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Es war still in der Bibliothek und Loki saß gemütlich in einem der großen Sessel; seine Füße hatte er auf einem Hocker abgelegt. Das dicke Buch lag sanft auf seiner Brust und das Licht des großen Fensters schien in sein Gesicht und kitzelte seine Nase. Durch einen kräftiger Nieser erwachte er und das Buch fiel mit einem lauten Rums auf den Boden. Erschrocken richtete Loki sich auf und musste sich erst einmal orientieren. Wie lange hatte er hier geschlafen? Gähnend streckte er sich und griff nach dem Buch.

'Die Kraft der Seher und deren Folgen für die neun Welten'. Kein Wunder, das er eingeschlafen war - das Buch war totlangweilig. Mit einer schnellen Bewegung ließ er es auf einem kleinen Beistelltisch fallen und machte sich auf den Weg aus der Bibliothek. Einer der Bediensteten wird das Buch schon wieder an seinen Platz bringen, Loki konnte sich eh nicht mehr daran erinnern, in welchem der vielen deckenhohen Regale es gestanden hat.

Langsam schlenderte er durch die riesigen Korridore des Palastes. Seit Thor wieder in Midgard war, langweilte sich Loki noch mehr. Natürlich feierten die Asen rauschende Feste, aber immer die gleichen Gesichter zu sehen, machte Loki müde. Er war mehr oder weniger ein Gefangener hier. Natürlich konnte er sich frei bewegen, aber Asgard durfte er nicht verlassen. Seine Mutter, Frigga, hatte ihm die Magie näher gebracht und inzwischen war Loki ein hervorragender Täuscher gewesen. Selbst sein Vater, Odin, konnte manchmal nicht erkennen, ob nun ein Ase oder Loki vor ihm stand. So manche Male hatte Loki sich als eine der Wachen ausgegeben und Odin aus dem Thronsaal gelockt. Bei seinem letzten Ausflug hatte er die Lichtelfen besucht und etwas Spaß gehabt. In den Augen seines Vaters hatte er Unfug angerichtet, die bei jedem anderen einen Krieg hätten auslösen können. 'Er könne von Glück reden,' so Odin, 'das die Lichtelfen kriegsscheue Bewohner der neun Welten waren.' Nun durfte er Asgard nicht mehr verlassen.

Sollte Thor nicht bald wieder kommen, würde Loki sich selbst in das schwarze Meer stürzen und in das unendliche Nichts schwimmen. Schon seit Kindertagen war Thor Lokis Lieblingsopfer gewesen. Mit unzähligen Streichen hielt er seine Laune aufrecht. Als sie älter wurden, begleitete er zusammen mit anderen Gefolgsleuten Thor bei seinen Abenteuern. Thor war ein Draufgänger und vom Wesen her ganz anders als Loki, aber Loki genoss seine Gegenwart - auch wenn er dies niemals zugeben würde. Mit Thor konnte er wenigstens das langweilige Asgard verlassen.

Langsam ging Loki beim großen Festsaal vorbei. Die großen Tore standen offen und Bedienstete richteten den Saal her. Loki verdrehte die Augen. Wieder eine Feier. Loki hatte nicht vor, an dieser teilzunehmen; auch die Feste vorher hatte er vermieden. Die immer fröhlichen Gesichter der trinkfesten Asen langweilten ihn genau so, wie alles hier. Gern hätte er Thor nach Midgard begleitet. Er hatte schon viel davon gelesen und auch von Thor gehört. Die Menschen dort waren seiner Meinung nach unterentwickelt und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie sich selbst zerstören würden. Gern würde Loki seinen Teil dazu beitragen. Es wäre eine gekonnte Abwechslung, Jähzorn zwischen den unwürdigen Menschen zu säen und dann zusehen zu können, wie sie sich gegeneinander auslöschten. Unglücklicherweise hatte Thor es zu seiner Aufgabe gemacht, Midgard unter seinem Schutz zu stellen.

Frigga bog um die Ecke und kam auf ihren Sohn zu. Ein mütterliches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie Loki sah. Sie war die Einzige, die Loki aus tiefsten Herzen mochte. Es war ein offenes Geheimnis, dass Odin Thor, seinen erstgeborenen Sohn, bevorzugte. Als Kind machte es Loki zu schaffen, aber seine Mutter hatte die Gabe, ihn immer wieder aufzumuntern.

"Loki." Frigga öffnete ihre Arme und umarmte Loki kurz; er gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange. "Es wird wieder gefeiert?" fragte er gespielt desinteressiert. "Welchen Anlass gibt es denn heute?" Die Asen waren bekannt, aus jeder Kleinigkeit ein riesen Fest zu machen, nur um tagelang zu trinken und zu tanzen. "Du wirst es früh genug erfahren." antwortete Frigga geheimnisvoll und Loki legte seinen Kopf etwas schief. "Wie geheimnisvoll, Mutter."

"Begleite mich ein Stück." Frigga wusste von der Langeweile ihres Sohnes, der ihr nach ihrer Aufforderung seinen Arm hinhielt, damit sie sich einhaken konnte. Gemeinsam liefen sie ein Stück und Frigga fragte nach Lokis Befinden und ob er seine Tage auch außerhalb der Bibliothek genoss. Sie wusste um seine Leidenschaft des Lesens, fürchtete aber, dass er sich noch mehr als vorher in sich zurückziehen würde. "Komm doch bitte morgen zum Fest. Die Vorbereitungen laufen bereits und ich würde dich gern unter Asen sehen." Vor ihren Gemächern angekommen, drückte sie ihn wieder fest. "Ich überlege es mir." antwortete er knapp. Natürlich würde er nicht auftauchen, das wusste er genau und auch Frigga schien dies zu wissen.

"Konntest du mit Vater reden?" Loki versuchte sein Gespräch der letzten Tage mit ihr wieder aufzunehmen. Mehrmals bat er seine Mutter, dass Odin seinen Arrest auflösen möge. "Ich habe mit ihm gesprochen und kann dir berichten, dass er dich heute Abend sehen will." Loki atmete erleichtert aus. Er wollte seine Freude darüber verstecken, aber Frigga sah ihrem Sohn an, dass er sich auf seine bevorstehende Freiheit freute.

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