Kapitel 26

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Ich entspannte mich. Das war gerade noch echt gruselig gewesen, aber jetzt wirkte Galadriel wieder freundlich und weniger furchteinflößend. Bis sie "Und du kannst rauskommen, Elodiel!", in einem sehr strengen Tonfall in die Richtung meines Versteckes sagte. Ohje, dachte ich. Sie wusste die ganze Zeit, dass ich hier war.
Schuldbewusst kam ich zum Vorschein.
Ich erhob mich und kam aufrecht die Treppe hinunter, aber ich sah wahrscheinlich trotzdem wie ein kleines Kind aus, das beim Süßigkeiten stehlen erwischt wurde. Jetzt sah Frodo mich mit großen Augen an und ich lächelte verlegen. Galadriel sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, ansonsten veriet ihr Gesicht nichts.
Als ich in der Senke angekommen war, wandte sie sich freundlich an den Hobbit und sagte: "Du kannst wieder in euer Lager zurück gehen, Frodo. Ruhe dich noch so lange aus wie du kannst.", worauf Frodo nickte und an mir vorbei die Treppe hoch ging, nicht ohne mir einen müden, aber neugierigen Blick zuzuwerfen.
"Kommen wir zu dir", fuhr Galadriel fort. Ich wollte zu so etwas wie einer Entschuldigung ansetzen, aber Galadriel ließ sich nicht unterbrechen. "Du wunderst dich bestimmt, warum ich dich nicht einfach wieder gehen lasse, aber ich habe noch etwas mit dir zu besprechen. Ich habe von deinem... Problem gehört.", sagte sie und schaute mir dabei wissend in die Augen. "Du musst wissen, dass du ein einmaliger Fall bist, ich also noch keine Erfahrung mit dieser Art von Magie habe, aber ich denke ich habe eine Lösung gefunden."
Jetzt horchte ich gespannt auf. Eine Lösung für die Blockade? Was kann das sein?
"Elodiel, Das Prinzip ist einfach. Da du zur Hälfte Elb und zur anderen Hälfte menschlich- magisch bist, und zu dieser Zeit die magische Hälfte mehr Macht in deinem Körper besitzt, als die elbische, müssen wir versuchen, das ganze wieder ins Gleichgewicht zu bringen." Sie schaute mich mit einem Blick an, als ob dies das einfachste der Welt wäre. Aber wäre die Lösung so einfach, wäre Elrond, Gandalf oder selbst ich schon lange darauf gekommen. 

"Wie...?", setzte ich an, doch sie unterbrach mich erneut und holte aus ihrem Kleid einen Gegenstand hervor. Als sie die Hand öffnete, erkannte ich einen funkelnden Ring. Ich runzelte die Stirn und betrachtete ihn. Er besaß einen weißen Edelstein in der Mitte, war aber ansonsten einfach gearbeitet und strahlte etwas mächtiges aus.
"Das ist der Verlobungsring deiner Mutter, den sie von Elrond bekam als sie eine junge Elbin war.", erklärte mir Galadriel. Mir stockte der Atem. Ich hatte nie etwas meiner Mutter besessen, keinen Schmuck, keine Zeichnung, nur spärliche Erzählungen Elronds. Es war ein wunderschöner Ring. Elrond musste meine Mutter sehr geliebt haben.
"Ja das hat er.", sagte Galadriel, die wohl meine Gedanken gelesen hatte. Eine Fähigkeit, die ich mittlerweile erahnt hatte. Dennoch bekam ich etwas Gänsehaut.
Ich räusperte mich. "Wie wird mir der Ring helfen?", fragte ich neugierig.
"Dazu wollte ich gerade kommen.", antwortete mir die Elbin lächelnd. "Wie gesagt, er wird das Gleichgewicht der Kräfte in dir wieder richtig stellen, sodass du nun wieder mehr elbische und gute Kraft besitzt. Probiere es aus!".
"Was, hier?", sagte ich verwundert. Na gut...

Nervös nahm ich den Ring, steckte ihn mir vorsichtig an und hob meine Hand in das gedimmte Licht, das noch immer aus der Schale und auch von Galadriel ausging. Er glitzerte mysteriös und sein silbriges Leuchten versetzte mir einen Stich. Meine Mutter hätte mir wohl irgendwann diesen Ring vererbt. Aber sie war nicht mehr hier.

Ich verdrängte meine Emotionen und versuchte mich ganz auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Überlegend sah ich mich nach etwas um, das ich als Testobjekt verwenden konnte. Vielleicht die Schüssel mit dem Spiegel...? Wäre mir Galadriel sehr böse sein, wenn er mir irgendwie kaputt geht?, fragte ich mich noch, doch auf einmal spürte ich schon die Kraft, ohne dass ich irgendwas gemacht hatte. Dieses mal war die Kraft viel stärker und mächtiger. Plötzlich spritzte das Wasser in der Schüssel mit dem Spiegel auf und formte sich zu etwas... Ein Pferd... Dann ein majestätischer Vogel, der mit jedem Flügelschlagen kleine Tropfen Wasser auf meiner Haut hinterließ.
"Es funktioniert!", rief ich begeistert. In der Tat, ich hatte weder einen Blockade, noch Schmerzen gespürt, als die Kraft aus meinen Fingern geströmt war.
Doch dieser Moment der Begeisterung reichte, um mich etwas abzulenken, also fiel der Vogel wieder in sich zusammen und Wasser schwappte aus der Schüssel heraus. 
Aber Galadriel lächelte mich an: "Schön, dass ich dir helfen konnte", sagte sie ermutigend, während sie einen Schritt zurück machte, um kein Wasser abzubekommen. "Du musst nur noch ein bisschen üben".

Als ich verstohlen versuchte wieder in das Lager zurück zu schleichen, gelang mir dass nicht ganz so gut. Ich schob die Vorhänge beiseite und sah, dass nun alle wach waren. Es musste mittlerweile sieben oder acht Uhr morgens sein. Fragend sah mich Legolas an, sagte aber nichts. Frodo redete gerade mit Merry und Sam und warf mir ebenfalls nur einen stummen, wissenden Blick zu. Ich zwinkerte kurz als Antwort. Auch wenn sein Gespräch mit Galadriel nicht so positiv verlaufen war wie meins und ich sich noch immer jedes Mal ein schweres Gewicht auf meine Brust legte, wenn ich daran dachte, welche unmögliche Aufgabe der Hobbit auszuführen hatte, konnte ich in diesem Moment nur mit Erleichterung tief einatmen und ihm ein aufmunterndes Lächeln schenken. Wir trugen beide ein schweres Schicksal mit uns herum, doch nun hatte ich wohl eine echte Chance. 

"Was macht Ihr da?", fragte mich eine Stimme, die von irgendwo zwischen den Bäumen kam. Hastig ließ ich die Schmetterlinge, die ich gerade aus Blättern des Waldes gezaubert hatte fallen. Unauffällig versteckte ich meine Hände hinter meinem Rücken und drehte mich um. Grinsend und anscheinend gut gelaunt lehnte sich Aragorn an einen Baumstamm und musterte mich neugierig.
"Ich... Ich beobachte Vögel.", antwortete ich und schlug mir gleichzeitig eine imaginäre Faust gegen die Stirn. Keine besonders gute Ausrede. Seit wann beobachtest du Vögel?, spottete meine innere Stimme, aber zugegeben, ich hatte nicht erwartet Aragorn da stehen zu sehen...
"Tatsächlich?", meinte Aragorn und zog verwundert eine Augenbraue hoch. Bestimmt nickte ich  und versuchte nicht rot zu werden.
In Wirklichkeit hatte ich etwas trainiert, denn die Sache mit dem Ring funktionierte wirklich. Seit Galadriel ihn mit gegeben hatte, war einige Zeit vergangen, die wir in Lothlorien verbracht hatten und ich hatte die Zeit genutzt, um meine Kräfte wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich hatte sie sogar verbessert, denn der Ring gab mir mehr Kraft als zuvor.
Aber das würde ich Aragorn natürlich nicht sagen. Er schien auch nicht mehr so gespannt zu sein, zu erfahren, was ich gemacht hatte, denn jetzt erklärte er mir, dass er mich schon die ganze Zeit gesucht hatte, denn Galadriel sei der Ansicht, dass wir uns nun langsam wider auf die Reise begeben sollten. Ohne Zweifel hatten wir hier schon genug Zeit verbracht, vor allem wenn man bedachte, dass die Zeit in Lothlorien andere Regeln kannte. Vermutlich war außerhalb des Waldes viel mehr Zeit vergangen. Vielleicht hatten wir auch schon zu viel kostbare Zeit verloren...
"Gut. Ich werde mich bereit machen. Sonst noch etwas?", fragte ich. "Nein, nichts weiteres...", antworte Aragorn und löste sich vom Baumstamm. "Aber würdet Ihr mit mir vielleicht einen Spaziergang machen? Ich habe nämlich das Gefühl, das es das letzte Mal ist, dass ich diesen Wald sehen werde." 

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt