Kapitel 23

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Mein Kopf war so überfüllt mit Emotionen und versuchte noch zu begreifen, was geschehen war, dass ich weder auf die enorme Erschütterung achtete, die die herabfallenden Felsen hinter mir erzeugten, noch auf die frische Luft oder das helle Licht draußen. 
Jeder war ein Stück vor sich hingestolpert, nachdem wir aus diesen schrecklichen Minen heraus waren; jeder schaute sich für einige Minuten stumm in der neuen Umgebung um und ließ sich schließlich außer Atem auf dem felsigen Untergrund nieder. Einige klopften sich den Staub von den Klamotten, andere blinzelten und schützten ihre Augen vor dem Licht, bis sich diese daran gewöhnt hatten. Die Sonne schien, etwas Wind wehte und es fühlte sich an, als wäre nichts passiert.
Doch es hatte sich alles verändert. Gandalf war tot. 

Ich musste mir diese Tatsache immer wieder ins Gedächtnis rufen, zu früh war es, um sein Sterben einfach akzeptieren zu können. Einfach hinnehmen zu können. Fast erwartete ich, dass er doch noch in irgendeiner Form vor uns erscheinen würde, mit seinem Umhang, seinem Stab und einem beruhigenden Lächeln. 
Doch hatte ich den Zauberer gesehen, wie er sich noch an den Stein gekrallt hatte, wie er seine letzten Worte sprach... Gequält schloss ich bei diesem Bild die Augen, aber es wollte nicht verschwinden. 
Ich schüttelte mich und sah zu den anderen, dann ging ich zu Aragorn, der auf das Tor starrte. Er weinte zwar nicht, aber ich sah die Trauer in seinen Augen so deutlich, dass es mir einen Stich versetzte.
"Du bist jetzt unser Anführer.", sagte ich leise. Er senkte seien Kopf, dann sah er mir direkt in meine Augen und legte mir seine Hand auf die Schulter. "Ich we?s. Und ich werde Euch nicht enttäuschen." "Wo gedenkt Ihr jetzt weiterzugehen?", fragte ich. "Ich denke wir werden nach Lothlorien gehen. Gandalf hatte die Rute noch nicht ausführlich geplant, aber ich denke er würde dorthin gehen und um Rat und Hilfe bitten."
So versammelten wir uns nach einer Weile und Aragorn teilte den anderen den weiteren Plan mit, worauf einige zustimmend nickten. "Aber ich habe gehört dass in diesem Wald auch eine böse Zauberin verbirgt", sagte Boromir ehrfürchtig. "Niemand, der diesen Wald betritt kehrte je wieder lebend zurück!"
Ich konnte nicht umhin, um verächtlich zu schnauben. Das war eine Lüge. Ich wusste wer in diesem Wald lebte und sie war gewiss nicht böse. Mächtig schon, aber ich war mir sicher, sie würde uns helfen. Die Herrin Galadriel wurde sie genannt. Dabei erinnerte ich mich an mein Gespräch mit Elrond in Bruchtal bevor wir aufgebrochen waren. Er hatte gesagt sie könnte mir helfen...
Boromirs Bedenken wurden ignoriert, aber dennoch folgte er und wir anderen Aragorn einen Pfad über die Felsen vor dem Tor hinunter in ein grünes Tal. Eigentlich sollten wir uns beeilen, denn ich war mir sicher, dass die Ausgänge, die eingestürzt waren nicht die einzigen waren und die Orks nach Möglichkeit sehr schnell folgen würden.
Aber wir waren erschöpft und kamen nur sehr langsam voran, vor allem Frodo hatte Probleme, wie ich bemerkte. Er hinkte hinter den anderen her, sein Gesicht war trübsinnig und angestrengt. Wahrscheinlich hatte er den Stoß mit der Lanze doch nicht so unverletzt davongetragen. Ich ließ mich zu ihm zurückfallen und fragte ihn, ob er Schmerzen hätte. 

"Es geht", sagte er kurz und gepresst. Das glaubte ich ihm nicht, also bat ich Aragorn nach einer Weile Pause zu machen. Wir hielten an einem klaren Bergsee an, den Gimli sofort als irgendeinen für die Zwerge bedeutenden See erkannte und an dessen Ufer andächtig Platz nahm. Solange er kein weiteres Monster in sich barg, war mir alles recht.
ich teilte Aragorn mit, dass Frodo wohl Schmerzen hatte, also half er mir dem Hobbit seinen Mantel und sein Hemd auszuziehen, um nach Prellungen zu suchen. Aber wir fanden etwas anderes. Überrascht fuhr ich über ein glänzendes Kettenhemd, das darunter zum Vorschein kam. Mithril!, erkannte ich staunend. Es passte ihm, es war wohl ursprünglich für ein Kind eines Königs gewesen. Aber woher hatte er es? Frodo lächelte schwach über unsere fragenden Gesichter. "Ich habe es von Bilbo. Er hat es damals am einsamen Berg von Thorin Eichenschild bekommen und hat es mir nun auf meine Reise mitgegeben."
Das war wahrlich ein prachtvolles Geschenk gewesen von diesem Zwergenkönig. "Wenn du das nicht angehabt hättest...", sagte Aragorn besorgt, musste dann aber lachen. "Närrischer Hobbit! Jagt uns so einen Schrecken ein."
Wir zogen auch das Kettenhemd über Frodos Kopf und legten eine Prellung auf seiner Brust frei, die schon langsam blau - grünlich wurden. Aragorn holte aus seinem Mantel ein Bündel trockener Kräuter hervor, die ich als Athelas erkannte, die die Prellung abschwellen lassen würden. Mehr konnten wir im Moment nicht für ihn tun. Hauptsache er war am Leben.
Nachdem es Frodo besser ging, machten wir uns auf den Weg weiter nach Lorien. Es war wohl Mittag gewesen als wir Moria und Gandalf verlassen hatten und die Sonne wanderte weiter über den Himmel. Ich dachte an den Zauberer, der ein Vorbild für mich gewesen war. Was war er für die anderen gewesen? Ein Freund? Ein Beschützer?
Ich werde dich nie vergessen Gandalf., dachte ich und verspürte plötzlich den schmerzenden Wusch von jemandem in die Arme genommen zu werden. Von Elrond, der mir sagte, dass alles gut gehen würde. Oder von Legolas, der ebenfalls schon einige Personen in seinem Leben verloren hatte.
Als wir am Waldrand ankamen dämmerte es bereits und wir überquerten einen kleinen Fluss namens Nimrodel. Ich kannte ihn aus zahlreichen Liedern, doch hatte ich ihn noch nie selbst gesehen. Am anderen Ufer rasteten wir unter Silber schimmernden Bäumen. Mallorn- Bäume. Sie gehörten zu dem Wald von Lothlorien und sobald wir uns niedergelassen hatten fühlte ich mich fast zuhause. Das elbische in mir spürte die Verbindung zu diesem Wald. 'Willkommen Elodiel, Elronds Tochter', meinte ich eine Stimme aus dem Wald flüstern zu hören. Verwundert blinzelte ich. Wusste Frau Galadriel tatsächlich dass wir hier waren?
Aber es war sicher nur der Wind gewesen redete ich mir schließlich ein, denn die anderen schienen auch nichts gehört zu haben.
Das Wasser aus dem Nimrodel war kühl und machte mich hellwach; wir reinigten unsere Gesichter, unsere Klamotten und unsere Waffen von dem Dreck und Ruß aus Moria und verbanden kleine Kratzer und Verletzungen. Die Orks würden uns wahrscheinlich hierhin nicht folgen.
Neben mir saßen die Hobbits und sprachen mit bedrückter Stimme.
"Seit leise", sagte Gimli zu ihnen. "Ich bin mir sicher, diese Zauberin hört alles, was in diesem Wald gesprochen wird. Aber wenn sie es wagt, uns anzugreifen, dann werde ich euch verteidigen!"
Ich verdrehte die Augen. Dieser Zwerg war genauso skeptisch wie Boromir, aber selber am lautesten. Außerdem könnte er nie etwas gegen Galadriel ausrichten.
"Ich habe Augen wie ein Adler", fuhr Gimli fort. "Und Ohren wie ein...", aber plötzlich verstummte er, als auf uns Alle Pfeilspitzen gerichtet wurden.

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt