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Sigyn öffnete ihren Mund, aber es kam kein Ton heraus. Entgeistert sah sie zwischen Odin und ihren Vater hin und her. "Heirat?" sprudelte es schneller als gedacht aus ihr. "Nein. Nein, nein. Vater?" Lotir sah sie liebevoll an. "Das ist doch Blödsinn. Was soll das?"

"Unser Allvater hat es doch gerade erklärt. Und dies wurde vor langer Zeit besprochen und ich sehe auch keinen Grund, warum wir dieses großzügige Angebot ablehnen sollten." Lotir stand auf und nahm die Hände seiner Tochter in seine. "Es ist bereits abgemacht."

Sigyn atmete schnell und konnte ihre Gedanken nicht ordnen.

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Hatte er dies gerade richtig gehört? Loki saß still auf dem Sofa und ließ das Drama vor sich erst einmal auf sich wirken. Sigyn schien aus allen Wolken zu fallen und Loki sah, wie schnell sie atmete. Lotir redete auf sie ein und das war sein Stichwort.

"Ohne mich." sagte er laut und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aus dem Arbeitszimmer seines Vaters.

Auf dem Korridor vernahm er die Musik aus dem Festsaal, aber er ging in die entgegengesetzte Richtung, in der sein Zimmer lag. Er musste sich sammeln und würde dann mit seiner Mutter sprechen. Wenn jemand Odin umstimmen konnte, dann wäre sie es. Sigyn machte schon genug Theater, er müsse besonnen vorgehen; zudem wusste er, dass Trotz bei Odin auf taube Ohren stieß.

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Kaum war Loki aus dem Zimmer gegangen, riss Sigyn sich von ihrem Vater los. Sie musste hier weg, ihrem Ärger Luft machen. Vorbei am Festsaal ging sie eine Treppe hinab, die in den Garten führte. Stampfend wie ein trotziges Kind stapfte sie durch den Garten und entfernte sich immer weiter vom Palast. Tränen liefen ihre Wangen herunter und ohne sich umzusehen, stieß sie einen lauten Schrei aus. Sigyn war so unendlich wütend, so wütend war sie schon lange nicht mehr.

Heiraten! Ihn! Niemals!

Sie schloss ihre Augen und rieb sich das Gesicht, als sie Schritte hinter sich hörte. Zwei Soldaten Asgards kamen zu ihr, sie hatten wohl den Schrei gehört und wollten nach dem Rechten sehen. Sigyn winkte ab, als sie sich ihr näherten und ohne ein Wort zu sagen, drehten sie wieder um. Ihr Magen schmerzte, als die Tränen versiegten. Mit geschlossenen Augen saß sie eine Weile in einem versteckten Teil des Gartens. Noch heute wird sie mit ihrem Vater sprechen. Er muss davon überzeugt werden, dass diese arrangierte Ehe absoluter Quatsch war.

Sigyn musste sich etwas überlegen. Sie musste einen Weg finden, sich aus dieser Lage zu befreien und ihren Vater auf ihre Seite ziehen. Ein Gegenangebot muss her!

Gavin. Ihr Freund aus Kindertagen schoss Sigyn in den Kopf. Er wird ihr Helfen. Zuversichtlich stand Sigyn auf und suchte den schnellsten Weg zurück zum Palast. Kaum angekommen, versuchte sie es im kleinen Speisesaal, aber er war leer. Nachfragen wollte Sgyn auch nicht. Zu groß war die Gefahr, dass man sie abfangen und zu Lotir oder Odin bringen würde.

Der Palast war riesig und Sigyn schlich durch die Korridore, als sie um die Ecke bog und mit jemanden zusammen stieß.

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Loki war schnellen Schrittes unterwegs; das Gemach seiner Mutter lag im anderen Teil des Palastes. Gedankenvertieft übersah er die kleine Person, die gegen ihn lief. Noch bevor sie auf dem Boden aufschlug, umfasste Loki das Handgelenk und hielt es fest.

"Du!" sagte er, als er in Sigyns braune Augen sah. Er hatte sie gar nicht kommen hören und war selbst überrascht, dass es zur Kollision kam. Ihre Wangen waren rosig und ihre Augen gerötet. Hatte sie geweint? Alles Vorwitzige, was er sonst in ihrem Blick sah, war verschwunden. Es war nur eine Sekunde gewesen, aber Sigyn riss ihre Hand aus seinem Griff und Loki fand, dass sie einem aufgeschreckten Reh glich.

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Lokis fester Griff hinterließ rote Spuren an ihrem Handgelenk. Seine eisblauen Augen verengten sich und Sigyn spürte kalte Verachtung ihr gegenüber. Sie musste ihm irgendwas abscheuliches an den Kopf werfen, es fiel ihr aber kein geeigneter Spruch ein. Zudem musste sie Gavin finden und konnte keine Zeit verlieren.

"Weißt du eventuell, wo meine Garde untergebracht ist? Bitte." Sigyn versuchte so freundlich wie möglich zu sprechen, aber das 'Bitte' kam ihr kaum aus der Kehle. Sie wusste, das Loki genau so wenig an der fixen Idee ihrer Väter angetan war, dennoch wollte nun keinen Zwiespalt zwischen ihm und ihr säen.

"Sie haben ihr Lager bei den Ställen aufgeschlagen. Die Hauptmänner sind im Soldatenflügel untergebracht." Loki sprach erstaunlich freundlich, obwohl sein Blick etwas anderes sagte. "Ich kann dir zeigen, wo das ist. Man findet es nicht so leicht, wenn man sich nicht auskennt."

"Danke." antwortete Sigyn knapp. Sie durfte keine Zeit verlieren und konnte es sich nicht erlauben, stundenlag durch den großen Palast zu irren. Stumm lief sie neben Loki her als sie sich einige Blicke zu ihm erlaubte. Sein Gang war wahrlich königlich und hatte etwas theatralisch maskulines an sich.

Die Korridore verengten sich und waren nicht mehr so lichtdurchflutet, wie im Hauptteil des Palastes. Sigyn schielte immer wieder zu diesem Mann, den sie gar nicht kannte, aber dennoch heiraten sollte. Kurz nicht aufgepasst und schon trafen sich ihre Blicke. Seine schnelle Drehung erschreckte Sigyn, als sie die Wand in ihrem Rücken spürte und Loki seine Hände jeweils neben ihren Kopf an die Wand schnellen ließ.

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Dieses ständige Gemustere von der Seite ging Loki gegen den Strich. Auch wenn sie beim letzten Mal so standhaft vor ihm geblieben ist, würde er nun den Überraschungsmoment nutzen. In diesem Teil des Palastes war tagsüber kaum jemand. Er war eine Kleinigkeit für Loki, sie durch seine ruckartige Bewegung zu erschrecken. Wie erwartet stand sie mit dem Rücken zur Wand, als er seine Hände neben ihren Kopf an der Wand abstützte. Ihre großen braunen Augen waren weit aufgerissen und Loki genoss kurz seine Dominanz. Er konnte ihren Atem spüren, als er sein Gesicht dicht vor ihres schob.

Schon oft hatte er hier mit Asinnen gestanden. Im Gegensatz zu Sigyn genossen sie allerdings seine Anwesenheit. Es war nur ein Augenblick, ein Wimpernschlag, in der sie so dastanden, aber er konnte feine Sommersprossen auf ihrer kleinen Nase erkennen. Das Braun ihrer Augen hatten goldene Sprenkel um die Iris und der zarte Geruch ihrer Haut stieg ihm in die Nase. Mittags hatte er sie als eher mäßig hübsch wahrgenommen, dies musste er nun unweigerlich revidieren.

"Lass das!" kam aus Sigyns Mund als sie ihre Hände an Lokis Brust hob und ihn von sich weg schubste. Loki musste schmunzeln. Er hatte nichts anderes von ihr erwartet, als sie ihn böse anfunkelte.

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