Sigyn ließ sich Thors Worte durch den Kopf gehen, als sie sich in ihren Gemächern umzog. Sie hatte ihm versprochen, heute Abend zum Fest zu kommen, obwohl sie wusste, dass er auch Loki dazu gebracht hatte, hinzugehen. Im großen Spiegel betrachtete Sigyn ihr Spielbild. Sie hatte eines ihrer besten Kleider an. Die Farben grün und silber entsprachen Vanaheim und Sigyn war stolz, diese Farben tragen zu dürfen. Sie war weiterhin fest entschlossen, ihrem Vater auf den Thron zu folgen. Dennoch würde sie einen Weg finden müssen, dies ohne einen Gemahl machen zu können.
Als Sigyn ihre Räumlichkeiten verlassen hatte, hörte sie bereits die Musik aus dem Festsaal. Die langen Tafeln waren reich gedeckt und viele Asen tranken, aßen und feierten ausgelassen. Sigyn ging durch denn großen Raum, direkt auf die lange Tafel von Odin zu. Zu seiner Linken saß Frigga, die Sigyn glücklich anlächelte. Thor hatte zu Odins rechter Seite seinen Platz eingenommen.
"Allvater." Sigyn knickste höflich. "Sigyn! Freut mich, dich heute Abend meinen Gast nennen zu dürfen." Odin lachte väterlich und Sigyn entschied sich, sich neben Thor zu setzen. Ein Bediensteter schank ihr Wein ein.
Thors Blick ging zur Tür, als Sigyn Loki sah. Da war er also, der Moment nach DEM Moment. Auch Loki begrüßte erst seine Eltern und dann Thor. Er nickte Sigyn zu, als er sich neben sie setzte.
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Loki hatte Sigyn lange nicht mehr gesehen und auch jetzt vermied sie Augenkontakt. Demonstrativ setzte er sich neben sie. Stocksteif saß sie da und ihre Schultern konnten sich gerade nicht berühren. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, als Loki seine Chance ergriff.
"Was wolltest du eigentlich von mir?" Sigyn erschrak neben ihm. Plötzlich hatte Loki das dringende Gefühl, sie berühren zu wollen, doch erhielt sich zurück.
"Wie bitte?" Sigyn sah ihm das erste Mal sagen Tagen in die Augen und Loki bewunderte die goldenen Sprenkel, die sie um ihre Iris hatte. "In meinem Zimmer. Was wolltest du, als du zu mir gekommen bist."
"Ich wollte mich entschuldigen." Sigyn drehte ihren Körper in seine Richtung und Loki spürte, dass es ihr große Überwindung kostete. Thor war am Nachmittag bei ihn gewesen und hatte ihn gebeten, heute zum Fest zu kommen. Er hatte Loki erzählt, dass Sigyn niedergeschlagen war, aber ihm zugesagt hatte, auch zu kommen. Natürlich muss es ihr unangenehm gewesen sein, in sein Zimmer zu platzen, während Gyda dort war. Loki wusste zwar noch nicht, wie er es ihr erklären würde, aber innerlich wusste er, dass er mit ihr reden musste.
"Ich hatte dich auf dem Flur so angeschrien und wollte mich dafür entschuldigen. Also kam ich zu dir." fuhr sie fort. "Und auch dafür will ich mich entschuldigen. Ich durfte nicht einfach so eintreten." Loki sah, dass sich Sigyn auf ihre Lippen biss. Er konnte kaum seinen Blick abwenden.
In den letzten Tagen hatte er genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Und Loki hatte viel über Sigyn nachgedacht. Natürlich reizte sie ihn. Sie war unnahbar, ganz anders als alle anderen Asinnen hier. Und nur deshalb suchte er ihre Nähe. Ganz rational hatte er verstanden, dass sie nicht mehr für ihn war.
Aber jetzt, als sie so vor ihm saß, ganz dicht bei ihm, war da dieses Gefühl. Er konnte es sich nicht erklären, was es war, aber es war da.
"Es ist so laut hier, komm, wir gehen ein Stück in den Garten." Loki stand auf und streckte Sigyn seine Hand hin. Er sah, dass sie erst zögerte, aber sie dann doch ergriff und sie gemeinsam den Festsaal verließen.
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Loki führte Sigyn in den Garten und er hatte Recht gehabt. Es war wirklich laut im Festsaal. Selbst jetzt dröhnte die Musik in ihren Ohren. Unweigerlich war sie nervös, als sie langsam durch den kaum beleuchteten Garten gingen und keiner etwas sagte.
"Es tut mir leid." sagte sie erneut. "Ich hätte dich nicht anschreien dürfen. Und es tut mir leid, dass ich deine Privatsphäre verletzt habe." Sigyn sah, das Loki stehen blieb. Automatisch drehte sie sich zu ihm.
"Ich muss dir etwas erklären." Seine Stimme war ganz sanft. "In den letzten Tagen konnte ich kaum an etwas anderes denken, als an den Kuss." Sigyn hielt unbewusst den Atem an. "Ich weiß, ich hätte dich nicht einfach küssen sollen, aber ich entschuldige mich nicht dafür. Denn ich bereue den Kuss nicht. Immer wieder muss ich daran denken..." Loki ging einen Schritt an Sigyn heran. "Ich habe versucht, mich abzulenken. Gyda kenne ich von früher. Ich will nicht lügen. Wir haben so manche lockere Stunde miteinander verbracht. Und an diesem Abend habe ich versucht, mich abzulenken. Abzulenken von deinen Lippen." Loki streckte seine Hand aus und berührte sanft Sigyns Unterlippe; und sie ließ es zu.
"Und obwohl sie bei mir war, musste ich mich bemühen, nicht an dich zu denken."
Sigyns Herz machte einen Hüpfer. Was war das für ein Gefühl in ihrem Magen?
"Ich konnte es nicht. Ich konnte mich nicht auf Gyda konzentrieren. Und dann standest du plötzlich dort."
Sigyn zog scharf die Luft in ihre Lungen.
"Das ist neu für mich. So habe ich noch nie gefühlt." Loki nahm ihre Hände. "Ich weiß, du magst mich nicht. Ich weiß, ich bin dir Zuwider. Aber ich kann nichts dafür, was du mit mir machst, seitdem du vor ein paar Tagen hier angekommen bist. Es ist, als hättest du Macht über mich."
Lokis Augen sahen tief in ihre. Und obwohl so dunkel im Garten war, konnte Sigyn die gleichen eisblauen Augen erkennen, die sie am Tag ihrer Ankunft angesehen haben. Und als hätte ihr etwas die Augen geöffnet, wusste sie, warum sie ihn nicht mochte. Er war einfach so anders als sie. Und sie wusste, dass sie genau das anzog. Sie hatte sich verschlossen vor der Wahrheit. Und jetzt hatte Loki den Schlüssel gefunden.
Sigyns Welt stand still, als Loki ihren Kopf zwischen seine Hände nahm und sie erneut küsste. Sigyn wehrte sich nicht dagegen. Sie konnte einfach nicht. Lokis Hände fuhren ihr durch die Haare, an ihrem Gesicht entlang, zu ihrem Hals, ihrem Schlüsselbein und dann zu ihrer Taille.
Ihre Hände ruhten auf Lokis Brust, klammerten sich förmlich an seine Kleidung, als würde sie sich nach seiner Nähe sehnen. Als würde sie etwas verbotenes tun. Hatte sie sich nicht so sehr gegen ihn gesträubt? Wollte sie nichts mehr, als weg von ihm? Alles hier fühlte sich so falsch und gleichzeitig richtig an.
Sie fühlte seine stürmischen Lippen auf ihren und ihr Körper schien sich noch nie nach etwas so sehr gesehnt zu haben, wie nach diesem Moment. Nach diesem Mann.
Sie gab sich ihm hin, nicht ahnend, dass genau dieser Mann ihr in naher Zukunft das Herz brechen wird.
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Macht
FanficSigyn ist eine Prinzessin. Ihre Vorfahren waren einst Götter Asgards, als diese sich vor mehreren tausend Jahren dazu entschieden, Vanaheim zu besiedeln, um dort ein einfacheres Leben zu führen. Unter Asgards Schutz haben sich die Vanir eigenständig...