Kapitel 11

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Ich keuchte auf. Das war jetzt sehr unerwartet gewesen. Seine Augen nagelten mich förmlich fest, mal abgesehen davon, dass ich sowieso von seinem ganzen Körper gegen die Wand gepresst wurde. Doch dann lächelte er und gab mich frei. "Es war mir ein Vergnügen.", sagte er und strich sich einzelne Haarsträhnen, die im während dem Kampf ins Gesicht gefallen waren, nach hinten. Ich fasste mich schnell wieder und musterte ihn. Mir war seine Statur noch nie wirklich aufgefallen, aber jetzt nach dem Kampf wusste ich dass er sehr stark war. "Danke, gleichfalls", brachte ich heraus und schaute verlegend zu Legolas, der nun auf uns zukam und Aragorn freundlich auf die Schulter. Dann sagte er zu mir: "Tja, dann weißt du mal, wie das ist von dir besiegt zu werden". Ich schnaubte, lächelte jedoch. Verlegen öffnete ich meine zusammengebundenen Haare und zupfte an meinen Strähnen. Tatsache war, dass ich von einem Menschen besiegt wurde. Und dass er ein Mann war, den ich zuvor noch nicht so betrachtet hatte. Und ich eben eine Frau. Mädchen in Elbenjahren. Wie auch immer. 

So trainierten wir die folgenden Tage zu Dritt und ich musste sagen, dass Aragorn so einiges konnte, wovon ich mir etwas abschauen sollte. Er zeigte mir wie man sich in Sekundenschnelle auf den Boden werfen konnte um einem Angriff auszukommen oder wie man sich mühelos einige Fuß in die Höhe katapultieren konnte. Zwar waren seine Bewegungen nicht ganz so elegant wie die unseren, aber ich war ja auch nur zur Hälfte elbisch. Es wurde Zeit, dass ich mich mehr mit meiner menschlichen Seite identifizierte. 

Zeitweise kam auch Gimli dazu, um uns mit deiner Axt zu drangsalieren, aber da er uns Elben nicht besonders gut leiden konnte, hielten sich seine Besuche zum Glück in Grenzen. Auch Boromir ließ sich nur zweimal blicken und auch seine Annäherungsversuche und Gesprächsversuche mir gegenüber beim Essen gingen oft nach hinten los, sodass er es bald aufgab mich zu nerven.

So vergingen die letzten schönen Herbsttage und es wurde November. In ein paar Tagen würden wir aufbrechen und die Reise antreten, es war für alles gesorgt, aller Proviant war beschaffen worden und die Route festgelegt. Aber zwei Tage bevor wir aufbrachen rief mich Elrond zu sich in sein Arbeitszimmer, was mich etwas wunderte, schließlich hatte er die ganze Zeit nicht viel von sich hören lassen und ich wollte noch immer mit ihm darüber reden, weshalb er mich auf diese Reise schickte.

Ich schloss die Tür des Arbeitszimmer hinter mir und trat ein. Elrond saß auf einer Bank an einem der großen Fenster und starrte nach draußen, er schien mich gar nicht bemerkt zu haben, denn als ich ihn vorsichtig an der Schulter berührte und mich zu ihm auf die Bank setzte, zuckte er überrascht zusammen. Er wirkte seltsam verwundbar, als er anschließend meine Hände sanft zwischen meine nahm.

Dann sprach er. "Elodiel. Du fragst dich bestimmt, weshalb ich dich die letzten Tag nicht gesprochen haben." Er kannte mich zu gut. "Es ist so, dass ich dich aus einem bestimmten Grund diese Reise antreten lassen werde. Und es nicht leicht für mich ist, dich gehen zu lassen. Damals vor all den Jahren aufgenommen habe, geschah das, weil ich es für deine Mutter tat. Sie hat mir immer viel bedeutet. Sie war... ein Freund und viel mehr." Er pausierte. Es war für uns Beide kein leichtes Thema. Meine Mutter, die er so gut kannte und ich überhaupt nicht. 

Meine Vergangenheit war schon immer ein schwieriges Thema gewesen. Als ich noch jünger war, enthielt mir Elrond vieles und später verstand ich auch wieso. Sobald ich konnte machte ich mich selbst auf die Reise, alleine in den kalten Norden. Dort hatte das Königreich meines Vaters gelegen, bevor sein Ring ihn zu dem machte, was er heute war. Obwohl er damals zweifellos ein grausam mächtiger Herrscher war dies auch mit sagenhaften und schrecklichen Taten demonstrierte, lagen die Städte und Paläste in Trümmern, als ich Jahrzehnte später über die verbrannte Erde wandelte. Nichts konnte mir noch von seinem Dasein erzählen, weder vor, noch nach seiner Verwandlung. Und erst recht gab es keine Erklärung dafür, was mit meiner Mutter geschehen war und was er ihr angetan hatte. 

Verzweifelt war ich nach Bruchthal zurückgekehrt, jede Hoffnung für Gewissheit verloren. Doch Elrond empfang mich wieder mit offenen Armen und offenbarte mir die Seite der Geschichte die er kannte.

Er hatte meine Mutter geliebt. Doch eines Tages war sie verschwunden und später bekamen sie die Nachricht, dass sie nun im Königreich Angmar von dessen Herrscher gefangen gehalten wurde. Elrond und Bruchthals Elben hatten natürlich versucht, sie zu retten, doch waren an den Mauern der Hauptstadt an den Kräften des Hexenkönigs gescheitert. Es war aussichtslos. Doch Elrond wollte nicht aufgeben und trieb sich noch lange im Norden herum, um eine Schwachstelle in Angmars Verteidigungssystem zu finden. Er versuchte sogar meiner Mutter Nachrichten zukommen zu lassen um ihr Hoffnung zu machen und ihr mitzuteilen, dass er sie retten würde. Anscheinend hatte eine seiner Nachrichten Erfolg, denn sie nahm all ihren Mut zusammen und schaffte es zu entkommen. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon hochschwanger und es war ihre letzte Hoffnung ihr Kind - mich - außerhalb der schrecklichen Mauern Angmars zu gebären und in Sicherheit zu bringen. Ich sollte nicht meinem Vater in die Hände fallen. Doch sie konnte Elrond nicht finden, er war zu weit entfernt von feindlichen Truppen aufgehalten worden und so musste sie sich alleine durchschlagen. Als schließlich die Wehen eintraten suchte sie Zuflucht in einer Höhle und... bekam mich. Elrond konnte die Feinde glücklicherweise abschütteln und war auf dem Weg zu ihr, doch mein Vater hatte ebenso die Verfolgung aufgenommen. Er war schneller. 

Elrond fand meine Mutter, als sie im Sterben lag. Sie trug noch einen letzten Lebensfunken in ihr, der allein mir galt. Sie hatte mich versteckt und ihr Leben gegeben, dass mein Vater mich nicht finden und an sich nehmen konnte. Denn sie und auch er hatten vermutet dass ich gewisse Kräfte geerbt haben könnte, die sich sowohl auf der dunklen Seite, als auch auf der des Lichts gut machen würde. Die Frage war nur, wer mich in die Finger bekommen würde. Ich hatte mehr Glück, als meine Mutter, die nun mit ihren letzten Worten Elrond sagte, wo er mich finden konnte. Er tat es vor den Gefolgsleuten des Königs und brachte mich in Windeseile nach Bruchthal, wo er mich aufzog, als wäre ich seine eigene Tochter. Dafür war ich ihm unendlich dankbar und auch dafür, dass mich nie wegen meines dunklen Erbes verurteilte.

An all das erinnert, sah ich mit schwerem Herzen in Elronds Augen. Ich nickte stumm und Elrond holte kurz Luft, bevor er fortfuhr. "Ich hatte eine gewisse Verpflichtung deiner Mutter gegenüber, aber auch ich wollte von ganzem Herzen nur das Beste für dich. Du bist etwas Besonderes, Elodiel und das weißt du auch. Aber ich habe das Gefühl, dass das Zeitalter der Elben sich zum Ende neigt. Es steht ein Krieg bevor." Also hegte auch er diesen Verdacht. Meine Kehle wurde ganz trocken. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Aber mein Ziehvater erzählte weiter: "Ich weiß nicht, wie lange ich noch da sein werde, um dich zu beschützen. Deswegen must du jetzt deinen eigenen Weg gehen und dich deinem Schicksal stellen. Ich kann dir nicht sagen, was in deiner Zukunft liegt, aber jetzt da die Ringgeister wieder zu Tage sind... Musst du auf dich aufpassen. Und du musst wieder Kontrolle über deine Fähigkeiten erlangen. Nur so wirst du dein Erbe besiegen und überwältigen können." 

Die Worte legten sich wie eine schwere Decke über mich und drangen langsam zu mir durch. Das Ende des elbischen Zeitalters. Mich meinem Schicksal stellen. Ich blickte nach Draußen auf die Herbstlichen Wälder. Dinge änderten sich in der Welt da draußen. Zeit verging. 

Elrond hatte Recht. Wieder nickte ich. Ich brachte es nicht zustande ihm zu antworten. Wieder nahm er meine Hand und drückte sie etwas. Er verstand. "Pass gut auf dich auf, Elodiel. Niemand weiß, wer von euch zurückkehren wird. Ich hoffe wir werden uns wieder sehen."

Zwei Tage später war es dann soweit, dass wir aufbrachen. Als wir uns alle auf dem großen Hof versammelt hatten, um loszugehen und ich mich von Elrond verabschiedete, flüsterte er mir noch etwas zu. "Ich will dich nicht auch noch verlieren", sagte er traurig und umarmte mich liebevoll. Dann liefen wir los und in meinem Kopf hallten immer wieder seine Worte nach. Niemand weiß, wer von euch zurückkehren wird.


Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt