Kapitel 25

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Als ich aufwachte, schliefen die anderen noch immer. Vermutlich war es noch mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden. Hier im Wald konnte man die Zeit, ähnlich wie in den Minen schwer einschätzen, aber auf eine gute Art und Weise. Es war mir fast egal, ich verspürte nu den Wunsch hier für immer zu verweilen und die Welt außerhalb zu vergessen. Doch das war nicht meine Bestimmung.

Ich war aufgewacht, da sich Gesichter und Ereignisse durch meine Träume zogen, die ich lieber vergessen würde. Die Ringgeister an der Fuhrt, die ihre behandschuhten Finger nach mir ausstreckten. Das Monster im See und seine schleimigen Tentakel um meinen Körper. Die verwesten Leichen der Zwerge und der Ork, der mir eine blutige Kerbe in meinem Arm verpasste und sich dabei hämisch über die Lippen leckte. Und schließlich der Balrog, feurig und grausam. Trotz meines mitgenommenen Zustands konnte ich nicht mehr zurück in den Schlaf finden, also beschloss ich etwas frische Luft zu schnappen und ein wenig Abstand zwischen mich und die Gruppe zu bringen. 
Also streifte ich die  Vorhänge unseres Lagers vorsichtig zur Seite und schlich mich hinaus. Draußen war es kühl und ich wunderte mich schon, wie es in unserer kleinen Höhle so warm sein konnte, als ich einen Schatten bemerkte, der sich Huschend im Schatten der nächsten Bäume bewegte. Neugierig folgte ich ihm. Wer schlich hier noch um unser Lager?
Ich konnte nur Umrisse der Gestalt erkennen, diese war aber unverkennbar sehr klein. Wahrscheinlich einer der Hobbits, stellte ich fest und verschwand schnell hinter einem Baum, als die Gestalt sich umdrehte, um sicherzustellen, dass ihr niemand folgte. Anscheinend hatte mich der Hobbit nicht bemerkt, denn er schlich hastig wieder los, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Das lag vermutlich an so legendären Hobbit-Füßen, mit denen sie sich tonlos anschleichen konnten. Das hatte mir Bilbo in Bruchtal einmal erzählt (er hatte ins Sachen anschleichen ja Erfahrung, wenn man sich an die Sache mit Smaug erinnert) und mich überkam sofort eine kurze Welle des Heimwehs, des Bedauerns, dass ich von Zuhause losgezogen war. Sie war so überwältigend, dass meine Augen etwas glasig und auch beinahe den Schatten verloren hätte, der in diesem Moment hinter einem Busch verschwand. Ich näherte mich langsam dem Busch und erspähte eine Treppe, die in eine kleine Senke führte. Vorsichtig duckte ich mich und schaute zwischen den Ästen des Strauches hindurch. In der Senke stand ein Podest, auf der eine Schale mit klarem Wasser stand, von dem irgendwie ein leichter Schimmer ausging, denn in der Senke herrschte ein dämmriges Licht. Jetzt erkannte ich auch tatsächlich den Hobbit, es war Frodo. Er sah sich erneut um, dann begab er sich neugierig zum Podest und betrachtete es eine Weile. Er schien genauso wenig wie ich zu wissen was das war, denn er kratzte sich überlegend am Kopf und erschrak plötzlich, als sich das Wasser in der Schüssel verfärbte. Auch ich hatte nicht damit gerechnet, gespannt erwartete ich, was jetzt passieren würde. Frodo beugte sich über die Schale, denn ich erkannte, dass sich das Wasser nun erneut änderte: Es zeigte Bilder, die auch auf unerklärliche Weise bewegen konnten. Zwar konnte ich sie nicht erkennen, aber ich verharrte an meinem Platz, bis Frodo auf einmal nach Luft schnappt und zurück taumelte. Ich wäre aufgesprungen um zu sehen, ob es ihm gut ginge, aber jemand anderes kam mir zuvor. Eine hell strahlende Figur, die wie aus dem Nichts zwischen den Büschen mir gegenüber auf der anderen Seite der Senkung erschien. Die Figur war groß und schlank und als das helle Licht, das sie verströmte langsam verblasste, erkannte ich sie. Galadriel.
Also blieb ich einfach dort, wo ich war.
"Du hast in den Spiegel geschaut", sagte sie nun zu Frodo mit einer herrschaftlichen aber ruhigen Stimme. "Ich habe gesehen, was du gesehen hast. Jetzt wirst du dich fragen, ob dies die Gegenwart ist, ob die Dinge noch geschehen werden, oder ob sie schon zurückliegen. Ich weiß es nicht. Manche werden geschehen, manche werden nicht geschehen - Der Spiegel will uns nur ein Gesamtbild zeigen, was wir daraus ableiten ist unsere Entscheidung."
Frodo starrte sie mit großen Augen an, was verständlich war. Aber ich verscheuchte diesen Gedanken sofort und konzentrierte mich weiter auf das Gespräch.
"Ich weiß, was du gesehen hast und ich bin mir sicher, dass dies eintreten wird, wenn du scheiterst.", fuhr sie fort. "Die Gemeinschaft zerbricht, es hat bereits begonnen. Einer nach dem anderen wird ihm verfallen. Du weißt was ich meine."
Da runzelte ich die Stirn. Wovon... wovon redet sie?
Doch Frodo schien das nicht zu überraschen. Er schluckte, dann öffnete er seine Hand, die er vorhin zu einer Faust geballt hatte. Darin lag der Ring.
"Ich will ihn dir geben.", sagte Frodo plötzlich ergeben. Galadriel war nicht weniger überrascht als ich, dies zu hören. Sie sog fast zischend die Luft ein und wisperte verlangend: "Du willst ihn mir freiwillig geben? Ich... Ich könnte so viel Gutes damit tun... Ich wäre eine Königin..." Mit jedem Wort veränderte sich ihre Stimme mehr, wurde lauter und angsteinflößend. "Alle werden  mich lieben!", rief sie, aber es schien mir, als ob sich noch mehr Stimmen dazu mischten. Etwas schien nicht mit rechten Dingen zu zugehen. Langsam jagte mir diese Verhalten Furcht ein. "Alle werden sie mich fürchten! Ich wäre eine Königin, so schön und schrecklich zugleich!"
Dann, mit einem Mal war es verschwunden, was immer in ihrer Stimme gewesen war und sie wurde wieder normal, ja fast kam sie mir so vor, als ob sie auf einmal sehr müde wäre.
"Ich bestehe den Test...", keuchte sie. "Und ich bleibe Galadriel. Ich werde in den Westen segeln, falls das hier alles vorbei sein sollte." Dann wandte sie sich ab.
Frodo stand noch immer an seinem Platz, er war nicht verschreckt davon gelaufen, so wie ich es vielleicht getan hätte, aber er schloss seine Hand wieder und steckte den Ring behutsam in seine Hosentasche.
"Ich schaffe das nicht alleine", flüsterte er dann. Galadriel drehte sich zurück zu ihm, musterte ihn lange, dann lächelte sie.
"Es ist deine Aufgabe. Du bist der Ringträger. Wenn du es nicht schaffst, gibt es keine Hoffnung, keinen anderen Weg. Aber verzage nicht. Selbst die kleinste Person kann den Verlauf der Zukunft ändern." 

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt