Kapitel 30

341 14 1
                                    

Als Elb feiert man selten Begräbnisse; der Tod hat für uns eine andere Bedeutung. Aber Boromir war gefallen und hatte jede Ehre einer Bestattung verdient. Nur blieb uns nicht viel Zeit. Die Orks hatten Merry und Pippin entführt und waren nun vermutlich auf dem Weg nach Isengard in der Vermutung, den Ringträger erwischt zu haben. Dieser war jedoch mit seinem Gefährten Sam mit einem der elbischen Boote aus Lothlorien an das andere Flussufer gelangt und verschwunden - nach Mordor aufgebrochen. Ich schluckte, bei dem Gedanken an die Bürde, die der Halbling auf sich genommen hatte, ganz ohne unsere Unterstützung. Aber laut Aragorn war es seine Entscheidung und nun blieb uns nichts mehr anderes übrig, als eigene Wege zu gehen und die Hobbits zu retten. Ein Steingrab wäre für Boromir in Frage gekommen, aber dann kam Legolas die Idee, dass es besser sei, seinen Leichnahm in einem der elbischen Bote den Fluss, den Anduin hinunter zu schicken. Schließlich würde das kleine Schiff an der weißen Stadt, Boromirs Heimat Minas Tirith vorbei kommen, in die Gewässer des Lebenin gespült werden und aufs große Meer unter dem Sternenzelt gelangen. Ein schöner Weg. Für mich hatte das Meer schon immer eine Bedeutung des Neuanfangs und des Aufbruchs gehabt. Der Tag war ein düsterer für unsere Gemeinschaft, oder viel mehr, was davon übrig war.

"Lasst uns noch sein Schwert und sein Horn zu ihm legen und dann werden wir die Orks verfolgen.", schlug Aragorn mit leiser, aber bestimmter Stimme vor und hob Boromirs Habseligkeiten auf, um sie sanft in das Boot zu legen. Das edle Horn, mit der er zuvor um Hilfe gerufen hatte, war in zwei Teile gespalten. Es war ein Anblick von Trostlosigkeit. Er wurde von uns im Stich gelassen, dachte ich und biss mir auf die Lippe. Ich würde mir das niemals verzeihen können. Aber nun war keine Zeit dafür, um richtig zu Trauern, oder sich Vorwürfe zu machen. Eile war geboten, denn die Orks schienen uns schon weit voraus, die Hobbits in ihrer Gefangenschaft. Ich schluckte seufzend und mit schwerem Herzen das Schuldgefühl herunter. Unsere Sachen waren gepackt, länger konnten wir nicht verweilen.

Ich war erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit Aragorn uns vorantrieb. Ich als Elb hatte wie Legolas kein Problem damit Schritt zu halten, doch war es eine bemerkenswerte Leistung für einen Menschen und eher schien es für Gimli, einem ausdauernden Zwerg, schwer zu sein uns zu folgen, als ihm, der flink über das Land sprintete, von einem Hügel zum nächsten springend. Die Spur der Orks war nicht zu übersehen. Achtungslos hatten sie alles niedergetrampelt, was ihnen in den Weg kam, um ebenfalls schneller zu sein. Dort wo ihre abscheulichen Stiefel die Erde berührt hatten, blieb nur noch ein matschiger Trampelpfad. Der Weg war weit, doch schienen die Orks nie anzuhalten; nie fanden wir irgendeine Art von Lager vor. Sie hatten keine Rast gemacht, also durften wir uns das ebenfalls kaum erlauben. Doch nach Stunden, ja vielleicht sogar Tagen wurde selbst Legolas von der Erschöpfung übermannt. Wir anderen hatten nur noch stur, mit schmerzenden Muskeln, einer letzten Hoffnung gefolgt, die am Horizont immer kleiner werden zu schien. Ich hatte unterdessen jede Möglichkeit wahrgenommen mich auszuruhen, sei es nur  die paar Minuten in denen Aragorn einen Weg über einen tieferen Graben oder über schlüpfrige Felsen suchen musste, oder während Legolas seine Spitzohren auf die Erde presste, um anschließend zu verkünden, wie Weit die Orks entfernt waren. Ansonsten ließ ich mir nichts anmerken. Ich wollte als einzige Frau vor meinen männlichen Begleitern keine Schwäche zeigen, weder physisch noch psychisch. Auch ich konnte die vergangene Anwesenheit der Orks wahrnehmen; ihr ekelhafter Geruch hing in der Luft und die Schneise, die ihre Karawane in die Erde gesetzt hatte, hatte etwas Bedrückendes an sich. "Etwas düsteres, übernatürliches beschleunigt ihre Schritte", stellte auch Aragorn fest. "Etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu..." 

Unter all den Orkspuren war es schwer, die der Hobbits auszumachen. Zwei einsame, verzweifelte Geschöpfe unter hunderten von Monstern. Doch nach weiteren endlosen Stunden des Gehetztes, machte Aragorn plötzlich abrupt Halt und griff in die aufgewühlte Erde. Etwas glitzerndes hatte sein Auge erfasst. Er holte einen mir bekannten Gegenstand hervor, den wir mit klopfenden Herzen bestaunten. Es war die Brosche die jeder von uns an den Mänteln aus Lothlorien trug; ein widererkennbares Schmuckstück in Form eines Blattes. Einer der Hobbits hatte es wohl verloren, oder aber auch möglicherweise mit Absicht hinterlassen, um möglichen Rettern ein Zeichen zu geben. Waren die Hobbits also noch am Leben? Ich konnte, um ehrlich zu sein, nicht einschätzen, was die realistischste Antwort auf diese Frage gewesen wäre, doch der Fund der Brosche gab uns allen neuen Ansporn. 

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt