Kapitel 28

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Wir waren bereits mehrere Stunden unterwegs und inzwischen war ich auch sehr dankbar, dass uns Galadriel die Boote gegeben hatte. Jetzt hatten wir schon endliche Meilen hinter uns gelegt, die wir zu Fuß nie in dieser Geschwindigkeit geschafft hätten. Nun wurde es dunkler und kühler, feiner Nebel stieg an den Ufern aus dem Fluss empor und als ich meinen silbrigen Elbenmantel fester um mich schlang, beschloss Aragorn, dass wir für heute an Land gehen sollten um ein Lager aufzuschlagen. Auch die anderen stimmten seinem Vorschlag zu, also suchten wir eine kleinere Bucht, in der wir es uns gemütlich machen und unsere Bote befestigen konnten.  Aber die Ufer waren felsig und schroff zu beiden Seiten und dicht mit Büschen bewachsen. So mussten wir wohl noch eine Weile lang suchen.

"Ich sollte auch einmal das Ruder übernehmen.", bot ich nicht das erste mal an diesem Tag an und schaute Aragorn fragend an. Dieser war mit dem Rücken zu mir gesessen und drehte sich nun um, um mich zu mustern. "Das ist schon in Ordnung, Ihr müsst euch keine Anstrengungen machen.", meinte der Mensch zwischen zwei Ruderschlägen. Traut er mir das etwa nicht zu?, fragte ich mich etwas vor den Kopf gestoßen, auch wenn er es mir vielleicht aus Höflichkeit nicht erlauben wollte. Doch egal aus welchem Grund er mir diese Antwort gegeben hatte, konnte und wollte ich diese nicht akzeptieren. Ich wollte mich nicht die ganze Reise auf diesem Fluss nutzlos durch die Gegend kutschieren lassen. "Ich bin Teil dieser Gemeinschaft Aragorn, also werde ich auch meinen Teil dazu beitragen.", erwiderte ich und ließ mir die Idee nicht nochmal ausreden. "Na gut", gab Aragorn schulterzuckend aber lächelnd klein bei, als er merkte, wie ernst es mir war und reichte mir das Ruder. Mit erhobenem Kopf nahm ich es entgegen.

Durch die Strömung war es gar nicht so einfach, zu lenken, aber nach einer Weile hatte ich den Dreh raus. "Seht Ihr: kein Problem", sagte ich triumphierend und drehte mich grinsend zu Aragorn um, der mich die ganze Zeit im Auge behalten hatte. Jetzt grinste auch er. "Aber passt auf, da vorne gibt es tückische Stromschnellen, denn wir nähern uns einer gefährlichen Stelle. Vielleicht sollte ich später wieder...", wollte er gerade sagen, als ich ein zischendes Sirren und ein Tschock!  vernahm und herumschnellte. Nur wenige Zentimeter von meiner Hand entfernt steckte ein Pfeil in meinem Ruder - ein Orkpfeil, wie ich sofort an der hässlichen Gefiederung erkannte. Ein weiteres Sirren und es steckte noch ein Pfeil an der Bordkante. "Orks!" zischte ich und achtete nicht mehr auf das Ruder. Schnell tastete ich nach meinem Waffengürtel, aber mir wurde klar, dass ein Schwert nichts gegen Pfeile aus der Ferne ausrichten konnte. "Achtung!", rief Frodo den anderen Booten zu, deren Insassen nun auch unter Beschuss standen. Woher kommen die Pfeile...?, dachte ich und schaute mich blitzschnell um, während Aragorn nun beide Ruder in die Hände nahm, um uns so schnell wie möglich außer Reichweite zu bringen. Da registrierte ich auf einmal eine Bewegung in den Schatten zu unserem linken Ufer - Eine versteckte Gruppe, die uns an Land verfolgte und mit Pfeilen beschoss. "Sie kommen vom Ost- Ufer", teilte ich Aragorn mit, der sofort das Ruder wieder übernommen hatte und fieberhaft versuchte, das Boot zu kontrollieren. Ich hatte in der Aufregung gar nicht gemerkt, wie schnell wir nun waren und dass das Wasser immer wilder geworden war... Unser Boot trieb nun einer kleinen Walnussschale gleich zwischen heftigen Strömen und wir wurden immer wieder umhergeschleudert. Auch das noch, dachte ich und versuchte verzweifelt eine Lösung zu finden. Ich schaute mich nach den anderen Booten um, während noch immer Pfeile flogen. "Runter mit euch", rief uns Boromir, der ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Wasser hatte von seinem Boot nicht weit weg von uns zu. Schnell duckten wir uns - gerade noch rechtzeitig, denn schon schoss ein Pfeil über unseren Köpfen hinweg und landete hinter uns im Wasser... Wasser, dachte ich und krallte mich am Bootsrand fest. Wasser... Plötzlich kam mir eine Idee und ich schnellte sofort wieder nach oben. "Elodiel, geh wieder runter!", rief Frodo, der neben mir gekauert hatte und zupfte drängend an meinem Mantel, aber ich hörte nicht auf ihn. Stattdessen streckte ich meine Arme aus, versuchte aufrecht zu bleiben, so gut wie das ohne Halt in einem schwankendem Boot ging und fing an, mich ganz und gar auf das Glucksen und Rauschen des Wassers unter uns zu konzentrieren. Wasser... "Pass auf!", rief Aragorn und schupste mich auf einmal zu Seite, ein Pfeil zischte nur um Haaresbreite an mir vorbei und ich realisierte, wie gefährlich meine Idee war. Aragorn hatte das Ruder losgelassen und nun drehte sich das Boot unaufhaltsam im Kreis. Mir wird schwindelig, dachte ich, dann riss ich mich aber noch einmal zusammen. Eldoiel, du kriegst das hier hin!, sagte ich mir, sah noch einmal auf den Ring an meiner Hand und starrte auf das tosende Wasser. Plötzlich kribbelte es in meinen Fingerspitzen und ganz ohne den bereits gewohnten Schmerz ergoss sich die Kraft in mein Blut. Nun rauschte es wie das Wasser und ich spürte, dass ich die Macht hatte, ihm Befehle zu erteilen. Mit einer flinken Handbewegung gebot ich dem Element sich zu beruhigen, zu glätten und unser Boot stabil durch den Strom zu tragen. Daraufhin bildete sich eine Art Schleuse vor uns und ich hielt meinem Atem an. Auch Aragorn vor mir zog überrascht die Luft ein und packte wieder das Ruder, das nun fest in seiner Halterung lag und nicht mehr vom Wasser herumgeschleudert wurde. Auch das Wasser um die anderen Boote herum geleitete sie sicher durch die Stromschnellen und in ruhigere Gewässer. Immer mehr Kraft pulsierte durch mich und ich hätte fast angefangen zu lachen - so gut fühlte ich mich - aber da fiel mir ein, dass wir ja noch ein andres Problem hatten. Noch immer verfolgten uns die Orks und hatten es jetzt auch noch einfacher, auf uns zu schießen, da sich die Büsche am Ufer lichteten und unsere Boote jetzt nicht mehr so unruhig durch den Fluss trieben: ein sicheres Ziel, wenn mir nicht bald etwas anderes einfiel. Der Fluss war an dieser Stelle noch immer breit, aber wir würden bald um eine Kurve fahren, an der wir dem Ost - Ufer gefährlich nahe kommen würden... Ja!, dachte ich auf einmal hoffnungsvoll. Vielleicht funktioniert das... 

Es war gar nicht mehr so leicht, die Konzentration aufrecht zu erhalten und das Wasser wollte sich meinen Händen immer wieder entziehen, aber wir hatten gleich die Kurve erreicht... Plötzlich ertönte ein entsetzliches Kreischen über unseren Köpfen, dass sich kreisend auf uns zu bewegte. Oh, wie ich dieses Geräusch hasste. Es ließ einem das Blut gefrieren und es verursachte innerlichen Schmerz. Nazguls, dachte ich mit Furcht. Ich sah nach oben, um festzustellen, wie viele hier waren und erschrak, als mir bewusst wurde, dass mein Vater unter ihnen sein könnte. Über uns kreisten drei von ihnen auf hässlichen Wesen, die ich noch nie gesehen hatte, die aber einem Drache ähnlich sahen. Anscheinend hatte ihr Geist sich nach dem Vorfall am Fluss bei Bruchtal wieder materialisiert, um erneut Jagd auf Frodo und den Ring zu nehmen. Zwar wusste ich, dass sie wieder kommen würden, aber eigentlich hatte ich gehofft, dass sie sich damit mehr Zeit lassen würden. Jetzt waren sie hier und das genügte, um mich für einen Augenblick aus der Fassung zu bringen: die Kraft ließ nach, ein Ruck ging durch meinen Körper und ich brach zitternd zusammen. Und da kam die Kurve. Verdammt!, schnell war ich wieder aufrecht, allerdings pochten nun starke Schmerzen zwischen einen Schläfen. Warum müssen die Ringgeister auch gerade jetzt auftauchen?

Doch schnelles Handeln war geboten, also erhob ich erneut meine Hände, schloss schnell die Augen, um mich besser konzentrieren zu können und sagte dem Wasser, was es tun sollte. Das Geschrei über uns und die unmittelbare Gefahr blendete ich mit aller Beherrschung aus. Gerade, als wir genau in der Kurve lagen, hob ich meine Arme und schleuderte all das Wasser um uns herum in einer gewaltigen Flutwelle auf das östliche Ufer. Ich hatte keine Ahnung, ob mein Plan gut war, oder meine Kräfte ausreichten, um soviel Wassermasse zu bewegen, aber tatsächlich bäumte sich das Flusswasser gehorsam auf und ergoss sich gurgelnd auf die Felsen zu unserer Linken. Als Resultat hörte ich verärgerte Rufe der Orks, die durch das Wasser auf den Boden geschleudert wurden. Und noch eine Welle. Woosh!  In der Dunkelheit konnte ich noch erkennen, wie zwei Gestallten in den Fluss fielen, dann waren wir auch schon um die Kurve herum, die uns schnell in eine ganz andere Richtung bewegte und ich ließ erschöpft meine Hände sinken. Mit klopfendem Herzen lauschte ich, ob sie uns noch immer verfolgten, aber ich konnte keine Geräusche hören, die daraufhin deuteten und auch die Nazguls schienen verschwunden zu sein.

"Sind wir sie los?", fragte Frodo mich mit großen Augen und setzte sich wieder auf. Keine Pfeile mehr, kein Nazgulgekreische. "Ja ich denke schon.", antwortete ich und er schenkte mir ein erleichtertes Lächeln. Mir fiel plötzlich ein, dass es für ihn vermutlich noch schlimmer sein musste, von einem Nazgul verfolgt zu werden, seit er an der Wetterspitze von ihnen verwundet wurde und zumal er der Ringträger war. Etwas unbeholfen legte ich ihm eine Hand auf seine Schulter, um ihn etwas zu beruhigen. Es war ja nicht das erste Mal, dass wir zu zweit den Geistern entkommen waren. Aragorn sagte nichts.

"Ich denke hier ist ein guter Platz", sagte Aragorn, als wir die drei Boote an Land gezogen hatten. Wir befanden uns in einer kleinen geschützten Bucht am West - Ufer, wo wir nun unser Lager aufschlugen und vorläufig sicher vor den Orks waren. Hoffentlich sind nicht auch welche auf diesem Ufer, dachte ich missmutig. Wenn wir noch einmal angegriffen wurden, war ich mir nicht sicher, ob ich die Kraft hätte, mich oder irgendjemand anderen zu verteidigen. Mit einem Seufzer ließ ich mich auf einem kleinen Felsen nieder und rollte meine Decke aus. Der Tag war irgendwie anders verlaufen, als ich es nach unserem friedlichen Abschied von Lothlorien erwartet hatte und jetzt war ich am Ende meiner Kräfte.

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt