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Wieder einmal regnete es in Vanaheim. Sigyn stand am Fenster und betrachtete die Regentropfen, die langsam die Fensterscheibe herunter liefen. Es war bereits dunkel draußen und das schwache Licht des Feuers im Kamin erhellte ihr Zimmer kaum. Obwohl es wohlig warm war, sehnte sie sich zusammen mit Gavin im Wald zu sein, nass bis auf die Knochen und die gespannte Sehne ihres Bogens zwischen den Fingern. Früher waren fast jeden Abend bis in die Nacht im Wald und jagten - es war die beste Zeit, um Erfolge erzielen zu konnte. Von ihm lerne Sigyn alles, was sie wissen musste. Sie waren fast wie Geschwister aufgewachsen, er war nur ein paar Jahre älter als sie. Als sie älter wurden, bemerkte sie die Blicke der anderen Mädchen und das Getuschel, sobald Gavin irgendwo auftauchte. Er verdrehte nur die Augen und nannte die Mädchen 'schnatternde Gänse', aber irgendwann bemerkte Sigyn, dass er sich veränderte. Es wurde komplizierter, als er sich plötzlich auch für die anderen Mädchen interessierte. Und dies gefiel Sigyn gar nicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie merkte, dass sie eifersüchtig war.

Seufzend nahm sie sich ihr Plaid und legte es sich um die Schultern. Ihr Vater wollte sie heute Abend beim Abendessen sehen und mit ihr etwas besprechen. Die Gänge der Burg waren meist kalt; die Wärme der Räume dehnten sich kaum über die Türschwelle hinaus aus.

Das Feuer im Kamin des Speisesaales knistere und Besteck klapperte auf den Tellern. Der Geruch von Fleisch und frischen Brot hin in der Luft, als Sigyn den Raum betrat und sich neben ihren Vater an den langen Tisch setzte. Lotir unterhielt sich leise mit einem seiner zahlreichen Berater und nickte seiner Tochter nur kurz zu, als er sie bemerkte. Sigyn wurden Teller und Schalen gereicht und sie begann mit dem Essen. Obwohl hier kaum auf die jeweiligen Stände oder Ränge geachtet wurden, aß die Garde nie hier. Früher aß Sigyn öfters in der Küche, um mit den Köchen und Mägden zu schwatzen oder sich die neusten Geschichten der Garde anzuhören. Zudem war Gavin oft dort und sie unterhielten sich viel. Inzwischen wünschte ihr Vater, dass sie zusammen mit ihm im Speisesaal aß, er brabbelte irgendwas über das heiratsfähige Alter und das eine junge Frau ihres Ranges nicht in der Küche zu speisen habe. Obwohl Lotir bei seiner Ansprache nicht sehr überzeugend klang, fragte Sigyn nicht weiter nach.

Wie öfters hing Sigyn ihren Gedanken nach, sie hatte kaum jemanden hier, mit dem sie sich länger unterhalten konnte, als Lotir sie ansprach. "Mein Kind," begann er und es kam Sigyn fast beiläufig vor. "Wir werden morgen eine Reise unternehmen." Sigyn sah von ihrem Teller auf und ihr Vater und der Berater neben ihm, schauten sie erwartungsvoll an. "Wohin soll es denn gehen?" fragte sie mit dem Wissen, dass sie für ein paar Tage alleine sein würde. Wenn ihr Vater unterwegs war, konnte sie wieder in der Küche speisen oder lange im Wald bleiben. Vielleicht würde Gavin auch etwas Zeit für sie opfern können. "Nach Asgard." Lotir holte tief Luft und erzählte weiter. "Du weiß, ich bin schon etwas älter und werde mich bald in die Hallen Walhallas begeben. Es muss entschieden werden, wie es mit Vanaheim weitergehen soll." Andächtig strich er sich durch seinen grauen Bart. Sigyn kannte diese Ausflüchte ihres Vaters. Immer wieder fing er davon an, dass er bald nach Walhalla gehen würde und inzwischen nahm sie ihn kaum noch ernst. "Ach Vater.." sagte sie leicht genervt und riss sich ein Stück vom warmen Brot ab, um es sich danach in den Mund zu stecken.

"Odin persönlich hat uns zu sich gerufen. Er hat große Pläne mit Vanaheim." Lotir nahm einen Schluck Wein. Nun hatte er die volle Aufmerksamkeit Sigyns. "Odin? Was möchte er von dir?" "Uns." antwortete Lotir knapp. "Uns?" "Ja, uns. Du kommst mit." Sigyns Augen weiteten sich. Noch nie hatte sie Vanaheim verlassen. Ihr Vater war immer ohne sie gereist, aber sie konnte sich nie daran erinnern, dass er in Asgard gewesen war, seitdem sie geboren ist. Natürlich hatte er schon Asgard gesehen und wenn er konnte, prahlte er mit dem Prunk des goldenen Palastes.

"Die Mägde packen gerade deine Sachen. Morgen früh nach dem Frühstück geht es bereits los." Sigyn ließ ihr Brot langsam auf den Teller sinken, als sie ihrem Vater lauschte. Sie! In Asgard! Schon viel hatte sie davon gehört und wollte es immer einmal sehen. Sie hatte kaum etwas gegessen, als sie aufstand. Mit einem breiten Lächeln küsste sie ihren Vater auf die Wange und sprang aus dem Speisesaal. Sie wollte ihren Mägden beim Packen helfen, damit sie auch ja die richtigen Kleider einpackten.

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