*Kapitel 1

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Baily

,,Das Krüppelinchen, ist also kein Krüppel mehr? ", kam es von Alex, der ein spöttisches Grinsen aufsetzte, während er sich schon wahrscheinlich wie ein Weltstar auf dem Roten Teppich fühlte. Alle, die es mitbekommen haben, scheinen schon förmlich die Augen zu verdrehen. Ungefähr die halbe Klasse. Das konnte der sich wohl nicht verkneifen, oder? Wieso bemühte ich mich eigentlich auch noch ihm zu antworten, damit er die Klappe hielt und die nach fünf Minuten wieder öffnete? Es ist doch immer das Gleiche und ändern würde es sowieso nichts, ich hatte wohl auch nichts dazu gelernt in den letzten ewigen Jahren, dass er eben so war und sich wahrscheinlich nicht ändern würde.

Langsam wurde es langweilig, denn schon die ganzen Ferien lang musste ich, dieses arme Ding, es ertragen und es war immer dieser gleiche Mist, der aus seinem Mund kam. Krüppel hin und Krüppel her. Ich wünschte, es wäre zu verhindern gewesen, und da sieht man ebenfalls einfach mal wie einfallsreich dieser Typ ist. Meine Freundinen taten es mir und den anderen gleich; bloß die Augen verdrehen. Was konnte man auch sonst tun? Er war ja nichteinmal witzig oder sonst etwas in der Art, wenn er wenigstens das wüsste, aber das ist ja nichteinmal im Traum denkbar.

Vielleicht sollte ich es erst einmal erklären. Also, Alex und ich waren schon seit etlichen Jahren Nachbarn - echte Horrorjahre - und gingen sogar in den gleichen Kindergarten. Seit dem ersten Tag an hassten wir uns und schlugen uns Sprüche an den Kopf, wenn wir uns sahen. Hass auf den ersten Blick würde ich mal sagen. Es hatte nie einen Grund, aber es war wie bei der Liebe, einige liebten sich direkt und wir hassten uns halt stattdessen direkt. Logisch, oder? Ich musste zwar zugeben, dass er mir erst ganz sympathisch vorkam, aber innerhalb von einer zehntel Sekunde änderte es sich.

Und dann kam schließlich letztes Jahr die Krönung; Alex war seit der neunten Klasse der ,Coole', wie er sich immer nannte - dass ich nicht lache - an der Schule, wahrscheinlich brauchte er nur eine extra große Dosis Aufmerksamkeit. Ich würde es mal als Selbstzweifel bezeichnen. Warum er auch immer meinte Cool zu sein, vielleicht fühlte er sich einfach wie ein Gangster, weil er Nikeschuhe trug oder die Haare mit einer Tonne Gel zukleisterte, keine Ahnung, aber das war ja heutzutage immer so. Dennoch würde ich ganz sicher nicht vor ihm herfallen und wie die anderen Heulsusen vor Angst zittern wegen seinem Möchtegernruf. Ich meine hallo?! Angst vor Alex?! Der sich mit einem Mädchen vergeblich anlegte? Nein, danke. Den Respekt sollte er sich gefälligst von mir verdienen und das würde er niemals schaffen.

Er war etwas größer als ich, hatte Muskeln, war sportlich, hatte schönes, volles braunes Haar und kristallblaue Augen. Äußerlich sah man ihm nichteinmal an, dass er ein so war, wie er war, und ganz im Ernst, ich sah noch nie einen "Angesagten" in ihm. Wenn ich mit der Hose auf halb acht und paar Markenkleidungsstücke ankommen würde, wäre ich also ein Bad Girl, wenn es nach ihm ginge. Was war denn schon daran Cool, wenn man ein Mädchen versuchte mit Sprüchen zu kontern und das ohne Erfolg? Naja, ich würde es nie verstehen. Sollte er seinen Spaß haben. Kleidung machen aus keinem eine andere Persönlichkeit, auch wenn man es wollte, aber diesen IQ besaß er ja nie, das einzusehen...

Zurück zu vorhin. Seit gestern hatte ich den Gips nicht mehr benötigt, nachdem ich mir das Bein gebrochen hatte und somit auch die lästigen Krücken am Hals hatte. Am allerletzten Schultag vor den Sommerferien musste ich mir ja unbedingt im Sportunterricht beim Fußball das Bein brechen. Somit waren die Ferien völlig gelaufen. Der Urlaub am Strand war gestrichen, meine Eltern waren dann zusätzlich mit der Beerdigung meiner Oma beschäftigt und ich musste irgendwie über die Runden kommen, um nicht vor Langeweile zu sterben und dann war noch diese unerträgliche Hitze, sodass mein Bein unter dem Gips fast ausgerottet war.

Währenddessen durfte ich mir, als ich immer an Alex' Haus vorbeilief, wie er es nannte "vorbeikrüppeln", jedes Mal anhören, dass ich ein Krüppel wäre. Ihm fiel auch einfach nie etwas Besseres ein. In den Momenten hätte ich mir nur meinen Kopf an die Wand schlagen können, jeden einzelnen Tag und das immer wieder. Wieso er auch immer zur gleichen Zeit vor seiner Haustür stand, als ich daran vorbeilief, es kotzte mich dennoch an. Aber das zeigte mir bloß, dass in ihm völlige null Prozent Coolnes steckte. Krüppel ist natürlich die schlimmste Beleidigung, hammer, Alex... Und jetzt kam er schon wieder damit an. Ich habe ja solche Angst, Mr. Gangster. Ich verdrehte bloß meine Augen.

Immerhin waren seine Kumpels Ben und Sven normal. Dagegen mochte ich sie sehr gerne, wir haben in den Ferien fast jeden Tag zusammen gezockt und ich glaube, sie nahmen es zurück, dass Mädchen nicht zocken könnten. Mit denen war es durchaus witzig. Anders als mit Alex konnte man mit ihnen reden und lachen, und sogar  Sam und Julia haben sich langsam mit denen angefreundet, obwohl sie erst zweifelten.

Also genug zu Alex. Wir gingen alle in die Klasse hinein und sollten uns irgendwie hinsetzen. Sofort setzte ich mich an den Nebentisch zu meinen beiden besten Freundinnen hin, Sam und Julia. Da sie jedoch zusammen saßen, bekam ich den schönen Einzelplatz. Wir wechselten uns nämlich jedes Jahr ab und jetzt war ich wieder dran, die alleine saß. Naja, schön wäre es, wenn es so wäre...

Da noch nicht alle da waren und zwar genau noch Alex, Ben und Sven fünf Minuten später kamen, ahnte ich nicht, dass noch jemand keinen Sitzpartner hatte und das Los neben mir zu sitzen gewonnen hatte. Ben und Sven setzten sich zu den anderen Jungen und ICH durfte natürlich neben Alex sitzen. Wieso nur Schicksal? Womit habe ich das verdient? Konnte nicht Sven oder Ben kommen? Das Jahr fing ja super an, doch das Schlimme war noch, dass wir nur eine lange Zeit in dieser Sitzordnung bleiben durften.

,,Nicht cool genug für die Jungen?", fragte ich ihn spöttisch und bekam als Antwort ,,Viel zu cool für die. Aber du bist ja noch ärmer dran. Du musst ja wenigsten die Stufe ,uncool' erreichen, sonst heule ich noch". ,,Glaub mir, wenn ich neben dir sitze, ist dieses mehr als erreicht und das Niveau sinkt". Sein stolzer Blick verschwand wieder direkt und wir bemühten uns erstmal nicht weiterhin zu reden. Und da hatte ich überhaupt nichts gegen, es war schlimm genug neben Alex zu sitzen, aber mit ihm zu reden hatte ich keine Lust zu, es ist doch nur zu ahnen, dass das Schuljahr viel in sich bergen wird... Wir würden sowieso genug miteinander reden müssen, das war mir leider klar...


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