Das Buch

21 2 0
                                    

Kapitel 49

Es war eine kalte Nacht. Also eigentlich nicht, es war sogar recht warm, aber irgendeine Kälte hatte sich in Sententias Brust festgesetzt und wollte nicht verschwinden. Sie hatte Angst, doch sie wusste nicht wovor. Ein Zeichen war für gewöhnlich nun wirklich kein großer Grund zur Sorge, aber für gewöhnlich bluteten die Zeichen nicht und es wechselte auch für gewöhnlich nicht zu eisigen Temperaturen. Es musste ungefähr 3 Uhr sein, als sie es nicht mehr aushielt, ihren Morgenmantel überwarf, in ihre Pantoffeln schlüpfte und ihren Zauberstab nahm, um die Wohnung zu verlassen und in die nebenan zu gehen.

Sie zögerte kurz, dann klopfte sie. Sie erwartete nicht, dass er sie hörte. Sie würde einfach zurückgehen und versuchen, alle schlechten Gedanken aus ihrem Kopf zu bannen. Aber zu ihrem Erstaunen polterte es kurz und die Tür ging einen Spalt weit auf. Es war, als würde ihr eine große Last vom Herz fallen, als sie Severus sah.

„Darf ich reinkommen?“, fragte sie leise, da sie keinen anderen im Gang wecken wollte. Gegenüber befand sich Alice´ und Pauls Wohnung, die mittlerweile zusammengezogen waren. Genug Platz war ja schließlich da und bevor zwei benachbarte Wohnungen leer standen, verband man sie eben und steckte ein Paar rein.

„Natürlich“, erwiderte Severus und öffnete die Tür vollständig, um sie reinzulassen. Eilends zugeschlagene Bücher lagen auf dem alten Holztisch, eine Kerze in einem goldenen Kerzenständer war bereits bis zur Hälfte runtergebrannt und trockenes Wachs verband ihn mit der Oberfläche. Durch die Schlafzimmertür konnte Sententia sehen, dass das Bett noch unberührt war.

„Du scheinst wohl auch nicht schlafen zu können“, stellte Sententia müde fest und ließ sich auf sein Sofa fallen, vor dem Kamin, der brannte und den Raum warm machte.

„Ach wirklich?“, murmelte Severus niedergeschlagen, während er sich neben sie setzte und sie musterte. „Du siehst schrecklich aus.“

„Danke, gleichfalls“, sagte sie und verdrehte sie Augen. „Ich kann nicht schlafen. Ich habe Angst, Severus. Irgendetwas läuft hier ganz schrecklich falsch. Normalerweise kommt es schon selten vor, dass sich jemand bis zu Klinik verirrt, aber dann noch ein ganzes Stückchen weiter? Und Wetterzauberei mit dieser Stärke ist jetzt auch nicht unbedingt die einfachste Kunst. Ich habe das Gefühl, dass wir in Gefahr sind.“

„Ich weiß. Du hast recht. Ich habe nachgeforscht und etwas gefunden. Ich dachte, du schläfst bereits, sonst hätte ich es dir sofort gesagt.“

„Du hättest mich doch wecken können. Ich meine, ich hätte dich jetzt auch geweckt, wenn du nicht schon wach gewesen wärst.“

„Du frierst immer noch“, bemerkte er und holte eine dicke Decke aus der Kommode, die er über ihr ausbreitete.

„Danke. Was hast du herausgefunden?“, wollte sie wissen und rutschte näher zu ihm.

„Ich weiß, weshalb es uns so bekannt vorkam. Wir haben es erst vor kurzem gesehen, als wir die Akten durchsucht haben.“

Sententia fiel es auf einmal wieder ein. Da war ein Buch auf dem Boden eines Kartons, dass sie kurz durchgeblättert und dann auf den Stapel mit Zaubertrankbüchern gelegt hatte. Sie erinnerte sich, dass dieses Zeichen Absätze trennte, um Trank von Trank zu unterscheiden. Es enthielt ganz normale Tränke, Aufpäppeltränke, Skele-Wachs, den Trank der Lebenden Toten, nichts Besonderes, nichts, was nicht in dem Schulbuch eines Sechstklässlers stehen würde. Also landete es im Müll, was sich jetzt als ein fataler Fehler herausstellte.

„Oh verflucht! Ich hab es weggeworfen!“, stieß sie hervor und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

„Ich weiß. Wir sollten morgen mit Hope reden. Vielleicht weiß er etwas darüber und wenn nicht, sollten wir das Buch suchen. So oft scheint die Müllabfuhr da oben nicht zu kommen“, schlug Severus vor. „Ich habe allerdings noch ein anderes Buch gefunden“, sagte er und hob einen dicken Wälzer vom Tisch.

Er schlug eine Seite auf, auf der dasselbe Zeichen zu sehen war, wie an der Linde. Ein blutendes Hexagramm mit einem blinden Auge. Es schien sie zu beobachten, sie anzustarren, obwohl es leer und ausdruckslos war. Es war ein fürchterlicher Anblick. Die gesamte Seite war mit einer roten Farbe beschrieben worden, und so, wie die rote Farbe an manchen Stellen braun angelaufen war, war es Blut.

„Das sind Runen“, stellte Sententia fest. Sie selbst hatte Alte Runen bis zum Ende ihrer Schulzeit gehabt und mit einem Erwartungen übertroffen abgeschlossen.

„Ich habe das Fach nicht belegt und kann es nicht lesen.“

„Na ein Glück, dass du mich hast“, erwiderte Sententia lächelnd. „Das macht Spaß. Accio Silbentabelle.“ Die Schublade der Kommode sprang auf und ein altes Stück festes Papier rauschte heraus. „Von der düstersten, schwärzesten Kunst, steht hier. Aber das wird eine Weile dauern, bis ich das übersetzt habe. Ich weiß nicht, ob mein Gehirn um die Uhrzeit noch funktioniert.“

„Ich werde morgen mit Hope sprechen, dann kannst du in Ruhe übersetzen. Du solltest jetzt wirklich schlafen.“

„Kann ich bei dir bleiben? Drüben fühlt es sich so kalt an“, sagte Sententia leise. Sie hatten mehrere Wochen dasselbe Bett geteilt, sie sah keinen Grund, weshalb sie das nicht fortführen konnten. Andererseits konnte sie sich gut vorstellen, dass Severus erstmal seine Ruhe haben wollte, zumal es jetzt nicht mehr zwingend notwendig war, da jeder sein eigenes Bett hatte.

„Natürlich kannst du bleiben“, sagte er und Sententia meinte, dass für einen Wimpernschlag ein mildes Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Sie schüttelte die Decke ab und verschwand dann durch die Tür ins Schlafzimmer. Severus würde noch kurz Ordnung schaffen und dann nachkommen.

Das Bett war groß genug für zwei, eigentlich viel zu groß, dafür, dass meistens nur eine Person darin schlief. Die Decke war zwar dick, aber kalt und sie hoffte inständig, dass Severus nicht mehr all zu lange brauchen würde. Es polterte noch zweimal, dann erschien er in seinem grauen Nachtgewand im Zimmer und legte sich zu ihr.

„Ist dir immer noch kalt?“, fragte er und drehte sich auf die Seite, um sie ansehen zu können.

Das Mondlicht spiegelte sich in ihren wunderschönen Augen und wieder kam ihm alles so unwirklich vor, dass er sich fragte, ob er nicht doch träumte, oder damals gestorben war und sich jetzt im Paradies befände, wobei er sich kaum vorstellen konnte, dass er es dorthin geschafft hätte.

„Ein bisschen“, sagte sie leise. „Ich habe Angst, Severus. Ich weiß, es ist nur ein Zeichen und hat vielleicht gar nichts zu bedeuten, aber irgendetwas fühlt sich gehörig falsch an.“

„Ich verspreche dir, dass ich dich beschützen werde, egal vor was und wem“, sagte er.

Sententia biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor sie ihm um den Hals fiel. Severus legte seinen Arm über ihren Körper und hielt sie fest. Er wollte nicht, dass ihr etwas geschah. Er konnte es nicht zulassen. Bei Lily war das was anderes gewesen. Lily war Potters Lily, aber Sententia war seine Sententia. Er konnte sich nicht erinnern, sie jemals so fest gehalten zu haben, aber es fühlte sich richtig an, heilend, gesund, glücklich.

„Danke, Severus. Danke, dass du bei mir bist. Danke, dass ich mich bei dir so sicher fühlen kann und dass du mich so sein lässt wie ich bin“, flüsterte sie gegen seine Brust und krallte sich in seinem Nachtgewand fest, sodass kaum mehr Abstand zwischen ihnen war, der ihnen wehtat. Sie war sich nicht sicher, ob er sie gehört hatte, aber das waren Worte, die raus mussten.

„Ich liebe dich“, sagte Severus.

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt