Nordlicht

21 1 0
                                    

Kapitel 42

Es war kurz nach Mitternacht, als Severus die Tür des Schlafzimmers, die er nur wenige Sekunden zuvor geschlossen hatte, wieder aufriss.

„Sententia, du solltest dir das ansehen!“, rief er die Treppe hinunter, wo sie auf dem Boden des Wohnzimmers saß und seit zehn Minuten eine alte Schallplattensammlung durchforstete. Sie legte einige Platten sortiert aufeinander und stand auf, um nach oben zu gehen.

„Ich habe eine handsignierte Ausgabe von Let it be und der Peer-Gynt-Suite gefunden, stell dir das vor. Was…?“ Sie schaffte es noch, die Platten auf einen Schrank zu legen, dann schien ihr Herz einen Satz zu machen. Das Schlafzimmer war in einen atmosphärischen Glanz gehüllt.

„Komm hier her“, sagte Severus und klopfte neben sich auf das Bett. Das Licht, das auf ihn hinabschien, ließ ihn fast unwirklich erscheinen. Es war das schönste und atemberaubendste, was sie je gesehen hatte.

Über den gesamten sternenklaren Nachthimmel zogen sich grüne und lilafarbene Schleier, die sanft hin und her flossen, wie Wellen im Meer, und das Zimmer mit ihrem bunten Licht überfluteten. Rote und blaue Schimmer folgten ihnen, legten sich über das Bücherregal und den schwarzen Bettbezug, sodass er nicht mehr ganz so trist und einsam wirkte. Nie hätte Sententia gedacht, die Lichter einmal tatsächlich selbst zusehen, schon gar nicht seit sie ihre Klinik hatte, und sie hatte nicht mal ansatzweise damit gerechnet, dass sie direkt in der ersten Nacht hier auftreten würden.

„Das ist…Wow“, brachte sie hervor, bevor es ihr wieder die Sprache verschlug.
Severus beobachtete sie dabei, wie ihre Augen anfingen zu glitzern. Sie seufzte und lehnte sich an seine Schulter.

„Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass ich sie tatsächlich einmal sehen würde. Es ist unbeschreiblich schön“, sagte sie ruhig. Die Aurora tanzte über das dunkle Himmelszelt.

„Es ist wirklich faszinierend. Es hat sich doch tatsächlich gelohnt, hierher zu kommen“, sagte er mit einer Spur von gespieltem Sarkasmus, doch seine Stimme war ungewöhnlich sanft und jagte Sententia einen Schauer über den Rücken.

„Danke, Severus. Danke, dass du das möglich gemacht hast. Das ist unfassbar.“

„Das war das mindeste, das ich tun konnte.“

Sententia verschränkte ihre Finger mit seinen. Eine Weile saßen sie neben einander an das samtene Bettkopfteil gelehnt und sahen einfach nur stumm durch das große Flachdachfenster auf das Lichtspektakel.

„Ich liebe dich, Severus Snape“, sagte sie irgendwann und sah ihm direkt in die Augen. und das war der Moment, als Severus dachte, dass sein Herz ausgesetzt hatte. Sie hatte es tatsächlich gesagt. Und Himmel, das war sicher das beste Gefühl auf Erden. Sein Herzschlag beschleunigte sich, um die verlorene Zeit, die es ganz sicher ausgesetzt hatte, wieder aufzuholen.

„Ich liebe dich auch, Sententia Lavender“, brachte er noch hervor, bevor sie ihm einen stürmischen Kuss auf die Lippen drückte und sie einfach nicht mehr voneinander ablassen konnten.

Es war schon Mitte des Vormittags als Severus die Augen aufschlug. Er wagte es nicht, sich zu bewegen. Auf der Fensterscheibe saß ein Rabe und hüpfte herum, vermutlich auf der Suche nach einem Korn, das sich möglicherweise durch den Wind auf das Dach verirrt hatte. Es war so still, dass es schon fast schmerzte, nur das regelmäßige Atmen der Heilerin neben sich riss ihn in die Realität zurück. Er drehte seinen Kopf zur Seite, um sie sehen zu können und dabei zu beobachten, wie auch sie langsam wach wurde. Der Rabe auf dem Dach musste wohl sein Korn gefunden haben, denn er erhob sich und flog krächzend davon.

Sententias Mundwinkel zuckten und sie öffnete die Augen. Die Röte der vergangenen Nacht war noch nicht vollends aus ihren Wangen verschwunden und auch über Severus Haut, die sonst so blass war, hatte sich ein gesunder, leicht rötlicher Schleier gelegt. Es waren Jahre vergangen, seit er das letzte Mal das Bett mit einer Frau geteilt hatte. Es gab wichtigere Dinge, die seine vollkommene und immerwährende Konzentration gefordert hatten und es hatte ihm bisher nicht sonderlich viel ausgemacht.

„Guten Morgen“, hauchte Sententia, nachdem sie sich orientiert hatte. Ein Sonnenstrahl kitzelte ihre Nase und sie konnte sich gerade noch vor einer heftigen Niesattacke bewahren. Sie hatte ein ungewöhnliches Gefühl in ihrem Kopf und als sie sich aufsetzten wollte, wurde ihr für einen winzigen Moment schwarz vor Augen.

„Gut geschlafen?“

„Mhh", machte sie zufrieden. „Und du?“

„Besser als sonst allemal“, erwiderte Severus. Sententia fiel wieder einmal auf, wie sehr viel jünger er doch aussah, wenn die Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen verschwunden war.

„Wie spät ist es?“, wollte sie wissen und legte ihre langen Haare über ihre Schulter, bevor sie innehielt und dann auch ihm eine Strähne aus dem Gesicht strich.

„Gegen 9, denke ich. Hast du irgendetwas im Sinn, was du heute tun möchtest?“

„Wir könnten in die Stadt gehen und uns dort umsehen. Oh und Liv hat uns zum Kaffee eingeladen.“

„Müssen wir da wirklich hin? Wir könnten stattdessen am See spazieren gehen“, schlug Severus vor, denn er verspürte keine sonderlich große Lust heute mit irgendwelchen fremden Leuten in Kontakt zu treten.

„Bitte, Severus. Es ist doch nur für eine Stunde und immerhin sind das unsere Nachbarn“, erwiderte sie und legte einen bettelnden Blick auf.

„Wenn es denn unbedingt sein muss. Aber nur für eine Stunde“, sagte er schließlich. „Solltest du ins Bad wollen, Seife ist im Schrank und Handtücher auf der Ablage“, sagte er, während er seine Hose vom Boden aufhob und Sententia ihre Bluse und ihren BH reichte.

„Danke“, erwiderte sie, küsste ihn auf die Wange und huschte ins Bad, bevor er noch etwas sagen konnte.

Nach einem ausgiebigen Frühstück machten sie sich auf den Weg in Richtung Großstadt. Sie erwarteten nicht, sie zu erreichen, aber bis zum Mittagessen würde sicher ein Auto an ihnen vorbeifahren und sie mitnehmen. Niemand würde gegen zwei Zauberer gewinnen, auch wenn die Absichten noch so schlecht wären. Tatsächlich konnten sie einen Truck anhalten, deren Fahrerin so freundlich war, sie mitzunehmen.

Als sie gegen Mittag Gravdal erreichten, war das erste, was sie suchten, eine Bank, denn in Norwegen zahlte man schließlich mit Kronen und nicht mit englischen Pfund und Pfennigen. Bis sie es geschafft hatten, eine Bank zu finden, war bereits kurz vor eins, zumal Sententia vor jedem zweiten Schaufenster anhalten musste um die, wie sie es nannte „Kultur zu studieren“.

Sie fanden dann allerdings recht schnell ein Restaurant, das nicht zu teuer war und gutes Essen anbot. Es war auch, zu Severus Erleichterung, nicht all zu voll, und sie konnten einen Platz finden, wo sie ungestört waren. Sie bestellten jeder ein Gericht, das laut Karte typisch norwegisch war. Sententia nahm etwas, das Rømmegrøt hieß und ein süßer Brei aus Grieß und Sauerrahm war und Severus nahm Pinnekjøtt, gepökelte Lammrippen. Sie sprachen gerade über die vergangene Nacht, die magische Nacht, als an einem der Tische am anderen Ende des großen Raums ein Tumult ausbrach...

Schwarze Nacht und dunkelblauer SternenhimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt