Kapitel 39

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Später fragte ich mich, was sich wohl die Anderen bei unserem Verschwinden gedacht haben mussten. Vermutlich hatten sie annehmen müssen, dass sowohl Aragorn, als auch ich an der Klippe verunglückt waren, denn unser beider Pferd lag tot in dessen Nähe auf dem Schlachtfeld und einer von Thedoens Soldaten hatte Aragorn zuletzt auf just dem Wargen gesehen, den man von der Kante des Abgrunds mit gebrochenem Genick in der Schlucht liegen sehen konnte. Nur uns hatte man nicht gesehen oder gehört und selbst wenn unsere Freunde - nachdem ihnen aufgefallen war dass wir uns nicht bei dem siegreichen Soldatenzug befanden, der zu den Rohirrim zurückkehrte - nach uns gerufen hätte, so hatte ich es nicht gehört. Auch merkte ich später, dass ich einen Dolch an dem Abgrund hatte liegen lassen, ein Zeichen dafür, dass ich wohl auch über die Kante gegangen war. 

Ich nahm es ihnen nicht übel, dass sie mit der Gewissheit uns verloren zu haben weitergezogen waren. Die Schergen Sarumans waren bestimmt nicht die Einzigen, die sich hier herumtrieben und wussten, wohin die Bevölkerung Edoras floh, nachdem uns die Wargen und Urukhais so leicht aufgespürt hatten. Sie hatten schließlich noch die Evakuierten nach Helms Klamm zu eskortieren. 

So war das Schlachtfeld leer, als ich wieder auf der Klippe angekommen war, einen bewusstlosen Aragorn neben mir. Uns so bekam auch niemand meinen Freudenschrei mit, als dieser wieder seine eisblauen Augen aufschlug. "Den Valar sei dank!", flüsterte ich und richtete mich auf, sein verwundertes Gesicht betrachtend. Bei dieser Bewegung wurde mir etwas Schwindelig, noch war ich etwas überanstrengt, von meiner Zauberei, doch das kümmerte mich wenig. Dann war das Ganze immerhin nicht umsonst gewesen. "Elodiel.", gab Aragorn überrascht von sich, als er mich neben ihm knien sah. Schon versuchte er sich aufzurichten, zu verstehen, was passiert war, doch musste sich mit vom Schmerz verzogenen Gesicht wieder in das Gras zurücksinken lassen. "Was...?" "Ihr seid über diese Klippe hier gefallen, erinnert Ihr Euch?", erklärte ich ihm behutsam und er runzelte die Stirn, während er einen erneuten Anlauf wagte, sich hinzusetzten. Dieses Mal schaffte er es und schüttelte seinen Kopf; Seine arme hinter ihm im Gras abstützend. "Der Warg...", murmelte er, als schien er zu begreifen. Ich nickte. "Die Anderen dachten wohl, Ihr seid tot.", meinte ich leise. "Auch ich dachte das kurz...", da brach meine Stimme und ich sah schnell weg. Er sagte nichts, noch immer verwirrt von den Geschehnissen. Dann sah er mir direkt in meine Augen, seine Augenbrauen fragend erhoben. 

"Aber wie... habt Ihr es geschafft, mich wieder hier hinauf zu bringen? Ihr könnt mich unmöglich kletternd getragen haben!", fragte er und suchte in meinem Gesicht nach einer Antwort. Er schien ehrlich besorgt zu sein um mich und das was ich für ihn auf mich genommen hatte , dabei war er doch derjenige, der mehrere Fuß tief gestürzt war. Als Antwort sah ich auf meine Hände, die noch etwas verkrampft in meinem Schoß lagen; an ihnen der Ring meiner Mutter und mittlerweile auch gut erkennbar die feinen Narben von damals, als ich ihm das erste Mal sein Leben auf dem Caradhras-Pass gerettet hatte und noch von meiner Blockade gequält gewesen war. Er verstand. "Oh Elodiel...", murmele er leise und nahm dankbar meine Hände in seine. Ich brachte ein schwaches Lächeln zustande. Die Parallelen zu seiner ersten Nahtoderfahrung und jetzt amüsierten mich irgendwie. 

"Macht Ihr das immer, wenn Ihr ein Liebesgeständnis bekommt? Sich einfach so von Klippen stürzen?", fragte ich dann grinsend und entzog ihm meine Hände um verlegen eine lockere Strähne aus meinem Gesicht zu streichen. Er  blickte mich wieder verständnislos an. Dann schien es ihm zu dämmern. "Oh, das mit Eowyn... Ihr habt das mitbekommen?", meinte er, nun seinerseits etwas peinlich berührt. Ich nickte, aber er schien sich nicht weiter zu dem Thema äußern zu wollen. "Na dann weiß ich ja, dass ich Euch lieber nicht meine Liebe gestehen sollte.", meinte ich schließlich neckend, doch sein Blick hatte kurz etwas geschocktes, bevor auch er mir ein schiefes Lächeln schenkte. "Ich mache nur Witze", sagte ich schnell. "Könnt Ihr aufstehen?"

"Ich denke.", gab er zurück und kam langsam auf die Beine; scharf Luft durch seine zusammengebissenen Zähne ziehend. Er hatte erkennbar Schmerzen. Wieder fing ich an ein paar elbische Heilungsworte zu murmeln, doch er unterbrach mich schnell. "Nein, das ist nicht nötig", meinte er und wies meine Hilfe dankend mit einer Hand ab. Wie er wollte. "Unser Pferd...?" "Hat es nicht überlebt.", meinte ich bitter und sah mich nach dem Schlachtfeld um, wo leider viel zu viele Kadaver von den treuen Tieren lagen. Mir war auch schon die Frage gekommen, was wir wohl als nächstes machen sollten. Uns blieb wohl nichts anderes übrig, als zu Fuß nach Helms Klamm zu wandern. Als hätte Aragorn meine Gedanken gelesen nickte er grimmig und machte sich ohne ein Wort auf den Weg Richtung Osten, dort, wo die Festung in der in der Ferne aufragenden Gebirgskette lag. Es war schon später Nachmittag und der Rest von Theodens Gefolge musste wohl schon dort eingetroffen sein. 

Ich folgte dem Waldläufer. Auch meine Kräfte waren sehr erschöpft, so waren wir nicht sonderlich schnell zu Fuß. Wir sprachen kein Wort, aber das war auch nicht nötig. Zwar hatte er sich nicht bei mir bedankt, doch ich spürte, dass er mir ganz unscheinbar dankbar war. Immer wieder sah er sich besorgt nach mir um und wartete, bis ich die paar Schritte zu ihm aufgeschlossen hatte. Mir war bewusst, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten und ich gab mein Bestes, aber meine Kopfschmerzen weiteten sich immer mehr aus. Es fühlte sich an, als würde mein Schädel in zwei Teile gespalten und meine Sicht verschlechterte sich mit jeder Meile die wir zurücklegten. Irgendwann wollte ich mich einfach nur hinlegen und selbst das schwache Spätnachmittagslicht ausblenden. Schließlich nahm Aragorn mich einfach behutsam, aber mit Nachdruck bei der Hand und zog mich mit sich. So bewegten wir uns mehr Schlecht als Recht voran, er ebenfalls seine Kräfte gut einteilend und mit schmerzenden Gliedern - halb aufeinandergestützt - während der Tag sich seinem Ende zuneigte. Keiner von uns hatte wohl gedacht, dass er das auf diese Art und Weise tun würde. 

"Achtung!"; zischte Aragorn plötzlich und packte meinen Arm. Warnend hob er einen Finger an den Mund und zog mich zu sich hinter einen Felsen. Wir hatten gerade den letzten der markanten Hügel überwunden, da sahen wir in der angrenzenden Senke eine große, dunkle Menge, die sich mechanisch fortbewegte. Ich strengte meine Augen an und erkannte darin einzelne Orks mit Lanzen, Speeren und Bannern, auf denen weiß auf schwarz eine verschmierte Hand prangte. Sarumans Armee war auf dem Anmarsch und sie war nicht minder weit von Helms Klamm weg, wie wir. "Wie viele sind das wohl?", hauchte ich geschockt und musterte das schwarze Meer aus unseren übelsten Feinden. Saruman hatte ganze Arbeit geleistet. "Mehrere Tausend.", beantwortete Aragorn trübsinnig. "Aber ich bezweifel, dass das alle sind. Kommt, wir müssen hier so schnell es geht weg." Und wieder zog er mich weiter. Vorsichtig umrundeten wir den Felsen und duckten uns in eine Senke, um nicht auf dem Kamm des Hügels erspäht zu werden. Dann tauschten wir Blicke und sprinteten über den letzten Abhang, der sich zu der Ebene eröffnete, die sich bis Helms Klamm erstreckte. Dort sah man in der Ferne, nun rot beleuchtet von der abendlichen Sonne die Hornburg und den Klammwall; ein Erscheinungsbild, was mich nochmals dazu veranlasste, alle übrigen Kräfte zu mobilisieren und an Aragorns Seite drauf los zu rennen. 

Unsere Stiefel flogen nur so über den ausgetrockneten Heideboden, über Gestrüpp und Kies hinweg, immer mit dem Gedanken im Kopf, Sarumans Armee könnte jeden Augenblick über den Kamm des letzten Hügels marschieren und uns tödliche Pfeile in den Rücken jagen. "Haltet durch!", keuchte Aragorn ermutigend und ich biss stumm meine Zähne zusammen. Meine Lunge brannte und mein Kopf drohte zu explodieren. "Wir haben es fast geschafft!" Ich verstand nicht, wie er dieses Tempo in seinem Zustand durchhalten konnte. Doch da ragte bereits die Burg vor uns auf und eine gepflasterte Rampe führte uns den Weg hinauf zu einem breiten,imposanten Tor, dessen Durchgang noch von zwei seitlich positionierten Soldaten bewacht wurde. Die letzten Fuß quälten wir uns keuchend hinauf; die zwei Wachen und bestimmt auch einige weitere versteckte Kameraden auf dem Wall musterten uns verstohlen, doch reagierten nicht. "Wartet!", brachte ich erschöpft hervor, als Aragorn schon dabei war unter dem Tor hindurch auf den Platz zu schreiten, der dahinter war, Ich wusste selbst wieso ich den Menschen zurückhielt, doch ich blieb schwer atmend stehen, blickte ich mich nochmal nach dem Horizont um, an dem eine blutrote Sonne unterging. Noch konnten meine müden Augen keine Armee erspähen, aber wir beide wussten, was die Nacht bringen würde. Als ich mich wieder zu Aragorn drehte, musste ein angsterfüllter Schatten über mein Gesicht gehuscht sein, denn Aragorn machte plötzlich nochmal einen Schritt zu mir zurück, nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich eindringlich an. "Es wird alles gut, Elodiel.", flüsterte er und ich schloss dankbar die Augen. Ich wollte ihm die Worte so sehr glauben. 

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt