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Sigyn lief über den Platz vor der großen Burg Vanaheims. Noch immer war das Blut im Gras und auf dem Sand zu erkennen. Die Schlacht lag knapp eine Woche zurück, aber Sigyn hatte sich nicht hier her getraut. Die Burg Lotirs war verlassen. Die verbliebenen Vanir, die diesen Ort überlebt haben, sind in den umliegenden Dörfern untergekommen.

Die Nachricht vom Tod ihres Vaters hatte sie aus der Bahn geworfen. Geweint und geflucht hatte sie und der gesamte Palast Asgards hatte sie gehört. Vanaheim trug wie Asgard die schwarze Farbe der Trauer. Odin war mit seiner Armee nach Jotunheim gegangen, aber das Schloss Laufeys war verlassen. Auch Heimdall konnte Laufey nicht ausmachen. Wie ein Feigling schien er sich in irgendeiner Ecke der neun Welten zu verstecken.

Loki hatte darauf bestanden Sigyn zu begleiten. Noch einmal wird sie kein Ziel Laufeys sein. Sie war ernster geworden, stiller. Und das bereitete Loki Sorgen. Der Glanz in ihren Augen war verblasst. Nur zwei von insgesamt zwölf Beratern Lotirs hatten den Angriff überlebt und sind nach Asgard gekommen, um mit Sigyn die wichtigsten Dinge für Vanaheim zu beraten und entscheiden zu können.

Der Vertrag zwischen Odin und Lotir bestand weiterhin. Ein Gremium aus den mächtigsten Anführern Vanaheims beschlossen als Notrat alle Belange, bis Sigyn zur Königin gekrönt werden konnte.

Leise streifte Sigyn durch die leere Burg. Becher und Teller standen noch auf der großen Tafel, als Sigyn durch den Festsaal ging. Hier hatte sie zuletzt mit ihrem Vater gespeist, ihn so wirklich gesprochen, bevor sie zurück nach Asgard gereist ist.

Loki hielt einen andächtigen Abstand, folgte Sigyn aber auf Schritt und Tritt. Er war für sie da, wenn sie ihn brauchte. Ein Berater lief neben ihr her und beantwortete ihre Fragen.

"G-Gavin?" hörte Loki sie fragen, aber der Berater schüttelte nur vorsichtig mit dem Kopf. Mit einer Handbewegung verwies sie ihren Berater von sich. Dieser stellte sich leise hinter Loki.

Seit einer kleinen Ewigkeit gab es keine Geräusche mehr an ihrem Ort, als Sigyn die Teller und Becher von der Tafel wischte. Knallend und scheppernd verteilten sie die Gegenstände auf dem Boden und Loki sah, wie der Berater hinter ihm zusammenzuckte.


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Keuchend stand Sigyn im großen Raum, traurig und wütend gleichzeitig. Loki stand schweigend in der Tür und betrachtete sie. Sie spürte seinen Blick auf ihrer Haut und schaute ihn an. Als würde er sie ohne Worte verstehen, ging er auf sie zu, damit sie sich einhaken konnte.

Ihr war schwindelig. Viel zu viel war passiert in den letzten Wochen und viel wird noch passieren, so viel war sie sich sicher. Bereitwillig ließ sich Sigyn aus der Burg führen und als weinte der Himmel mit den Vanir, regnete es in Strömen.

Der Leichnam ihres Vaters war in den nächsten großen Ort gebracht. Heute Abend würde er seine letzte Reise nach Walhalla antreten. Die Gefallenen waren schon vor Sigyns Ankunft verbrannt worden. Sie vermutete, das auch Gavin unter ihnen war. Sigyns Herz wurde schwer. Sie hätte sich gern ein letztes Mal von ihm verabschiedet.

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Trotz der Trauer spürte Sigyn, wie die Vanir ihr zuwinkten. Sie würde bald ihre neue Königin werden; die Angst zu versagen war groß in ihr. Es dauerte nicht mehr lange, bis es dämmerte. Lotir lag mit Schwert und Krone in Blumen gebettet auf einem großen Holzhaufen.

Sigyn hielt die Fackel, als sich tausende Vanir versammelt haben, um ihren König für immer zu verabschieden. Loki gab ihr Halt. Nicht einmal ließ er von ihr ab, stützte sie, wenn sie es brauchte und gab ihr Freiraum, wenn sie es wollte. Dennoch war er immer da.

Odin, Frigga sowie Thor und seine Gefolgsleute waren hier her gekommen, um Lotir ihre letzte Ehre zu erweisen.

Die Wolken hatten sich verzogen und der Sternenhimmel leuchtete hell und klar. Eine tiefe Stille machte sich breit, als Sigyn ohne Worte mit der Fackel den Holzhaufen in Brand setzte. Es war in Vanaheim Tradition, dass es keine Reden gab. Die Verstorbenen sollen auf ihrem Weg nicht aufgehalten werden, durch Trauerreden oder Klagelieder.

Eine leise Träne lief Sigyns Wange herunter, als der Holzhaufen lichterloh brannte. Die ersten Grüppchen lösten sich auf und auch Sigyn wollte den Platz verlassen.

Heimdall holte alle zurück nach Asgard.

Ihre Kleider rochen nach Rauch und Sigyn genoss das heiße Bad, welches in ihren Gemächern eingelassen wurde. Schon eine Weile spielte sie mit dem Gedanken, auf dem Thron zu verzichten. Es wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, dies zu machen und trotzdem musste sie mit Schrecken feststellen, dass sie sich inzwischen ein einfaches Leben wünschte. Hier in Asgard, zusammen mit Loki.

Es gab mächtige Anführer in Vanaheim. Hohe Lords, die ihrem Vater treu gedient haben. Und Sigyn konnte sich gut vorstellen, dass sie gerne den Thron erben würden. Vermutlich würde es ein Abkommen geben, dass Odin, Thor ihm folgend, als Allvater über Vanaheim herrschen wird.

Aber eine leise Stimme sagte ihr, dass sie nur als Königin Laufey für sein Handeln suchen und über ihn richten kann. Und alleine das trieb sie weiter an. Siygn musste mit Loki sprechen. Er hatte ihr nach dem Feuerfest etwas gesagt, über sich und ihn und über das Herrschen über alle neun Welten.


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Loki saß in seinem Zimmer. Die letzten Tage waren anstrengend und er sehnte sich nach Erholung. Seine Gedanken hingen immer an Sigyn und wenn er tief in sich horchte, wusste er, dass Laufey sie verändert hatte.

Sie würde nun Königin von Vanaheim werden. Ihre Krönung rückte näher als gedacht. Niemand hatte damit gerechnet, dass Lotir noch vor der Hochzeit sterben könnte. Und alles nur wegen des Tesserakts, welches sich hier in Asgard befand!

Loki wollte ihr ihre Freiheit lassen, aber sie sollte nicht lange alleine sein. Die letzten Nächte haben sie gemeinsam verbracht, aber Albträume schüttelten Sigyn jede Nacht. Der Schlafmangel machte es beiden nicht einfach und Loki hoffte, das das Begräbnis nun etwas Linderung verschaffte, einen Abschluss brachte, so hart es klang.

Mit seinen Armen hinter dem Kopf verschränk ruhte Loki auf seinem Bett, als seine Tür vorsichtig geöffnet wurde und Sigyn in sein Zimmer schlüpfte. Sie trug scheinbar nur ein zartes Leinenkleid und ihre Haare hingen nass an ihrem Rücken runter.

Angenehm überrascht richtete Loki sich auf, als Sigyn auf ihn zukam und stürmisch ihre Lippen seine berührten.

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