Kapitel 24

651 42 6
                                    

"Der Zwerg atmet so laut, wir hätten ihn im Dunklen erschießen können", sagte ein Elb, der vortrat und einen Pfeil auf Gimli richtete. Er hatte blonde Haare und ein eher rundes Gesicht, was aber keine Gnade zeigte.
Legolas hatte seinerseits seinen Bogen auf die Elben gerichtet und sein Blick huschte hin und her. Aber wir waren deutlich in der Unterzahl und hatten nicht mal unsre Waffen gezogen.
Ich schluckte. Sie würden uns doch nicht gefangen nehmen oder ähnliches...?
"Seid gegrüßt, Legolas, Sohn von Thrandulil", sagte der Elb, der sich als Haldir vorstellte. Sie wussten also tatsächlich bescheid. Langsam wurden die Pfeile gesenkt und die Spannung, die entstanden war nahm etwas ab. Wir hatten eigentlich nichts vor diesen Elben zu befürchten. Ich wusste doch, dass Galadriel uns helfen würde, aber ich konnte ihr nicht verübeln, erst einmal sicher gehen zu wollen. 

Aragorn und Legolas sprachen nun mit ihm, während ich mich unter den Blicken der Lothlorien - Elben auf einen Stein am Wegrand setzte und etwas abseits wartete. Nervös tuschelten die Halblinge miteinander - alle außer Frodo, der beklommen in die Luft schaute - aber sie verstummten sofort, als einer der Elben sich ruckartig zu ihnen umdrehten.
Kurz darauf kam Aragorn zu mir. "Sie wollen uns zu den Herren des Waldes bringen, allerdings muss der Zwerg eine Augenbinde tragen.", sagte er und war wohl sehr verärgert darüber. "Wenn er eine Augenbinde tragen muss, werden wir das alle tun!", verkündete er
"Nun gut", meinte Haldir und machte eine Handbewegung worauf die anderen Elben grau schimmernder Seidentücher aus ihren Umhängen hervorholten. Zwar fühlte ich mich etwas komisch dabei, dass mir als Elbin der Blick auf den Weg in das Herz Loriens verwehrt wurde, aber wenn das aus verhandlungstechnischen Gründen nötig war, musste das sein.
"Darf ich...?", fragte ein Bogenschütze mich auf Elbisch und trat hinter mich. Ich nickte, während er vorsichtig den Stoff über meine Augen legte. "Hier ist meine Hand", flüsterte er, wobei ich hilflos danach tastete. Ich musste ihm von nun an vertrauen, obwohl mir natürlich noch meine anderen ausgezeichneten Sinne blieben. 

Als schließlich alle verbundene Augen hatten und einen Wächter an ihrer Seite, gingen wir los und der Elb führte mich zuverlässig über Steine, Wurzeln und Unebenheiten im Boden. Und wenn ich einmal stolperte, waren immer Arme da, die mich auffingen, auch wenn es nicht die Arme waren, die ich mir insgeheim wünschte.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor und ich fand es wirklich eine Schande, nichts von dem Wald sehen zu können, aber dann blieben wir endlich stehen und mein Wächter teilte mir mit, dass wir jetzt etwas sehen dürften. Als er mir das Tuch abgenommen hatte trat ich sofort einen Schritt von ihm weg, die Nähe wurde mir nämlich langsam unangenehm. Zugleich blinzelte ich und erblickte eine Senkung und dahinter erhob sich ein Hügel mit einem Waldstück darauf. Die Bäume waren hell erleuchtet, es schien, als ob sie von innen heraus glühen würden. Mallorn Bäume... Sie waren sehr hoch und breit, uralte Exemplare; an ihren Stämmen verliefen steile Wendeltreppen, auf denen weiße Gestalten umher liefen und mit fast überirdischen Stimmen sangen.
Ganz oben in den Baumkronen sah man Plattformen, auf denen Wächter in ähnlicher Rüstung wie die Bogenschützen neben uns, standen. Auch wenn es nach einem friedlichen, verwunschenen Wald aussah, handelte es sich in Wahrheit um eine gut bewachte Festung. Kein Wunder, dass sich die Orks aus der Miene nicht in den Wald trauten.
"Folgt mir", sagte Haldir knapp und stieg in die Senke.

Man hatte uns unser Gepäck abgenommen und es auf unsere Lager gelegt, wie man es uns versichert hatte. Jetzt warteten wir gespannt auf den Herr Celeborn und die Herrin Galadriel... , Elben, von denen ich schon viel gehört hatte, aber sie noch nie persönlich hatte treffen dürfen. 

Von der Senke aus hatte man uns eine hölzerne Treppe um den Stamm eines Mellorn hinaufgeführt. Nun standen wir auf einer der höchsten Plattformen, mitten im Zentrum des Wäldchen. Die Baumkrone war so gewaltig, dass auf der Plattform eine ganze Tafel Platz hatte. Unschlüssig schauten wir uns an, als plötzlich zwei Soldaten hinter einem Baumstamm hervorkamen. Sie stellten sich zu beiden Seiten der Treppe auf, als plötzlich ein helles Licht erschein. Zunächst schien das Licht unerträglich grell, war aber zugleich schrecklich schön und erinnerte an das kalte Leuchten der Sterne, dann ließ es langsam nach und man konnte die Umrisse zweier anmutigen Gestallten erkennen. Sie schritten hoheitsvoll über den Boden und blieben kurz vor unser Gemeinschaft stehen.
Sein Gesicht war ernst und seine Augen musterten uns prüfend, während sie entspannt und freundlich lächelte. Galadriels Erscheinung wirkte nicht gerade furchteinflößend, aber ihr Blick war noch schärfer wie der ihrs Gemahlen. Unsere Gruppe stand fast in einer Reihe um das Paar herum, während Galadriel uns alle musterte. Der Reihe nach blickte sie an uns hinab und schließlich direkt in die Augen. Sie schaute Boromir an und er versuchte ihrem Blick standzuhalten. Gebannt starrten sie sich gegenseitig an, während die Mine des Menschen mit jedem Augenblick düsterer wurde, bis er schließlich verbittert seinen Blick abwandte und plötzlich in Tränen ausbrach. Erschrocken schaute ich Galadriel an, ihr Blick fing den meinen zu mir herum und begann nun mich zu prüfen. Ihr Blick war eisig und hart, ihre Augen waren aber zugleich wunderschön und lebendig. Ich versuchte gelassen zu bleiben, als sie plötzlich das Wort ergriff. Du trägst ein dunkles Geheimnis in dir, Elodiel, Elronds Tochter , Erbe des Hexenkönigs von Angmar. Überraschst holte ich Luft. Konnten die anderen das ebenfalls hören? Ich weiß um deine Herkunft, deine Gabe und dein Problem mit ihr in diesen Tagen. Ich schluckte, doch versuchte den Blick nicht abzuwenden. Ihr Ton schien nicht anklagend, eher besorgt. Anscheinend sprach sie nur in meinem Kopf, denn die anderen Gefährten brachten keine Reaktion hervor, zumindest keine, die ich aus den Augenwinkeln sehen konnte. Du musst wissen, dein Ziehvater Elrond versorgt mich stehts mit Informationen. Mache dir also keine Sorgen. Du kannst mir vertrauen.
Galadriels Stimme verklang in meinem Kopf und sie ließ ihre Augen auf den nächsten schweifen. Ich hatte die Prüfung bestanden.

Das Essen das wir bekamen war wunderbar nach der langen Reise der Entbehrung. Es gab die typischen Gerichte der Elben, die ja auch kannte, aber es gab auch Fleisch, Backwaren und einen süßen Pudding aus Früchten. Am Tisch hatte Aragorn unsere Reise und unser Vorhaben detailliert geschildert, worauf Celebron und Galdriel nickten und sich leise tuschelnd berieten.
Danach sendete uns man mit den Worten "Ihr seid hier willkommen. Bleibt so lange wie Ihr wollt." auf unsere Gemächer, die man freundlicherweise vorbereitet hatte. Unser Schlafplatz bestand aus einer Nische zwischen den Wurzeln der enormen Bäume. Darin lagen Kissen, Decken und Matratzen, auf denen wir uns verteilten, und ausruhten. Die Stimmung war gemischt, Gimli und Boromir waren noch immer etwas aufgewühlt und feindseelig von der Begegnung mit Galadriel, ich dagegen fühlte mich geborgen und wohl - zum ersten mal seit langem. Es wurden auch kaum Worte gewechselt, ob aus Müdigkeit oder aus Trauer oder Misstrauen gegenüber der Elben war nicht zu sehen, aber jeder mochte wohl Teile davon als Grund haben.

Die Nische war mit Stoffbahnen überdacht und davor hingen Lampions, die ein beruhigendes Licht verströmten. Zwischen den Stämmen der Mellorns wehte Musik zu uns herüber. Es war diese unbeschwerte, ätherische Art von Musik, vermischt mit Gesang in elbischer Sprache. "Sie singen", stellte Legolas fest. "Was singen sie?", fragte Boromir misstrauisch und schon fast verängstigt, wie ich bemerkte. Galadriel hatte ihm vermutlich auch etwas im Stillen mitgeteilt, was aber nicht so gütig gewesen sein konnte, wie die Worte, die in meinem Kopf erklungen waren. "Sie singen für Gandalf.", antwortete Legolas. Auch Er hatte Boromirs düstere Mine bemerkt und sah vielsagend zu mir. "Was hat die Herrin zu dir gesagt, Boromir?", fragte ich freundlich. Er sah zu mir auf, mit Kummer in den Augen. "Sie sprach von dem Untergang Gondors", gab er schließlich verzweifelt zu. "Sie sagte, die weiße Stadt wird fallen und meine Familie mit mir, Sauron würde unser Land zerstören und..." Ihm versagte die Stimme, als er versuchte die Tränen zu unterdrücken. Ihn hatte das Ganze mehr mitgenommen, als ich erwartet hatte. Auch hatte ich ihn als eher weniger emotional eingeschätzt. Dennoch berührte ich ihn tröstend an der Schulter. "Das wird es nicht.", sagte ich sanft. "Sie hat nicht die Wahrheit gesagt". "Sie wollte dich prüfen", stimmte mir Legolas zu. "Du kannst beruhigt schlafen und musst dir keine Sorgen machen."
Boromir nickte dankbar, starrte kurz noch etwas beschämt in den Wald und legte sich dann zurück in die Kissen. Er schloss die Augen und wir taten es ihm schließlich gleich.
Für den Moment mussten wir uns wohl keine Sorgen machen, aber irgendwann würden ernstere und noch bittere Tage als diese kommen. Wenn das mit Gondor nicht die Wahrheit ist, was ist dann die Wahrheit?

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt