinte er leise und duckte sich durch die Öffnung. Sie stiegen eine alte Holztreppe hinunter, die bei jeder Bewegung, die man auf ihr tat gefährlich knirschte und wackelte. Als sie ein Stück weit unter der Erde waren, endete die Treppe abrupt anderthalb Meter über feuchtem Stein. „Vorsicht“, flüsterte Severus, sprang ab und half der Heilerin etwas steif auf den Boden.

„Danke“, sagte sie ebenso leise wie er und lächelte.

„Achte darauf wohin du trittst. Das letzte mal als ich hier war, waren überall Fallen und Alarmzauber versteckt und ich kann mir kaum vorstellen, dass sie weniger geworden sind.“

Der Gang führte nach zweihundert Metern direkt vor eine steinerne mit Moos bewachsene Wand. Doch, als wäre es das normalste überhaupt, ging Severus ohne auch nur mit der Wimper zu zucken hindurch. Die Heilerin folgte ihm und kurz darauf standen sie in einer kleinen Nische auf einem düsteren kalten Gang.

„Wo sind wir? Im Keller?“, fragte sie stumm und sah sich suchend um. Sie konnte nichts erkennen. Severus nickte langsam und zauberte einen winzigen Leuchtschein mit einem „Lumos“ in die Dunkelheit. Er hielt das Licht besonders schwach um es im Notfall unauffälliger löschen zu können. „Weißt du wo die Kerker sind?“, hakte sie tonlos nach, doch Severus schüttelte nahezu unmerklich den Kopf.

„Irgendwo hier unten wohl. Wir müssen ihn suchen.“

Der große Gang verband einige Nebengänge miteinander in denen ebenfalls kein Licht brannte. Rasch bogen sie in den ersten auf der linken Seite. Jeden Schritt den sie taten, jede Bewegung hallte laut von den Wänden her und jagte ihnen einen kalten Schauer über den Rücken. Die Türen an denen sie vorbei gingen waren allesamt verschlossen und hinter ihnen war kein Ton zu hören.

„Hier ist nichts. Lass uns umkehren“, drängte sie als sie das Ende des Ganges erreicht hatten.

„Ja“, sagte Severus. Sie eilten den Gang zurück, bogen in den nächsten und lauschten nach Geräuschen hinter den Türen. Doch auf einmal endete der Flur abrupt im Nichts.

Severus konnte Sententia gerade noch an der Taille packten bevor sie das Gleichgewicht verloren hätte und über die Kante gestürzt wäre. Erschrocken atmete sie auf und starrte in die Tiefe. Ein Teil des Randes bröckelte vor ihren Füßen hinab und fiel in das Loch. Es landete auf etwas Weißem.

„Ein Skelett“, hauchte sie entsetzt.

„Zwei Skelette“, verbesserte Severus sie, der nun, nachdem er neben sie getreten war, ebenfalls die auf spitzen Zacken aufgespießten Knochen musterte. „Das meinte ich.“ Er zog sie weiter zurück und schob sie dann ein Stück weit den Gang entlang bis sie sich mit einem energischen Kopfschütteln aus ihrer Schockstarre befreien konnte.

Der nächste Gang wurde von einem giftig riechenden Nebel verschluckt, weshalb sie ihn ausließen und einen weiten Bogen herum machten. Er würde dort nicht sein. Das spürte sie und sie irrte sich bei so etwas nicht.

Der vierte Gang allerdings war hell erleuchtet mit dem einschläfernden Schein von Fackeln, die in Vorrichtungen an den Wänden befestigt waren und im eisigen Luftzug von dem Severus den Ursprung nicht ausmachen konnte, wild flackerten. Hier gab es keine Türen außer einem großen Portal aus düsterem Holz ganz am Ende.

„Alohomora“, flüsterte die Heilerin und mit einem lauten Klicken sprang das Schloss des Tors auf.

Augenblicklich ertönten drei Stimmen. Sie schrien erschöpft und in Panik. Mit weit aufgerissenen Augen blickte die Heilerin Severus an. Sie würden entdeckt werden!

„Verflucht. Colloportus!“, rief Severus und die Tür verriegelte sich wieder. Ich die Stimmen verstummten langsam und nur noch eine sprach jetzt.

„Wer ist da?“ Die Stimme zitterte und brach sich vor Erschöpfung, doch selbst unter hunderttausenden hätte Sententia sie erkannt.

„Richard?“ Ohne die anderen zu beachten stürmte sie an den zwei Zellen die mit einer unsichtbaren Wand geschützt waren, vorbei bis ganz nach hinten. „Richard!“ Eine hagere Gestalt, bis auf die Knochen ausgehungert und mit müden Augen, war nach vorn getreten und hatte die Hände gegen die Wand gestreckt.

„Sententia? Was…? Wie…?“, sofort war er hellwach.

„Richard. Oh Gott mach dir keine Sorgen! Wir holen dich hier raus. Wir holen euch alle hier raus.“ Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Sie wollte ihn so gerne in die Arme schließen, aber noch immer trennte sie diese unsichtbare Mauer voneinander. Sie legte ihre Hand an seine und obwohl sie ein heftig pulsierender Schlag durchfuhr zog sie sie nicht wieder weg. Es war alles egal.

„Du hast mich nicht aufgegeben?“, fragte er leise.

„Niemals.“

„Wie geht es deiner Mutter?“

„Sie vermisst dich schrecklich. Sie denkt, du wärst einfach gegangen ohne dich zu verabschieden. Du hast immer davon geredet, zu gehen“, erwiderte Sententia.

„Ich würde sie doch niemals verlassen. Ich hätte mich doch bei euch verabschiedet, hätte ich gewusst, dass ich so lange wegbleiben würde.“ Severus war ihr gefolgt, hatte sich die anderen beiden gefangenen genauer angeschaut und nachgedacht wie sie den Zauber aufheben konnten.

„Ich möchte euch ja wirklich nur ungern stören, jetzt, da ihr endlich wieder vereint seid, aber wir sollten uns dringend etwas überlegen. Ich höre Schritte“, sagte er schnell und sah sich suchend um.

„Dort drüben.“ Hope deutete mit seinem knochigen Finger auf eine Ecke in der sich eine beschattete Nische befand, die gerade so groß war, dass zwei Erwachsene in ihr Platz fanden.

Kaum waren sie ins Dunkle getreten öffnete sich die Tür mit einem weiteren Klicken…

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt