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Es waren die ersten leichten Zuckungen, die Loki vom Einschlafen anhielten. So begannen Sigyns Albträume, die sie jede Nacht plagten, seitdem sie die Heilkammer Asgards verlassen hatte.

Loki wollte ihr helfen, ihr Linderung verschaffen, damit sie sich von all den Strapazen erholen konnte. Und er wusste, dafür müsste er erfahren, was in ihr vorgeht. Doch inzwischen kannte er Sigyn und sie würde ihm niemals die ganze Wahrheit erzählen, so ein Sturkopf war sie eben.

Das erste Winmern durchbrach die Stille in Lokis Zimmer. Er musste etwas unternehmen. Jetzt! Und obwohl er wusste, damit ihre Privatsphäre zu verletzen, tat er es dennoch.

Loki richtete sich auf und betrachtete Sigyn vor sich. Langsam, fast zaghaft legte er seine Hand auf ihre Stirn; seine Magie bot ihm Einlass in Sigyns Erinnerungen.

Fast wie in einem Film sah er die Geschehnisse aus ihrer Perspektive, die neusten zuerst:

Er spürte ihre tiefe Liebe zu ihm, ihr Verlangen und die große Lust, die ihren Körper durchzog, als sie sich heute Nacht liebten.

Er roch das Feuer des Begräbnisses Lotirs, den Schmerz und die Sehnsucht nach ihrem Vater. Spürte die Trauer, niemals wieder seine Stimme hören zu können, die Angst, völlig alleine zu sein und die Wut auf die Eisriesen, die alles in ihr zu Lähmen schien.

Die Bilder und Emotionen prasselten auf Loki ein und er fühlte, wie sehr ihn diese Verbindung mit Sigyn schwächsten. Lange konnte er nicht mehr durchhalten, aber er brauchte Antworten. Nur so konnte er ihr helfen.

Seine Rechte Flanke schmerzte unermesslich, als Knochen brachen, Haut platzte und die Kälte Jotunheims in jede Faser kroch. Loki selbst machte Kälte nichts aus, er war ja selbst ein Eisriese. Aber für Sigyn war sie schier unerträglich. Wie tausend scharfe Nadeln, die ihre Haut durchborten, empfand Loki die erbarmungslose Folter der Jotunen, als sie einzelne Körperteile einfroren.

Loki spürte ihre Angst, daß unaufhaltsame Katz und Maus Spiel, als Sigyn durch das Schloss irrte, gepackt wurde und über den Boden zurück zu Laufey geschleift wurde. Er spürte ihre Gedanken, die erst nur aufgeben wollten, die sich nur um ihn kreisten, seinen Namen auf ihren Lippen, aber Sigyn blieb standhaft.

Erschreckend musste Loki feststellen, dass der Wunsch nach ihm sich irgendwann in den Wunsch änderte, einfach nur noch schnell durch dem Tod erlöst wurde. Es quälte Loki, nicht für sie da gewesen zu sein.

Sigyn stöhne auf und Loki löste seine Hand von ihrer Stirn. Es waren nur Sekunden vergangen, aber ihre Gefühle, Gedanken und körperlichen wie seelischen Schmerzen hallten in ihm wie in einem Echo nach, als wäre er es gewesen, dessen Vater starb, dessen Rippen brachen und dessen Wunsch nach einem schnellen Tod größer war, als gerettet zu werden.

Erschöpft ließ Loki sich auf das Bett fallen. Sanft strich er Sigyn übers Haar, die leise aufstöhnte. Ihr Körper zuckte und sie schien abermals einen Albtraum zu haben. Und es wunderte Loki nicht, nach all dem, was sie erlebt hatte.

******

Die Nacht war kaum vorbei, als Sigyn sich erschöpft aufrichtete. Nach einer erneuten fast schlaflosen Nacht würde sie das nächste Mal in ihren Gemächern bleiben, damit Loki sich etwas erholen konnte. Sie konnte ihm ansehen, wie wenig Schlaf er bekam, nur weil sie sich Nacht für Nacht hin- und herwälzte.

Leise stand Sigyn auf, um sich aus Likis Zimmer zu stehlen; er sollte noch etwas Schlaf nachholen, wenn sie schon keine Ruhe fand.

Der Korridor war leise und der Tag noch nicht abgebrochen. Müde standen die Wachen zwischen den Türen aller Gemächer, als Sigyn ihnen vorbei tapste und ihre Räume betrat.

Erschöpft blickte ihr Spiegelbild ihr durch das dunkle Zimmer entgegen. Ihre Wangen waren eingefallen und Sigyn ließ die Schultern hängen und sah so gar nicht königlich aus.

Ihre Krönung sollte kurz nach der Hochzeit mit Loki stattfinden. Danach würde sie ihre Truppen mobilisieren und einen Angriff auf Laufey starten - sobald man heraus fand, in welchem schwarzen Loch er sich verkrochen hatte. Erst dann würde sie, hoffentlich, ihre so sehr benötigte Ruhe finden.

Kopfschütteln, als wolle Sigyn ihrem Spiegelbild sagen, dass es gar nicht echt sei, ging sie zu ihrem Bett. Die ersten Vögel zwitscherten, als sie sich kraftlos darauf niederließ. Zwiegespalten dachte sie an die Vergangenheit, das Jetzt und an ihre Zukunft. Ein kleiner Teil, und ist er noch noch leise, sehnte sie an das schnelle Ende in Jotunheim zurück. Und es erschreckte Sigyn nicht einmal, dass sie daran dachte. Aber sie wollte das nutzen, um Laufey mit der doppelten Härte zu treffen, ihn endgültig auslöschen!

******

Loki öffnete seine Augen und richtete sich erschöpft auf. Das Licht drang in seine Gemächer und er erkannte, dass Sigyn nicht da war. In ihre Erinnerungen zu schauen kostete ihm dermaßen Kraft, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, wie sie das Zimmer verließ.

Und obwohl er kaum geschlafen hatte, hatte er einen Plan geschmiedet. Einen Plan, der mehrere Probleme lösen konnte, wenn er nur richtig vorgehen würde.

Loki schwang sich aus dem Bett und machte sich schnurstracks auf, um ihn in die Tat umzusetzen.

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