Kapitel 31

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Alles umsonst. Die ganze Hetzerei, das mühselige Spurenlesen, unsere unermüdliche Hoffnung - alles umsonst. Die Hobbits waren tot. Gefallen unter Feinden, von ihren letzten Freunden verlassen. Klein und verwirrt mochten sie gewesen sein, als die Reiter von Rohan über ihre Entführer herfielen - und über sie mit dazu. Meine Brust schnürte sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen; ich hätte schreien wollen, jeden einzelnen der Reiter, selbst Éomer, schlagen wollen. Wie konnte das Schicksal nur so grausam sein? den Anderen erging es wohl ganz ähnlich. Legolas hatte tröstend einen Arm um Gimli gelegt und starrte ins Leere, während der Zwerg verbittert vor sich hinmurmelte. "Sie waren noch so klein... so unschuldig... wir haben sie im Stich gelassen. Wir hätten schneller sein müssen.", meinte ich zu verstehen. Er hatte in dem Haufen verbrannter Orkleichen einen Teil der Elbischen Gürtel gefunden, die wir, einschließlich der Hobbits trugen. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Wut brannte über mich hinweg; Wut über jedes einzelne Geschöpf auf Erden. Wir durften nicht noch mehr Freunde verlieren. Einen weiteren Verlust würde ich nicht verkraften können, nach Gandalf, Boromir und nun Merry und Pippin. 

Die Reiter hatten uns trotz ihres unabsichtlichen Vergehens an unseren Freunden - oder vielleicht gerade deswegen - freundlicherweise mit zwei Pferden ausgestattet, deren Reiter in der vorherigen Nacht gefallen waren und uns zu der Todesstätte geführt, bevor sie sich wieder auf den Weg zurück in ihre Hauptstadt Edoras.  Es war eine abscheuliche Szenerie, ein furchtbarer Anblick, der sich uns bot. Der Gestank von verbrannten Leichen erfüllte die Luft und der beißende Qualm ließ unsere Augen wie zur Warnung tränen. Normalerweise hätte mich ein Haufen toter Orks mit Genugtuung erfüllt, doch jetzt konnte ich bei dem Gedanken, dass sich unter ihnen auch unsere Freunde befanden, gerade noch so einen Würgereiz unterdrücken. Ich schniefte und wischte mir erschöpft über die Stirn. Wir hatten seither kein Wort mehr miteinander gesprochen, doch in unseren Augen spiegelten sich die Gefühle des ein Jeden wider. Neben mir lief Aragorn auf und ab, vielleicht nach Anzeichen für einen Irrtum suchend, vielleicht noch immer von einer unscheinbaren Kraft angetrieben, als sei die Verfolgungsjagd noch nicht zu ende. Plötzlich blieb er unvermittelt stehen, stieß mit seinem Fuß kräftig gegen einen verstreuten Helm eines Urukhais und stieß einen  markerschütternden Schrei aus, den ich nur zu sehr nachvollziehen konnte, bevor er resigniert zu Boden sank. Es war so unfair. 

Auf einmal begann Aragorn in dem Staub vor sich zu wühlen; seine Hände wanderten über verkohlte Grasbüschel und freigelegtes Gestein. Mit hochgezogenen Augenbrauen wendete ich mich ihm zu und schluckte meine Trauer für einen Moment herunter. Hatte sein Suchen noch einen Sinn? "Hier lag ein Hobbit.", meinte er gedämpft und auch Gimli und Legolas drehten sich zu ihm. Hastig und von neuer Hoffnung ergriffen richtete sich der Mensch auf, lief gebückt um den Haufen herum, nach weiteren Spuren suchend. "Sie waren hier... sie sind hier lang gelaufen.", meinte der Waldläufer zu erkennen. Ich wusste um seine Gabe Spuren zu lesen, aber fragte mich, ob die Trauer vielleicht seinen Blick vernebelte und sein Einschätzungsvermögen aus dem Gleichgewicht brachte. Ist das nicht ein bisschen weit her geholt? Man muss wissen wann man aufzugeben hat. Ich kann jedenfalls nicht erkennen... Skeptisch folgte ich ihm. Doch da blieb Aragorn stehen, seine Finger zerrten an etwas, das er im Dreck gefunden hatte: Ein zerfetztes Seil. "Das sind ihre Fesseln! Sie wurden durchtrennt!" Ich machte große Augen. Ich hatte mich getäuscht und meine Sinne vernebeln lassen. Konnte es wirklich sein...? "Sie sind entkommen, Freunde, sie leben noch!" Aragorn folgte enthusiastisch der Spur von Merry und Pippin, im Zickzack um verstreute Waffen der Urukhais, in Kurven bis zwischen schwulstige Wurzeln, die den Waldrand des Fangorns andeuteten. Dorthin verschwanden die Spuren. Ich wechselte einen Blick mit Legolas, der wie ich die düstere Austrahlung des Waldes schon lange erkannt hatte. Doch die Hobbits kannten die Geschichte des Waldes mit all seinen dunklen Kreaturen vermutlich nicht. Für sie musste der Wald wie ein Paradies erschienen haben, als sie den Urukhais entronnen waren. Und auch Aragorn machte keinen Halt. Ohne zu zögern hüpfte er zwischen den vermoderten Wurzeln umher in die Dunkelnheit. Es blieb uns nichts Anderes übrig, als ihm zu folgen. 

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt