Kapitel 4

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Im Dunklen sah ich, dass um uns herum sich schwarze Schatten bewegten; sie flüsterten in der bösen Sprache und verlangten nach dem Ring. Es gab keinen Ausweg.

Frodo zuckte ruhelos unter mir und ich flüsterte ein paar elbische Worte, die mir ebenfalls etwas Mut machen sollten, damit er sich beruhigte. Ich hatte mich schon lange nicht mehr in solch einer beklemmenden Situation befunden, in der ich deutlich meinem Feind unterlegen war. Man konnte nie mit Gewissheit behaupten, aus solch einer Lage lebend herauszukommen. Mein Herz klopfte so wild, dass mein gesamter Körper davon beherrscht wurde und mein Atem glich dem Schnauben meines Pferdes. Von Sekunde zu Sekunde schien die Luft dünner zu werden und die Geister schienen uns erdrücken zu wollen. Bronwhiel trippelte ebenfalls unruhig, unschlüssig und nun ohne meine  führende Hand auf der Stelle. Plötzlich bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie behandschuhte Finger begannen, nach Frodo zu greifen; nach dem Ring in seiner Tasche. Die knöcherne Hand berührte fast Frodos Körper, da schlug ich verzweifelt mit meiner Hand aus und traf den Geist mit aller Kraft, die ich noch in mir hatte. Der Nazgul schrie bei meiner Berührung auf, wie wenn er sich verbrannt hätte und auch ich spürte ein schmerzhaftes Brennen in meinen Knochen. Doch diese kurze Konfrontation sorgte für einen Moment der Ablenkung, in dem sich eine winzige Lücke zwischen dem getroffenen Ringgeist und seinen Begleitern bildete, die Bronwhiel klug nutzte und mit einem Satz aus der Einkreisung herausbrach. Jetzt konnte ich nur noch die Augen zusammenkneifen und meine Arme fester um den Hals meines Pferdes und Frodo schlingen. 

Der Wald war dunkel; alles Licht war der Anwesenheit der Ringgeister gewichen, die sofort unsere Verfolgung aufnahmen. Weitere Äste peitschten mir um die Ohren, doch ich spürte den Schmerz nicht, denn es machte sich mit einem Schlag ein anderer bemerkbar. Mir wurde schwarz vor Augen, als in meiner Hand, mit der ich den Geist berührt hatte, der Schmerz sich verstärkte und plötzlich unerträglich anfing zu pochen. Sterne tanzten vor meinen Augen, als sich Hitzewellen von der Quelle meiner Verletzung aus durch meinen ganzen Körper verbreiten zu schienen. Halte durch, Elodiel, sagte ich mir noch immer wieder wie ein Mantra, bevor ich mich der Schmerz überwältigte, mich komplett umhüllte und meine Seele von meinem Körper trennen zu schien. Dann verlor ich das Bewusstsein.

Eisiges Flusswasser spritzte mir ins Gesicht, sodass ich in Panik aufschreckte. Um mich herum ertönte brausendes Wasser und die Fluten der Furth, die ich schon einmal früher am tag überquert hatte, spritzten um die Hufe meines Pferdes. Was war passiert?, fragte ich mich sofort, Wo bin ich? Dann kamen mir meine letzten Erinnerungen wieder vor Augen: Die Ringgeister, meine brennende Hand und dieser Unerträgliche Schmerz. Ich fragte mich, ob ich vielleicht einfach tot sei, denn ich konnte keine Gefühlswahrnehmungen mehr ausmachen. Anstatt des Schmerzes, fand ich in mir nur eine nüchterne Leere, eine Art Gleichgültigkeit, vor. Aber dann kehrten meine Gedanken wieder in die Realität zurück, als Frodo in meinem Arm keuchend zuckte. Richtig, ich hatte eine Aufgabe zu erledigen. Ein Leben zu retten. Ich musste Frodo nach Bruchthal bringen und ihn vor den Ringgeistern beschützen. Moment... Wo waren die Nazguls eigentlich?!? Das schlimmste erwartend blickte ich wild um mich, aber sie waren nirgendwo zu sehen. Auch ihre Präsenz ließ sich nicht mit meinen elbischen Sinnen erkennen. Waren sie verschwunden? Oder war dies eine Falle? 

Bronwhiel hatte nun schon zur Hälfte die Fuhrt überquert, tapfer und zuverlässig kämpfte sie gegen den Strom an und blieb nun auf einer seichteren Sandbank erschöpft stehen. Wir schienen in Sicherheit zu sein. Im Glitzern des Mondlichts auf den rauschenden Wogen konnte ich sowohl das zurückliegende Ufer, als auch das vor mir ausmachen. Auch in dieser friedlichen Szenerie schnürte mir noch immer Angst die Kehle zu und ich überprüfte die Umgebung doppelt und dreifach. Und da sah ich sie, wie sie aus den Schatten aus dem Wald am Ufer hinter mir traten; auf ihren schwarzten Pferden saßen und mich mit todbringenden Blicken durchbohrten. Natürlich waren sie noch hinter uns her. So leicht würden sie nicht aufgeben. Aber irgendetwas hatte sie verlangsamt und zögern lassen; sie machten keine Anstalten zu uns herüber zu kommen. Aber ihre gierigen Stimmen drangen trotzdem zu mir herüber, wie sie zischend nach dem Halbling verlangten. ich versuchte unter ihnen eine bekannte Stimme meiner Kindheit auszumachen, doch keine von ihnen klang noch auch nur ansatzweise menschlich. Hätte mein Vater zu mir gesprochen, hätte ich ihn nicht erkannt. Wut über sein abscheuliches Schicksal und seine Existenz überkam mich und ich wurde übermütig. Ich würde mich ihren Vorderungen nicht beugen! 

"Dann kommt doch wenn ihr den Halbling wollt!", rief ich hinüber und legte so viel Hass und Verachtung in meine Stimme, wie ich nur konnte. Das war vermutlich ein Fehler gewesen. Denn  sie nahmen wohl tatsächlich meine Herausforderung an und trieben nach einer kurzen, wortlosen Absprache ihre schwarzen Rösser ebenfalls in die Fluten. Wie weit würden sie kommen, bis der Elbenbann sie zurückhalten würde? Wie sicher war ich hier, inmitten der Furth überhaupt? Würden sie mir, wenn sie es mussten auch bis nach Bruchthal folgen? Könne ich mich auf elbischem Gebiet entgegenstellen? Fragen über Fragen überschlugen sich wie die Wellen unter mir in meinem Kopf und ich begriff, dass ich eine Entscheidung fällen musste. Und zwar schnell. Fliehen oder Kämpfen. 

Einer der Ringgeister hatte schon fast die Sandbank erreicht und nichts war passiert; keine unsichtbare Wand war da, gegen die er nicht ankommen hätte können, kein Blitzschlag oder etwas anderes, was wohl die anderen Geister ermutigte, da sie dem ersten Nazgul in die Fluten folgten. Fluten...Wasser..., dachte ich verzweifelt, doch es wollte mir keine Lösung einfallen. Aber vielleicht...

Ich hob meine Hand und konzentrierte mich. Ich dachte an Wasserwogen, eine Herde aus Pferden, die die Geister überrennen sollte; stellte sie mir in lebendig gewordener Form vor meinem inneren Auge vor. Ich zwang mich, alle verbliebene Energie auf meine Hand und das Wasser zu lenken, um die Blockade in dem Gedankenstrom zu überwinden. Der altbekannte, dumpfe und vertraute, ja fast trostspendende Schmerz meiner Blockade nahm zu und ich konnte es langsam nicht mehr aushalten, ich drohte wieder ohnmächtig zu werden -  da endlich ließ die Blockade mit einem letzten aber starken Schmerz ab und die Energie ergoss sich, im wahrsten Sinne des Wortes.

Nicht unweit von der Sandbank, etwas oberhalb von meiner Position und die der Ringgeister war der Fluss zu einer riesigen Wasserwand angeschwollen und ich meinte erkennen zu können, wie in den, sich überschlagenden Wellen Pferde galoppierten und auf die Nazgul zukamen. Diese erkannten die Gefahr mit scheußlichen Aufschreien und versuchte noch ihre Pferde zu wenden, aber meine Wasserpferde waren schneller und überrollten sie einfach. Mit einem klatschendem Aufprall wurden sie in den Fluss gespült, umhergewirbelt und tauchten schließlich nicht mehr auf. Es hatte funktioniert. Schaudernd und erschöpft senkte ich meine Hand und starrte in das tosende Wasser, das den Fluss abwärts gespült wurde. Ich habe es geschafft!, wurde mir plötzlich klar. Ich habe sie vernichtet und die Blockade überwunden!

Dabei hätte ich fast den armen Frodo vergessen; er war blasser denn je und zuckte nur noch schwach. Mir wurde mit einem Blick klar, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb und wir uns schleunigst nach Bruchtal begeben mussten. Wenn er es nicht schafft..., dachte ich, aber zwang mich, positiv zu denken. Elrond wird ihn heilen können!  Und so ritt Bronwhiel los, wie wenn die Ringgeister noch immer hinter uns her wären. Ich konnte nur hoffen, dass Frodo es durch hielt, sonst wäre die ganze Mühe umsonst gewesen und ein unschuldiges Leben verloren. Daher flehte ich schließlich mit aller Kraft die ich noch hatte und mit jeder Sekunde die verging auf Elbisch nach Gnade in den heiligen Hallen. Er war ja erst so jung und sicher ein liebenswerter Hobbit mit einer sehr großen Bürde. Sollte dennoch schon sein Leben enden? Nein, dass darf es nicht!, dachte ich verzweifelt und Bronwhiel legte noch einen Zahn zu.



Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt