Kapitel 5

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"Geht es ihm wieder besser?", fragte ich besorgt, während ich mich vorsichtig über das Bett beugte, in dem Frodo seelenruhig schlief. "Ich habe mein Bestes getan, er wird wieder zu Kräften kommen.", antwortete Elrond mir leise um den Patienten nicht zu wecken. "Aber wir können nicht davon ausgehen, dass die Wunde keine bleibenden Schäden hinterlässt...", er stockte. "Er wir nie wieder der alte sein", bemerkte Gandalf bedauernd. Seine Stirn lag bekümmert in Falten, seit er den Halbling erblickt und erkannt hatte, in welchem Zustand er sich befand.

Gandalf war gestern kurz nach meiner Rückkehr mit Frodo ebenfalls in Bruchtal angekommen, zutiefst erschüttert über den Vorfall. Elrond hatte sogleich Frodo ohne ein weiteres Wort mit sich genommen und war für fast drei Stunden in seinem "Arbeitszimmer" verschwunden. Niemand wusste, was er genau tat; er wünschte, nicht gestört zu werden und als Aragorn mit den übrigen Hobbits völlig außer Atem in Bruchtal ankam, konnte ich ihnen nichts anderes sagen, außer, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben sollten. Also warteten wir mit Gandalf angespannt vor der Tür des Zimmers, ebenfalls stillschweigend, jeder in seinen Gedanken versunken. Dann, endlich kam Elrond erschöpft heraus und berichtete, dass Frodo nun schlafen würde, wir ihn aber besuchen könnten. Erleichtert folgten wir Elrond in das Zimmer und nun standen wir dort, versammelt um das Bett des Hobbits. 

Ein neuer Tag war angebrochen; die Sonne war aufgegangen und strahlte Frodo ins Gesicht, worauf er sich verschlafen räkelte und schließlich die Augen öffnete. Das erste was er sah war...

"Gandalf!", rief Frodo erfreut aus. "Und Sam, Merry, Pippin! Ach... Und da ist Streicher!" Es war wirklich ein herzerwärmender Anblick, wie er da in seinem Bett saß und uns alle anstrahlte, wie wenn nichts gewesen wäre. Diese Hobbits schienen die Glückseligkeit in Person zu sein. Außerdem bemerkte ich, wie Frodo Aragorn "Streicher" nannte und wunderte mich, woher dieser Ausdruck wohl kam. Das würde ich mir merken und den Waldläufer bei Gelegenheit darauf ansprechen, beziehungsweise ihn ebenfalls so nennen. Bei diesem Gedanken musste ich mir ein Grinsen verkneifen. Dann wandte sich der Hobbit auch mir zu und riss mich aus meinen Gedanken: "Und Ihr seid die Elbin, die mich vor den Ringgeistern gerettet hat. Ich bin Euch zu tiefstem Dank verpflichtet!", gab er seriös von sich, sodass sich bei dieser dramatischen Äußerung endgültig ein breites Lächeln auf meinen Lippen formte. Dennoch konnte ich nicht die Ernsthaftigkeit unserer Lage am Vortag vergessen, bei der es um Leben und Tod gegangen war. So erwiderte ich, etwas verlegen und der Blicke aller Anwesenden auf mir nur zu gut bewusste, aufrichtig ein "Gerne geschehen" und senkte dann meinen Blick zu Boden. Ich war einfach nur froh, dass alles gut gegangen war. 

"Nun, Gandalf, warum bist du nicht gekommen?", fragte Frodo schließlich in die peinliche Stille hinein, die mittlerweile entstanden war. Das würde mich allerdings auch interessieren, dachte ich und sah gespannt wieder auf - froh, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf mir lag. Elrond und Gandalf wechselten einen bedeutungsschweren Blick. 

" Ich wurde aufgehalten.", brummte Gandalf schließlich ausweichend und legte Frodo eine Hand auf die Schulter. "Aber jetzt bin ich ja da." Es schien, als würde der eigentliche Grund für seine Verspätung nicht für alle Ohren in diesem Raum bestimmt sein. Doch niemand wagte, noch weiter nachzufragen. Wenn es an der passenden Zeit ist, würde Gandalf uns schon sagen, was wirklich passiert war. 

Unbekümmert über die Geheimniskrämerei machten die Hobbits noch ein paar ihrer Scherze und lachten sorgenfrei darüber, also bedeutete Elrond dem Rest der Besucher mit einem Wink, dass wir ihm aus dem Zimmer folgen sollten. Sobald wir die Türen des Krankenzimmers hinter uns geschlossen hatten und das Gelächter der Hobbits somit verstummte, bildete sich eine besorgniserregende Falte auf Elronds Stirn und er wendete sich mir zu. Ohne ein Wort zu sagen, legte er eine Hand auf meinen Rücken und schob mich beiseite, sodass er Aragorn und Gandalf zurück ließ. Ich schluckte. Das konnte nichts Gutes bedeuten und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was Elrond von mir wollte. Ich würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er wütend auf mich war. Schließlich hatte ich mich seinen Anweisungen widersetzt und mich selbst ebenfalls in Gefahr gebracht. Stattdessen sah ich nur Besorgnis in seinen Augen, als er mich prüfend musterte. Seit meiner Ankunft mit Frodo hatte er - verständlicherweise - andere Sorgen und Prioritäten gehabt, doch wollte nun auch sichergehen, dass es mir gut ginge. Als er nach einem ersten Überblick keinen weiteren Schaden als meine Müdigkeit feststellen konnte nickte er erleichtert Gandalf zu, der gerade Aragorn etwas , für mich unverständliches, zu murmelte und jetzt zu uns sah. Er begab sich ebenfalls an Elronds Seite und seine grauen, weisen Augen schienen mich zu durchbohren. Auch er schien erfreut über seine Beobachtung zu sein und fuhr fort, etwas in seinen Bart zu murmeln, während ich mich einfach nur unangenehm beobachtet fühlte. Schließlich bedeutete mir Elrond mit einem Wink, dass ich ihm folgen sollte und marschierte bestimmten Schrittes den Korridor hinunter in die Richtung der Bibliothek. Auch Aragorn, der überflüssigerweise in seiner Position abseits verharrt war, setzte sich nun in Bewegung, aber Gandalf schüttelte nur wortlos den Kopf, sodass er verwundert zurückblieb. Entschuldigend und mindestens ebenso verwirrt, warf ich ihm noch einen entschuldigenden Blick über die Schulter zu, dann folgte ich meinem Ziehvater Elrond. Ich hoffte nur, dass mir Aragorn mein Verhalten von gestern und heute nicht übel nahm; ich war mir nicht sicher, was er von mir hielt und wir hatten seit unser Begegnung gestern kein Wort gesprochen. 

Der Herr der Ringe oder das Erbe von AngmarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt